L 7 SO 3873/19 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SO 3246/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 3873/19 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Zur Verfassungsmäßigkeit des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII in der seit dem 29. Dezember 2016 geltenden Fassung.
2. Einer Beiladung eines anderen Sozialleistungsträgers nach § 75 Abs. 2 Var. 2, Abs. 5 SGG bedarf es im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht, wenn der Leistungsbegehrende gegen den anderen Sozialleistungsträger bereits ein gesondertes einstweiliges Rechtsschutzverfahren anhängig gemacht hat.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 23. Oktober 2019 (Ablehnung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung) wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

1. Die nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 172 SGG).

2. Die Beschwerde der Antragstellerin ist aber unbegründet. Die Antragstellerin, die Staatsangehörige der Republik Polen ist, begehrt sinngemäß die Verpflichtung der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung, ihr ab dem 19. August 2019 Hilfe zum Lebensunterhalt und Hilfe bei Krankheit nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) zu zahlen. Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.

a) Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist Voraussetzung, dass ein dem Antragsteller zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, so dass dem Antragsteller schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Glaubhaftmachung liegt vor, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds überwiegend wahrscheinlich sind. Dabei haben sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache zu orientieren (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 13. April 2010 – 1 BvR 216/07 – juris Rdnr. 64; BVerfG, Beschluss vom 6. August 2014 – 1 BvR 1453/12 – juris Rdnr. 9). Eine Folgenabwägung ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn eine Prüfung der materiellen Rechtslage nicht möglich ist (BVerfG, Beschluss vom 14. September 2016 – 1 BvR 1335/13 – juris Rdnr. 20; ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt etwa Beschluss vom 28. August 2019 – L 7 AY 2735/19 ER-B – juris Rdnr. 3 m.w.N.).

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander; es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt (ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt etwa Beschluss vom 28. August 2019 – L 7 AY 2735/19 ER-B – juris Rdnr. 4 m.w.N.; Landessozialgericht [LSG] Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER – juris Rdnr. 18). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist (ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt etwa Beschluss vom 28. August 2019 – L 7 AY 2735/19 ER-B – juris Rdnr. 4 m.w.N.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER – juris Rdnr. 18; Hessisches LSG, Beschluss vom 5. Februar 2007 – L 9 AS 254/06 ER – juris Rdnr. 4). Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. Auch dann kann aber nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden (ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt etwa Beschluss vom 28. August 2019 – L 7 AY 2735/19 ER-B – juris Rdnr. 4 m.w.N.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER – juris Rdnr. 18; Hessisches LSG, Beschluss vom 5. Februar 2007 – L 9 AS 254/06 ER – juris Rdnr. 4).

b) Die Antragstellerin hat jedenfalls einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, da sie keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt und Hilfe bei Krankheit nach dem SGB XII ab dem 19. August 2019 hat.

aa) Gegenstand jedenfalls des Beschwerdeverfahrens ist nur das Begehren der Antragstellerin auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt und Hilfe bei Krankheit (§ 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII), nicht aber die Gewährung von Überbrückungs- und Rückreiseleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 3, Abs. 3a SGB XII. Bei den Leistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII einerseits und nach § 23 Abs. 3 Satz 3, Abs. 3a SGB XII andererseits handelt es sich jeweils um getrennte Streitgegenstände (vgl. Urteil des Senats vom 7. November 2019 – L 7 SO 934/19 – zur Veröffentlichung vorgesehen; Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. August 2017 – L 5 AS 1357/17 B ER – juris Rdnr. 114 m.w.N.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Januar 2019 – L 23 SO 279/18 B ER – juris Rdnr. 40; LSG Hessen, Beschluss vom 27. März 2019 – L 7 AS 7/19 – juris Rdnr. 10; Schlette in Hauck/Noftz, § 23 SGB XII Rdnr. 86 [Juni 2019] m.w.N.; Siefert in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 23 Rdnr. 114 [1. Überarbeitung]; vgl. allgemein zur Abtrennbarkeit der verschiedenen Ansprüche nach dem SGB XII Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 26. August 2008 – B 8/9b SO 10/06 R – juris Rdnr. 12 ff.), da die Überbrückungs- und Rückreiseleistungen nicht zur Hilfe zum Lebensunterhalt und zur Hilfe bei Krankheit gehören, sondern es sich um bereichsspezifische Sonderleistungen handelt, die zudem einen Ausreisewillen des Betroffenen voraussetzen (dazu noch unten), an dem es hier fehlt. Nachdem das SG nur über die Hilfe zum Lebensunterhalt und die Hilfe bei Krankheit entschieden hat, ist allein die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt und von Hilfe bei Krankheit Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.

