L 18 AS 1832/19 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 127 AS 10025/18
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 1832/19 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 28. August 2019 wird aufgehoben. Dem Kläger wird für das Verfahren bei dem Sozialgericht Prozesskos-tenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten bewilligt.

Gründe:

Die Beschwerde des – bedürftigen - Klägers ist begründet. Ihm ist für die erstinstanzlich erhobene und statthafte kombinierte Anfechtungs- Verpflichtungs- und Leistungsklage auf (endgültige) Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) in der vorläufig bewilligten Höhe für die Zeit vom 1. Dezember 2017 bis 30. April 2018 Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines Bevollmächtigten zu bewilligen (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm §§ 114, 121 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Die Klage hatte bei der (nur) gebotenen summarischen Prüfung zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des PKH-Gesuchs hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Die Gewährleistung der Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemit-telten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl BVerfGE 9, 124 (130 f.); stRspr). Zwar ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von PKH davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische PKH-Verfahren zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das PKH-Verfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (vgl BVerfGE 81, 347 (357)). Aus dem dargelegten verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt der Rechtsschutzgleichheit folgt des weiteren, dass Änderungen in der Beurteilung der Erfolgsaussichten, die nach der Bewilligungsreife des PKH-Antrags eintreten, grundsätzlich nicht mehr zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden zu berücksichtigen sind (vgl in jeweils unterschiedlichen Konstellationen Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26. Juni 2003 - 1 BvR 1152/02 -, NJW 2003, S. 3190 (3191); Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 13. Juli 2005 - 1 BvR 175/05 -, NJW 2005, S. 3489; BVerfGK 8, 213 (216 ff.); Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Juli 2016 - 2 BvR 2231/13 -, NJW-RR 2016, S. 1264 (1266); Linke, NVwZ 2003, S. 421 (423 ff.)). Denn der vernünftig abwägende Rechtsschutzsuchende kann die Entscheidung über die Klageerhebung nur innerhalb des Laufs der Rechtsbehelfsfristen treffen.

Hiervon ausgehend hat das SG – zutreffend - selbst weitere Ermittlungen zur Dauer und zum Umfang der selbständigen Tätigkeit des Klägers ab Mai 2017 für erforder-lich gehalten (vgl Hinweisschreiben vom 3. April 2019 und – zeitgleich mit der Ableh-nung von PKH – vom 28. August 2019). Denn zur Prüfung, ob das Aufenthaltsrecht des Klägers als selbständig Tätiger gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Freizügigkeitsge-setz/EU (FreizügG/EU) wegen vorübergehender Erwerbsminderung infolge Krankheit (ggfs wie lange?) unberührt blieb oder gar von einer krankheitsbedingten Einstellung der selbständigen Tätigkeit erst nach mehr als einem Jahr Tätigkeit auszugehen sein könnte (vgl § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU), bedarf es weiterer Sachermittlun-gen zum Schicksal der selbständigen Tätigkeit und der Krankheitsgeschichte. Eine Ablehnung von PKH kommt bei dieser Sachlage nicht in Betracht.

Hinzu kommt, dass ggf auch ein Anspruch des Klägers auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe – (SGB XII) zu prüfen wäre, sofern ihm im Streitzeit-raum kein anderes Aufenthaltsrecht als das zur Arbeitssuche zugestanden hätte. Der Vorbehalt des § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2b SGB II gälte - wie das Bundessozialgericht (BSG) zur alten Rechtslage ausdrücklich klargestellt hat (vgl zur alten Rechtslage BSG, Urteile vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 59/13 R ua – juris; vgl auch seine Rspr bekräftigend BSG, Urteil vom 30. August 2017 - B 14 AS 31/16 R -) – nicht für Leistungen nach dem SGB XII. In Ansehung der Rspr des BSG bestehen auch erhebliche Zweifel, ob der vom Gesetzgeber insoweit als Klarstellung gedachte (parallele) Leistungsausschluss in § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII grundgesetzkonform ist. Das BSG hat in der zitierten Rspr, der das Beschwerdegericht folgt, unmissverständlich auf Grundlage der Entscheidungen des BVerfG einen Anspruch von Betroffenen, wie des Klägers, auf Grundlage des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, dh unmittelbar kraft Verfassungsrechts, bekräftigt. Dies gilt unverändert auch in Ansehung der seit 29. Dezember 2016 erfolgten gesetzlichen Neuregelung, die sich ebenfalls am Grundgesetz messen lassen muss. Der Kläger, der sich in der Bundesrepublik Deutschland erlaubt aufhält (vgl Art. 10 VO ‹EU› 492/2011) dürfte nach dieser Rspr von den Leistungen des § 23 Abs. 1 SGB XII im Übrigen auch nicht gemäß § 21 Satz 1 SGB XII (durch das Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 22. Dezember 2016 ‹Bundesgesetzblatt 2016 Teil I S. 3155› hat der Gesetzgeber anerkannt, dass die in § 7 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II "genannten erwerbsfähigen Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen dem Leistungssystem des SGB XII zugewiesen" sind ‹vgl Bun-destagsdrucksache 18/10211 S 14›) ausgeschlossen sein. Das SG wird daher auch noch eine Beiladung des Sozialhilfeträgers zu prüfen haben.

Kosten sind im PKH-Beschwerdeverfahren kraft Gesetzes nicht zu erstatten (vvl § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das BSG angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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