S 5 AS 306/13

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 5 AS 306/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 02.07.2012, 13.07.2012 und 23.07.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2013 sowie des Änderungsbescheides vom 11.03.2013 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 01.11.2011 bis 31.07.2012 einen Mehrbedarf für Alleinerziehende für die Betreuung und Pflege ihrer Tochter D. zu gewähren und dem Kläger in diesem Zeitraum Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt 9/13 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende nach dem SGB II.

Die Klägerin ist alleinerziehende Mutter von vier Kindern. Zum maßgeblichen Zeitraum ab Oktober 2011 lebte sie mit dem Kläger, ihrem Sohn, sowie einem weiteren volljährigen Sohn zusammen. Die beiden Töchter der Klägerin, D. (geb. 1995) und E. (geb. 1994), besuchten eine Schule für Gehörlose, um das Abitur zu erlangen. Sie waren in Internaten in F-Stadt und G-Stadt vollstationär untergebracht. Der Vater der Kinder hielt sich in den USA auf und beteiligte sich weder finanziell noch bei der Erziehung der Kinder.

Mit Bescheid vom 26.08.2011 gewährte die Beklagte der Klägerin, dem Kläger sowie den beiden Töchtern für den Zeitraum vom 01.09.2011 bis 29.02.2011 unter Anrechnung von Kindergeld und Erwerbseinkommen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II in Höhe von monatlich 797,00 Euro. Mit Bescheid vom 24.10.2011 hob die Beklagte die Leistungsbewilligung für die Zeit ab 01.11.2011 auf und bewilligte nur noch Leistungen für die Klägerin und den Kläger in Höhe von monatlich 142,00 Euro. Die beiden Töchter der Klägerin seien seit der Unterbringung in Internaten für Gehörlose nicht mehr leistungsberechtigt, weil ihr gesamter Bedarf über den Landeswohlfahrtsverband abgedeckt werde. Weitere Leistungen für den Zeitraum vom 01.03.2012 bis 31.08.2012 gewährte die Beklagte mit Bescheiden vom 07.03.2012, 13.07.2012 und 23.07.2012.

Am 21.06.2012 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Bescheides vom 24.10.2011. Fehlerhaft seien ihre beiden Töchter komplett aus der Leistungsberechnung herausgenommen worden. Sie bilde mit diesen an den Wochenenden und in den Ferien eine temporäre Bedarfsgemeinschaft.

Mit Bescheid vom 02.07.2012 lehnte die Beklagte eine Änderung des zur Überprüfung gestellten Bescheides ab. Die Zuständigkeit im Falle stationärer Leistungen beim Besuch einer Schule läge komplett beim Landeswohlfahrtsverband bzw. beim Amt für Soziale Arbeit.

Der Bevollmächtigte der Kläger legte gegen die Bescheide vom 02.07.2012 sowie gegen die Änderungsbescheide vom 13.07.2012 und vom 23.07.2012 Widerspruch ein und stellte die seit dem 24.10.2011 ergangenen Leistungsbescheide zur Überprüfung. Die Bescheide seien rechtswidrig, weil der Klägerin kein Mehrbedarf für Alleinerziehende gewährt worden sei. Sie lebe nach wie vor mit ihren Töchtern zusammen und sei alleine für deren Pflege und Erziehung zuständig. Der Internatsaufenthalt stehe dem nicht entgegen.

Mit Widerspruchbescheid vom 04.03.2013 half die Beklagte dem Widerspruch hinsichtlich der zunächst ebenfalls streitigen Berechnung der Einkommensfreibeträge ab und wies die Widersprüche im Übrigen zurück. Ein Änderungsbescheid hinsichtlich der veränderten Einkommensanrechnung erging am 11.03.2013. Die Beklagte führte aus, ein Alleinerziehendenzuschlag für die beiden auswärts untergebrachten Töchter sei nicht zu gewähren. Bei einer überwiegenden Abwesenheit eines minderjährigen Kindes während der Woche liege kein Zusammenleben vor. Darüber hinaus fehle es an einem höheren Zeitaufwand durch das alleinige Erziehen und an dadurch verursachten Mehrkosten für die Lebensführung. Mehrkosten für Alleinerziehende fielen im Allgemeinen für die Kontaktpflege mit anderen Erwachsenen und für gelegentliche Dienstleistungen an sowie aufgrund der fehlenden Flexibilität z.B. für weniger preisgünstige Einkäufe.

