S 11 P 1068/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 11 P 1068/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
1. Pflegebedürftige mit außergewöhnlich hohem Hilfebedarf und besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung können Anspruch auf Pflegegrad 5 haben, auch wenn ihre Gesamtpunkte unter 90 liegen.
2. Bei den Richtlinien nach § 17 SGB XI handelt es sich um Ver-waltungsvorschriften. Ihnen kommt eine gewisse Bindungswirkung auch im Außenverhältnis zu den Versicherten zu, indem sie als Konkretisierung des Gesetzes zur Vermeidung von Ungleichbe-handlungen zu beachten sind.
3. Dass nach der Begutachtungs-Richtlinie derzeit gestützt auf die Ergebnisse des Expertenbeirats zur konkreten Ausgestaltung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs nur die Gebrauchsunfähigkeit beider Arme und beider Beine umfasst sind, begegnet keinen durchgreifenden Bedenken.
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Leistungen der Pflegeversicherung nach dem Pflege-grad 5 ab Juni 2017.

Die 1976 geborene Klägerin ist von Geburt an schwerbehindert aufgrund einer Entwicklungsstörung infolge eines hypoxischen Hirnschadens während der Geburt, woraus unter anderem eine geistige Behinderung und Sprachstörung resultiert. Sie wird von ihrer Mutter als Betreuerin vertreten (Betreuerausweis des Amtsgerichts , Betreuungsgericht, vom ). Die Klägerin bezieht bislang Leistungen von der Beklagten nach dem Pflegegrad 4.

Die Klägerin beantragte am 14. Juni 2017 bei der Beklagten die Höherstufung nach Pflegegrad 5. Die Beklagte ließ die Klägerin durch den Medizinischen Dienst der Krankenversiche-rung (MDK) begutachten. Die Pflegefachkraft A. gelangte in dem Gutachten vom 13. Oktober 2017 zu dem Ergebnis, dass die Klägerin bei der Beurteilung ihrer Pflegebedürftigkeit 72,50 gewichtete Punkte erreiche und damit die Voraussetzungen für den Pflegegrad 4 er-reicht seien (Mobilität: 2,5 Punkte; kognitive und kommunikative Fähigkeiten und Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: 15 Punkte; Selbstversorgung: 40 Punkte; Bewäl-tigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen: 0 Punkte; Gestaltung des Arbeitslebens und sozialer Kontakte: 15 Punkte).

Mit Bescheid vom 16. Oktober 2017 lehnte die Beklagte die Bewilligung eines höheren Pfle-gegrades deshalb ab. Die erforderlichen Voraussetzungen für eine Erhöhung des Pflegegrades lägen nicht vor. Es verbleibe bei der bisherigen Einstufung in den Pflegegrad 4.

Hiergegen erhob die Betreuerin der Klägerin Widerspruch. Die Punktevergabe sei unzutreffend. Nach ihrer Einschätzung ergebe die Modulbewertung einen Punktewert von insgesamt 104,50 Punkten. Hierzu trug sie im Einzelnen vor, welche Hilfebedarfe in den Modulen un-zureichend berücksichtigt worden seien. Im Modul 2 sei das Verstehen von Alltagsanforderungen mit unselbstständig zu bewerten. Bei dem Modul 3 sei die nächtliche Unruhe, das Beschädigen von Gegenständen, das aggressive Verhalten gegenüber anderen Personen, die Wahnvorstellungen, die Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage, die sozial inadä-quaten Verhaltensweisen und die sonstigen pflegrelevanten inadäquaten Handlungen falsch und zu niedrig berücksichtigt. Bei der Selbstversorgung (Modul 4) sei unberücksichtigt, dass die Klägerin sich keinesfalls waschen sowie an- und auskleiden könne. Sie müsse ihre Tochter im Sommer auch oft pudern bzw. eincremen; zudem müsse die Klägerin bettfertig gemacht und zu Bett gebracht werden.

