L 1 AS 1858/19 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 1197/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 AS 1858/19 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kann ein SGB II-Leistungsträger in aller Regel nicht zur Erteilung einer Zusicherung i.S.d. § 22 Abs. 4 SGB II verpflichtet werden, sondern allenfalls zur vorläufigen Übernahme der tatsächlichen KdU.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 22.05.2019 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller (Ast.) begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners (Ag.) zur Abgabe einer Zusicherung der Übernahme von Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) in Höhe von 450 EUR mtl. und die Übernahme der KdU in dieser Höhe durch den Ag.

Der Ast. ist 1996 geboren und hat kein Einkommen. Seit August 2018 hält er sich in R. auf und übernachtet dort in der Notübernachtungsstelle der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Der Ag. gewährt ihm laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe des Regelsatzes (vgl. Bescheid vom 13.02.2019). Außerdem übernahm er bislang jeweils nachträglich die von der AWO geltend gemachten Unterkunftskosten für seine Übernachtungen in der Notunterkunft (vgl. etwa Bescheid vom 05.04.2019 über KdU für März 2019).

Am 08.04.2019 beantragte der Ast. die Zusicherung der Übernahme der KdU für die beabsichtigte Anmietung eines 13 m² großen Zimmers in einer Wohngemeinschaft (WG-Zimmer) im W.-Weg in R ... In der vom Ast. vorgelegten Mietbescheinigung vom 04.04.2019 ist die Anzahl der Räume mit "1" angegeben, die Größe der Gesamtfläche mit 140 m², als Baujahr des Hauses 1960 und als Datum der erstmaligen Bezugsfertigkeit der Wohnung März 2019. Die Kaltmiete für das unmöblierte Zimmer mit gemeinschaftlicher Nutzung von Bad und Küche beträgt ausweislich der Mietbescheinigung 400 EUR monatlich, die Höhe der pauschal zu entrichtenden Nebenkosten (Zentralheizung als Gas-Sammelheizung, Strom, Wasser/Abwasser, Müllgebühr) 50 EUR monatlich. Im Rahmen einer weiteren persönlichen Vorsprache vom 09.04.2019 gab der Ast. die Größe des Zimmers mit 13 m² an, die Größe der mitzubenutzenden Küche mit 25 m². Er legte einen nicht unterschriebenen Mietvertragsentwurf für das Zimmer vor. Angaben zum Mietbeginn ergeben sich weder aus dem Mietvertrag noch aus der Mietbescheinigung.

Für die Anmietung des Zimmers sicherte der Ag. dem Ast. mit Bescheid vom 10.05.2019 die Übernahme von 280 EUR als Warmmiete zu. Hiergegen erhob der Ast. Widerspruch mit dem Begehren, die vollen Unterkunftskosten zu übernehmen.

Am 14.05.2019 hat der Ast. beim Sozialgericht Reutlingen (SG) beantragt, den Ag. im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die gesamten Kosten seiner Wohnung in Höhe von 450 EUR mtl. und die Mietkaution in Höhe von 800 EUR zu bezahlen.

Der Ag. hat darauf hingewiesen, dass der Mietvertrag noch nicht unterschrieben und der Beginn des Mietverhältnisses unklar sei. Die Mietkaution sei durch Geldmittel der Mutter bereits sichergestellt. Die Miethöhe sei für das 13 m² große Zimmer unangemessen. Angemessen seien 280 EUR, wie in der Verfügung des Landkreises vom 02.08.2016 zu Mietobergrenzen von Einzelpersonen in Wohngemeinschaften näher dargelegt.

Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Hinsichtlich der Mietkaution fehle es an einem Anordnungsgrund, hinsichtlich der Abgabe einer Zusicherung und Übernahme der kompletten laufenden Unterkunftskosten sei ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, da die Kosten für die Wohnung unangemessen hoch seien. Zwar werde die sich auf Grundlage der Wohngeldtabelle errechnete Mietobergrenze von 477,40 EUR durch die Miete von 400 EUR zuzüglich geschätzter 25 EUR monatlicher "kalter" Nebenkosten nicht überschritten. Die geringe Wohnfläche und der Umstand, dass die gemeinschaftliche Nutzung von Bad und Küche in einer Wohngemeinschaft (WG) "weniger wert" sei als eine alleinige Nutzung, rechtfertigten im konkreten Fall indes ein Abweichen von der abstrakten Mietobergrenze.

Gegen diesen ihm am 25.05.2019 zugestellten Beschluss hat der Ast. am 05.06.2019 Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, ihm die tatsächliche Miete zu gewähren. Er übernachte in einer Notunterkunft und müsse sich tagsüber im Tagestreff ohne Privatsphäre aufhalten. Alle Versuche eine Wohnung zu finden seien fehlgeschlagen. Nun habe er endlich etwas gefunden und es werde abgelehnt. Er bitte darum ihm zu ermöglichen, aus der Obdachlosenunterkunft auszuziehen.

Der Ag. hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Der Senat hat dem Ast. mit Schreiben vom 06.06.2019 aufgegeben, bis zum 24.06.2019 mitzuteilen, ab wann genau die Wohnung angemietet bzw. ab wann er zur Zahlung der Miete verpflichtet ist und ob Stundungsvereinbarungen getroffen worden sind. Dies blieb, ebenso wie die Bitte um Mitteilung des konkreten Umzugstermins, unbeantwortet.