Die Kläger haben binnen Monatsfrist Klage erhoben. Der Klägerin sei wegen der alleinigen Erziehung und Pflege ihrer Töchter ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB II zu gewähren. Denn trotz der Unterbringung ihrer Töchter im Internat lebten diese nach wie vor in der Familienwohnung und seien am Wochenende und in den Ferien regelmäßig zuhause. In Krankheitsfällen hielten sich die Töchter ebenfalls im häuslichen Umfeld auf und während ihrer Anwesenheit im Internat halte die Klägerin ständigen Kontakt über Skype. Der Mehrbedarfszugschlag sei als Pauschale ausgestattet. Maßgeblich sei die alleinige Erziehung und Pflege, nicht die tatsächlich entstandenen Kosten. Da die ältere Tochter E. am 02.03.2012 das 18. Lebensjahr vollendete, sei für diese für den Zeitraum von November bis zur Vollendung ihrer Volljährigkeit der beantragte Mehrbedarf zu erbringen.

Die Kläger beantragen,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 02.07.2012, 13.07.2012 und 23.07.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2013 sowie des Änderungsbescheides vom 11.03.2013 zu verurteilen, ihnen Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.11.2011 bis 31.07.2012 in gesetzlich zustehender Höhe zu gewähren,
hilfsweise und ergänzend,
die Beklagte unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2013 zu verurteilen, eine Kostenentscheidung zu treffen, wonach die Beklagte den Klägern die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwenigen Aufwendungen für die Widerspruchsverfahren zur Hälfte zu erstatten hat und wonach die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für die Widerspruchsverfahren für notwendig erklärt wird.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Ergänzend zu ihrem Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren führt die Klägerin aus, sie sei alleine für die gesamte Organisation z.B. auch hinsichtlich der Arzttermine und der Kontrolle der Hörgeräte zuständig und begleite ihre Kinder auch während der Abwesenheitszeiten durch ständige Kontakte. Die emotionale Betreuung der Kinder und Lösung von Problemen hänge an ihr. Die Schule kontrolliere im Wesentlichen die Anwesenheitszeiten. Die emotionale Nähe, gesamte Organisation und Erziehung werde von der Mutter erbracht.

Die Klägerin hat sodann eine Aufstellung der beiden Gehörlosenschulen eingereicht, mit einer Aufschlüsselung der Zeiten, in denen die beiden Töchter nicht in der Schule waren. Danach stellte sich der Aufenthalt der Kinder wie folgt dar:

D., geb. 1995:
Monate Tage am Wohnort Reine Schultage Reisetage
Nov. 2011 9 12 9
Dez. 2011 16 10 7
Jan. 2012 14 10 6
Febr. 2012 8 15 5
März 2012 10 13 6
April 2012 20 6 4
Mai 2012 12 10 9
Juni 2012 9 12 9
Juli 2012 24 6 1

gesamt: Wohnort 122; Schule 94; Reisetage 56

E., geb. 1994:
Monate Tage am Wohnort Reine Schultage Reisetage
Nov. 2011 10 13 7
Dez. 2011 11 15 5
Jan. 2012 9 17 5
Febr. 2012 6 14 9

gesamt: Wohnort: 36; Schule 59; Reisetage 26

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die bei der Entscheidung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 124 Abs. 2 SGG.

Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide vom 02.07.2012, 13.07.2012 und 23.07.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2013 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 11.03.2013 beschwert i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, denn diese sind rechtswidrig. Die Beklagte war verpflichtet, unter Aufhebung des Bescheides vom 02.07.2012 die für den Zeitraum vom 01.11.2011 bis 31.07.2012 ergangenen Leistungsbescheide abzuändern und der Klägerin einen Mehrbedarf für Alleinerziehende wegen der Erziehung und Pflege ihrer Tochter D. zu gewähren. Der Leistungsanspruch des Klägers war aufgrund des geringeren Einkommensüberschusses der Klägerin zu erhöhen. Im Übrigen ist die Entscheidung der Beklagten nach der erfolgten Teilabhilfe rechtmäßig.

Nach § 44 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Deshalb war auch der nach § 44 SGB X zur Überprüfung gestellte Bescheid vom 24.10.2011 trotz seiner Bestandskraft abzuändern.

Die Kläger erfüllen im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.11.2011 bis 31.07.2012 die Voraussetzungen für einen Anspruch auf SGB II-Leistungen nach § 19 i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Insbesondere waren beide erwerbsfähig, hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und konnten ihren Lebensunterhalt nicht durch ihr Einkommen und Vermögen decken.

