L 12 AS 1849/17 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 41 AS 3497/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 1849/17 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 14.09.2017 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, den Antragstellern vorläufig Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in Form des Regelbedarfs sowie der Bedarfe der Unterkunft und Heizung ab dem 01.09.2017 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch für sechs Monate, nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen sowie vorläufig 3.420 EUR zuzüglich weiterer bis 31.08.2017 offener Mietzinsen der U L GmbH zur Abwendung der Räumungsklage zu zahlen. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in beiden Rechtszügen. Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung der Rechtsanwaltskanzlei A bewilligt.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) ab Einleitung des gerichtlichen Verfahrens am 01.09.2017.

Die im 00.00.1995 geborene Antragstellerin zu 1) sowie der am 00.00.1996 geborene Antragsteller zu 2) sind die Eltern der am 00.00.2014 geborenen Antragstellerin zu 3) und des am 00.00.2016 geborenen Antragstellers zu 4). Die Antragsteller zu 1) und 2) sind nicht miteinander verheiratet. Sie sind rumänische Staatsangehörige und halten sich seit 2013 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Die Eltern der Antragstellerin zu 1) leben ebenfalls in Deutschland und beziehen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.

Für die Zeit vom 28.03.2017 bis zum 31.05.2017 erhielten die Antragstellerin zu 1) sowie die Antragsteller zu 3) und 4) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe des Regelbedarfs unter Berücksichtigung des Kindergeldes als anzurechnendes Einkommen aufgrund eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes (LSG NRW Beschluss vom 27.07.2017, L 21 AS 782/17 B ER). Die Antragstellerin zu 1) könne sich in der Zeit von November 2016 bis Dezember 2016 auf ein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerin berufen; für weitere sechs Monate wirke das Aufenthaltsrecht fort.

Die Vermieterin der Antragstellerin zu 1) und des Antragstellers zu 2) erhob am 25.07.2017, diesen zugestellt am 25.08.2017, beim Amtsgericht L Räumungsklage. Zur Begründung führte die Vermieterin aus, diese hätten seit Mietvertragsbeginn keinerlei Mietzahlungen geleistet. Die Mietrückstände beliefen sich auf 3.420,00 EUR.

Am 01.08.2017 stellten die Antragsteller beim Antragsgegner einen Antrag auf Weiterbewilligung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Diesen Antrag lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 24.08.2017 ab und führte zur Begründung aus, die Antragsteller hielten sich ausschließlich zur Arbeitsuche in Deutschland auf, weshalb sie von der Leistungsgewährung ausgeschlossen seien. Hiergegen erhoben die Antragsteller unter dem 01.09.2017 Widerspruch.

Die Antragsteller haben am 01.09.2017 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei dem Sozialgericht Köln gestellt. Zur Begründung haben sie vorgetragen, sie hätten nicht allein ein Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Arbeitsuche. Vielmehr sei die Antragstellerin zu 1) als Familienangehörige ihres Vaters gem. § 3 Abs. 2 Nr. 2 Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) freizügigkeitsberechtigt, da ihr Vater monatlich Unterhalt in Höhe von 100 EUR leiste. Der Antragsteller zu 2) habe als sorgeberechtigter Vater der Antragstellerin zu 3) und des Antragstellers zu 4) ein Umgangsrecht mit diesen und könne hieraus ein Aufenthaltsrecht ableiten.