Ebenso nicht streitgegenständlich sind Leistungen nach den Härtefallregelungen des § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII. Auch insofern handelt es sich um einen im Verhältnis zu den Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII gesonderten Streitgegenstand (Urteil des Senats vom 7. November 2019 – L 7 SO 934/19 – zur Veröffentlichung vorgesehen; vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Januar 2019 – L 23 SO 279/18 B ER – juris Rdnr. 40 f.; LSG Hessen, Beschluss vom 27. März 2019 – L 7 AS 7/19 – juris Rdnr. 10). Die Gewährung dieser Leistungen knüpft schon hinsichtlich des personellen Anwendungsbereiches an die Überbrückungsleistungen des § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII an, modifiziert sie für den Einzelfall im Hinblick auf Art, Umfang und Dauer der Leistungsgewährung und kann daher nicht ohne diese geltend gemacht werden (Urteil des Senats vom 7. November 2019 – L 7 SO 934/19 – zur Veröffentlichung vorgesehen; vgl. LSG Bayern, Beschluss vom 24. April 2017 – L 8 SO 77/17 B ER – juris Rdnr. 43 f.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Januar 2019 – L 23 SO 279/18 B ER – juris Rdnr. 41; Schlette in Hauck/Noftz, § 23 SGB XII Rdnr. 88 [Juni 2019]); die Voraussetzungen für die Gewährung von Härtefallleistungen liegen aber auch der Sache nach nicht vor (dazu unten).

bb) Gemäß § 27 Abs. 1 SGB XII ist Hilfe zum Lebensunterhalt Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können. Leistungen zur Krankenbehandlung werden gemäß § 48 Satz 1 SGB XII erbracht, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (Hilfe zu Krankheit).

Solchen Ansprüchen der Antragstellerin steht aber § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII in der seit dem 29. Dezember 2016 geltenden Fassung des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155) entgegen. Streitig sind Ansprüche für die Zeit ab dem 19. August 2019. Ob solche Ansprüche bestehen, ist stets anhand des Rechts zu beurteilen, das zu dem Zeitpunkt galt oder gilt, für den Ansprüche geltend gemacht werden (sog. Geltungszeitraumprinzip; BSG, Urteil vom 21. März 2019 – B 14 AS 31/18 R – juris Rdnr. 13 m.w.N.; BSG, Urteil vom 8. Mai 2019 – B 14 AS 13/18 R – juris Rdnr. 11). Etwas anderes gilt nur, falls das Gesetz selbst abweichende Übergangsregelungen trifft; dies ist hier nicht der Fall. § 23 SGB XII ist in der noch heute geltenden Fassung am 29. Dezember 2016 in Kraft getreten (Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 22. Dezember 2016 [BGBl. I S. 3155]). Damit ist die bis dahin geltende Fassung des § 23 SGB XII (a.F.) außer Kraft getreten; § 23 SGB XII a.F. hat nur noch Bedeutung für Zeiträume bis zum 28. Dezember 2016.

Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII n.F. erhalten Ausländer unter anderem keine Leistungen nach Absatz 1 (Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege) und keine Leistungen nach dem Vierten Kapitel (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung), wenn sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Jedenfalls durch die Neufassung des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII sind auch Ermessensleistungen ausgeschlossen (Begründung des Entwurfes eines Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, Bundestags-Drucksache 18/10211, S. 16; Urteil des Senats vom 7. November 2019 – L 7 SO 934/19 – zur Veröffentlichung vorgesehen; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Januar 2019 – L 23 SO 279/18 B ER – juris Rdnr. 27; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 4. Juli 2019 – L 4 AS 246/19 B ER – juris Rdnr. 38).

Diese Voraussetzungen des Leistungsausschlusses liegen bei der Antragstellerin vor: Die Antragstellerin verfügt über ein Aufenthaltsrecht, das sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Für ein Aufenthaltsrecht aus anderem Grund ist – ebenso wie beim insoweit wortgleichen § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) – eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU erforderlich, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, oder ein Aufenthaltsrecht nach dem Aufenthaltsgesetz. Nicht ausreichend ist hingegen die generelle Freizügigkeitsvermutung, nach der der Aufenthalt eines EU-Ausländers zumindest solange als rechtmäßig angesehen werden muss, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts festgestellt und damit die Ausreisepflicht begründet hat (st. Rspr.; BSG, Urteil vom 30. August 2017 – B 14 AS 31/16 R – juris Rdnr. 23; BSG, Urteil vom 9. August 2018 – B 14 AS 32/17 R – juris Rdnr. 20; BSG, Urteil vom 12. September 2018 – B 14 AS 18/17 R – juris Rdnr. 26; BSG, Urteil vom 21. März 2019 – B 14 AS 31/18 R – juris Rdnr. 17).

