L 31 AS 1300/19 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
31
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 104 AS 4788/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 31 AS 1300/19 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 3. Juli 2019 aufgehoben, soweit den Antragstellern mit diesem vorläufig Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 14. Mai 2019 bis zum 30. September 2019 gewährt worden sind. Kosten des Verfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Den Antragstellern wird auch für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des aus dem Rubrum ersichtlichen Rechtsanwaltes bewilligt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).

Die 1985 geborene Antragstellerin zu 1) befindet sich seit dem 1. Oktober 2015 in der Bundesrepublik Deutschland und ist die Mutter der 2017 und 2016 geborenen Antragsteller zu 2) und 3). Die Antragsteller besitzen die schwedische Staatsangehörigkeit. Im Juli 2018 beantragten sie die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Der Antragsgegner gewährte den Antragstellern mit Bescheid vom 24. Juli 2018 sowie Bescheid vom 14. Dezember 2018 Leistungen für die Zeit von Juli 2018 bis 09. Januar 2019 wegen einer zuvor von der Antragstellerin zu 1) vom 20. Februar 2018 bis zum 9. Juli 2018 ausgeübten nichtselbstständigen Beschäftigung. Die Antragsteller zu 2) und 3) erhalten Kindergeld i.H.v. jeweils 194,00 EUR. Der Kindesvater zahlt Unterhalt i.H.v. 90,00 EUR pro Kind. Am 7. März 2019 hat die Antragstellerin zu 1) unter ihrer Wohnanschrift ein Gewerbe "Modedesign, Herstellung und Handel von Modeschmuck" zum 1. Februar 2019 angemeldet. In einer vorläufigen EKS vom 29. April 2019 gab die Antragstellerin zu 1) an, sie erwarte im April Einnahmen aus Gewerbebetrieb i.H.v. 90,00 EUR und in den Monaten Mai bis September 2019 in Höhe von jeweils 200,00 EUR.

Den Weiterbewilligungsantrag der Antragsteller vom 13. April 2019 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 8. Mai 2019 ab und führte zur Begründung unter anderem aus, die Antragsteller könnten sich lediglich auf ein Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Arbeitssuche berufen und seien daher von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Soweit die Antragstellerin zu 1) eine selbstständige Tätigkeit zum 1. Februar 2019 aufgenommen habe, gehe sie selbst von einem durchschnittlichen monatlichen Gewinn in Höhe von lediglich 166,67 EUR aus. In Anbetracht der geringen Einnahmen sei davon auszugehen, dass die selbständige Tätigkeit unter 8 Stunden pro Woche ausgeübt werde. In diesem Fall sei nicht von einer tatsächlichen, auf Gewinnerzielung angelegten Ausübung der selbstständigen Tätigkeit auszugehen. Gegen diesen Bescheid legten die Antragsteller fristgemäß Widerspruch ein, den der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juni 2019 zurückwies.

