S 6 AS 2693/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Heilbronn (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AS 2693/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 12.01.2017, 19.07.2017 und 25.07.2017 und des Widerspruchsbescheids vom 25.07.2017 verurteilt, den Klägern für den Zeitraum 01.12.2016 bis einschließlich 30.11.2017 höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch unter Berücksichtigung einer monatlichen Bruttokaltmiete von 650 EUR zu gewähren. 2. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger.

Tatbestand:

Die Kläger begehren die vollständige Übernahme ihrer Miete.

Die 19XX und 19XX geborenen, erwerbsfähigen Kläger Ziffer 1 und 2 stehen beim Beklagten gemeinsam mit ihrer am XXX geborenen Tochter in Leistungsbezug. Sie lebten im streitigen Zeitraum zusammen in einer Mietwohnung in der XXX in Heilbronn mit einer Wohnfläche von 100 Quadratmeter. Ausweislich des Mietvertrags vom XXX begann das Mietverhältnis am XXX. Die Miete betrug 550 EUR Kaltmiete im Monat zuzüglich 100 EUR für kalte Nebenkosten.

Mit Bescheid vom XXX bewilligte der Beklagte den Klägern zunächst Leistungen in Höhe von 0 EUR für den Dezember 2016, 71,98 EUR für den Januar, jeweils 521,98 EUR für Februar bis April, 503,21 EUR für den Mai und jeweils 459,42 EUR für Juni bis November 2015. Hierbei berücksichtigte der Beklagte in seiner Berechnung einen Bedarf von 383 EUR Grundmiete und 87 EUR Nebenkosten.

Hiergegen legten die Kläger Widerspruch ein. Zur Begründung führte die Klägervertreterin aus, dass schon vor der Geburt eines Kindes dieses als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft hinsichtlich der Unterkunftskosten anzusehen sei. Ferner legte sie Unterlagen zu Heizkosten und zum Einkommen des Klägers vor.

Mit Änderungsbescheid vom XXX bewilligte der Beklagte den Klägerinnen Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 614,79 EUR für den Mai 2017, 773,42 EUR für Juni und Juli 2017 und 503,41 EUR für August bis November 2017. Nach der Geburt von XXX, der Klägerin Ziff. 3, berücksichtigte der Beklagte diese bei der Bedarfsgemeinschaft und gewährte einen Mehrbedarf für werdende Mütter. Ab Mai berücksichtigte der Beklagte monatlich 547 EUR als Bruttokaltmiete.

In der Folge gab der Beklagte dem Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25.07.2017 teilweise statt und bezog sich hierbei auf den Änderungsbescheid vom gleichen Tag. In diesem Änderungsbescheid bewilligte der Beklagte Leistungen für Januar 2017 in Höhe von 730,22 EUR, für Februar bis April 2017 in Höhe von 598,98 EUR, für Mai 2017 in Höhe von 614,93 EUR, für Juni und Juli 2017 in Höhe von 775,34 EUR und für August bis November 2017 in Höhe von 505,33 EUR. Grund für die Änderungen war, dass im Januar 2017 kein Lohn zugeflossen und einmalige Heizkosten berücksichtigt wurden sowie ein Mehrbedarf für dezentrale Warmwasseraufbereitung. Ab 01.12.2016 berücksichtigte der Beklagte aufgrund der Schwangerschaft Kosten der Unterkunft in Höhe von insgesamt 547 EUR (461 EUR Grundmiete und kalte Nebenkosten von 86 EUR). Im Übrigen wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, dass sich der Richtwert für die angemessenen Kosten der Unterkunft – Bruttokaltmiete – auf 547 EUR belaufe.

Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Klage. Die Kläger tragen insbesondere vor, das Konzept der Beklagten zur Bestimmung angemessener Unterkunftskosten sei nicht schlüssig. Es werde auf die Daten eines Mietspiegels gestützt, die nicht umfangreich genug seien, um zu einem aussagekräftigen Ergebnis zu gelangen.

