S 7 KR 261/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 7 KR 261/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Kostenerstattung in Höhe von 11.667,59 EUR (11.747,59 EUR abzüglich 80,00 EUR Eigenanteil) für eine Behandlung in einer Privatklinik während eines Urlaubs in der Türkei.

Die Klägerin (geb. 1931) machte von Mai bis Juni 2016 in der Türkei Urlaub. Bei einem Ausflug am 04.06.2016 von Alanya über Side ins Taurus-Gebirge (ca. 150 km vom Hotel entfernt) wurde sie bewusstlos und war nicht ansprechbar. Sie wurde nach 30- bis 40-minütiger Fahrt in das C., eine Privatklinik, eingeliefert. Auf der dortigen Intensivstation wurde ein Herzschrittmacher eingesetzt. Das ca. 6 km (12 Minuten Fahrzeit) entfernt vom C. liegende staatliche Krankenhaus "D. Hospital" verfügte im streitigen Zeitraum nicht über eine Kardiologie-Chirurgie (vgl. Bestätigung von Dr. med. E., stellvertretender Chefarzt des Staatskrankenhauses D., vom 24.04.2018). Für die Krankenbehandlung stellte das C. mit Datum vom 11.06.2016 13.000,00 EUR in Rechnung. Den Betrag beglich die Klägerin mit Hilfe Verwandter vor Entlassung.

Die Klägerin beantragte bei der Beklagten die vollständige Erstattung dieser Kosten. Die Beklagte ermittelte beim staatlichen türkischen Krankenversicherungsträger (Sosyal Güvenlik Kurumu Baskanligi - SGK -), dass für eine Sachleistungsgewährung in der Türkei 4.100 TL - umgerechnet 1.252,41 EUR - angefallen wären. Mit Bescheid vom 10.08.2016 erstattete die Beklagte der Klägerin diesen Betrag unter Ablehnung im Übrigen. Den am 01.09.2016 erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass sie den bewilligten Betrag nicht nachvollziehen könne und bat um detaillierte Aufstellung. Mit Widerspruchsbescheid vom 08.12.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Am 05.01.2017 hat die Klägerin Klage bei dem Sozialgericht Darmstadt erhoben, die mit Beschluss vom 04.06.2017 an das zuständige Sozialgericht Gießen verwiesen wurde. Sie macht geltend, erst nachträglich erfahren zu haben, dass es sich um eine Privatklinik handelte. Niemand der Anwesenden habe dem Fahrer ein entsprechendes Ziel benannt. Die Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 1 b) des deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommens (DT-SVA) seien erfüllt, da sie die Leistung sofort am 04.06.2016 benötigt habe. Selbst wenn Art. 15 DT-SVA den Erstattungsanspruch begrenze, sei der Erstattungsbetrag des ausländischen Versicherungsträgers nicht nachvollziehbar und erscheine in Anbetracht der Implantation eines Herzschrittmachers viel zu gering. Auch hätten weitergehende Ansprüche nach § 13 Abs. 3 SGB V geprüft werden müssen. Die Beklagte wende zu Unrecht Art. 34 der EWG-Verordnung 574/72 an; die Türkei sei nicht Mitglied des europäischen Wirtschaftsraumes. Zu prüfen gewesen sei auch § 13 i.V.m. § 18 SGB V, wonach die Krankenkasse die Kosten für eine erforderliche Behandlung außerhalb des Geltungsbereichs der EU ganz oder teilweise übernehmen könne. Diese Ermessensvorschrift habe die Beklagte nicht geprüft.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 10.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2016 zu verurteilen, der Klägerin 11.667,59 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist die Beklagte auf die angegriffenen Bescheide.