Die Beklagte holte ein weiteres Gutachten nach Aktenlage bei dem MDK ein. Die Pflegefachkraft F. bestätigte in ihrem Gutachten vom 02. Januar 2018 das Ergebnis des Vorgutachtens und bewertete den Hilfebedarf ebenfalls mit 72,50 gewichteten Punkten.

Durch Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 2018 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin deshalb als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen des Pflegegrades 5 seien nach den Feststellungen des MDK nicht erfüllt. Zwar hätten sich in dem Gutachten vom 02. Januar 2018 die Einschränkungen der Selbstständigkeit/Fähigkeiten in einem etwas größe-ren Umfang als zum Zeitpunkt des Vorgutachtens dargestellt, da insbesondere im Modul 3 nachvollziehbar Verhaltensauffälligkeiten angegeben worden seien. Dies könne jedoch nicht zu einer Einstufung in einen höheren Pflegegrad bzw. zu einer höheren Gesamtpunktzahl führen, da aus den Modulen 2 und 3 immer nur der jeweils höhere gewichtete Punktwert in die Berechnung des Gesamtwertes einfließe und vorliegend der mögliche Höchstpunktwert mit 15 Punkten in Modul 2 bereits erreicht gewesen sei. Im Übrigen habe die Durchsicht des Vorgutachtens eine plausible Beurteilung ergeben. Die Bewertung der Selbstständigkeit korreliere mit den bei der Begutachtung festgestellten funktionellen Einschränkungen und der noch bei der Klägerin vorhandenen Ressourcen. Es sei bei der Begutachtung zudem zu berücksichtigten, dass nicht die Schwere der Erkrankung oder Behinderung, sondern allein die Schwere der gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten als Grundlage der Bestimmung der Pflegebedürftigkeit diene.

Aus diesem Grund hat die Klägerin durch ihre Betreuerin am 27. März 2018 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, mit der sie ihr bisheriges Begehren weiter verfolgt. Zur Klagebegründung bekräftigt diese ihr bisheriges Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und trägt im Wesentlichen ergänzend vor, die Klägerin sei auf eine vollumfängliche Pflege angewiesen. Es bestehe eine starke Einschränkung der kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten. Sie benötige erhebliche Hilfe bei der Nahrungsaufnahme, ebenso bei der Körperpflege und dem Kleidungswechsel. Ebenso sei ein eigenständiges Aufsuchen der Toilette nicht möglich. Sie sei verhaltensauffällig, verhalte sich sozialinadäquat, in dem sie sich zum Beispiel regelmäßig im Intimbereich kratze. Auch in ihrer Mobilität sei sie beschränkt; Arzt-besuche könnten auch nicht eigenständig durchgeführt werden. Insgesamt sei die Klägerin in ihrem Alltagsleben und in der Gestaltung vollumfänglich auf ihre Betreuer angewiesen. Seit der letzten Begutachtung durch den MDK habe sich auch eine gesundheitliche Verschlechterung ergeben; am 07. Dezember 2017 sei ein endometroides Adenocarcinom des Corpus uteri mit Infiltration bis in die äußere Hälfte des Myometriums festgestellt worden, weshalb sich die Verhaltensauffälligkeiten der Klägerin noch verstärkt hätten. In der Gesamtheit spiegele die Punktebewertung den tatsächlichen Gesundheitszustand der Klägerin nicht wider. Deshalb müssten gesetzliche Ausnahmen im Rahmen einer subjektiven Prüfung möglich sein, wenn in einem Modul deutlich mehr Punkte erreicht werden würden, als tatsächlich in der Endabrechnung verbucht worden seien. Eine solche Ausnahmeregelung habe der Gesetzgeber auch in § 15 Abs. 4 SB XI vorgesehen. Soweit dort eine Einschränkung auf eine besondere Bedarfskonstellation, nämlich bei Gebrauchsunfähigkeit beider Beine und Beine, vorgenommen werde, widerspreche dies dem Gesetzeszweck.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung der die Klägerin behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. K. hat insbesondere von einer Zunahme des aggressiven Verhaltens bei der Klägerin berichtet. Ohne ihre Eltern wäre sie verloren; ob jedoch der Pflegegrad 4 oder 5 begründet sei, könne er nicht beurteilen. Seiner sachverständigen Zeugenaussage hat er weitere medizinische Unterlagen beigefügt. Der Frauenarzt Dr. K. hat keine Einschätzung des Hilfebedarfs getroffen.