Das Gericht hat den Rechtsstreit mit den Beteiligten am 13.06.2018 erörtert. Wegen des Inhalts wird die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Im Nachgang zum Erörterungstermin hat das Gericht dem Beklagten aufgegeben, folgende Themenbereiche zu erläutern und Fragen zu beantworten:

– Wie stellt sich die Verteilung der 1201 vollgültigen, in die Berechnung mit einbezogenen Mietwerte hinsichtlich der örtlichen Verteilung im Vergleichsraum dar (vor und nach Extremwertkappung)?

– Die durch die Mieterbefragung erhobenen Werte wurden durch Datensätze aus dem Jobcenter ergänzt. Hierbei ist noch völlig unklar, nach welchen Parametern die Datensätze des Jobcenters ausgewählt worden sind. Des Weiteren ist unklar, ob durch den Beklagten die von den Leistungsbeziehern tatsächlich gezahlte Miete oder die vom Beklagten als angemessen angesehene Miete an XXX übermittelt worden ist. Des Weiteren ist nicht klar, welcher Stichtag hinsichtlich der zu zahlenden Miete zugrunde gelegt worden ist.

– Da die vom XXX auf Seite 16 des Konzepts genannten 65 Wohnangebote zum Thema Angebotsmiete nicht im Original, also weder als Ausdruck, Screenshot oder Kopie vorliegen, wird der Zeuge zumindest die von der XXX GmbH in eine Datenbank aufgenommenen Daten an das Gericht übermitteln.

– Da eine solche Gegenüberstellung bislang nicht vorgenommen worden ist, wird der Beklagte eine Aufstellung der Anzahl der Haushalte der SGB II- und SGB XII-Bezieher, welche, das derzeitige Konzept zugrunde gelegt, in Zweipersonenhaushalten in unangemessenem Wohnraum wohnen, vorlegen.

– Da die Parameter, welche hinsichtlich der kalten Betriebskosten im an XXX übermittelten SGB II-Datensatz des Jobcenters bislang nicht klar sind, wird der Beklagte den Modus darstellen, nach welchem letztendlich die Betriebskosten innerhalb des Jobcenters ermittelt wurden.

– Wie stellt sich die Verteilung der in die Berechnung mit einbezogenen Mietwerte hinsichtlich der Verteilung auf das Stadtgebiet Heilbronn dar (vor und nach Extremwertkappung)?

– Des Weiteren wurde durch Sie zugesagt, die von XXX GmbH an Sie übermittelten Daten für Wohnungen mit 61-75 Quadratmeter vorzulegen.

Der Beklagte hat im Anschluss unter anderem eine Liste der Drei-Personen-Bedarfsgemeinschaften übermittelt, denen nicht die tatsächliche Bruttokaltmiete bewilligt werden (ab Bl. 88/90 d.A.). In der vierseitigen Tabelle sind über 100 Bedarfsgemeinschaften aufgelistet. Des Weiteren hat der Beklagte mitgeteilt, dass eine Nachfrage beim Amt für Familie, Jugend und Senioren der Stadt Heilbronn ergeben habe, dass im Bereich des SGB XII 94 Haushalte hinsichtlich der Kosten der Unterkunft über den Richtwerten lägen. Hierbei handele es sich ganz überwiegend um Ein- bis Zwei-Personenhaushalte. Eine genauere Aufteilung sei nicht möglich.

Des Weiteren hat der Beklagte eine Excel-Tabelle über die Angebotsmieten, die Bestandsmieten vor Extremwertkappung sowie die Betriebs- und Heizkosten vorgelegt.

Des Weiteren ist die Suchmaske der XXX hinsichtlich der Angebotsmieten übermittelt worden (Bl. 48 d.A. Rückseite). Ferner hat der Beklagte das Konzept zur Ermittlung der angemessenen Bedarfe für Unterkunft vorgelegt (Bl. 93ff d. A.). Auf den Inhalt wird Bezug genommen. In der Folge haben die Beteiligten auf ihre Argumentation im Musterverfahren zum 2-Personen-Haushalt (S 7 AS 1912/17, Urteil vom 13.02.2019) Bezug genommen.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 12.01.2017, 19.07.2017 und 25.07.2017 und des Widerspruchsbescheids vom 25.07.2017 zu verurteilen, den Klägern für den Zeitraum 01.12.2017 bis einschließlich 30.11.2018 höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch unter Berücksichtigung einer monatlichen Bruttokaltmiete von 650 EUR zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten das Ruhen des Verfahrens für das Folgeverfahren bezüglich des Zeitraums Februar bis Oktober 2018 beantragt (S 6 AS 2643/18).