Der Antragsgegner hat zur Begründung ausgeführt, dass die Antragstellerin zu 1) weder Arbeitnehmerin noch Selbstständige sei und der Arbeitnehmerstatus nicht mehr fortwirke. Die mutmaßlichen Unterhaltszahlungen des Vaters der Antragstellerin zu 1) in Höhe von 100 EUR begründeten kein materielles Aufenthaltsrecht. Zum einen sei die Höhe der Unterhaltsleistungen nicht ausreichend, zum anderen stünde der Vater der Antragstellerin zu 1) selbst im Leistungsbezug nach dem SGB II, was den Erwerb eines materiellen Aufenthaltsrecht ausschließe. Weiterhin sei zweifelhaft, ob die Antragsteller tatsächlich unter der angegebenen Adresse wohnhaft sind. Bei einem Hausbesuch sei festgestellt worden, dass in der Wohnung sich fremde Leute aufhalten würden. Die Wohnung sei im Übrigen zu klein für eine vierköpfige Familie. Es dränge sich der Verdacht auf, dass die Wohnung gewerblich genutzt werde.

Das Sozialgericht Köln hat mit Beschluss vom 14.09.2017 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die Antragsteller hätten einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Ein anderes Aufenthaltsrecht als das zur Arbeitsuche, aus welchem sich ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ableiten ließe, stehe ihnen nicht zu. Die Antragstellerin zu 1) könne kein Aufenthaltsrecht aus den behaupteten Unterhaltszahlungen ihres Vaters in Höhe von 100 EUR monatlich ableiten. Eine Unterhaltsgewährung im Sinne des Freizügigkeitsgesetzes liege vor, wenn dem Verwandten tatsächlich Leistungen zukommen, die vom Ansatz her als Mittel der Bestreitung des Lebensunterhalts angesehen werden könnten. Dazu gehöre eine fortgesetzte regelmäßige Unterstützung in einem Umfang, der es ermöglicht, zumindest einen Teil des Lebensunterhalts regelmäßig zu decken. Ferner müsse die Unterhaltsgewährung bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Familiennachzug bestehen. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Vater der Antragstellerin zu 1) schon vor ihrem Zuzug in die Bundesrepublik während eines beachtlichen Zeitraums einen Geldbetrag gezahlt habe, den letztere zur Deckung ihrer Grundbedürfnisse im Herkunftsland benötigte. Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass der Vater der Antragstellerin zu 1) selbst auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen sei. Jeder finanzielle Transfer durch den Vater führe insoweit entweder zu einer Bedarfsunterdeckung oder aber - sofern sich der Unterhalt im Rahmen der Absetzbeträge bewege - zum Wegfall des Anreizes für die Erwerbstätigkeit und der Berücksichtigung des mit der Erwerbstätigkeit verbundenen Aufwandes. Unterhalt könne insoweit nur gewährt werden, wenn die wirtschaftliche Existenz des Unterhaltsgewährenden gesichert sei, was hier nicht zutreffe. Schließlich stehe der Antragstellerin zu 1) auch kein Aufenthaltsrecht als nicht erwerbstätige Unionsbürgerin zu, da sie weder über einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz noch über ausreichende Existenzmittel verfüge. Sonstige Aufenthaltsrechte seien nicht ersichtlich. Ein Aufenthaltsrecht des Antragstellers zu 2), der Antragstellerin zu 3) und des Antragstellers zu 4) seien ebenso nicht ersichtlich. Soweit die Antragsteller die Übernahme der Mietrückstände begehrten, seien sie ebenfalls von den Leistungen ausgeschlossen. Im Übrigen sei nach Auffassung des Gerichts ein Anordnungsgrund bezüglich der Mietrückstände nicht glaubhaft gemacht.