Es sei anerkannte Verwaltungspraxis, im Verhältnis zu den bilateralen Abkommenstaaten Kostenerstattungen in analoger Anwendung von Art. 34 der EWG-Verordnung 574/72 über Soziale Sicherheit durchzuführen. Abs. 1 begrenze den Anspruch grundsätzlich auf die "für den Träger des Aufenthaltsortes maßgebenden Sätze". Gemeint seien die Vertragssätze abzüglich vorgesehener Eigenbeteiligungen, die für eine vergleichbare Behandlung der eigenen Versicherten entstanden wären. Nach Abs. 2 erteile der Träger des Aufenthaltsortes dem zuständigen Träger (Beklagte) auf dessen Verlangen die erforderlichen Auskünfte über diese Sätze mit. Für den Geltungsbereich des DT-SVA würden hierzu von den Verbindungsstellen für die Krankenversicherung entsprechende Vordrucke festgelegt (im Verhältnis zur Türkei: Vordruck T/A 26). Dieser Vordruck sei am 06.07.2016 an die zuständige SGK des Aufenthaltsortes (Antalya) gesandt worden. Diese habe daraufhin einen erstattungsfähigen Betrag in Höhe von 4.100,00 TL angegeben (1 EUR = 3,27370 TL (Stand 08/2016) 4.100,00 TL: 3,27370 = 1.252,41 EUR). Abweichend hiervon ermögliche Art. 34 Abs. 5 der EWG-Verordnung 574/72 eine Kostenerstattung in Höhe der entsprechenden Sätze des zuständigen Trägers, d.h. nach deutschen Kassensätzen. Voraussetzung sei jedoch u.a., dass der Gesamtbetrag der entstandenen Aufwendungen 1.000,00 EUR nicht übersteige. Dies treffe vorliegend jedoch nicht zu.

Ein Anspruch ergebe sich auch nicht unter dem Aspekt des Systemversagens. Hiervon könne nur ausgegangen werden, wenn der Sachleistungsanspruch durch einen entsprechenden Antragsvordruck (T/A 11) des zuständigen Trägers gegenüber dem Träger des Aufenthaltsortes nachgewiesen ist und dieser die Sachleistungsaushilfe abkommenswidrig verweigert hat (vgl. BSG, Urteil vom 24.05.2007 - B 1 KR 18/06 R -). Es lägen keine Hinweise vor, dass die Klägerin die Sachleistungsaushilfe bei der türkischen Krankenkasse beantragt habe und diese ihr abkommenswidrig verweigert worden sei. Ein Systemversagen resultierte auch nicht daraus, dass das nächstgelegene staatliche Krankenhaus nicht in einer angemessenen Zeit hätte erreicht werden können.

Mit Schreiben vom 02.07.2018 hat die Kammer eine Auskunft bei der "Deutschen Verbindungsstelle Krankenversicherung - Ausland" des GKV-Spitzenverbandes angefordert.

Mit Schreiben vom 22.11.2018 führte diese aus, dass das C. laut vorliegenden Informationen (Website der SGK) einen Vertrag mit der SGK habe. Die Klägerin habe diese Privatklinik damit auch unmittelbar in Anspruch nehmen können.

Ein in Deutschland lebender Versicherter habe zwar bei vorübergehendem Aufenthalt in der Türkei einen Sachleistungsanspruch auf sofort notwendige Leistungen nach den türkischen Rechtsvorschriften (Art. 4a, 12 Abs. 1b und 15 Abs. 2 DT-SVA). Der Leistungsumfang und -katalog richte sich allerdings nach den türkischen Vorschriften. Die Prüfung der erstattungsfähigen Kosten erfolge aufgrund des vom zuständigen Träger in Deutschland (Krankenkasse) übersandten Vordrucks T/A 26. Der türkische Träger prüfe sodann alle in Frage kommenden Erstattungsansprüche nach den türkischen Rechtsvorschriften, d.h. wie sie ein in der Türkei Versicherter in einem solchen Fall beanspruchen könne. Nicht garantiert sei, dass die türkischen Vertragsleistungen das Niveau der deutschen Vertragsleistungen erreiche (vgl. BSG, Urteil vom 24.05.2007 B 1 KR 18/06 -, Rn. 30).