Das Gericht hat die Klägerin sodann durch die Ärztin A. begutachten lassen. Die Gutachte-rin hat in ihrem Gutachten den Hilfebedarf der Klägerin mit 77,50 gewichteten Punkten bewertet und ebenso die Voraussetzungen für die Einstufung in Pflegegrad 5 verneint.

Die Klägerin beantragt -sachgerecht gefasst-,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Oktober 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2018 zu verurteilen, ihr auf ihren Antrag vom 14. Juni 2017 Leistungen nach dem Pflegegrad 5 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie erachtet den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig und verweist zur Begründung auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Die Beteiligten sind zur Absicht des Gerichts, den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, angehört worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten und die Prozessakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Gewährung von Pflegeleistungen nach Pflegegrad 5.

Das Gericht hat vorliegend ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden können, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Die Feststellung des Vorliegens von Pflegebedürftigkeit oder einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz nach § 45a in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung erfolgt gem. § 140 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) jeweils auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Rechts. Der Erwerb einer Anspruchsberechtigung auf Leistungen der Pflegeversicherung richtet sich ebenfalls nach dem zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Recht (§ 140 Abs. 1 Satz 2 SGB XI). Da die Klägerin vorliegend den Antrag nach dem 31. Dezember 2016 gestellt hat, ist der ab dem 01.01.2017 gel-tende Pflegebedürftigkeitsbegriff maßgeblich.

1. Anspruchsgrundlage für die begehrte Leistung ist § 37 SGB XI. Nach § 36 SGB XI haben Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 bei häuslicher Pflege Anspruch auf körperbezogene Pflegemaßnahmen und pflegerische Betreuungsmaßnahmen sowie auf Hilfen bei der Haushaltsführung als Sachleistung (häusliche Pflegehilfe). Nach § 37 SGB XI können Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Nach § 14 Abs. 1 SGB XI sind Personen dann pflegebedürftig, wenn sie gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Maßgeblich für das Vorliegen von gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten sind nach § 14 Abs. 2 SGB XI die in den folgenden sechs Bereichen genannten pflegefachlich begründeten Kriterien: 1. Mobilität: Positionswechsel im Bett, Halten einer stabilen Sitzposition, Umsetzen, Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs, Treppensteigen; 2. kognitive und kommunikative Fähigkeiten: Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld, örtliche Orientierung, zeitliche Orientierung, Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen, Steuern von mehrschrittigen Alltagshandlungen, Treffen von Entscheidungen im Alltagsleben, Verstehen von Sachverhalten und Informationen, Erkennen von Risiken und Gefahren, Mitteilen von elementaren Bedürfnissen, Verstehen von Aufforderungen, Beteiligen an einem Gespräch; 3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: motorisch geprägte Verhaltensauffälligkeiten, nächtliche Unruhe, selbstschädigendes und autoaggressives Verhalten, Beschädigen von Gegenständen, physisch aggressives Verhalten gegenüber anderen Personen, verbale Aggression, andere pflegerelevante vokale Auffälligkeiten, Abwehr pflegerischer und ande-rer unterstützender Maßnahmen, Wahnvorstellungen, Ängste, Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage, sozial inadäquate Verhaltensweisen, sonstige pflegerelevante inadä-quate