Für den weiteren Sach- und Streitstand wird ergänzend auf die Gerichts- und Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten. Die Kläger haben einen Anspruch auf Berücksichtigung einer angemessenen monatlichen Bruttokaltmiete i.H.v. 650 EUR bei der Gewährung ihres Leistungsanspruchs.

Der Anspruch ergibt sich aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, da die Bruttokaltmiete der Kläger in Höhe von 650 EUR angemessen ist. Das schlüssige Konzept des Beklagten hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Abzustellen ist daher auf die Werte des Wohngeldgesetzes zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10 %. Die Bruttokaltmiete der Kläger von 650 EUR liegt innerhalb des so ermittelten Wertes von 688,60 EUR und ist angemessen.

Zur Begründung verweise ich zunächst auf die Ausführungen der 7. Kammer zum 2-Personen-Haushalt (S 7 AS 1912/17, Urteil vom 13.02.2019):

"Dies folgt aus § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II. Hiernach werden im Rahmen des SGB II Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind.

Hinsichtlich der Kriterien der Angemessenheitsprüfung gem. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II wird auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts verwiesen, nach welcher ein durch den Beklagten erstelltes "schlüssiges Konzept" zur Begrenzung der tatsächlichen Aufwendungen erforderlich ist (vgl. hierzu und im Folgend BSG, Urteil vom 10.09.2013 -B 4 AS 77/12 R- Rn. 19 ff. in juris):

"Die Angemessenheitsprüfung hat unter Berücksichtigung des allgemeinen Gleichheitssatzes nach einheitlichen Kriterien zu erfolgen. [ ] Zur Konkretisierung der Angemessenheitsgrenze ist auf einer ersten Stufe eine abstrakte und auf einer zweiten Stufe eine konkret-individuelle Prüfung vorzunehmen. Im Rahmen der Prüfung abstrakter Angemessenheit werden zunächst die abstrakt angemessene Wohnungsgröße und der Wohnungsstandard bestimmt sowie anschließend festgelegt, auf welchen räumlichen Vergleichsmaßstab für die weiteren Prüfungsschritte abzustellen ist. Alsdann ist zu ermitteln, wie viel auf diesem Wohnungsmarkt für eine einfache Wohnung aufzuwenden ist. [ ] Eine pauschale bundeseinheitliche Grenze (Quadratmeterpreis) scheidet hierbei aus. Es ist auf die konkreten Verhältnisse abzustellen. Die Kosten für Wohnraum können in den einzelnen Vergleichsräumen sehr unterschiedlich sein. Um trotzdem ein gleichmäßiges Verwaltungshandeln auch innerhalb eines Vergleichsraums zu gewährleisten, muss die Ermittlung der regionalen Angemessenheitsgrenze auf Grundlage eines überprüfbaren "schlüssigen Konzepts" erfolgen. [ ] Von der Schlüssigkeit eines Konzepts ist auszugehen, sofern die folgenden Mindestvoraussetzungen erfüllt sind:

• Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen,

• es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, zB welche Art von Wohnungen - Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete (Vergleichbarkeit), Differenzierung nach Wohnungsgröße,

• Angaben über den Beobachtungszeitraum,

• Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, zB Mietspiegel),

• Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten,

• Validität der Datenerhebung,

• Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung

• Angaben über die gezogenen Schlüsse (zB Spannoberwert oder Kappungsgrenze)."

Darüber hinaus ist und muss zentraler Punkt bei der Prüfung der abstrakten Angemessenheitsgrenze von Unterkunftsbedarfen das Bestreben sein, dass mit den maximal zu gewährenden Leistungen für die Bruttokaltmiete tatsächlich auch eine Wohnung konkret angemietet werden kann (vgl. Knickrehm, SGb 05.17, S. 249).

Diesen Anforderungen genügt das Konzept des Beklagten nicht, da die Datenerhebung in wesentlichen Teilen nicht valide und hinsichtlich der vom Beklagten angesetzten Bruttokaltmiete in Höhe von 469,80 EUR für Zwei-Personen-Bedarfsgemeinschaften im Wohnsegment von 45 bis ca. 60 Quadratmeter im Vergleichsgebiet nicht ausreichend Wohnraum vorhanden ist.