Hiergegen haben die Antragsteller am 15.09.2017 Beschwerde eingelegt. Ein Anordnungsanspruch ergebe sich aus der Unterhaltszahlung des Vaters der Antragstellerin zu 1) i. H. v. monatlich 100 EUR. Sofern ein solcher Betrag für die Bejahung des Arbeitnehmerstatus ausreichend sei, sei nicht ersichtlich, warum dieser Betrag bei der Unterhaltsgewährung nicht ausreiche. Das Erfordernis, dass Unterhalt bereits beim Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland gewährt worden sein müsse, stelle das Gesetz nicht auf. Im Übrigen sei es wahrscheinlich, dass der Vater der Antragstellerin zu 1) bereits zu diesem Zeitpunkt Unterhalt gewährt habe. Von dem Aufenthaltsrecht der Antragstellerin zu 1) leiteten die Antragstellerin zu 3) und der Antragsteller zu 4) ihr Aufenthaltsrecht als Familienangehörige ab. Von diesen leite der Antragsteller zu 2), der die Personensorge für die Kinder ausübe, sein Aufenthaltsrecht ab. Die Auffassung des 21. Senats im Beschluss vom 27.07.2017 verstoße gegen Art. 6 Grundgesetz (GG) und Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Jedenfalls hätten die Antragsteller einen Anspruch aus § 41a Abs. 7 SGB II oder auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII). Ebenfalls hätten die Antragsteller einen Anordnungsgrund auf die Gewährung der Bedarfe der Unterkunft und Heizung glaubhaft gemacht. Durch Verpflichtung des Antragsgegners auf Zahlung des Regelbedarfs, der Bedarfe der Unterkunft und Heizung sowie der rückständigen Mieten könnte die Obdachlosigkeit abgewendet werden. Um eine Entscheidung vor Ablauf der Schonfrist am 25.10.2017 werde gebeten, um alle Rechtsschutzmöglichkeiten auszuschöpfen.

Der Antragsgegner verteidigt den angefochtenen Beschluss.

Die Antragsteller haben eine eidesstattliche Versicherung des Vaters der Antragstellerin zu 1) eingereicht. Dieser hat versichert, dass er seine Tochter unterstütze, seitdem er arbeite. Er arbeite seit Februar 2017 und gebe ihr monatlich 100 bis 120 EUR. Das Geld gebe er der Tochter. Die Antragstellerin zu 1) und der Antragsteller zu 2) haben eidesstattlich versichert, dass die Wohnung in der B Straße 00 in L tatsächlich genutzt werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt.

Gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer solchen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs (d.h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie eines Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen, § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung (ZPO). Eine Tatsache ist dann glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen überwiegend wahrscheinlich ist. Die bloße Möglichkeit des Bestehens einer Tatsache reicht noch nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Es genügt jedoch, dass diese Möglichkeit unter mehreren relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. zum Begriff der Glaubhaftmachung: BSG Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 1/12 R und Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, jeweils juris).

Die mit einer einstweiligen Anordnung auf die Durchführung einer Maßnahme in der Regel zugleich verbundene Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache erfordert darüber hinaus erhöhte Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes, da der einstweilige Rechtsschutz trotz des berechtigten Interesses des Rechtsuchenden an unaufschiebbaren gerichtlichen Entscheidungen nicht zu einer Vorverlagerung der Entscheidung in das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes führen soll. Erforderlich ist mithin das Vorliegen einer gegenwärtigen und dringenden Notlage, die eine sofortige Entscheidung unumgänglich macht. Eine solche besondere Eilbedürftigkeit, die den Anordnungsgrund kennzeichnet, ist nur zu bejahen, wenn dem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung seiner Rechte droht, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (BVerfG Beschluss vom 16.05.1995, 1 BvR 1087/91).

Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren für Anfechtungs- und (wie hier) für Vornahmesachen dürfen grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden (vgl. BVerfG Beschlüsse vom 06.08.2014, 1 BvR 1453/12, SGb 2015, 175, m.w.N. und vom 06.02.2013, 1 BvR 2366/12, BVerfGK 20, 196). Die summarische Prüfung kann sich insbesondere bei schwierigen Fragen auch auf Rechtsfragen beziehen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 86b Rn. 16c), wobei dann die Interessen- und Folgenabwägung stärkeres Gewicht gewinnt. Hierbei ist dem Gewicht der in Frage stehenden und gegebenenfalls miteinander abzuwägenden Grundrechte Rechnung zu tragen, um eine etwaige Verletzung von Grundrechten nach Möglichkeit zu verhindern (BVerfG Beschluss vom 13.04.2010, 1 BvR 216/07, BVerfGE 126, 1 (27 f.), m.w.N.; vgl. zur Prüfungsdichte bei rechtlichen Fragen: BVerfG Beschluss vom 27.05.1998, 2 BvR 378/98, NVwZ-RR 1999, 217). Dabei ist eine weitergehende tatsächliche und rechtliche Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs aus verfassungsrechtlichen Gründen dann erforderlich, wenn dem Antragsteller eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung seiner Grundrechte droht, die durch eine nachträgliche Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann. Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen (vgl. BVerfG Beschluss vom 06.02.2013, 1 BvR 2366/12, a.a.O.). Ist einem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. In diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen.

Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch auf den Regelbedarf bzw. Sozialgeld gem. §§ 20, 23 SGB II glaubhaft gemacht.

Die Antragstellerin zu 1) und der Antragsteller zu 2) haben gem. § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht, sind erwerbsfähig und haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Sie sind auch hilfebedürftig gem. §§ 7 Abs. 1 Nr. 3, 9 SGB II. Dies haben die Antragsteller durch ihre eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht. Die Antragsteller verfügen ausweislich dieser lediglich über Einkommen aus Kindergeld sowie die Unterstützungsleistung des Vaters der Antragstellerin zu 1). Weiterhin bestehen nachweislich Mietschulden. Der Leistungsanspruch der Antragstellerin zu 3) sowie des Antragstellers zu 4) folgt aus § 7 Abs. 2 S. 1 SGB II.

Dem Anspruch der Antragsteller steht der Leistungsausschluss gem. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 a), b) SGB II in der Fassung vom 22.12.2016, in Kraft seit 29.12.2016, nicht entgegen. Demnach sind Ausländerinnen und Ausländer vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgenommen, a) die kein Aufenthaltsrecht haben und b) deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen. Die Anwendbarkeit der Ausschlussregelung erfordert eine fiktive Prüfung des Grundes bzw. der Gründe für eine im streitigen Leistungszeitraum bestehende Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, welches die Aufenthaltsrechte von Unionsbürgern in nationales Recht umsetzt, oder eines Aufenthaltsrechts nach den gemäß § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU im Wege eines Günstigkeitsvergleichs anwendbaren Regelungen des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Bereits das Vorliegen der Voraussetzungen für ein anderes materiell bestehendes Aufenthaltsrecht als ein solches aus dem Zweck der Arbeitsuche hindert sozialrechtlich die positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts allein zum Zwecke der Arbeitsuche (vgl. z.B. BSG Urteil vom 03.12.2015, B 4 AS 43/15 R, und vom 30.01.2013, B 4 AS 54/12 R).