Handlungen; 4. Selbstversorgung: Waschen des vorderen Oberkörpers, Körperpflege im Bereich des Kopfes, Waschen des Intimbereichs, Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare, An- und Auskleiden des Oberkörpers, An- und Auskleiden des Unterkörpers, mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken, Essen, Trinken, Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls, Bewältigen der Folgen einer Harninkontinenz und Umgang mit Dauerkatheter und Urostoma, Bewältigen der Folgen einer Stuhlinkontinenz und Umgang mit Stoma, Ernährung parenteral oder über Sonde, Bestehen gravierender Proble-me bei der Nahrungsaufnahme bei Kindern bis zu 18 Monaten, die einen außergewöhnlich pflegeintensiven Hilfebedarf auslösen; 5. Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen: a) in Bezug auf Medikation, Injektionen, Versorgung intravenöser Zugänge, Absaugen und Sauerstoffgabe, Einreibungen sowie Kälte- und Wärmeanwendungen, Messung und Deu-tung von Körperzuständen, körpernahe Hilfsmittel, b) in Bezug auf Verbandswechsel und Wundversorgung, Versorgung mit Stoma, regelmäßige Einmalkatheterisierung und Nutzung von Abführmethoden, Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung, c) in Bezug auf zeit- und technikintensive Maßnahmen in häuslicher Umgebung, Arztbesuche, Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, zeitlich ausgedehnte Besuche medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, Besuch von Einrichtungen zur Frühförderung bei Kindern sowie d) in Bezug auf das Einhalten einer Diät oder anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften; 6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen, Ruhen und Schlafen, Sichbeschäftigen, Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen, Interaktion mit Personen im direkten Kontakt, Kontakt-pflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds. Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, die dazu führen, dass die Haushaltsführung nicht mehr ohne Hilfe bewältigt werden kann, werden bei den oben ge-nannten Bereichen berücksichtigt (§ 14 abs. 3 SGB XI). Nach § 15 Abs. 1 SGB XI erhalten Pflegebedürftige nach der Schwere der Beeinträchtigun-gen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten einen Grad der Pflegebedürftigkeit (Pflegegrad). Der Pflegegrad wird mit Hilfe eines pflegefachlich begründeten Begutachtungsinstruments ermittelt, wobei dieses in sechs Module, entsprechend den oben genannten Bereichen, gegliedert ist. Die Kriterien der einzelnen Module sind in Kategorien unterteilt, denen Einzel-punkte entsprechend der Anlage 1 zu § 15 SGB XI zugeordnet werden. Die Kategorien stellen die in ihnen zum Ausdruck kommenden verschiedenen Schweregrade der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten dar (§ 15 Abs. 2 Satz 3 SGB XI). Die Einzelpunkte in den jeweiligen Modulen werden sodann addiert und entsprechend der Anlage 2 zu § 15 SGB XI einem jeweiligen Punktbereich zugeordnet, aus dem sich die gewichteten Punkte ergeben. Insgesamt wird für die Beurteilung des Pflegegrades die Mobilität mit 10 Prozent, die kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten sowie Verhaltensweisen und psy-chische Problemlagen zusammen mit 15 Prozent, die Selbstversorgung mit 40 Prozent, die Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anfor-derungen und Belastungen mit 20 Prozent und die Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte mit 15 Prozent gewichtet (§ 15 Abs. 2 Satz 8 SGB XI). Auf der Basis der erreichten Gesamtpunkte sind pflegebedürftige Personen in einen der nachfolgenden Pflegegrade einzuordnen: 1. ab 12,5 bis unter 27 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 1: geringe Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, 2. ab 