Am 14. Mai 2019 beantragten die Antragsteller beim Sozialgericht Berlin die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes und gaben unter anderem an, sie (die Antragstellerin zu 1) betreibe seit dem 1. Februar 2019 ein Gewerbe und sei selbstständig tätig. Sie betreibe ein Gewerbe Design für Schmuck und für das Erstellen von Musikvideos. Von Februar bis April 2019 sei sie mit der Kundengewinnung, Werbung, dem Erstellen der Webseite und dem Herstellen von Visitenkarten beschäftigt gewesen. Der Versuch mit einem Schmuckstand auf einer Messe präsent zu sein, sei an fehlenden finanziellen Mitteln gescheitert. Im Mai 2019 habe sie 2 Aufträge von Musikern gehabt. Sie habe Musikvideos erstellt. Bisher habe sie 100,00 EUR eingenommen. Die Tätigkeit sei langfristig angelegt. Die Kundengewinnung dauere in dieser Branche verhältnismäßig lange. Sie müsse sich erst einen Namen machen. Die Arbeit in ihrem erlernten Beruf sei auf Dauer angelegt. Die Tatsache, dass sie keine Leistungen erhalte und mittlerweile alle kleinsten Reserven aufgebraucht seien, erschwere die berufliche Situation erheblich. In einer eidesstattlichen Versicherung führte die Antragstellerin zu 1) aus, sie habe im Februar, März und April in den sozialen Medien geworben, sich vorgestellt, Telefonate geführt und E-Mails versandt, um Aufträge zu bekommen. Des Weiteren habe sie die Website entwickelt, die mangels finanzieller Mittel noch nicht online habe gestellt werden können. Sie habe auch Visitenkarten erstellen lassen. Im April sei sie zu einer Lifestyle-Messe in Berlin angemeldet gewesen, um ihren Schmuckstand zu präsentieren. Da Sie die Standmiete nicht habe aufbringen können, habe sie dies absagen müssen. Im Mai habe sie bei der Erstellung eines Videos für die Band D und eines weiteren Videos für den DJ E A mitgewirkt. Hierfür habe sie 100,00 EUR bzw. 200,00 EUR erhalten.

Am 6. Juni 2019 hat die Antragstellerin zu 1) ein "Freelance Agreement" mit der in den USA ansässigen Künstlerin F abgeschlossen, in dem eine monatliche Vergütung i.H.v. 200,00 EUR vereinbart ist.

Im Juni 2019 hat die Antragstellerin zu 1) eine erneute EKS für die Zeit von April bis September 2019 eingereicht. Nunmehr ging sie von Einnahmen in Höhe von insgesamt 1790,00 EUR in diesem Zeitraum aus.

Hierzu hat sie am 2. Juli 2019 eine weitere Aufstellung eingereicht, in die offensichtlich im Mai 2019 Einnahmen i.H.v. 100,00 EUR für die Teilnahme bei der Produktion eines Musikvideos für die Band D, im Juni Einnahmen in Höhe von insgesamt 250 EUR für den Verkauf von 2 Schmuckstücken an K A Studio und RK sowie i.H.v. 200,00 EUR für die Teilnahme an dem bereits oben beschriebenen Video des DJ E A eingestellt und diese für die Folgemonate unterstellt worden sind.

Mit Beschluss vom 3. Juli 2019 hat das Sozialgericht Berlin den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern für die Zeit vom 14. Mai 2019 bis zum 30. September 2019 ein monatliches Arbeitslosengeld II in Höhe von insgesamt 1287,33 EUR zu gewähren. Zur Begründung hat sich das Sozialgericht im Wesentlichen auf eine Folgenabwägung gestützt, da der Sachverhalt im einstweiligen Rechtsschutz nicht abschließend aufklärbar sei.

Gegen diesen Beschluss hat der Antragsgegner noch im Juli 2019 Beschwerde beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt.