Über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung als EU-Ausländerin verfügt die Antragstellerin indes nur aufgrund des Zweckes der Arbeitsuche. Insofern nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss des SG Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

cc) Ein Leistungsanspruch der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin folgt auch nicht aus Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA).

Nach Art. 1 EFA ist jeder der Vertragschließenden verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge zu erbringen, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind. Das EFA ist in der Bundesrepublik Deutschland durch das Zustimmungsgesetz vom 15. Mai 1956 (BGBl. II 563) in innerstaatlich anwendbares, Rechte und Pflichten begründendes Recht transformiert worden (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 43/15 R – juris Rdnr. 17 m.w.N.). Die Republik Polen, deren Staatsangehörige die Antragstellerin ist, ist indes nicht Vertragspartei des EFA, so dass sich die Antragstellerin hierauf nicht berufen kann.

dd) § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII n.F. ist, wie der Senat bereits dargelegt hat (Beschluss des Senats vom 3. Dezember 2018 – L 7 SO 4027/18 ER-B – juris Rdnr. 39 ff.; Urteil des Senats vom 7. November 2019 – L 7 SO 934/19 – zur Veröffentlichung vorgesehen) auch mit dem Grundgesetz vereinbar (ebenso LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 25. November 2016 – L 11 AS 567/16 B ER – juris Rdnr. 25; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Februar 2017 – L 23 SO 30/17 B ER – juris Rdnr. 42 ff.; LSG Bayern, Beschluss vom 24. April 2017 – L 8 SO 77/17 B ER – juris Rdnr. 38; LSG Hessen, Beschluss vom 20. Juni 2017 – L 4 SO 70/17 B ER – juris Rdnr. 11 ff. m.w.N.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22. Mai 2018 – L 11 AS 1013/17 B ER – juris Rdnr. 36 m.w.N.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Januar 2019 – L 23 SO 279/18 B ER – juris Rdnr. 34 ff.; LSG Hessen, Beschluss vom 27. März 2019 – L 7 AS 7/19 – juris Rdnr. 7 f.). Auch das "Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums", das das BVerfG aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG abgeleitet hat, begründet keinen unbedingten Anspruch auf Fürsorgeleistungen: Die Verfassung gebietet nicht die Gewährung voraussetzungsloser Sozialleistungen (BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 2010 – 1 BvR 2556/09 – juris Rdnr. 13; BSG, Urteil vom 29. April 2015 – B 14 AS 19/14 R – juris Rdnr. 51; BSG, Urteil vom 12. Mai 2017 – B 7 AY 1/16 R – juris Rdnr. 29 m.w.N.). Der Gesetzgeber macht einen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen und ähnlicher Leistungen nach dem SGB II, dem SGB XII und dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) daher von zahlreichen formellen und materiellen Voraussetzungen abhängig. Er verlangt in verfassungsgemäßer Weise beispielsweise bereichsspezifisch teilweise einen Antrag des Betroffenen (§ 37 SGB II; § 44 Abs. 1 SGB XII; vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 6. April 2011 – L 12 AS 1337/10 – juris Rdnr. 50 f.; Aubel in jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 37 Rdnr. 14), die Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhaltes (§§ 60 ff., § 66 SGB I; BVerfG, Beschluss vom 13. August 2009 – 1 BvR 1737/09 – juris Rdnr. 3; BVerfG, Beschluss vom 1. Februar 2010 – 1 BvR 20/10 – juris Rdnr. 2), die vorrangige Verwendung eigenen Einkommens und Vermögens (§§ 9, 11 ff. SGB II; §§ 19, 81 ff., 90 SGB XII), die Beantragung anderer Sozialleistungen (§ 12a SGB II) und deren Anrechnung (BVerfG, Beschluss vom 11. März 2010 – 1 BvR 3163/09 – juris Rdnr. 7 ff. – Anrechnung von Leistungen nach dem Bundeskindergeldgesetz; BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 2010 – 1 BvR 2556/09 – juris Rdnr. 8 ff. – Anrechnung von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz) sowie die Anrechnung von Leistungen privater Dritter (BVerfG, Beschluss vom 7. April 2010 – 1 BvR 688/10 – juris Rdnr. 2 – Zahlung eines privaten Krankenversicherers). Der Gesetzgeber macht Leistungsansprüche ferner etwa abhängig von zumutbaren Bemühungen zur Senkung der eigenen Unterkunftskosten (§ 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II; § 35 Abs. 2 Satz 2 SGB XII; vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2017 – 1 BvR 617/14 – juris Rdnr. 13 ff., 19), von der "Rechtstreue" des Betroffenen (z.B. § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F.; § 1a AsylbLG n.F.; BSG, Urteil vom 12. Mai 2017 – B 7 AY 1/16 R – juris Rdnr. 3; Urteil des Senats vom 8. November 2018 – L 7 AY 4468/16 – juris Rdnr. 50), vom Aufenthalt an vorgegebenen Orten (§ 23 Abs. 5 SGB XII; Beschluss des Senats vom 22. Dezember 2017 – L 7 SO 4253/17 ER-B – juris Rdnr. 5 ff.) und von zumutbaren Bemühungen, den Lebensunterhalt aus eigener Kraft, insbesondere aus eigener Erwerbstätigkeit zu finanzieren (§ 2, §§ 30 ff. SGB II; BSG, Urteil vom 29. April 2015 – B 14 AS 19/14 R – juris Rdnr. 50 ff.; grundsätzlich gebilligt auch durch BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 – juris Rdnr. 117 ff.); der Gesetzgeber erwartet beispielsweise auch, dass der Betroffene ggf. auf eine von ihm gewünschte Ausbildung verzichtet und stattdessen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht (§ 7 Abs. 5 SGB II; § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII; BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2014 – 1 BvR 886/11 – juris Rdnr. 12 ff.). Kurz: Der Gesetzgeber gewährt Fürsorgeleistungen zur finanziellen Existenzsicherung nur dann, wenn es dem Betroffenen nicht möglich ist, seinen eigenen Lebensunterhalt auf andere zumutbare Weise sicherzustellen, ohne dass hiergegen durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken bestünden. Denn auch "Eigenverantwortlichkeit ist Teil der Art. 1 Abs. 1 GG zugrundeliegenden Vorstellung vom Menschen" (BSG, Urteil vom 9. März 2016 – B 14 AS 20/15 R – juris Rdnr. 39).