Privatkliniken könnten grundsätzlich über die Vertragssätze hinaus Zusatzgebühren für Notfallbehandlungen und andere Gesundheitsdienstleistungen verlangen. Diese Zusatzgebühren seien zwischenzeitlich begrenzt worden. Seit dem 01.07.2008 dürften den Versicherten in Notfällen keine Zuzahlungen mehr auferlegt werden. Für andere Gesundheitsdienstleistungen gelte seit dem 22.10.2013 eine Begrenzung auf bis zu 200 % der Vertragssätze. Um in der Türkei Sachleistungen in Anspruch zu nehmen, sei es nach türkischem Recht notwendig, dass die Versicherten den Anspruchsnachweis T/A 11 bei sich führten. Der Anspruchsnachweis könne nach der Rechtsprechung des BSG zwar nachgereicht werden. Ohne Nachweis sei jedoch für einen türkischen Leistungserbringer nicht ersichtlich, dass der Versicherte anspruchsberechtigt im Sinne des DT-SVA sei; er stelle daher eine Privatrechnung aus. Erhebe eine Privatklinik zu Unrecht Zusatzgebühren über dem festgelegten Prozentsatz oder bei Notfallbehandlungen, müsse sie eine Geldstrafe entrichten. Von den Privatkliniken erhobene Zusatzgebühren würden von der gesetzlichen Krankenversicherung in der Türkei (SGK) jedoch nicht erstattet. Der Versicherte habe lediglich Anspruch auf Erstattung in Höhe der Vertragssätze gemäß Abfrage mittels des Vordrucks T/A 26. Somit gebe es nach türkischem Recht keinen sachleistungsersetzenden Kostenerstattungsanspruch entsprechend § 13 Abs. 3 SGB V. Weitergehende sachleistungsersetzende Kostenerstattungsansprüche für Notfallbehandlungen in Privatkliniken seien nicht notwendig, da es in Notfällen unter Berücksichtigung der geltenden türkischen Regelungen nicht zu höheren Kosten als den Vertragssätzen der SGK kommen könne. Ob es sich bei der Rechnung der Privatklinik in voller Höhe um einen rechtswirksamen Honoraranspruch handele, richte sich nach türkischem Privatrecht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 10.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf über den bereits erstatteten Betrag von 1.252,41 EUR hinausgehende Erstattung weiterer 11.667,59 EUR wegen ihrer Krankenhausbehandlung in der Zeit vom 04. bis 11.06.2016 in der Türkei.

Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) sind die Leistungen der deutschen Krankenversicherung nach dem SGB V grundsätzlich in der Bundesrepublik Deutschland zu erbringen. Der Anspruch auf diese Leistungen ruht, solange Versicherte sich im Ausland aufhalten, und zwar auch dann, wenn sie dort während eines vorübergehenden Aufenthalts erkranken, soweit im SGB V nichts Abweichendes bestimmt ist. Darüber hinaus kann sich ein Anspruch aus zwischenstaatlichem Recht ergeben (§ 6 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - SGB IV).

Ausnahmen von § 16 Abs. 1 Nr. SGB V sind innerhalb des SGB V in den §§ 13 und 18 SGB V vorgesehen.

Nach § 18 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB V kann die Krankenkasse die Kosten einer erforderlichen Behandlung ganz oder teilweise übernehmen, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur außerhalb des Geltungsbereichs des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich ist. Hieran fehlt es, da eine Herzschrittmacher-Operation im Inland zur Verfügung steht.

Nach § 18 Abs. 3 Satz 1 SGB V hat ein Versicherter Anspruch auf Erstattung der erforderlichen Behandlungskosten, die ihm entstehen, weil er im Ausland wegen eines Notfalls behandelt wird. Der Anspruch besteht nur insoweit, als Versicherte sich hierfür wegen einer Vorerkrankung oder ihres Lebensalters nachweislich nicht versichern können und die Krankenkasse dies vor Beginn des Aufenthalts außerhalb des Geltungsbereichs des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum festgestellt hat. Der Anspruch ist auf die Höhe der Kosten, wie sie im Inland entstanden wären, sowie auf längstens sechs Wochen im Kalenderjahr begrenzt (§ 18 Abs. 3 Satz 2 SGB V). Während der Gesetzgeber im Grundsatz davon ausgeht, dass jeder für seine vorübergehenden Aufenthalte im vertragslosen Ausland in der Lage ist, sich privat zu versichern, wird den Personen, für die diese Voraussetzung gerade nicht erfüllt sind, der Anspruch auf Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erhalten (Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 18 SGB V, Rn. 13 f.). Die Anwendung dieser Vorschrift scheitert hier bereits daran, dass eine Feststellung der Krankenkasse vor Urlaubseintritt nicht eingeholt wurde. Die Klägerin hat vor ihrem Urlaub vielmehr gar keinen Kontakt mit der Beklagten aufgenommen wegen ihrer bevorstehenden Reise.