Die Antragstellerin zu 1) und der Antragsteller zu 2) können sich jeweils auf ein Aufenthaltsrecht aus dem Aufenthaltsrecht ihrer Kinder, der Antragstellerin zu 3) und dem Antragsteller zu 4) aus § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU i. V. m. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG und Art. 18 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) berufen. Soweit Aufenthaltsrechte von Unionsbürgern nach § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU i. V. m. den Vorschriften des AufenthG zu prüfen sind, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 30.01.2013, B 4 AS 54/12 R) unerheblich, ob dem Unionsbürger ein Aufenthaltstitel nach dem AufenthG erteilt worden ist. Entscheidend ist, ob ihm ein solcher Titel zu erteilen wäre. Nach § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU findet das AufenthG vorrangig vor dem FreizügG/EU Anwendung, wenn es eine günstigere Rechtsstellung vermittelt als das FreizügG/EU. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG sieht vor, dass einem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge - auch ohne Existenzsicherung i.S.v. § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG - eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen ist, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG findet aufgrund des in Art. 18 AEUV statuierten Gleichbehandlungsgrundsatzes auf minderjährige Unionsbürger und ihre Eltern Anwendung (Senatsbeschluss vom 17.08.2017, L 12 AS 584/17 B ER; LSG NRW Beschluss vom 30.11.2015, L 19 AS 1491/15 B ER; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 29.06.2016, L 25 AS 1331/17 B ER; Dienelt in Bergmann / Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, § 11 FreizügG/EU Rn. 38f; a. A. LSG NRW Beschluss vom 27.07.2017, L 21 AS 782/17 B ER; LSG Berlin- Brandenburg Beschluss vom 22.05.2017, L 31 AS 1000/17 B). Aus dieser Rechtsstellung können sie unter Berücksichtigung des in Art. 18 AEUV statuierten Inländergleichbehandlungsgebotes ein Aufenthaltsrecht nach § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU i. V. m. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG ableiten, wenn ihre Kinder ein materielles Aufenthaltsrecht haben. Dies ist vorliegend der Fall. Ein solches materielles Aufenthaltsrecht folgt aus § 3 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU. Demnach haben Familienangehörige der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 FreizügG/EU genannten Unionsbürger das Recht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU, wenn sie den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen. Zu dem Kreis der Familienangehörigen gehören u. a. der Ehegatte, der Lebenspartner und die Verwandten in gerade absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind. Durch die Formulierung "begleiten oder ihm nachziehen" wird deutlich, dass ein Freizügigkeitsrecht nicht von einer gleichzeitigen Einreise mit dem Unionsbürger abhängt, sondern auch der spätere Nachzug erfasst ist. Ferner ist es nicht erforderlich, dass der Familienangehörige beim Freizügigkeitsberechtigten wohnt (BSG Urteil vom 25.01.2012, B 14 AS 138/11 R; Oberhäuser in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 3 FreizügG/EU Rn. 4). Es ist vom Sinn und Zweck der Gewährung des "abgeleiteten" Aufenthaltsrechts des Familienangehörigen auszugehen, nämlich der Wahrung der bestehenden familiären Lebenssituation des Unionsbürgers (3.1.1. der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum FreizügG). Nach diesen Maßgaben leiten die Antragstellerin zu 3) und der Antragsteller zu 4) als unter 21-jährige von dem Vater der Antragstellerin zu 1) ihr Aufenthaltsrecht ab. Dieser ist nach seiner eidesstattlichen Versicherung sowie nach seiner zeugenschaftlichen Vernehmung am 30.06.2017 im Verfahren des LSG NRW, L 21 AS 782/17 B ER, erwerbstätig und daher gem. § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU als Arbeitnehmer freizügigkeitsberechtigt. Anhaltspunkte, dass dieser nicht tatsächlich erwerbstätig i. S. d. Norm ist, lassen sich vorliegend nicht abschließend aufklären und bleiben den Ermittlungen in der Hauptsache vorbehalten. Dass er ungeachtet der Erwerbstätigkeit Leistungen nach dem SGB II bezieht, schließt eine Arbeitnehmereigenschaft nicht aus (vgl. Senatsbeschlüsse vom 21.08.2017, L 12 AS 2015/16 B ER, vom 04.07.2016, L 12 AS 391/16 B ER, und vom 16.12.2016, L 12 AS 1420/16 B ER). Jedenfalls unter Berücksichtigung der summarischen Prüfung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens besteht auch eine gewisse familiäre Bindung zwischen dem Vater der Antragstellerin zu 1) und den minderjährigen Antragstellern zu 3) und zu 4). Besuche zwischen ihnen finden statt. Sie wohnen innerhalb derselben Gemeinde. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte geht der Senat davon aus, dass die Antragstellerin zu 1) und der Antragsteller zu 2) als Eltern der Antragstellerin zu 3) und des Antragstellers zu 4) das Sorgerecht für diese gemeinsam ausüben.