Zur Art ihrer Tätigkeit hat die Antragstellerin zu 1) im Beschwerdeverfahren unter anderem ausgeführt, sie verwende ihre gesamte Freizeit darauf, Kontakte zu knüpfen und für ihren Schmuck zu werben. Gegenwärtig nutze sie hierzu im Wesentlichen die sozialen Medien (Instagram und Facebook). Ihre eigene Homepage sei geplant, könne jedoch wegen mangelnder finanzieller Mittel gegenwärtig nicht umgesetzt werden. Sie beabsichtige einen online-Webshop aufzubauen, in dem sie ihre Schmuckstücke verkaufen könne. Sie bemühe sich ihre Produkte durch Auftragsarbeiten (gemeint sind hier offensichtlich die Auftritte in den bereits oben mehrfach genannten Musikvideos), in Magazinen und durch ihre vielfältigen Verbindungen zu bewerben und dann online und in Läden zu verkaufen. So habe sie in den bereits mehrfach genannten Musikvideos gemodelt, dabei ihren Schmuck getragen und so für ihre Schmuckstücke geworben. Im Rahmen des "Freelance Agreement" verwirkliche sie eine Serie von Projekten mit der Kundin, um deren Marke zu stärken und sie für den internationalen Markt attraktiver zu machen. Sie arrangiere Fotoshootings, Styling, Videos, Copyright-Dinge und die dazugehörenden Arbeiten ca. 20 Stunden im Monat. Die Kundin produziere elektronische Musik und sei DJ, der um die Welt reise und Musik spiele. Sie sei in Kalifornien ansässig, verbringe aber viel Zeit in Berlin, wo sie auf Veranstaltungen, Festivals und Partys spiele und sie ihre Plattenfirma für elektronische Musik aufbaue. Man arbeite zusammen, um die Marke der Kundin aufzubauen und ihre visuelle Identität neu zu gestalten, dies umfasse alles von Rechnungen, über Websites bis zu Performance-Kostümen und Fotoshootings. Wenn die Kundin nicht in Berlin sei, arbeiteten sie telefonisch miteinander, um die Künstlerin zu motivieren und zu inspirieren und zu diskutieren, was für ihre Zukunft getan werden müsse. Sie sei für die Kundin wie ein Manager, aber sie mache ihre Arbeit durch visuelle Darstellung und inspirierende Motivation. Das Wesentliche an ihrem Geschäft sei jedoch der Verkauf von Schmuck. Im Moment sei Ihre Website noch nicht erreichbar. Sie besitze zwar die Domain, aber sie könne es sich nicht leisten, ihren Designer zu bezahlen, um das Website-Design zu beenden und die Website online zu stellen. Sie sei aber noch auf Facebook und Instagram präsent und könne dort Kunden gewinnen, wenn sie sie ansprechen würden. Mit Schreiben vom 22. Juli 2019 teilte die Antragstellerin zu 1) mit, nunmehr sei Ihre Website online. Sie übersandte in der Anlage Fotos der online gestellten Schmuckstücke. Dabei handelte es sich um insgesamt vier Schmuckstücke, von denen zwei ausverkauft waren, sodass letztlich nur noch zwei angeboten wurden. Weiter warb sie für ein Sweatshirt des Künstlers D C.

Auf die Anfrage des Senats vom 31. Juli 2019 (hinsichtlich der Einzelheiten dieser Anfrage wird auf Bl. 124 der Gerichtsakten verwiesen) teilte die Antragstellerin zu 1) mit Schreiben vom 12. August 2019 unter anderem mit, bei den Rechnungen vom 24. Juni 2019 an K Art Studio und an R K in Höhe von insgesamt 250 EUR habe es sich um den Verkauf von Schmuckstücken gehandelt. Im Hinblick auf die bereits mehrfach erwähnten Musikvideos teilte sie mit, durch die Kontakte zu diversen Künstlern habe für sie die Möglichkeit bestanden, dass einige ihrer Schmuckstücke in diesen Videos verwendet werden sollten. Sie sei gebeten worden, diese als Model zu präsentieren. Die Bezahlung sei für die Zurverfügungstellung der Schmuckstücke und für ihre Auftritte als Model gedacht gewesen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 3. Juli 2019 aufzuheben und den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abzulehnen.

Die Antragsteller beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Se halten die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte des Antragsgegners.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig und begründet, denn die Antragsteller haben keinen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II im Wege einstweiligen Rechtsschutzes.

Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis statthaft, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Voraussetzung hierfür ist regelmäßig, dass sowohl ein Anordnungsanspruch im Sinne der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch ein Anordnungsgrund im Sinne der Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht sind, wobei umso geringere Anforderungen an den Anordnungsgrund zu stellen sind, je größer die Erfolgsaussichten sind. Sofern dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, wobei die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen sind (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -, zitiert nach Juris).