Kein anderer Gedanke liegt der Regelung des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII zugrunde: Der Gesetzgeber erwartet, dass die von § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII erfassten Personen zur Vermeidung eines inländischen Sozialhilfebezuges ausreisen, insbesondere in ihr Heimatland zurückkehren (Begründung des Entwurfes eines Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, Bundestags-Drucksache 18/10211, S. 14, 16). Er hat damit die Nachrangigkeit des deutschen Sozialleistungssystems gegenüber dem des Herkunftslandes normiert (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Januar 2019 – L 23 SO 279/18 B ER – juris Rdnr. 36; LSG Hessen, Beschluss vom 27. März 2019 – L 7 AS 7/19 – juris Rdnr. 7). Zu diesem Zweck gewährleistet er einerseits (nur) Überbrückungsleistungen für einen Monat (§ 23 Abs. 3 Sätze 3 und 5 SGB XII) sowie die angemessenen Kosten der Rückreise (§ 23 Abs. 3a SGB XII) und andererseits für den Fall, dass dem Betroffenen eine Rückkehr gegenwärtig nicht möglich ist, weitere Leistungen im Rahmen der Härtefallregelung des § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII. Er hat damit dem auch vom BVerfG konturierten grundrechtlichen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen hinreichend Rechnung getragen (ebenso etwa LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 25. November 2016 – L 11 AS 567/16 B ER – juris Rdnr. 25; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Februar 2017 – L 23 SO 30/17 B ER – juris Rdnr. 42; LSG Bayern, Beschluss vom 24. April 2017 – L 8 SO 77/17 B ER – juris Rdnr. 38; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Januar 2019 – L 23 SO 279/18 B ER – juris Rdnr. 36; LSG Hessen, Beschluss vom 27. März 2019 – L 7 AS 7/19 – juris Rdnr. 7; Birk in Bieritz-Harder/Conradis/Thie, SGB XII, 11. Aufl. 2018, § 23 Rdnr. 55).