27 bis unter 47,5 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 2: erhebliche Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, 3. ab 47,5 bis unter 70 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 3: schwere Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, 4. ab 70 bis unter 90 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 4: schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, 5. ab 90 bis 100 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 5: schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung (§ 15 Abs. 3 Satz 4 SGB XI). Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Vorgaben ist das Gericht nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen zu der Überzeugung gelangt, dass bei der Versicherten keine gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten beste-hen, die zu einem Gesamtpunktwert von mindestens 90 Punkten führen, und damit die Vo-raussetzungen für die mit der Klage begehrte Einstufung in den Pflegegrad 5 nicht vorliegen. Für diese Überzeugung stützt sich die Kammer auf die Feststellungen der Sachverständigen A. in ihrem Gutachten. Bei der Klägerin besteht danach ein frühkindlicher Hirnschaden mit geistiger Behinderung und Sprachstörung sowie ein Zustand nach Gebärmutterkrebs bei Entfernung der Gebärmutter und der Eierstöcke, zudem eine Harninkontinenz, Adipositas und eine Fußfehlform beidseits. Die Klägerin kann deshalb nicht sprechen, ihre Bewegungen sind unkoordiniert, es bestehen Verhaltensstörungen und erhebliche kognitive Defizite, wie die Sachverständige A. nachvollziehbar anhand des erhobenen Befundes ausgeführt hat. Deshalb bestehen bei der Klägerin gesundheitliche Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit, die sich auf die Aktivitäten und Fähigkeiten der folgenden Bereiche beziehen: (1) Im Modul Mobilität besteht ein Hilfebedarf aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchti-gungen, den die Beklagte mit 2,5 gewichteten Punkten zutreffend berücksichtigt hat. Die Klägerin benötigt Hilfe beim Treppensteigen. Sie ist diesbezüglich als überwiegend unselbst-ständig einzustufen i.S.d. Richtlinie des GKV-Spitzenverbandes, weshalb hierfür 2 Punkte nach der Anlage 1 zu § 15 SGB IX zu berücksichtigen sind. Danach ist überwiegend un-selbstständig, wenn die Aktivität nur zu einem geringen Anteil selbstständig durchgeführt werden kann. Hingegen läge eine Unselbstständigkeit erst vor, wenn die Aktivität nicht mehr selbst, auch nicht in Teilen selbstständig durchgeführt werden könnte. Nach den Fest-stellungen von Frau A. kann die Klägerin die Treppenstufen nur mit Stützen oder Festhalten durch eine Pflegeperson überwinden, weshalb eine ständige Anleitung erforderlich ist und noch keine Unselbstständigkeit im o.g. Sinne vorliegt. Die Gutachterin A. hat jedoch keine weiteren Einschränkungen im Bereich der Mobilität festgestellt, was auch nachvollziehbar ist, denn die Klägerin konnte sich auch im Rahmen der Begutachtung selbstständig aus liegender Position erheben und frei stehen sowie ohne Hilfsmittel gehen. In der Wohnung zeig-te die Klägerin einen breitbasigen Gang und schaukelte auch hin und her. Eine personelle Hilfe in Form von Bereitstellen von Hilfsmitteln oder Beobachtung aus Sicherheitsgründen während der Fortbewegung im Wohnbereich ist nach diesen erhobenen Befunden mit Frau Arndt noch nicht erforderlich. Soweit klägerseits vorgetragen wird, die Klägerin sei sehr langsam innerhalb der Wohnung unterwegs, vermag dies keine höhere Bewertung zu be-gründen. Denn dies ist gerade kein Kriterium, welches bei der Bewertung der Selbstständig-keit zum Tragen kommt. (2) Im Modul 2 Kognitive und kommunikative Fähigkeiten und Modul 3 Verhaltensweisen und psychische Problemlagen bestehen auch