Ein Anordnungsanspruch aus den §§ 7 Abs. 1 Satz 1, 19 Abs. 1 SGB II scheitert daran, dass die Antragstellerin zu 1) und ihre mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Kinder, die Antragsteller zu 2) und 3) im streitigen Zeitraum dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II unterlagen bzw. weiterhin unterliegen. Als Unionsbürgerin darf sich die erwerbsfähige Antragstellerin zu 1) gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) zwar zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland aufhalten, ein Anspruch auf Leistungen bestand und besteht dabei jedoch nicht, weil nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen von Leistungen ausgenommen sind. Etwas anderes gilt nach Satz 4 der Vorschrift lediglich für u.a. Ausländerinnen, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben, was für die Antragstellerin, die seit 1. Oktober 2015 in der Bundesrepublik Deutschland gemeldet ist, nicht einschlägig ist. Die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses sind erfüllt, weil sich die Antragstellerin zu 1) im streitigen Zeitraum lediglich zur Arbeitssuche in Deutschland aufhielt bzw. weiter aufhält.

Ein anderes Aufenthaltsrecht als das zur Arbeitssuche bestand bzw. besteht für die Antragstellerin zu 1) im streitigen Zeitraum nicht. Soweit die Antragstellerin zu 1) in der Zeit vom 19. Februar 2018 bis 9. Juli 2018 ein Arbeitsverhältnis hatte, kann - wie der Antragsgegner zutreffend ausgeführt hat - aus diesem Arbeitsverhältnis kein Aufenthaltsrecht mehr folgen. Zwar bleibt bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung das aus § 2 Abs. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU bestehende Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer während der Dauer von sechs Monaten unberührt. Dieser Zeitraum ist jedoch am 9. Januar 2019 abgelaufen, sodass der Antragsgegner Leistungen zutreffend lediglich bis zum 9. Januar 2019 bewilligt hat.

Auch die von der Antragstellerin zu 1) ab Februar 2019 ausgeübte selbstständige Tätigkeit vermittelt kein Aufenthaltsrecht im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU. Danach sind unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt Unionsbürger, wenn sie zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt sind (niedergelassene selbständige Erwerbstätige).

Zur Überzeugung des Senats macht die Legaldefinition in § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU deutlich, dass es nicht allein auf die Berechtigung zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit ankommt. Vielmehr muss – abgesehen von den Fällen des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU – die selbständige Tätigkeit tatsächlich ausgeübt werden (vgl. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG vom 29. April 2004, Amtsblatt der Europäischen Union L 158, 77). Selbständig ist eine Tätigkeit, wenn sie nicht im Rahmen eines Unterordnungsverhältnisses in Bezug auf die Wahl dieser Tätigkeit, die Arbeitsbedingungen und das Entgelt, in eigener Verantwortung und gegen ein Entgelt, das dem Tätigen vollständig und unmittelbar gezahlt wird, ausgeübt wird (vgl. Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), Urteil vom 20. November 2001 in der Rechtssache Jany u.a. - C-268/99 - juris, Rn. 71). Niedergelassen sind Selbständige, wenn die Möglichkeit besteht, in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats als ihres Herkunftsstaats teilzunehmen und daraus Nutzen zu ziehen (vgl. EuGH, Urteil vom 11. März 2010 in der Rechtssache Attanasio Group - C-384/08 - juris, Rn. 36). Wegen der unterschiedlichen wirtschaftlichen Risiken, die Arbeitnehmer und Selbständige mit ihrer Tätigkeit eingehen, muss es bei der Prüfung der wirtschaftlichen Relevanz der Tätigkeit eines Selbständigen nicht allein auf den Umfang der Einnahmen ankommen. Zu berücksichtigen sein können auch die von ihm im Zusammenhang mit der Aufnahme der Tätigkeit eingegangenen Verpflichtungen gegenüber anderen. Dabei kann es sich um Risiken handeln, denen sich der selbständig tätige Unionsbürger gegenüber Trägern öffentlicher Verwaltung aussetzt (z.B. gegenüber den Trägern der Sozialversicherung bei Beschäftigung Dritter), aber auch um gegenüber Privaten eingegangene Verbindlichkeiten (z.B. bei Leasing eines Firmenfahrzeugs, Anmietung von Geschäftsräumen). Allerdings muss auch berücksichtigt werden, dass nicht mit jedem Gewerbe die regelhafte Eingehung auf eine gewisse Dauer angelegter Verpflichtungen verbunden sein muss (vgl. Reisegewerbe). Je geringer eingegangene wirtschaftliche Risiken sind, desto eher gleicht sich die Selbständigkeit in ihrer Bedeutung für die Teilnahme des Unionsbürgers am Wirtschaftsleben der Arbeitnehmertätigkeit an. Andererseits kann in diesen Fällen – ebenso wie bei einem Arbeitnehmer – verstärktes Gewicht auf die Regelmäßigkeit der Ausübung der Tätigkeit zu legen sein. In diesem Sinne kann zum Beispiel die nur gelegentliche Erbringung handwerklicher Leistungen Anhaltspunkt für eine fehlende wirtschaftliche Relevanz der Tätigkeit sein (so auch schon Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 07. Februar 2019, L 2 AS 860/18 B ER, zitiert nach juris unter Bezugnahme auf: Hailbronner, AuslR, Kommentar, Stand Einzellieferung April 2013, § 2 FreizügG/EU, Rz. 52).

