L 4 SO 120/19 B

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 26 SO 112/18
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SO 120/19 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zu den Begründungsanforderungen an einen Prozesskostenhilfeantrag für eine Klage, die die Verfassungswidrigkeit der Ermittlung der Regelbedarfe in den Jahren 2017 und 2018 rügt.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 11. Juni 2019 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers mit dem – sinngemäßen – Antrag,

den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 11. Juni 2019 aufzuheben und dem Antragsteller Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug ab Antragstellung ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt B., A Stadt, zu bewilligen,

ist entgegen der Auffassung des Sozialgerichts zulässig, insbesondere ist sie am Maßstab von § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Zwar geht das Sozialgericht zutreffend davon aus, dass sich die Beschwer bezüglich des Bescheides vom 16. April 2018 in der Bewilligung für den Monat April 2018 erschöpft. Offen bleiben kann, ob sich dies aus dem Bescheid selbst ergibt. Jedenfalls folgt dies aus dem Bescheid vom 28. Mai 2018, der eine (Neu-)Regelung der Leistungen für bzw. ab Mai 2018 darstellt. Allerdings enthält der Widerspruchsbescheid auch die Ablehnung eines Überprüfungsantrages nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X). Die Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 8. Mai 2018, die einen Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 16. April 2018 enthielten, wurden von der Beklagten dahingehend ausgelegt, dass in ihnen auch ein Überprüfungsbegehren nach § 44 SGB X aller Bescheide seit 1. Januar 2017 gesehen wurde. Diese Auslegung ist nicht zwingend, aber konsequent, da der Bevollmächtigte auf aus seiner Sicht fehlerhafte Regelsatzerhöhung seit 1. Januar 2017 rügte. Zudem wies der Klägerbevollmächtigte in der Klagebegründung darauf hin, dass der Kläger "ergänzend zum Vortrag im Widerspruchsverfahren" eine Überprüfung gewünscht habe. Da der Widerspruchsbescheid als Ganzes angegriffen wird, ist diese Beschwer ebenfalls zu berücksichtigen. Die Beschwer liegt mithin in der Summe der geltend gemachten Regelleistungsdifferenz für 16 Monate. Der Kläger nahm zur Begründung seines Antrages im Verwaltungsverfahren Bezug auf diverse Internetquellen zur Regelleistungsberechnung, u.a. auf die Berechnung des Paritätischen Gesamtverbandes, der zu einer Regelleistung von 520 EUR gelangt und auf die Berechnung von C., der zu einer Regelleistung von 575 EUR gelangt. Zwar ist insbesondere die letztgenannte Berechnung aus mehreren Gründen angreifbar, die Bezugnahme auf sie kann aber nicht in der Weise als missbräuchlich angesehen werden, dass sie nur zu dem Zweck erfolgt ist, die Beschwer nach oben zu treiben. Daher ist die Beschwer mit mindestens (575-409)*12 + (575-416)*4 = 2628 EUR zu beziffern.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Der angegriffene sozialgerichtliche Beschluss ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, denn die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht liegen nicht vor.

Gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 S. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) ist einem Beteiligten auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Der Maßstab für die insoweit geforderten Erfolgsaussichten ist im Licht der grundrechtlich garantierten Rechtsschutzgleichheit zu bestimmen. Sie folgt aus dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. dem Rechtsstaatsgrundsatz aus Art. 20 Abs. 3 GG. Gefordert ist hiernach eine Angleichung der Rechtsschutzmöglichkeiten eines Unbemittelten mit denen eines Bemittelten, der seine Erfolgsaussichten unter Berücksichtigung des Kostenrisikos vernünftig abwägt. Hinreichende Erfolgsaussichten in diesem Sinne liegen vor, wenn für den Antragsteller eine nicht fernliegende Möglichkeit besteht, sein Rechtsschutzziel durch die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes jedenfalls unter Zuhilfenahme aller verfahrensrechtlich vorgesehenen Rechtsbehelfe gegen instanzgerichtliche Entscheidungen durchzusetzen (BVerfGE 81, 347 (357); stRspr).