Der von der Klägerin geltend gemachte Mehrbedarf ist Bestandteil der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts und stellt keinen eigenständigen, von der Regelleistung abtrennbaren Streitgegenstand dar (BSG v. 03.03.2009 – B 4 AS 50/07 R). Durch die Gewährung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende für die Klägerin verringert sich das auf den Bedarf des Klägers angerechnete Einkommen der Klägerin, wodurch sich auch sein Regelbedarf erhöht.

Nach § 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB II ist für Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ein Mehrbedarf in Höhe von 12 Prozent des nach § 20 Abs. 2 SGB II maßgebenden Bedarfs für jedes Kind anzuerkennen.

Die Klägerin lebte im streitgegenständlichen Zeitraum von November 2011 bis Juli 2012 mit ihren beiden Töchtern zusammen. Aufgrund der regelmäßigen Aufenthaltszeiten im Internat und der Versorgung mit Lebensmitteln in der Schule lag zwar nur eine sog. temporäre Bedarfsgemeinschaft vor. Die beiden Töchter gehörten aber jedenfalls der Haushaltsgemeinschaft an. Dabei kommt es auf das Bestehen einer Familien- oder Haushaltsgemeinschaft als Schnittstelle von Merkmalen örtlicher (Familienwohnung), materieller (Vorsorge, Unterhalt) und immaterieller Art (Zuwendung von Fürsorge, Begründung eines familienähnlichen Bandes) an (Behrend in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 21 Rn. 30). Beide Kinder hielten sich außerhalb der Schulzeiten regelmäßig in der Familienwohnung auf. Sie hatten dort ihren Lebensmittelpunkt und erhielten die notwendige immaterielle Fürsorge. Lediglich die materielle Versorgung wurde durch den Landeswohlfahrtsverband abgedeckt.

Die Klägerin hat im maßgebenden Zeitraum die alleinige Pflege und Erziehung im Sinne des § 21 Abs. 3 SGB II für ihre Tochter D. übernommen. Der Begriff der Pflege meint nicht die Pflege im Sinne der Pflegeversicherung sondern erfasst die Sorge und Fürsorge für das körperliche Wohl des Kindes. Die Erziehung beinhaltet die Sorge für die seelische und geistige Entwicklung. Gemeint sind sämtliche Hilfestellungen im Bereich der elementare Lebensbedürfnisse der Kinder, insbesondere bei der Verköstigung, Bekleidung, ordnender Gestaltung des Tagesablaufs und die ständig abrufbereite emotionale Zuwendung, die wegen der naturgegebenen Betreuungsbedürftigkeit der Kinder gewährt werden müssen. Darüber hinaus sind aber auch weitere, mit der erzieherischen Verantwortung zusammenhängende Handlungen erfasst, wie beispielswiese die Rücksprachen mit Lehrern und anderen Bezugs- und Betreuungspersonen des Kindes (Behrend in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 21 Rn. 32).

Nach der Rechtsprechung des BSG liegt die Anspruchsvoraussetzung der "alleinigen Sorge für die Pflege und Erziehung" im Sinne des § 21 Abs. 3 SGB II vor, wenn der hilfebedürftige Elternteil während der Betreuungszeit von dem anderen Elternteil, Partner oder einer anderen Person nicht in einem Umfang unterstützt wird, der es rechtfertigt, von einer nachhaltigen Entlastung auszugehen (Urteile v. 23.08.2012 – B 4 AS 167/11 R; v. 02.07.2009 – B 14 AS 54/08 R; v. 03.03.2009 – B 4 AS 167/11 R). Entscheidend ist, ob eine andere Person in erheblichem Umfang bei der Pflege und Erziehung mitwirkt, wobei allein auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen ist.