zur Überzeugung des Gerichts schwerste Beein-trächtigungen der Selbstständigkeit der Klägerin, die mit dem gewichteten Höchstpunkte-wert von 15 zu bewerten sind, was die Beklagte auch berücksichtigt hat. Dies entspricht aber bereits der höchsten Gesamtpunktzahl von 15, denn die Module 2 und 3 fließen mit 15 % in die Gesamtbewertung ein, was 15 der maximal erreichbaren Gesamtpunkte von 100 entspricht. Daher ist es auch nicht entscheidungserheblich, ob bei der Klägerin, wie von ihr vorgetragen, im Modul 2 und 3 für die einzelnen geistigen Funktionen bzw. Verhaltenswei-sen höhere Punkte anzuerkennen wären. (3) Im Modul 4 Selbstversorgung sind für das Ausmaß der Hilfebedürftigkeit zutreffend 40 gewichtete Punkte anerkannt, was ebenso dem Höchstpunktewert in diesem Bereich ent-spricht und die schwersten Beeinträchtigungen der Klägerin bei ihrer Selbstversorgung be-rücksichtigt: es kommt hier nämlich im Wesentlichen darauf an, in welchem Ausmaß eine Pflegeperson benötigt wird. Hierbei ist miteinbegriffen, dass nach den Feststellungen von Frau A. die komplette Körperpflege übernommen, die Nahrung größtenteils anzureichen und das Schlucken zu überwachen ist. Auch die Hilfen bei den Toilettengängen sind danach komplett zu übernehmen; die Klägerin ist überwiegend harninkontinent. Eine noch höhere Bewertung des Hilfebedarfs ist deshalb nicht möglich; daher war auch hier nicht weiter auf die Einwände der Klägerin in Bezug auf die einzelnen Unterstützungsleistungen bei der Körperpflege, im Bereich der Ernährung, beim An- und Auskleiden und bei der Intimpflege ein-zugehen. (4) Im Modul 5 Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder thera-piebedingten Anforderungen und Belastungen bestehen keine rechtlichen Bedenken hinsicht-lich der mit 5 gewichteten Punkte-Bewertung. Es können zwar regelmäßige Arztbesuche grundsätzlich mit in die Punktewerte miteinfließen. Vorliegend sind aber keine tragfähigen Anhaltspunkte gegeben, dass die Klägerin jedenfalls über einen längeren Zeitraum regelmä-ßig wöchentlich einen Arzt aufsuchen muss. Dahingehendes haben die die Klägerin pflegen-den Eltern auch im Rahmen der Begutachtung bei Frau A. nicht dargetan bzw. belegt. Voraussetzung ist nämlich, dass diese wöchentlich oder monatlich und auf Dauer, voraussicht-lich für mindestens sechs Monate, vorkommen. Jeder regelmäßige monatliche Besuch wird mit einem Punkt gewertet. Jeder regelmäßige wöchentliche Besuch wird mit 4,3 Punkten gewertet. Handelt es sich um zeitlich ausgedehnte Arztbesuche oder Besuche von anderen medizinischen oder therapeutischen Einrichtungen, werden sie doppelt gewertet (Meßling in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, 2. Aufl. 2017, § 15 SGB XI, Rn. 62). Im Übrigen ergibt sich kein Anhalt für eine höhere Bewertung. (5) Auch im Modul 6 Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte ist bereits der Höchstwert von 15 gewichteten Punkten anerkannt, weshalb hier keine höhere Bewertung mehr möglich ist. Danach hat die Gutachterin A. unter Berücksichtigung der sich gem. § 15 SGB XI ergeben-den Überführung des Summenwertes pro Modul und unter Berücksichtigung der jeweiligen Gewichtung der Module zutreffend einen Gesamtpunktewert von 77,50 Punkten errechnet. Damit liegen schwerste Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten vor, die einem Pflegegrad 4 entsprechen. 