Anders als bei den von § 1 Abs. 1 AsylbLG erfassten Personen, bei denen zunächst gleichsam vermutet wird, dass ihnen eine Rückkehr in ihr Heimatland gegenwärtig nicht ohne Weiteres zumutbar ist, besteht bei Ausländern, die nicht von § 1 Abs. 1 AsylbLG erfasst werden, grundsätzlich und vorbehaltlich individueller Umstände im Einzelfall kein Anlass, an der Zumutbarkeit ihrer Rückkehr zu zweifeln. Dies gilt auch und insbesondere für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union und damit auch für die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren. Dieser Personenkreis kann zumutbar darauf verwiesen werden, die erforderlichen Existenzsicherungsleistungen durch die Inanspruchnahme von Sozialleistungen im Heimatstaat zu realisieren (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Juni 2015 – L 1 AS 2338/15 ER-B u.a. – juris Rdnr. 39; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 25. November 2016 – L 11 AS 567/16 B ER – juris Rdnr. 25 m.w.N.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Februar 2017 – L 23 SO 30/17 B ER – juris Rdnr. 43; LSG Bayern, Beschluss vom 24. April 2017 – L 8 SO 77/17 B ER – juris Rdnr. 39; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Januar 2019 – L 23 SO 279/18 B ER – juris Rdnr. 37; LSG Hessen, Beschluss vom 27. März 2019 – L 7 AS 7/19 – juris Rdnr. 8; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 4. Juli 2019 – L 4 AS 246/19 B ER – juris Rdnr. 43; Birk in Bieritz-Harder/Conradis/Thie, SGB XII, 11. Aufl. 2018, § 23 Rdnr. 55; Ulmer, ZRP 2016, 224; in diese Richtung auch Groth in BeckOK-Sozialrecht, § 23 Rdnr. 16b [54. Edition, September 2019]; Thym, NZS 2016, 441 [444 f.]; vgl. auch Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 8. Juli 1988 – 5 B 136/87 – juris Rdnr. 3 zu § 120 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz), zumal sich die Vertragsparteien nach Artikel 13 der Europäischen Sozialcharta vom 18. Oktober 1961, zu denen auch die Republik Polen gehört, verpflichtet haben sicherzustellen, dass jedem, der nicht über ausreichende Mittel verfügt und sich diese auch nicht selbst oder von anderen verschaffen kann, ausreichende Unterstützung im Heimatland gewährt wird (hierauf stellt ausdrücklich die Begründung des Entwurfes eines Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, Bundestags-Drucksache 18/10211, S. 14, ab). Der Ausländer, der trotz zumutbarer Rückkehrmöglichkeit in der Bundesrepublik Deutschland verbleibt, und keinen Leistungsanspruch hat, wird nicht anders behandelt, als beispielweise derjenige, der eine sofort mögliche und zumutbare Vermögensverwertung nicht vornimmt, oder als derjenige, der nicht auf eine von ihm gewünschte Ausbildung verzichtet (vgl. § 7 Abs. 5 SGB II; § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII; BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2014 – 1 BvR 886/11 – juris Rdnr. 12 ff.); auch diese Personen sind – aufgrund eigener freier Entscheidung (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) – gleichzeitig de facto ohne existenzsichernde Mittel und (gleichwohl) ohne Leistungsanspruch gegen einen Grundsicherungsträger (vgl. auch Ulmer, ZRP 2016, 224 [225]). Auch das BVerfG hat inzwischen entschieden, dass der Gesetzgeber einem objektiv Hilfebedürftigen keine Leistungen gewähren muss, wenn es dieser selbst in der Hand hat, die Hilfebedürftigkeit zu beseitigen (BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 – juris Rdnr. 209 – dazu noch unten).

Auch die oft zitierte Formulierung des BVerfG, die Menschenwürde dürfe nicht migrationspolitisch relativiert werden (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10BVerfGE 132, 134 [173] = juris Rdnr. 95), ist im thematischen – auf den Anwendungsbereich des AsylbLG bezogenen – Kontext zu sehen (vgl. grundsätzlich zur Notwendigkeit der Kontextualisierung gerichtlicher Entscheidungen Lepsius, JZ 2019, 793 ff.). Sie bezog sich in Reaktion auf eine Formulierung im Bericht des Ausschusses für Familie und Senioren des Deutschen Bundestages vom 24. Mai 1993 zu einem Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber (Asylbewerberleistungsgesetz), wonach der Gesetzentwurf das Ziel verfolge, keinen Anreiz zu schaffen, aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland zu kommen (Bundestags-Drucksache 12/5008, S. 13), auf eine Absenkung des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum für einen Personenkreis, dem – siehe oben – eine Rückkehr in das Herkunftsland prima facie nicht zumutbar ist und nicht auf den hier betroffenen Personenkreis. Im Übrigen hat das BVerfG im sog. Sanktionenurteil die Folgen der zitierten Formulierung klargestellt: Das Verbot, die Verpflichtung zur Sicherung des Existenzminimums zu relativieren (BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 – juris Rdnr. 120), schließt Leistungskürzungen bis hin zum völligen Leistungsausschluss trotz objektiv fehlender finanzieller Mittel des Betroffenen nicht aus (BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 – juris, insbesondere Rdnr. 209).