Unter Anwendung dieser Kriterien ist das ab Februar 2019 bestehende Gewerbe der Antragstellerin zu 1) jedenfalls keine niedergelassene selbständige Erwerbstätigkeit in diesem Sinne. Soweit die Antragstellerin zu 1) selbst ausführt, ihre hauptsächliche Tätigkeit bestehe im Designen und Herstellen von Schmuckstücken, hat sie auf ihrer ursprünglichen Website 4 Schmuckstücke angeboten, bei denen es sich um Einzelstücke gehandelt hat, von denen 2 bereits verkauft bzw. ausverkauft waren. Soweit Sie nunmehr angibt auf ihrer Website seien 4 Schmuckstücke und 6 T-Shirts im Angebot, mithin insgesamt 10 Artikel, ändert auch dies nichts. Die Schmuckstücke sollen zu Preisen zwischen 50,00 und 150,00 EUR verkauft werden, bei den angebotenen T-Shirts, die in Zusammenhang mit einem anderen Künstler angeboten werden, ist unklar, inwieweit es sich um von der Antragstellerin zu 1) angebotene Artikel oder Artikel des anderen Künstlers handelt. Soweit die Antragstellerin zu 1) weiter ausführt, bei Eröffnung der Website werde von ihr eine Kollektion bestehend aus 12 Stücken angestrebt, reicht auch dies nach Ansicht des Senats nicht dazu aus, die tatsächliche und echte Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit darzulegen, denn der Umfang der Tätigkeit stellt sich als lediglich völlig untergeordnet und unwesentlich dar. Abgesehen davon, dass bei Betrieb eines online-Handels - gegebenenfalls im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens - ohnehin zunächst zu klären sein würde, ob ein solches lediglich im Internet stattfindendes selbstständiges Gewerbe tatsächlich ein Aufenthaltsrecht in einem anderen Mitgliedstaat vermitteln kann, vermag der Senat auch nicht zu sehen, wie das Onlinestellen von 6 Schmuckstücken und 6 T-Shirts die tatsächliche und echte Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit mit einem Umfang, der mehr als lediglich völlig untergeordnet und unwesentlich ist, darstellen soll. Im Hinblick auf den online-Handel dürfte schon fraglich sein, inwieweit die Antragstellerin zu 1) in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaates als ihrem Herkunftsstaat teilnehmen (muss), um daraus Nutzen zu ziehen. Dass gerade der von jedem Land aus - also auch dem Herkunftsstaat der Antragstellerin zu 1) - zu betreibende online-Handel ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland vermitteln kann, erscheint doch mehr als fraglich.