2. Soweit die Klägerseite argumentiert, dass bei ihr aufgrund der starken kognitiven Ein-schränkungen ein sogenannter Härtefall vorliegen würde, der im Einzelfall trotz der gewich-teten Punkte eine höhere Einstufung in den Pflegegrad 5 bedinge, kann sich das Gericht dem nicht anschließen. Ein Anwendungsfall des § 15 Abs. 4 Satz 1 SGB XI liegt nicht vor: Pflegebedürftige mit besonderen Bedarfskonstellationen, die einen spezifischen, außerge-wöhnlich hohen Hilfebedarf mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung aufweisen, können aus pflegefachlichen Gründen dem Pflegegrad 5 zugeordnet werden, auch wenn ihre Gesamtpunkte unter 90 liegen. Nach § 15 Abs. 4 Satz 2 SGB XI konkretisiert der Spitzenverband Bund der Pflegekassen in den Richtlinien nach § 17 Absatz 1 die pflegefach-lich begründeten Voraussetzungen für solche besonderen Bedarfskonstellationen. Derzeit weisen die Begutachtungsrichtlinien (BRi 2017) nur eine einzige besondere Bedarfskonstellation aus - nämlich die Gebrauchsunfähigkeit beider Arme und Beine. Von ihr ist auszugehen, wenn ein vollständiger Verlust der Greif-, Steh- und Gehfunktionen gegeben ist. Weitere besondere Bedarfskonstellationen sind in den BRi 2017 nicht geregelt. Hintergrund dafür sei, dass der Expertenbeirat zur konkreten Ausgestaltung des neuen Pflegebedürftig-keitsbegriffs aufgrund von Anregungen aus der Pflegepraxis verschiedene Fallkonstellatio-nen habe überprüfen lassen. Bestätigt durch die Praktikabilitätsstudie des MDS habe sich dabei nur diese eine Fallkonstellation als besondere Bedarfskonstellation erwiesen. § 15 Abs. 4 SGB XI enthält aber die Ermächtigung dafür, ggf. auf neuere Erfahrungen der Praxis mit der Festsetzung weiterer Bedarfskonstellationen zu reagieren (vgl. zum Ganzen: Meßling in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, 2. Aufl. 2017, § 15 SGB XI, Rn. 93). Bei den Richtlinien nach § 17 SGB XI handelt es sich mithin um Verwaltungsvorschriften (vgl. nur Roller in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, 2. Aufl. 2017, § 17 SGB XI, Rn. 36). Nach ständiger Rechtsprechung des BSG sind die Richtlinien bei der Feststellung des Pfle-gebedarfes zu berücksichtigen - soweit sie sich im Rahmen höherrangigen Rechts halten -. Ihnen komme eine gewisse Bindungswirkung auch im Außenverhältnis zu den Versicherten zu, indem sie als Konkretisierung des Gesetzes zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen zu beachten seien; den Richtlinien komme insoweit über den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs. 1 GG Bindungswirkung zu, zumal sich die Verwaltungspraxis an ihnen orientie-re (vgl. BSG, Urteil vom 28. September 2017 – B 3 P 3/16 R m.w.N.–, Rn. 22, juris). Daran orientiert haben die Gerichte diese auf Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht und sachliche Vertretbarkeit zu überprüfen. Sie können aber nicht neue allgemeine Kriterien an ihre Stelle setzen (Roller in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, 2. Aufl. 2017, § 17 SGB XI, Rn. 46). Nach dem gesetzgeberischen Willen sollten unter § 15 Abs. 4 SGB XI Pflegebedürftige mit schwersten Beeinträchtigungen und einem außergewöhnlich hohen bzw. intensiven Hilfebedarf, der besondere Anforderungen an die pflegerische Versorgung aufweise, berücksichtigt werden (vgl. BT-Drucks. 18/5926, S. 114). Dass nach der Begutachtungs-Richtlinie derzeit gestützt auf die Ergebnisse des Expertenbeirats zur konkreten Ausgestaltung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs nur die Gebrauchsunfähigkeit beider Arme und beider Beine umfasst sind, begegnet keinen durchgreifenden Bedenken des Gerichts. Denn die Aufnahme weiterer Bedarfskonstellationen ist möglich, so dass der auf sehr seltene Konstellationen zu beschränkende § 15 Abs. 4 SGB XI durch die weitere Ergänzung der Begutachtungs-Richtlinie nach § 17 Abs. 1 SGB IX noch weiter ausgefüllt werden kann, sofern ein dahingehender Bedarf im weiteren Verlauf durch die medizinische Beurteilung erkannt wird. 3. Aus diesen Gründen konnte die Klage keinen Erfolg haben.

II. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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