Als Anspruchsgrundlage kommt vielmehr Art. 12 Abs. 1 Buchst. a) und b) i.V.m. Art. 4a des DT-SVA (Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit vom 30. April 1964 - BGBl. II 1972, S. 2, in der Fassung vom 2. November 1984 - BGBl. II 1986, S. 1040) in Betracht. Versicherten in der deutschen GKV kann danach grundsätzlich auch bei einem Aufenthalt in der Türkei ein Leistungsanspruch zustehen, wenn der Versicherungsfall während des vorübergehenden Aufenthalts im Gebiet der anderen Vertragspartei eingetreten ist und die Versicherten wegen ihres Zustandes sofort Leistungen benötigen (Art. 12 Abs. 1 Buchst. b) DT-SVA).

Ein solcher medizinischer Notfall während des vorübergehenden Aufenthalts in der Türkei i.S.v. Art. 12 Abs. 1 Buchst. b) DT-SVA liegt hier vor, da die Klägerin aufgrund ihres gesundheitlichen Zustandes am 04.06.2016 auf sofortige ärztliche Hilfe angewiesen war.

Daraus allein resultiert allerdings noch nicht der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung der vollständigen Kosten der Behandlung der Klägerin in dem Privatkrankenhaus "C.".

Der Grundsatz der Maßgeblichkeit des Leistungsrechts des SGB V wird durch Art. 15 DT-SVA als Spezialnorm für Sachleistungen dahin modifiziert, dass sich der Anspruch der Versicherten und damit die Leistungspflicht der Krankenkassen in der Türkei nach türkischem Recht richten. Nach Art. 15 DT-SVA werden die Leistungen im Wege der "Leistungsaushilfe" von dem nach türkischem Recht zuständigen Träger, der Sozialversicherungsanstalt Sosyal Sigortalar Kurumu (SSK) nach dem für diesen geltenden - türkischen - Recht mit Wirkung für die deutschen Krankenkassen erbracht. Nach Art. 15 Abs. 2 DT-SVA gelten für die Erbringung der Sachleistungen die für den Träger des Aufenthaltsortes maßgebenden Rechtsvorschriften. Nach Art. 15 Abs. 4 DT-SVA sind Personen und Einrichtungen, die mit der SSK Verträge über die Erbringung von Sachleistungen für deren Versicherte abgeschlossen haben, verpflichtet, die Sachleistungen auch für die in Art. 4a DT-SVA genannten Personen unter denselben Bedingungen zu erbringen, wie wenn diese Personen bei der SSK versichert oder Angehörige solcher Versicherten wären und als ob die Verträge sich auch auf diese Personen erstreckten.

Der krankenversicherungsrechtliche Sachleistungsanspruch der Klägerin war mithin bei dem in der Türkei eingetretenen Leistungsfall wirksam durch Art. 15 DT-SVA auf die nach dem türkischen Krankenversicherungssystem zustehenden Leistungen beschränkt. Art. 15 DT-SVA erstreckt sich dabei nach seinem Sinn und Zweck auch auf sachleistungsersetzende Kostenerstattungsansprüche, da solche Ansprüche der Ergänzung des Sachleistungssystems dienen und dessen integraler Bestandteil sind.

Zur Ermittlung der Anspruchshöhe hat die Beklagte mittels des Formularvordrucks T/A 26 (nunmehr wohl: Formularvordruck E 126) eine Auskunft bei der türkischen Verbindungsstelle der SSK (hier: SGK) eingeholt. Demnach beläuft sich der Erstattungsbetrag für die entsprechende Krankenhausbehandlung nach geltendem türkischem Recht auf 4.100 TL (umgerechnet 1.252,41 EUR).

