S 13 U 1826/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Heilbronn (BWB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 13 U 1826/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung des Ereignisses vom 27.01.2017 als Arbeitsunfall. Am 27.01.2017 um ca. 13:00 Uhr begab sich der 1969 geborene Kläger während seiner Tätigkeit als Mechaniker für die XXX auf die Toilette. Als er sich die Hände waschen wollte, rutschte er auf dem nassen und mit Seife verunreinigten Boden aus und schlug sich den Kopf am Waschbecken an. Der Kläger arbeitete bis zum Schichtende um 14:30 Uhr weiter und stellte sich am selben Tag um 16:33 Uhr im XX Klinikum XX in XX vor. Im Durchgangsarztbericht vom Unfalltag stellte XXX die Erstdiagnose Nackenprellung und Gehirnerschütterung. Der Kläger befand sich bis zum 30.01.2017 stationär XX im Klinikum, dort wurden Neurologie und Kreislauf stationär überwacht, eine Vorstellung beim HNO-Arzt und eine bedarfsadaptierte Schmerztherapie durchgeführt. Er wurde bei subjektiver Beschwerdefreiheit entlassen. Der Kläger stellte sich am 24.02.2017 erneut im Klinikum vor und klagte über eine diffuse Schmerzsymptomatik vom Nacken in den BWS-Bereich ausstrahlend und das gelegentliche Sehen von Doppelbildern, vor allen Dingen morgens, was augenärztlich abgeklärt wurde. Zum Unfallhergang ist im Durchgangsarztbericht vom Unfalltag vermerkt: "Versichertem ist ausgerutscht und ist schwarz vor Augen geworden und anschließend gegen das Waschbecken geprallt hat eine Krachen gehört und war anschließend bewusstlos"(Bl. 1 Verw.Akte). Im von der Beklagten überlassenen Unfallfragebogen führte der Kläger zu der Frage, wie sich der Unfall ereignet habe, aus: "Gruppensprecher XX hat gegen 7 bis 08:00 Uhr Beleidigungen und Demütigungen ausgesprochen und mich angeschrien (psychische Erniedrigung). Als ich um 13 Uhr zur Toilette ging, war ich aufgrund des Vorfalls noch wie betäubt und rutschte auf nasser Fläche (Seife) aus und schlug meinen Kopf am Waschbecken an."(Bl. 19 Verw.Akte) Er sei zunächst kurz ohnmächtig gewesen, dann sei er aufgestanden und der Schwindel habe angefangen. Mit Bescheid vom 21.02.2017 wurde der Unfall vom 27.01.2017 nicht als Arbeitsunfall anerkannt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Aufenthalt auf der Toilette grundsätzlich privater Natur sei und nicht unter Unfallversicherungsschutz stehe. Versicherungsschutz bestehe erst wieder ab dem Durchschreiten der Toilettenaußentür. Besondere Gefahrenmomente innerhalb der Toilettenanlage seien rechtlich für den Versicherungsschutz unbeachtlich. Zudem stelle die Nässe des Bodens und das Waschbecken keine besondere Betriebsgefahr dar, da auch bei Sanitäranlagen außerhalb des Betriebes mit einer Bodenverunreinigung zu rechnen und ein Waschbecken im Toilettenbereich üblich sei. Am 13.03.2017 legte der Kläger gegen den Bescheid vom 21.02.2017 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass der Aufenthalt auf der Toilette nicht privater Natur gewesen sei. Auch Arbeitspausen und Zeiten betrieblich bedingter Unterbrechungen würden grundsätzlich zur versicherten Tätigkeit gehören. Versichert sei der Weg zur Toilette. Der Aufenthalt auf der Toilette sei versichert, wenn sich dort besondere betriebliche Gefahren, wie zum Beispiel die Glätte des Fußbodens konkretisieren würden. Aus diesen Gründen sei der Bescheid vom 21.02.2017 aufzuheben und der Unfall vom 27.01.2017 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.05.2017 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Der Kläger hat hiergegen am 12.06.2017 Klage erhoben. Zur Begründung hat der Kläger sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und zuletzt vertiefend ausgeführt, dass er aufgrund des Zustandes des Bodens ausgerutscht sei. Es habe sich die Rutschgefahr auf der Toilette konkretisiert. Dieser Bereich sei der Sphäre des Arbeitgebers zuzuordnen. Die Beschaffenheit der Unfallstelle und die Verletzung würden in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang stehen. Daher handle es sich vorliegend um einen Arbeitsunfall. Der Kläger beantragt zuletzt (teilweise sachdienlich gefasst), den Bescheid vom 21.02.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.05.