II.

Die nach § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Ast. ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Beschwerdeausschlussgrund des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG greift nicht ein. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das SG hat den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

Der Ast. hat den Antrag auf Übernahme der Kaution im Beschwerdeverfahren nicht weiterverfolgt, weshalb der Senat darüber nicht zu entscheiden hat.

Nachdem der Ast. im Beschwerdeverfahren in den Gründen seines Antrages ausgeführt hat, dass ihm ermöglicht werden solle, aus der Notunterkunft auszuziehen, geht der Senat davon aus, dass neben der ausdrücklich beantragten Übernahme der Miete für die WG-Wohnung in voller Höhe von 450 EUR mtl. im Beschwerdeverfahren weiterhin auch die Erteilung einer Zusicherung in dieser Höhe begehrt wird. Die Erteilung der begehrten Zusicherung im Wege einer einstweiligen Anordnung kommt indes hier nicht in Betracht, weil im einstweiligen Rechtsschutzverfahren der SGB II-Leistungsträger zur Erteilung einer Zusicherung i.S.d. § 22 Abs. 4 SGB II in aller Regel nicht verpflichtet werden kann, sondern allenfalls zur vorläufigen Übernahme der tatsächlichen KdU (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 04.04.2019 - L 11 AS 72/19 B ER, Rn. 44, nach juris). Für eine Verpflichtung des Ag. zur Erteilung der Zusicherung für die Berücksichtigung der Aufwendungen für das WG-Zimmer mit Bad- und Küchenmitbenutzung im W.-Weg in R. im Wege der einstweiligen Anordnung fehlt bereits das Rechtsschutzbedürfnis (Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage 2017, § 86b SGG, Rn. 315). Denn diese würde, wie auch ein Ausführungsbescheid, nach einer gegenteiligen Hauptsacheentscheidung ihre Rechtswirkungen verlieren (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 20. April 2016 – B 8 SO 20/14 R –, Rn. 12, juris m.w.N.), so dass sich die durch § 22 Abs. 4 SGB II eigentlich intendierte Planungssicherheit für den Leistungsempfänger durch eine einstweilige Regelung gerade nicht erreichen lässt (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20.06.2018 - L 31 AS 1002/18 B ER und L 31 1003/18 B ER PKH -, juris, Rn. 3 f.). Hinzu kommt, dass die Erteilung der Zusicherung keine Anspruchsvoraussetzung für die hier eigentlich begehrte Übernahme der Miete in voller Höhe von 450 EUR mtl. ist (Luik in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 22 Rn. 181 m.w.N.).

Soweit der Ast. sinngemäß die vorläufige Verpflichtung des Ag. zur Übernahme von Mietkosten in Höhe von monatlich 450 EUR im Wege einer einstweiligen Anordnung begehrt, fehlt es bereits an der erforderlichen Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Ein Anordnungsgrund ist dann gegeben, wenn der Erlass der einstweiligen Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Dies ist der Fall, wenn es dem Antragssteller nach einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Keller in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Auflage 2017, § 86b Rn. 28). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage aufgrund einer summarischen Prüfung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (BVerfG, 02.05.2005, 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237, 242).

Nach § 22 Abs. 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Berücksichtigungsfähige Bedarfe sind nur Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, die dem Hilfebedürftigen tatsächlich entstanden sind. Erforderlich ist, dass der Hilfebedürftige im streitigen Zeitraum einer ernsthaften, wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietforderung ausgesetzt ist (BSG Urteil vom 03.03.2009 – B 4 AS 37/08 RSozR 4-4200 § 22 Nr. 15, juris, Rn. 24 ff., BSG Urteil vom 07.05.2009 – B 14 AS 31/07 R –, SozR 4-4200 § 21 Nr. 21, juris, Rn. 16 ff.). Berücksichtigungsfähig sind darüber hinaus nur Aufwendungen für eine tatsächlich genutzte Unterkunft, wofür die Antragsteller die objektive Beweislast tragen (vgl. Luik in: Eicher/Luik, a.a.O., § 22 Rn. 44 m.w.N.). Hier ist weder glaubhaft gemacht, dass der vom Ast. dem Ag. im Entwurf vorgelegte Mietvertrag inzwischen geschlossen wurde und dass bzw. in welcher Höhe tatsächliche Mietaufwendungen anfallen. Die Anfrage des Senats dazu ist unbeantwortet geblieben. Der Senat hat auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Ast. das WG-Zimmer mit Bad- und Küchenmitbenutzung im W.-Weg in R. inzwischen tatsächlich als Wohnung nutzt. Nachdem der Ast. in der Beschwerdebegründung ausdrücklich darum gebeten hat, ihm zu ermöglichen, aus der Notunterkunft auszuziehen, ist hier vielmehr davon auszugehen, dass er zum Übernachten weiterhin die Notübernachtungsstelle der Arbeiterwohlfahrt in R. nutzt. Auf Fragen der Angemessenheit der Höhe der Mietaufwendungen kommt es deshalb nicht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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