Überdies hat das BVerfG inzwischen in Übereinstimmung mit den obigen Ausführungen betont, dass der Gesetzgeber die Inanspruchnahme sozialer Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz an den Nachranggrundsatz binden (BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 – juris Rdnr. 123), die Gewährung staatlicher Hilfe also davon abhängig machen darf, dass sich die Betroffenen nicht selbst helfen können (BVerfG, a.a.O., Rdnr. 125), und dass der Gesetzgeber verlangen darf, dass die Betroffenen an der Überwindung ihrer Hilfebedürftigkeit selbst aktiv mitwirken oder die Bedürftigkeit gar nicht erst eintreten lassen (BVerfG, a.a.O., Rdnr. 126). Dem entspricht die Regelung des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII, mit der der Gesetzgeber – wie oben dargelegt – vom Betroffenen verlangt, durch Heimkehr in sein Heimatland und ggf. die dortige Inanspruchnahme von Sozialleistungen staatliche Fürsorge in der Bundesrepublik Deutschland zu vermeiden. Das BVerfG hat darauf hingewiesen, dass der soziale Rechtsstaat darauf angewiesen ist, dass Mittel der "Allgemeinheit", die zur Hilfe für deren bedürftige "Mitglieder" bestimmt sind, nur in Fällen in Anspruch genommen werden, in denen wirkliche Bedürftigkeit vorliegt, weil gerade eine Schonung der begrenzten finanziellen Ressourcen des Staates diesem künftige Gestaltungsmacht auch zur Verwirklichung des sozialen Staatsziels sichert (BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 – juris Rdnr. 124).

ee) Der Leistungsausschluss des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII für Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, ist auch mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar (Europäischer Gerichtshof [EuGH], Urteil vom 15. September 2015 – C 67/14 – juris Rdnr. 63; BSG, Urteil vom 30. August 2017 – B 14 AS 31/16 R – juris Rdnr. 43; BSG, Urteil vom 9. August 2018 – B 14 AS 32/17 R – juris Rdnr. 33 zu § 23 Abs. 3 Satz 1 Var. 2 SGB XII a.F.).

c) Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass die Voraussetzungen der Härtefallregelungen des § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII, die nicht streitgegenständlich sind (siehe oben), ebenfalls nicht vorliegen.

aa) Nach dieser Norm werden, soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, Leistungsberechtigten nach § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von § 23 Abs. 1 SGB XII gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Auch die Härtefallregelungen des § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII sollen nach dem Willen des Gesetzgebers keinen dauerhaften Leistungsbezug ermöglichen (Begründung des Entwurfes eines Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, Bundestags-Drucksache 18/10211, S. 16 f.; Beschluss des Senats vom 28. März 2018 – L 7 AS 430/18 ER-B – juris Rdnr. 18; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Januar 2019 – L 23 SO 279/18 B ER – juris Rdnr. 41). Eine Gewährung der Leistung soll nur ganz ausnahmsweise in Betracht kommen (Beschluss des Senats vom 3. Dezember 2018 – L 7 SO 4027/18 ER-B – juris Rdnr. 34 im Anschluss an Groth in BeckOK-Sozialrecht, § 23 Rdnr. 18b [54. Edition, September 2019]; ebenso Schlette in Hauck/Noftz, § 23 SGB XII Rdnr. 88 [Juni 2019]). Letztlich ist – im Anschluss an die Begründung des Gesetzentwurfes (Begründung des Entwurfes eines Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, Bundestags-Drucksache 18/10211, S. 16 f.) – in der Regel die vorübergehende Reiseunfähigkeit Anspruchsvoraussetzung (Beschluss des Senats vom 3. Dezember 2018 – L 7 SO 4027/18 ER-B – juris Rdnr. 34; Urteil des Senats vom 7. November 2019 – L 7 SO 934/19 – zur Veröffentlichung vorgesehen; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 4. Mai 2018 – L 6 AS 59/18 B ER – juris Rdnr. 32). Kein Grund für die Annahme eines Härtefalls ist jedenfalls die allgemeine soziale Situation im Herkunftsland (Beschluss des Senats vom 3. Dezember 2018 – L 7 SO 4027/18 ER-B – juris Rdnr. 34; Urteil des Senats vom 7. November 2019 – L 7 SO 934/19 – zur Veröffentlichung vorgesehen; LSG Hessen, Beschluss vom 20. Juni 2017 – L 4 SO 70/17 B ER – juris Rdnr. 17; Groth in BeckOK-Sozialrecht, § 23 Rdnr. 18b [54. Edition, September 2019]; Schlette in Hauck/Noftz, § 23 SGB XII Rdnr. 88 [Juni 2019]).

Nach diesen Maßstäben liegt bei der Antragstellerin kein Härtefall vor. Gesichtspunkte, die ihrer Reisefähigkeit entgegenstehen, sind nicht ersichtlich, zumal sich die Antragstellerin selbst als arbeitsuchend bezeichnet und gegenüber dem örtlich zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ihre Erwerbsfähigkeit behauptet. Die pauschale und nicht näher substantiierte Behauptung der Antragstellerin im Antrag vom 19. August 2019, sie sei gesundheitlich "noch" eingeschränkt, reicht für die Annahme von Reiseunfähigkeit, die die Antragstellerin auch nie behauptet hat, nicht aus.