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Ereignis vom 27.01.2017 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat zur Begründung im Wesentlichen auf den Inhalt der angegriffenen Bescheide verwiesen. Das Gericht hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid beabsichtigt ist und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht kann durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten gehört wurden (vgl. § 105 Abs. 1 Satz 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angegriffene Bescheid vom 21.02.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.05.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Anerkennung des Ereignisses vom 27.01.2017 als Arbeitsunfall. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit), wobei § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII "Beschäftigte" unter gesetzlichen Unfallversicherungsschutz stellt und § 2 Abs. 2 SGB VII solche Personen, die "wie Beschäftigte" tätig werden. Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für einen Arbeitsunfall ist danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls einer versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung wesentlich ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) verursacht hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis wesentlich einen Gesundheitserstschaden des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität) (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil v. 14.06.2016, Az.: L 9 U 842/16 u. Verw. a. Bundessozialgericht [BSG], Urteile v. 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 42 und v. 18.01.2011 - B 2 U 9/10 R - BSGE 107, 197 = SozR 4-2700 § 2 Nr. 17 Rn. 10 und v. 18.11.2008 - B 2 U 27/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 30 Rn. 10 m.w.N.). Der Kläger hat durch den Sturz und das Anschlagen des Kopfes am Waschbecken einen Unfall erlitten. Für die Frage, ob es sich hierbei um einen Arbeitsunfall gemäß § 8 SGB VII handelt, ist maßgeblich, ob der Unfall der versicherten Tätigkeit des Klägers zuzurechnen ist. Der Kläger ist während seiner Tätigkeit als Mechaniker gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII als Beschäftigter der XXX versichert. Dabei ist nicht jede Tätigkeit am Arbeitsplatz im Verlauf eines Arbeitstages versichert. Unterschieden werden fremdwirtschaftliche versicherte Tätigkeiten von eigen- oder privatwirtschaftlichen unversicherten Tätigkeiten (LSG Baden-Württemberg Urteil v. 30.7.2015, Az.: L 6 U 526/13, BeckRS 2015, 71082, beck-online). Das unfallbringende Verhalten muss der versicherten Tätigkeit zurechenbar sein. Der hiernach erforderliche innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher nach den gesetzlichen Vorgaben der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil v. 29.01.2016, Az.: L 8 U 2950/14 u. Verw. a. BSGE 58, 76, 77 = SozR 2200 § 548 Nr. 70; BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr. 84; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 32; BSG, SozR 3-2700 § 8 Nr. 10). Der Unfall des Klägers ereignete sich nicht während einer versicherten Tätigkeit. Die Verrichtung der Notdurft dient eigenen Interessen und ist eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit. Während des Aufenthalts in der betrieblichen Toilettenanlage als grundsätzlich unversichertem Bereich besteht kein Unfallversicherungsschutz. Zwar besteht Versicherungsschutz auf dem Weg zu einem Ort in der Betriebsstätte, an dem die Notdurft verrichtet werden soll, weil der Versicherte durch die Anwesenheit auf der Betriebsstätte gezwungen ist, seine Notdurft an einem anderen Ort zu verrichten, als er dies von seinem häuslichen Bereich aus getan hätte (LSG Baden-Württemberg Urteil v. 30.7.2015, Az.: L 6 U 526/13 u.Verw.a. BSG, Urteil v. 06.12.1989, Az.: 2 RU 5/89 - SozR 2200 § 548 Nr. 97). Zudem handelt es sich um eine regelmäßig unaufschiebbare Handlung, die der Fortsetzung der Arbeit direkt im Anschluss daran dient und somit auch im mittelbaren Interesse des Arbeitgebers liegt (BSG, a. a. O.). Entsprechendes gilt für den Rückweg von der Toilette auf dem Betriebsgelände. Der unversicherte Bereich umfasst nach natürlicher Betrachtungsweise nicht nur das Verrichten der Notdurft selbst, sondern den gesamten Aufenthalt in der Toilettenanlage, denn das Reinigen der Hände danach ist auch dem eigenwirtschaftlichen Bereich zuzurechnen. Die Grenze, bei deren Erreichen ein Risikobereich verlassen und in einen neuen eingetreten wird, ist mit der Tür zum Zugang der Toilettenräumlichkeit zu ziehen. Nicht maßgeblich ist, ob es sich um eine einzelne Toilettenkabine oder eine aus mehreren Räumen bestehende Toilettenanlage handelt. Da das Aufsuchen der Toilette einen einheitlichen Vorgang bildet, endet der Versicherungsschutz mit dem Betreten der zur Toilette zählenden Räumlichkeiten und lebt mit deren Verlassen wieder auf. Als Abgrenzungskriterium für die Unterscheidung der Risikobereiche innerhalb der Toilettenräume und außerhalb der Toilettenräume kann dabei nur das Durchschreiten der Toilettenaußentür als geeignet angesehen werden (Bayrisches LSG, Urteil v. 06.05.2003, Az.: L 3 U 323/01, Rn.19 , juris, vgl. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil v. 11.08.1998, Az.: L 3 U 323/97, juris). Entsprechende Abgrenzungskriterien hat die Rechtsprechung auch für den Versicherungsschutz hinsichtlich der ebenfalls eigenwirtschaftlichen Tätigkeit der Nahrungsaufnahme aufgestellt und auch hier nicht nur die Nahrungsaufnahme selbst, sondern den Aufenthalt in der Kantine als grundsätzlich unversichert angesehen und die Grenze zum versicherten Weg sowohl bei der Nahrungsaufnahme in der Kantine als auch außerhalb des Betriebes jeweils an der Außentür der Kantine bzw. der Gaststätte gesehen (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 30.7.2015, Az.: L 6 U 526/13 u.Verw.a. BSG, Urteil v. 02.07.1996 - 2 RU 34/95 - SozR 3-2200 § 550 Nr. 15; Urteil v. 24.03.2003 - B 2 U 24/02 R - zitiert nach Juris). Auch ist vorliegend kein Versicherungsschutz aufgrund einer besonderen betrieblichen Gefahr gegeben. Versicherungsschutz unter diesem Gesichtspunkt bei einem Unfall während einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit kommt nur in Betracht, wenn durch die örtlichen Gegebenheiten eine besondere Gefahrenquelle geschaffen wird, die wesentliche Ursache eines Unfalls ist. Nicht hierzu zählen solche, die einem in ihren speziellen Eigenarten während des normalen Verweilens am Wohn- oder Betriebsort begegnen, z.B. die gewöhnliche Härte des Fußbodens, der Toilettenarmaturen oder des Materials der Kabinenverschalung oder deren Tür (LSG Baden-Württemberg Urteil v. 30.7.2015, Az.: L 6 U 526/13 u.Verw.a. LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 20.09.2012, Az.: L 6 U 2770/12 - rechtskräftig BSG, Beschluss v. 16.01.2013, Az.: B 2 U 2770/12 R). Vorliegend ist der Kläger auf dem nach seinen Angaben nassen und mit Seife verunreinigten Boden ausgerutscht. Es hat hierdurch aber keine besondere betriebliche Gefahr bestanden. Vielmehr ist dieser Sachverhalt mit der Situation eines Unfallereignisses bei der Nahrungsaufnahme in der Betriebskantine aufgrund eines verunreinigten Kantinenbodens gleichzusetzen. So weist die Rechtsprechung zutreffend darauf hin, dass entsprechende Verunreinigungen nicht nur in Kantinenbereichen, sondern auch in anderen Selbstbedienungsrestaurants vorkommen, weshalb kein Versicherungsschutz begründet ist (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 25.10.2001, Az.: L 10 U 1968/00, SG Heilbronn, Urteil v. 26.03.2012, Az.: S 5 U 1444/11; vgl. zu Sturz in Toilettenanlage BSG, Urteil v. 30.07.1971, Az.: 2 RU 200/69, Rn. 19, juris). Es müsste also eine Gefahrenlage bestehen, die bei entsprechenden Einrichtungen, die privatwirtschaftlich genutzt werden, üblicherweise nicht gegeben ist. Nicht nur in betrieblichen Toilettenanlagen, sondern auch in anderen öffentlichen Toilettenanlagen ist ein nasser Fußboden oder auch eine Verunreinigung mit Seife im Bereich des Waschbeckens nicht unüblich; dies kann im Übrigen auch im häuslichen Bereich vorkommen. Es verwirklicht sich hierdurch gerade keine spezifische betriebliche Gefahr. Der Unfall des Klägers ist demnach nicht als Arbeitsunfall anzuerkennen. Die Klage ist mit der sich aus § 193 SGG ergebenden Kostenfolge abzuweisen.

Rechtsmittelbelehrung:

Dieser Gerichtsbescheid kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids beim Landessozialgericht Baden-Württemberg, Hauffstr. 5, 70190 Stuttgart - Postfach 10 29 44, 70025 Stuttgart -, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem Sozialgericht Heilbronn, Paulinenstr. 18, 74076 Heilbronn, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen. Sie soll den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

XXX

Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
Rechtskraft
Aus
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