Aus Sicht der Kammer besteht keine Veranlassung, diese Auskunft infrage zu stellen. Zwar besteht eine erhebliche Differenz zwischen der erstatteten Leistung von 1.252,41 EUR und den vom "C." berechneten 13.000,00 EUR. Allerdings wurde nicht substantiiert dargelegt, aus welchem Grund die Behandlung der Klägerin durch Personen oder Einrichtungen gemäß Art. 15 Abs. 4 DT-SVA höhere Kosten als 4.100 TL bzw. 1.252,41 EUR hätten verursachen sollen. Anhaltspunkte hierfür sind für die Kammer auch sonst nicht ersichtlich. Auffällig sind vielmehr hohe Kosten für Unterbringungskosten (2.065,00 EUR) und die tägliche Beobachtung (1.365,00 EUR) sowie Gesamtkosten für Medikamente und Material (4.393,80 EUR), die selbst bei – hier nicht einschlägiger – Abrechnung nach dem für Behandlungen in Deutschland geltenden pauschalierten DRG-System so nicht angefallen wären (hier wohl: DRG F12I zu 4.896,00 EUR [Stand 2018] bzw. F12F zu 7.410,00 EUR [Stand 2018], vgl. "Herzschrittmacher DRG 2018, Biotronik/Reimbursement, abrufbar https://biotronik.cdn.mediamid.com/cdn bio doc/bio28368/40272/bio28368.pdf).

Bleiben die nach türkischem Recht vorgesehenen Leistungen hinter dem zurück, was das deutsche Recht gewährt, begründet nicht bereits dieses Leistungsgefälle einen Kostenerstattungsanspruch mit dem Ziel, über die Leistungsaushilfe hinaus bei einer Auslandserkrankung in der Türkei über § 13 Abs. 3 SGB V das Niveau "deutsche Krankenversicherung" herzustellen (vgl. BSGE 98, 257).

Ein weitergehender Erstattungsanspruch lässt sich auch nicht aufgrund Systemversagens begründen. Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB V i.V.m. Art. 15 DT-SVA kommt ein solcher Anspruch in Betracht, wenn der türkische Träger seinen Pflichten im Rahmen der Leistungsaushilfe nicht oder nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist. In diesem Fall müsste sich die Beklagte das Versäumnis des Abkommenspartners zurechnen lassen. Da sich die deutschen Krankenkassen zur Erfüllung der Ansprüche ihrer sich in der Türkei aufhaltenden Versicherten des von der SSK vorgehaltenen Leistungssystems bedienen, ist es zwar gerechtfertigt, den Krankenkassen durch Einwirken auf die SSK über die Verbindungsstellen die Sorge dafür aufzuerlegen, dass die Versicherten die durch das DT-SVA zugesagten Leistungen vor Ort tatsächlich zur Verfügung gestellt erhalten. Sie müssen deshalb bei der SSK oder ihnen selbst zurechenbaren Störungen im Zusammenhang mit der Abwicklung des Abkommens dafür mit Kostenerstattung einstehen; Aufgabe der Verbindungsstelle kann es dagegen nicht sein, Verantwortung für eine Änderung des türkischen Rechts zu übernehmen (vgl. BSGE 98, 257).

In Deutschland lebende Versicherte, die in der Türkei erkranken und dem DT-SVA unterfallen, sind grundsätzlich auf das beschränkt, was ihnen das türkische Recht an Sachleistungen bzw. sie ersetzenden Erstattungsansprüchen zur Verfügung stellt. Die Garantiefunktion, die § 13 Abs. 3 SGB V bei Naturalleistungsstörungen ("Systemversagen") in Deutschland übernimmt, ist damit bereits weitgehend abgedeckt.

Lediglich soweit das von Art. 15 DT-SVA berufene türkische Sachleistungsrecht keine Regelungen zu Fällen des "Systemversagens" wegen spezifischer Verletzungen des DT-SVA enthält, ist diese verbliebene Lücke über § 13 Abs. 3 SGB V zu schließen. Ein Systemversagen läge demnach vor, wenn einem in Deutschland lebenden Versicherten, der sich in die Türkei begibt, bei der Umsetzung des DT-SVA in der Türkei abkommenswidrig vorenthalten werden, was nach türkischem Recht auch einem gegenüber der SSK Leistungsberechtigten türkischen Residenten in der Situation des Berechtigten vor Ort zu gewähren wäre und der Berechtigte durch die (deshalb) notwendige privatärztliche Krankenbehandlung einer rechtsgültigen Zahlungsverpflichtung ausgesetzt ist (vgl. BSG, Urteil vom 11.09.2012 – B 1 KR 21/11 R –, juris, Rn. 14).