Unabhängig davon greifen die Härtefallregelungen des § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII aber auch deswegen nicht ein, weil die Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII nicht erfüllt sind. Die Härtefallregelungen des § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII knüpfen schon hinsichtlich des personellen Anwendungsbereiches an die Überbrückungsleistungen des § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII an und modifizieren sie für den Einzelfall im Hinblick auf Art, Umfang und Dauer der Leistungsgewährung (LSG Bayern, Beschluss vom 24. April 2017 – L 8 SO 77/17 B ER – juris Rdnr. 43; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Januar 2019 – L 23 SO 279/18 B ER – juris Rdnr. 41). Voraussetzung der Anwendung der Härtefallregelungen des § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII ist daher, dass die Anspruchsvoraussetzungen des § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII erfüllt sind. Aus der dortigen Formulierung, dass diese Überbrückungsleistungen "bis zur Ausreise" gewährt werden, und aus dem auch im vom Gesetz selbst verwendeten Begriff "Überbrückungsleistungen" zum Ausdruck kommenden Zweck dieser Leistungen folgt, dass diese Ausreise vom Betroffenen auch beabsichtigt sein muss, also ein Ausreisewille bzw. zumindest eine Ausreisebereitschaft besteht (Urteil des Senats vom 7. November 2019 – L 7 SO 934/19 – zur Veröffentlichung vorgesehen; LSG Bayern, Beschluss vom 24. April 2017 – L 8 SO 77/17 B ER – juris Rdnr. 44; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Januar 2019 – L 23 SO 279/18 B ER – juris Rdnr. 40 ff.; Schlette in Hauck/Noftz, § 23 SGB XII Rdnr. 86a [Juni 2019]; a.A. Siefert in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 23 Rdnr. 99 m.w.N. [1. Überarbeitung]); daran fehlt es im Fall der Antragstellerin aber, weswegen sie konsequenterweise auch keine Überbrückungsleistungen beantragt hat.

bb) Die Härtefallregelungen des § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII sind, wie der Senat ebenfalls bereits dargelegt hat (Urteil des Senats vom 7. November 2019 – L 7 SO 934/19 – zur Veröffentlichung vorgesehen) auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen dahingehend weit auszulegen, dass allein der Aufenthalt im Bundesgebiet einen Härtefall begründe bzw. dass die Voraussetzungen der Härtefallregelungen vorlägen, wenn der betroffene Unionsbürger die Vermutung eines Freizügigkeitsrechts für sich in Anspruch nehmen kann und die Ausländerbehörde aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht ergriffen hat, sein Aufenthalt also faktisch geduldet werde (so aber LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Juli 2019 – L 15 SO 181/18 – juris Rdnr. 63). Dass das bloße Nichthandeln der deutschen Ausländerbehörde auf Seiten des Ausländers einen Härtefall nicht begründen kann, liegt auf der Hand. Für eine großzügige Auslegung besteht zudem weder Anlass noch Raum. Wie bereits oben dargelegt, ist der Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII mit dem Grundgesetz vereinbar. Ob es der Härtefallregelung aus verfassungsrechtlicher Sicht bedurfte, kann der Senat dahinstehen lassen. Jedenfalls genügt die Härtefallregelung den verfassungsrechtlichen Erfordernissen. Das Postulat, die Bundesrepublik Deutschland müsse jedem, der sich in ihrem Gebiet aufhält, diesen Aufenthalt durch die Gewährung von existenzsichernden Sozial(hilfe)leistungen ermöglichen, ist rechtspolitischer Natur, findet aber im geltenden Verfassungsrecht keine Grundlage (vgl. auch Thym, NVwZ 2015, 1625 [1630 f.]; Ulmer, ZRP 2016, 224 ff.).

Die gegenteilige Auffassung kann sich auch nicht auf die Rechtsprechung des BVerfG berufen. Im Gegenteil hat das BVerfG in seinem sog. Sanktionenurteil entschieden, dass auch ein vollständiger Leistungsausschluss gerechtfertigt ist, wenn der Betroffene es selbst in der Hand hat, seine menschenwürdige Existenz tatsächlich und unmittelbar selbst zu sichern (BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 – juris Rdnr. 209). Diese Formulierung bezog sich aufgrund des Gegenstands der dortigen Entscheidung auf die Möglichkeit, eine Arbeit aufzunehmen. Unterlässt dies der Betroffene, ist der Gesetzgeber trotz objektiv bestehender Hilfebedürftigkeit nicht verpflichtet, ihm Leistungen zu gewähren. Für denjenigen, der zumutbar in sein Heimatland ausreisen kann, dies aber nicht tut und deswegen im Inland objektiv hilfebedürftig ist, kann nichts anderes gelten.