Sinn und Zweck des Mehrbedarfszuschlags für Alleinerziehende ist ein Ausgleich für die besondere Bedarfssituation, die durch besondere Lebensumstände Alleinerziehender geprägt ist. In dieser Situation entsteht typischerweise ein zusätzlicher Bedarf (Münder in: LPK-SGB II, 3. Aufl. 2012 § 21 Rn.12). Es wird davon ausgegangen, dass Alleinerziehende wegen der Sorge für ihre Kinder weniger Zeit haben, preisbewusst einzukaufen und höhere Aufwendungen für die Kontaktpflege und oder etwa für externen Rat in Betreuungs-, Gesundheits- und Erziehungsfragen benötigen (BT-Drucks 10/3079 S. 5; BSG v. 03.03.2009 - B 4 AS 50/07 R; v. 23.08.2012 - B 4 AS 167/11 R; Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 21 Rn. 28; Düring in Gagel, SGB II/SGB III Std. 06/2016, § 21 Rn. 19 und Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, K § 21 Rn. 31 ff). Der Gesetzgeber hat sich dabei, wie in den weiteren in § 21 SGB II genannten Mehrbedarfen, für eine pauschale Leistungserbringung entschieden, so dass es auf einen konkreten Bedarf der Klägerin nicht ankommt. Höhere Kosten, beispielsweise für Kosten der Kinderbetreuung zur Aufrechterhaltung der Außenkontakte oder auch für weniger preisbewusstes Einkaufen, fallen bei älteren Kindern, die auch ohne Betreuung in der Familienwohnung verbleiben können, regelmäßig nicht an. Indes unterstellt das Gesetz einen Pflege- und Erziehungsbedarf bis zur Volljährigkeit (Behrend in: Schlegel/Voelzke, juris-PK-SGB II, § 21 Rn. 32).

Eine auswärtige Unterbringung im Internat steht als solches einem Mehrbedarf für Alleinerziehende im gesetzlichen Sinne nicht entgegen. Es ist anerkannt, dass Zeiten der Unterbringung in einem Hort oder Kindergarten, sowie durch eine Haushaltshilfe den Mehrbedarf nicht ausschließen (zum BSHG: OVG Lüneburg v. 28.03.1979 - IV A 172/77). Auch die Unterbringung in einem Frauenhaus (VG Köln v. 28.01.1988 - 5 K 5420/86) oder in einer Gemeinschaftsunterkunft mit Kinderbetreuungsangebot (OVG Berlin v. 06.06.1996 - 6 S 261.95) steht der Gewährung nicht entgegen.

Bei getrennt lebenden Eltern, die sich die Fürsorge und Pflege des Kindes hälftig teilen und sich in größeren, mindestens eine Woche umfassenden Intervallen abwechseln, hat das Bundessozialgericht - abweichend vom sonst geltenden Alles-oder-Nichts-Prinzip - die hälftige Aufteilung des Mehrbedarfszuschlags anerkannt (BSG, Urteil v. 03.03.2009, B 4 AS 50/07 R). Hält sich ein Kind dagegen bei monatlicher Betrachtung zu 60 % bei einem Elternteil auf und zu 40 % beim anderen Elternteil und sichert der zu geringerem Teil betreuende Elternteil die Betreuung nicht regelmäßig für mindestens eine Woche, wird der überwiegend betreuende Elternteil nicht so nachhaltig entlastet, dass eine Aufteilung des Mehrbedarfszuschlags gerechtfertigt ist (LSG Schleswig-Holstein v. 17.01.2014, L 3 AS 119/11 ZVW). Nur bei einer hälftigen Betreuung in größeren Intervallen ist eine faktische Verbesserung der Betreuungssituation anzunehmen, die zu einer erheblichen Entlastung der schwierigen Erziehungssituation des Alleinerziehenden führt (BSG, Urteil v. 03.03.2009, B 4 AS 50/07 R). Dies entspricht der zivilrechtlichen Rechtsprechung, in der der BGH bei Betreuungsanteilen von 60:40 die beiderseitige Barunterhaltspflicht abgelehnt hat (LSG Schleswig-Holstein v. 17.01.2014, L 3 AS 119/11 ZVW m.w.N).

Unter Beachtung der in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze war die Entlastung der Klägerin durch die auswärtige Unterbringung der Tochter D. nicht so nachhaltig, dass sie den gesetzlich vorgesehenen Mehrbedarf für Alleinerziehende entfallen ließ. Zwar war die Tochter regelmäßig von Montag bis Freitag in der Schule untergebracht und nur von Freitagmittag bis zum frühen Montagmorgen zuhause. Hinzu kamen jedoch die gesamten Ferien von 12 Wochen im Jahr sowie die langen Wochenenden mit Feiertagen und Krankheitszeiten, so dass die Klägerin mehr als 50 % der Zeit alleine für die Erziehung, Fürsorge und Pflege ihrer Tochter zuständig war. D. ist regelmäßig am Montagmorgen um 8.15 Uhr in der Schule angekommen und hat die Schule freitags gegen 13.00 Uhr verlassen. Insgesamt war sie im Zeitraum von November 2011 bis Juli 2012 an 122 Tagen zuhause, an 94 Tagen in der Schule und die Reisetage (idR Montag und Freitag) machten 56 Tage aus. Die Tochter der Klägerin war in diesem Zeitraum nur während einer Klassenfahrt einmal sieben zusammenhängende Tage in der Schule. Die Klägerin hatte damit trotz der auswärtigen Unterbringung der Tochter keine Entlastung in größeren Intervallen, von mindestens einer Woche. Gerade diese längeren Entlastungszeiträume stellen aber ein wichtiges Kriterium für das Entfallen der besonderen Bedarfssituation dar, denen Alleinerziehende ausgesetzt sind. In größeren Betreuungsintervallen von mindestens einer Woche wirkt sich die fehlende Arbeitsteilung erheblich aus. Die erhöhten Aufwendungen lassen sich in Fällen, in denen sich das Kind mindestens eine Woche bei einem Elternteil aufhält, nicht außerhalb der Betreuungszeit im erforderlichen Umfang kompensieren (BSG, Urteil vom 03. März 2009 - B 4 AS 50/07 R).