Die Antragsteller haben auch einen Anspruch auf vorläufige Zahlung der Bedarfe der Unterkunft und Heizung sowie auf Übernahme der Mietschulden zur Abwendung der Räumungsklage im Wege einer Folgenabwägung. Dabei legt der Senat den Antrag der Antragsteller auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung des Mietrückstandes i. H. v. 3420 EUR entsprechend § 123 SGG dahingehend aus, dass die Übernahme sämtlicher Mietrückstände zur Abwendung der fristlosen Kündigung begehrt wird. Diese dürften - bereits zum Zeitpunkt der Anhängigkeit des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens - über 3.420 EUR liegen.

Die Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens erachtet der Senat als offen. Es ist fraglich, ob die Antragsteller die Unterkunft in der B Straße 00 in L tatsächlich nutzen. Dabei besteht ein Anspruch auf Leistungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (vgl. zur Abgrenzung von Schulden gem. § 22 Abs. 8 SGB II: BSG Urteil vom 22.03.2010, B 4 AS 62/09 R) nur für eine tatsächlich genutzte Wohnung. Hiergegen sprechen die vom Antragsgegner vorgetragenen gewichtigen Gründe. Es ließ sich nicht aufklären, in welcher Beziehung die bei dem Hausbesuch am 18.04.2017 angetroffenen Personen zu den Antragstellern stehen. Die Wohnung ist zudem für eine vierköpfige Familie mit 29,20 qm mit der Aufteilung von 1 Zimmer, 1 Küche, 1 Korridor und 1 Bad sehr klein. Auch wurde die Wohnung ausweislich des Mietvertrages lediglich für "2 Erw. und 0 Kinder" angemietet. Zum Zeitpunkt der Anmietung im Oktober 2016 waren die Kinder der Antragstellerin zu 1) und des Antragstellers zu 2) bereits geboren. Für eine tatsächliche Nutzung der Wohnung sprechen die eidesstattlichen Versicherungen der Antragstellerin zu 1), des Antragstellers zu 2) sowie des Vaters der Antragstellerin zu 1). Diese haben strafbewehrt versichert, dass die Wohnung genutzt wird. Dem Senat ist es aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit verwehrt, den Umstand weiter aufzuklären. Durch den Ablauf der Frist zur Abwendung der Räumungsklage gem. § 569 Abs. 3 Nr. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) würde ein Faktum geschaffen, welches durch ein Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden könnte. Zur Vermeidung eines solchen ist durch eine Folgenabwägung zu entscheiden, welche zu Lasten des Antragsgegners ausfällt. In Verfahren des Eilrechtsschutzes ist zu den Bedarfen der Unterkunft und Heizung auch unter Berücksichtigung der Zielsetzung des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu prüfen, welche negativen Folgen im konkreten Einzelfall drohen. Relevante Nachteile können hierbei nicht nur in einer Wohnungs- beziehungsweise Obdachlosigkeit liegen. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II gibt vielmehr die Übernahme der "angemessenen" Kosten vor und dient im Zusammenwirken mit anderen Leistungen dazu, über die Verhinderung der bloßen Obdachlosigkeit hinaus das Existenzminimum sicherzustellen. Dazu gehört es, den gewählten Wohnraum in einem bestehenden sozialen Umfeld nach Möglichkeit zu erhalten. Durch die Nichtabwendung der Räumungsklage würde der Verlust der Wohnung und damit des sozialen Umfelds drohen. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass durch die Befriedigung der Mietschulden ebenfalls die (hilfsweise erklärte) ordentliche Kündigung abgewendet werden kann. Die Frage der Entlastung durch einen unverschuldeten Zahlungsverzug bleibt eine des Einzelfalls (BVerfG Beschluss vom 01.08.2017, 1 BvR 1910/12). Das Interesse des Antragsgegners, ggf. ausgekehrte Leistungen nicht zurückerhalten zu können, tritt dahinter zurück.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe gem. § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i. V. m § 114 ZPO liegen vor.

Die Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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