Eine gleichwohl weite Auslegung des § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII durch die rechtsprechende Gewalt würde deren Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) verletzen. Die Grenzen der Gesetzesauslegung, die der Wahrung dieser Bindung dienen sollen, gelten auch für die sog. verfassungskonforme Auslegung. Namentlich ist eine Auslegung – auch eine (vermeintlich) verfassungskonforme Auslegung – gegen den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht zulässig (st. Rechtsprechung des BVerfG, siehe etwa BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 2014 – 1 BvR 2142/11 – juris Rdnr. 86, 93 m.w.N. = BVerfGE 138, 64 [93 ff.]). Anderenfalls könnten die Gerichte der rechtspolitischen Entscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers vorgreifen oder diese unterlaufen (BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 2014 – 1 BvR 2142/11 – juris Rdnr. 86 m.w.N. = BVerfGE 138, 64 [94]). Auch richterliche Rechtsfortbildung darf nicht dazu führen, dass der Richter seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzt (BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2011 – 1 BvR 918/10 – juris Rdnr. 52 m.w.N. = BVerfGE 128, 193 [210]).

Der eindeutige, in den Gesetzesmaterialien belegte Wille des Gesetzgebers war es indes ausdrücklich gerade, die Rechtsprechung des BSG zu § 23 Abs. 1 SGB XII a. F. zu korrigieren (Begründung des Entwurfes eines Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, Bundestags-Drucksache 18/10211, S. 1 f., 15) und (auch) EU-Ausländer unter den in § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII genannten Voraussetzungen vom Leistungsanspruch auszunehmen sowie Leistungen nur im (eng verstandenen) Härtefall und auch dann nur vorübergehend zu gewähren (Begründung des Entwurfes eines Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, Bundestags-Drucksache 18/10211, S. 16 f.: "Hierbei handelt es sich um eine Regelung, die lediglich bei Vorliegen besonderer Umstände eingreift, um im Einzelfall für einen begrenzten Zeitraum unzumutbare Härten zu vermeiden, nicht um eine Regelung, mit der ein dauerhafter Leistungsbezug ermöglicht wird. Von einer Unmöglichkeit der Ausreise ist insbesondere auszugehen, wenn eine amtsärztlich festgestellte Reiseunfähigkeit vorliegt."). Dieser Wille würde ebenso wie der Normbefehl des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII n.F. unterlaufen, wenn im Rahmen der Härtefallregelungen des § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII n.F. gleichwohl ein letztlich zeitlich unbeschränkter Leistungsanspruch etabliert würde, der vom Handeln der Ausländerbehörde abhängig wäre. Der Gesetzgeber hat den Wegfall des Anspruchsausschlusses aufgrund bloßen tatsächlichen Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland in § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII n.F. selbst – und abschließend – geregelt und lässt den Anspruchsausschluss in den Fällen des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB XII gerade erst nach fünf Jahren Aufenthalt ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet entstehen (hierzu auch Begründung des Entwurfes eines Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, Bundestags-Drucksache 18/10211, S. 16). Dem zum Trotz einen Anspruch nach § 23 Abs. 1 SGB XII oder außerhalb von Härtefallkonstellationen nach § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII schon vor Ablauf von fünf Jahren anzunehmen, ist mit der Bindung an Recht und Gesetz nicht mehr vereinbar. Abgesehen davon, dass es für einen Vorrang des (repressiven) Ausländerrechts vor dem gewährenden Sozialrecht keine gesetzliche Grundlage gibt, wäre gerade ein solches Junktim zwischen Leistungsausschluss und Vornahme aufenthaltsbeendender Maßnahmen aus verfassungsrechtlicher Sicht prekär: Der Staat würde dazu gedrängt werden, einen Grundrechtseingriff – die Beendigung des Aufenthaltes im Bundesgebiet – vorzunehmen, um eine lediglich leistungsrechtliche Rechtsfolge – die Nichtfinanzierung eben jenes Aufenthaltes – zu ermöglichen (so zutreffend auch Ulmer, ZRP 2016, 224 [226]).

d) Einer Beiladung des örtlich zuständigen Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende bedurfte es nicht.

Zwar kann gemäß § 75 Abs. 5 SGG unter anderem ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach Beiladung verurteilt werden. Unabhängig von der (überwiegend allerdings bejahten) Frage, ob § 75 Abs. 5 SGG im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (entsprechend) anwendbar ist, war eine Beiladung des örtlich zuständigen Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter dem Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) nicht erforderlich. Denn die Antragstellerin verfolgt ihr Begehren gegen den örtlich zuständigen SGB II-Leistungsträger gesondert; derzeit ist insoweit beim LSG Baden-Württemberg die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des SG vom 21. Oktober 2019 im Verfahren S 13 AS 3244/19 ER anhängig (L 12 AS 3875/19 ER-B).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

4. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war mangels Erfolgsaussichten der Beschwerde abzulehnen (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Damit kommt auch die begehrte Beiordnung einer Rechtsanwältin nicht in Betracht.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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