Die Klage bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Hinsichtlich der Ablehnung des Überprüfungsantrages ist die Klage bereits unzulässig, da es an der Durchführung des Vorverfahrens fehlt (§ 78 SGG). Nur hinsichtlich der Ablehnung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 16. April 2018 handelt es sich um einen Widerspruchsbescheid. Die Ablehnung des Überprüfungsantrages ist ein Erstbescheid, gegen den der Widerspruch gegeben ist.

Auch die gegen den Bescheid vom 16. April 2018 gerichtete Klage hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat.

Die Regelbedarfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) für das Jahr 2018 stehen auf der Basis des aktuellen Kenntnisstandes des Senats in Auseinandersetzung mit den vom Kläger angeführten Argumenten mit den Anforderungen aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang.

Der Senat verweist insoweit zunächst auf seinen dem Prozessbevollmächtigten des Klägers und der Beklagten bekannten Beschluss vom 9. Oktober 2017 – L 4 SO 166/17 B. Er hat dort hinsichtlich der Regelleistungen ab Januar 2017 ausgeführt, dass es insbesondere "entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht verfassungswidrig [ist], bestimmte Ausgabepositionen des EVS bei der Regelsatzermittlung herauszurechnen. Wie in dem erstinstanzlichen Beschluss bereits zutreffend ausgeführt wurde, hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 23. Juli 2014 ein solches Vorgehen vielmehr gerade als grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig angesehen (BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2014 – 1 BvL 10/12 –, juris Rn. 109). Dass sich die vom Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss angesprochenen möglichen zukünftigen Gefahren (Unterdeckung konkreter Bedarfe, besondere Preisentwicklung) für 2017 tatsächlich verwirklicht haben könnten, ist, auch angesichts des Umfangs der Regelsatzerhöhungen und der bisherigen Inflationsraten, weder ersichtlich noch vom Antragsteller dargelegt worden."

Der Vortrag des Klägers, der mit dem Vortrag im zitierten Verfahren in weiten Teilen übereinstimmt, gibt keinen Anlass, von der Rechtsauffassung des Senats abzuweichen.

Insbesondere ist der Senat nach wie vor der Überzeugung, dass die Regelbedarfsermittlungen für 2017 wie 2018 jedenfalls in ihrer abstrakten Konstruktion verfassungskonform sind. Sie folgen denselben Grundsätzen, die dem RBEG 2011 zugrunde gelegen haben, das bereits Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Überprüfung war (s.o. BVerfGE 137, 34). Konkrete Anhaltspunkte für eine evidente Unterdeckung des Existenzminimums liegen weiterhin nicht vor.

Auch soweit das Bundesverfassungsgericht zukunftsgerichtete Anforderungen an das RBEG 2017 gestellt hat, unterliegen die Regelsätze für 2018 keinen Bedenken:

"a) Ergibt sich eine offensichtliche und erhebliche Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Preisentwicklung und der bei der Fortschreibung der Regelbedarfsstufen berücksichtigten Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter, muss der Gesetzgeber zeitnah darauf reagieren. So muss die Entwicklung der Preise für Haushaltsstrom berücksichtigt werden ( ...). Ist eine existenzgefährdende Unterdeckung durch unvermittelt auftretende, extreme Preissteigerungen nicht auszuschließen, darf der Gesetzgeber dabei nicht auf die reguläre Fortschreibung der Regelbedarfsstufen warten.

b) Der Gesetzgeber muss sicherstellen, dass der existenznotwendige Mobilitätsbedarf tatsächlich gedeckt werden kann ( ...).

c) Der Gesetzgeber muss die Verteilungsschlüssel anpassen, wenn sich bei einer Bedarfsposition erhebliche Veränderungen zeigen, die eine Zuordnung von ermittelten Verbrauchsausgaben der Familienhaushalte mit dem bisherigen Verteilungsschlüssel an einzelne Mitglieder des Haushalts offensichtlich unrealistisch werden lassen ( ...).

d) Der Gesetzgeber hat in dem von ihm gewählten Modell sicherzustellen, dass Unterdeckungen, die aufgrund des statistisch ermittelten, durch nachträgliche Kürzungen modifizierten monatlichen Pauschalbetrags entstehen, im Wege internen Ausgleichs oder Ansparens auch tatsächlich gedeckt werden können ( ...). Es liegt im Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers, dazu einen hinreichend großen finanziellen Spielraum zu schaffen, einen eigenen Leistungsanspruch auf einen Zuschuss neben dem Regelbedarf für aus dem Pauschalbetrag offensichtlich nicht zu deckende existentielle Bedarfe vorzusehen oder, soweit es sich um öffentliche Dienstleistungen handelt, die Kosten für diese zu erlassen oder zu stunden." (BVerfGE 137, 34, 101 f. Rn. 144 ff.).