Jedenfalls reicht aber der Umfang, der nicht über den Umfang des hobbymäßigen Herstellens und Verkaufens von Schmuck und T-Shirts hinausgeht, nicht aus, um den Status eines niedergelassenen selbstständigen Erwerbstätigen zu erlangen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Antragstellerin zu 1) in einem Zeitraum von 6 Monaten bereits 3 Schmuckstücke für insgesamt 250,00 EUR verkauft hat. Auch dies spricht dafür, dass es sich um eine selbstständige Tätigkeit handelt, die völlig untergeordnet und unwesentlich ist und ist Beleg dafür, dass der Tätigkeit die wirtschaftliche Relevanz fehlt.

Auch die Zurverfügungstellung der Schmuckstücke für Dreharbeiten zu 2 Videos, vermag nicht die tatsächliche und echte Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit zu belegen. Die Antragstellerin zu 1) hat hierzu ausgeführt, sie habe insgesamt 300,00 EUR dafür erhalten hat, dass sie in den beiden Videos gemodelt habe und hierdurch ihre Schmuckstücke habe bewerben können. Damit stellen sich diese Einnahmen i.H.v. 300,00 EUR eher als Bezahlung für die Modeltätigkeit, als als Zahlung für die Zurverfügungstellung der Schmuckstücke dar. Sie lassen sich damit mit dem Gewerbebetrieb der Antragstellerin zu 1) eher dahingehend in Verbindung bringen, dass sie kostenlose Werbung für ihre Schmuckstücke machen konnte. Die "Gage" für die Modeltätigkeit stellt sich damit nicht als Einnahme des Gewerbebetriebes dar, sondern als von diesem unabhängige Nebentätigkeit, die für sich genommen ebenfalls völlig untergeordnet und unbedeutend ist und der Antragstellerin zu 1) kein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerin oder Selbstständige vermitteln kann.

Auch das "Freelance Agreement" mit einer in den USA ansässigen Künstlerin vermittelt der Antragstellerin zu 1) kein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerin oder Selbstständige in der Bundesrepublik Deutschland. Es ist in keiner Weise ersichtlich, dass die Vertragserfüllung in irgendeiner Weise an den deutschen Arbeitsmarkt gebunden ist. Weder ist von einer deutschen Niederlassung die Rede noch von selbstständigen oder abhängigen Tätigkeiten in Deutschland. Arbeiten im Internet, die international eingestellt und gelesen werden können, bewirken keine irgendwie geartete Integration in den deutschen Arbeitsmarkt, die ein Freizügigkeitsrecht vermitteln könnte. Welche Voraussetzungen ein niedergelassener Selbstständiger erfüllen muss, um ein Freizügigkeitsrecht in Anspruch nehmen zu können, wurde bereits oben dargestellt. Diese Voraussetzungen sind mit dem Freelancer-Vertrag offensichtlich nicht erfüllt. Wie etwa eine abhängige Beschäftigung bei einer in den USA beheimateten Künstlerin ein EU-Freizügigkeitsrecht soll begründen können, ist nicht nachvollziehbar.

Ein anderes Aufenthaltsrecht als das zur Arbeitssuche besteht nach alledem nicht.

Der Senat hat sich auch nicht gedrängt gesehen, dass einstweilige Rechtsschutzverfahren in der Beschwerde durch eine Beiladung des mit der Rechtssache noch nicht befassten SGB XII-Trägers weiter zu verzögern. Sollte die Antragstellerin zu 1) meinen, hier Ansprüche wegen eines sogenannten "verfestigten Aufenthalts" geltend machen zu können, kann sie sich direkt mit einem Antrag an den Träger wenden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.

Prozesskostenhilfe war für das Beschwerdeverfahren gemäß § 73 a SGG i. V. m. § 114 ZPO zu bewilligen, wobei es auf eine Erfolgsaussicht der Berufung gemäß § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht ankam.

Gegen diesen Beschluss ist keine Beschwerde an das Bundessozialgericht zulässig (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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