Unter Anwendung dieses Maßstabs lässt sich ein Systemversagen im vorliegenden Fall jedoch nicht feststellen. Insbesondere ergibt sich dies nicht daraus, dass die Klägerin wegen Fehlens einer kardiochirurgischen Abteilung nicht im staatlichen Krankenhaus ("D. Hospital") behandelt werden konnte, sondern das "C." in Anspruch nehmen musste.

Der Klägerin ist bei der Umsetzung des DT-SVA in der Türkei nicht abkommenswidrig vorenthalten worden, was nach türkischem Recht auch einem gegenüber der SSK leistungsberechtigten zu gewähren gewesen wäre. Mangels kardiochirurgischer Abteilung im staatlichen Krankenhaus sowie auch aufgrund der zwischen dem "C." und dem türkischen Versicherungsträger geschlossenen Verträge durfte die Klägerin die streitige Behandlung im "C." in Anspruch nehmen.

In dieser Situation hätte indes auch ein nach türkischem Recht Versicherter Einwohner der Türkei keine weitergehenden Ansprüche über den von der Beklagten bereits erstatteten Betrag hinaus gehabt. Die Klägerin hat vielmehr die gebotene Versorgung zusammen mit der hierfür nach türkischem Recht vorgesehenen Teilkostenerstattung erhalten.

Selbst zu zahlen gewesen wären für Versicherte der SSK wie auch für nach dem DT-SVA Berechtigte Zusatzgebühren von bis zu 200 %, wenn es sich nicht um eine Notfallbehandlung handelt. Soweit das behandelnde türkische Krankenhaus diese Sätze überschritten hat, dürfte dies nach Maßgabe der von der "Deutschen Verbindungsstelle Krankenversicherung – Ausland" des GKV-Spitzenverbandes erteilten Auskunft in Bezug auf Patienten, die wie die Klägerin unter das DT-SVA fallen, nach türkischem Recht zwar nicht zulässig sein. Für Honorare, die dem behandelnden türkischen Krankenhaus als Leistungserbringer rechtlich nicht zustehen, kann allerdings nach Auffassung der Kammer weder eine Eintrittspflicht des türkischen Sozialversicherungsträgers noch der deutschen Krankenkassen bestehen. Die Klägerin müsste daher gegen das behandelnde türkische Krankenhaus vorgehen. Da die Klägerin sich weder (vorsorglich) vorab den nach den türkischen Rechtsvorschriften notwendigen Anspruchsnachweis T/A 11 beschafft noch dies während des Krankenhausaufenthaltes (nachdem sie das Bewusstsein wiedererlangt hat) nachgeholt hat, durfte das behandelnde Krankenhaus eine Privatrechnung stellen. Der türkische Sozialversicherungsträger war zum Behandlungszeitpunkt nicht informiert und folglich nicht in der Lage, in irgendeiner Weise beratend einzugreifen oder die private Rechnungsstellung zu verhindern. Von der Beklagten zurechenbaren Versäumnissen bei der Umsetzung des türkischen Sozialversicherungsträgers kann mithin nicht ausgegangen werden. Die nach Maßgabe des DT-SVA zu leistende Notfallbehandlung und die hierfür nach türkischem Recht für Versicherte der SGK abrechenbaren Sätze wurden im Übrigen gewährt.

Der geltend gemachte Anspruch lässt sich auch nicht mit dem Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs begründen. Dieses Rechtsinstitut ist mangels Regelungslücke nicht anwendbar, wenn die Rechtsfolgen einer Verletzung von Nebenpflichten des Sozialleistungsträgers in Richtung auf einen sozialrechtlichen Anspruch des Betroffenen bereits ausdrücklich gesetzlich geregelt sind. Da der in § 13 Abs. 3 SGB V geregelte Anspruch auf Kostenerstattung Ähnlichkeit zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch hat, ist er in der GKV als abschließende gesetzliche Regelung gegenüber den auf dem Herstellungsgedanken beruhenden Kostenerstattungsansprüchen anzusehen (Helbig in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 13 SGB V, Rn. 24).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und berücksichtigt das vollständige Unterliegen der Klägerin.
Rechtskraft
Aus
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