Der Gesetzgeber hat sich diesen Prüfaufträgen gestellt (vgl. BT-Drucksache, 18/9984, S. 23 ff.) und nach dem Kenntnisstand des Senats auf der Basis des Vortrags des Klägers auch erfüllt (im Ergebnis wie hier: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. Februar 2018 - L 19 AS 2324/17 B -; Beschluss vom 6. September 2018 – L 7 AS 195/18 NZB –, juris Rn. 6 hinsichtlich 2017).

So ist eine unter a) beschriebene Diskrepanz für das Jahr 2018 weder vorgetragen noch erkennbar. Zum unter b) angesprochenen Mobilitätsbedarf fehlt jeder individuelle Vortrag des Klägers. Ohne individuellen Vortrag kann auch nicht der Bezugnahme des Klägers auf die Kritik von Lenze am RBEG 2017 gefolgt werden (insbesondere Lenze in: Bieritz-Harder u.a., LPK-SGB XII, 11. Aufl. 2018, Anh. § 28 Rn. 8 ff.). Hier bedürfte es konkreter Darlegungen, dass dem Kläger der interne Ausgleich der Bedarfe aufgrund der vorgenommenen Abzüge nicht gelingt (vgl. BVerfG a.a.O. unter d). Dies gilt auch hinsichtlich der Kritik an der Berücksichtigung des Bedarfs für langlebige Konsumgüter.

Die Fortschreibung gerade für 2018 unterliegt keinen methodischen Bedenken; soweit solche formuliert werden, wirken sie zugunsten der Betroffenen (vgl. Schwabe, ZfF 2018, 1).

Der Kläger verkennt letztlich, dass sich die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelleistung vor dem Hintergrund, dass das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 137, 34 das Modell des RBEG 2011 abstrakt gebilligt hat, insbesondere auf die Gefahr einer Unterdeckung in besonderen Situationen zuspitzt. Hierzu fehlt konkreter Vortrag.

Der Senat überspannt damit auch nicht die Anforderungen an die Gewährung von Prozesskostenhilfe im Hinblick darauf, dass die bundesverfassungsgerichtliche Klärung einer noch nicht entschiedenen Rechtsfrage durch die Verweigerung von Prozesskostenhilfe nicht vereitelt werden darf (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Januar 2013 – 1 BvR 2004/10 –).

Der nicht individualisierte Vortrag des Klägers lässt nämlich nicht erkennen, dass er gerade mit diesem Verfahren beabsichtigt, eine bundesverfassungsgerichtliche Klärung herbeizuführen. Der fehlende Vortrag dürfte auch der Zulässigkeit einer künftigen Verfassungsbeschwerde entgegenstehen, worauf der Klägerbevollmächtigte auch hingewiesen worden ist. So fordert der an § 90 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) anknüpfende Grundsatz der Subsidiarität zwar nicht stets, dass ein Beschwerdeführer das fachgerichtliche Verfahren bereits als "Verfassungsprozess" führt. Etwas anderes gilt aber in Fällen wie hier, in denen ein Begehren nur dann Aussicht auf Erfolg haben kann, wenn verfassungsrechtliche Erwägungen und ein sie stützender Tatsachenvortrag in das fachgerichtliche Verfahren eingeführt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2016 – 1 BvR 2836/14 –, juris; BVerfGE 112, 50 (60 ff.)).

Soweit der Klägerbevollmächtigte mit der Beschwerde rügt, das Sozialgericht habe nicht von Amts wegen geprüft, ob die Kosten der Unterkunft zutreffend ermittelt und Mehrbedarfe zutreffend berücksichtigt worden seien, überspannt er den Amtsermittlungsgrundsatz. Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass eine "Amtsermittlung ins Blaue" weder vom SGG noch von Art. 19 Abs. 4 GG gefordert wird.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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