Die Klägerin ist auch nicht gleichzusetzten mit einem Elternteil, bei dem der andere Elternteil z.B. wegen einer Montagetätigkeit annähernd die Hälfte der Zeit nicht am Familienstandort beschäftigt ist (vgl. hierzu, LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 23.05.2012, L 5 AS 456/11 B ER). Denn in dieser Situation hat die Familie regelmäßig eine Arbeitsteilung vereinbart, wonach der auswärts arbeitende Elternteil sich um die finanzielle Versorgung der Familie kümmert, während der andere im Wesentlichen für den Haushalt und die Kinderbetreuung zuständig ist. Die Klägerin als Alleinerziehende hatte jedoch - mit Ausnahme der Aufsicht über die Kinder während der Schulzeiten - keine Person zur Verfügung, mit der Sie sich die anfallenden Arbeiten, etwa hinsichtlich der finanziellen Versorgung, Haushaltsführung, handwerklicher Tätigkeiten, Behördenangelegenheiten oder der Kinderbetreuung aufteilen konnte. Zudem steht der beruflich unter der Woche abwesende Elternteil in der Regel für den emotionalen Austausch über Alltags- und Erziehungsprobleme zumindest telefonisch und an den Wochenenden zur Verfügung und verbringt die Urlaubszeiten mit der Familie. Die Klägerin musste aber Erziehungsschwierigkeiten alleine lösen, ihrer Tochter emotional zur Seite stehen und die Organisation für Schule, Arzt- und Behördentermine, Versorgung mit Kleidung usw., alleine bewerkstelligen. Mit dem Merkmal der Alleinerziehung verbindet der Gesetzgeber schon nach dem Wortlaut der Regelung eine besondere Familienkonstellation und knüpft dabei an die Hauptverantwortung für ein Kind an (Behrend in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 21 Rn. 32).

Etwas anders stellt sich die Situation bei der älteren Tochter E. dar. Im streitgegenständlichen Zeitraum von November 2011 bis Februar 2012 war diese an 36 Tage komplett zu Hause, an 59 Tagen in der Schule und 26 Tage entfielen auf die An- und Abreise. Das Gericht geht davon aus, dass - wie bei D. - die Abreise zur Schule bereits sehr früh am Montagmorgen stattfand und die Tochter am Freitagnachmittag nachhause kam. Berücksichtigt man jeweils den Freitag als Zeit, in der die Mutter sich überwiegend um die Tochter kümmerte, so kann man nach Auffassung des Gerichts die Montage, an denen die Tochter wohl deutlich vor 8 Uhr die Familienwohnung verlassen hat, nicht der alleinigen Betreuung der Mutter zuordnen. Wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung geschildert hat, waren der Tochter die Fahrten in das 230 km entfernte Internat in G-Stadt zu anstrengend. Sie ist deshalb häufiger auch am Wochenende in der Schule geblieben. Dies hat zu einer Entlastung der Mutter auch in größeren Intervallen von mindestens einer Woche geführt. Auch unter Betrachtung eines längeren Zeitraums bis Juli 2012, der in der Aufstellung der Schule enthalten ist, ergibt sich ein Aufenthalt in der Schule von etwas mehr als 50 %. Wenn man für die Bewertung des Mehrbedarfs für Alleinerziehenden keine größeren Zeitabschnitte, sondern eine monatsweisen Betrachtung anstellte, käme wegen der Betreuung der Tochter E. die Gewährung eines Mehrbedarfs in den Monaten mit Ferienzeiten, etwa im April oder Juli in Betracht. Im hier streitgegenständlichen Zeitraum ergibt sich aber in keinem Monat ein überwiegender Aufenthalt der Tochter in der Familienwohnung in A-Stadt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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