Zu beanstanden ist, dass die Analyse und Konzepte die Wohnungsanzeigen nicht im Original archiviert hat, sondern über die XXX mit einem automatischen Computerprogramm Wohnungsdaten maschinell extrahiert und in eine Datenbank aufgenommen hat, ohne einen Screenshot oder dergleichen von den Wohnungsanzeigen zu fertigen. Betrachtet man die verwendete Suchmaske (Bl. 87 d.A.) so wird deutlich, dass für potenzielle Mieter relevante Daten hier nicht aufgenommen werden können. Beispielhaft sei hierfür angeführt, dass Vermieter teilweise nur bereit sind an eine einzelne Person zu vermieten oder die Wohnung nur gegen die Zahlung einer Ablösesumme etwa für eine Einbauküche bereitsteht. Dementsprechend sind die so erhobenen Datenbestände nicht valide, da retrospektiv nicht gesagt werden kann, ob sonstige für Leistungsbezieher relevante Vermietungshindernisse vorliegen.

Es bestehen darüber hinaus aber auch erhebliche Zweifel daran, wie die vom Beklagten angegebenen Zahlen hinsichtlich der Angebotsmieten für Zwei-Personen-Haushalte zustande gekommen sind. Insoweit existieren bereits zur Quelle der Daten widersprüchliche Angaben. Im Konzept selbst wird folgende Datengrundlage genannt: Immobilienscout 24 (Internet-Immobiliensuchportal), Immonet (Internet-Immobiliensuchportal), Immowelt (Internet-Immobiliensuchportal), örtliche Tagespresse, Anzeigenblätter sowie Internetseiten der großen Wohnungsanbieter in der Stadt Heilbronn. In seinem Schreiben vom 9. Mai 2018 hat der Beklagte ausgeführt, dass aufgefallen sei, dass die ganz überwiegende Zahl aus den Immobilien an zeigen der Heilbronner Stimme zu stammen scheinten. Schon diese Formulierung zeigt, dass der Beklagte letztendlich die Quelle nicht mit der erforderlichen Sicherheit benennen kann, was eine Nachprüfbarkeit unmöglich macht.

Diese Erwägungen dürften auf die übrigen Ein- bzw. Mehrpersonenhaushalte des Konzepts übertragbar sein.

Unabhängig von der Validität der vermeintlich einbezogenen Anzeigen liegen dem Konzept demnach im Wesentlichen Bestandsmieten zu Grunde, unter anderem aus Datensätzen der eigenen Leistungsempfänger. Bei dieser Sachlage müssen auch Angebotsmieten in die Berechnung einbezogen werden (vgl. hierzu und im Folgenden BSG, Urteil vom 16. Juni 2015 – B 4 AS 45/14 R –, Rn. 22, juris).

Unterstellt man nun – ohne auf die Frage der Validität einzugehen –, dass dem Konzept des Beklagten tatsächlich im Wesentlichen die übermittelten Wohnungsanzeigen der Heilbronner Stimme als berücksichtigte Angebotsmieten zugrunde liegen, genügt diese Datenerhebung nicht dem Erfordernis der Verfügbarkeit ausreichenden Wohnraums. Dies wird aus den vorgelegten Anzeigen selbst deutlich. Denn eine genaue Durchsicht dieser Anzeigen zeigt, dass – gerade diese zugrundegelegt – Leistungsempfänger keine ernsthaft in Betracht zu ziehende Möglichkeit haben, zur vom Beklagten angesetzten Bruttokaltmiete i.H.v. 469,80 EUR Wohnraum zu finden. Besonders deutlich wird dies, wenn eine vergleichende Gegenüberstellung der tatsächlich Wohnungsuchenden mit dem tatsächlich vorhandenen Wohnraum erfolgt.

Nach Angaben des Beklagten existieren im Zuständigkeitsbereich des Beklagten 214 Zwei-Personen-Bedarfsgemeinschaften, denen nicht die tatsächliche Bruttokaltmiete bewilligt wird. Dazu kommen nach der Auskunft des Beklagten 94 Haushalte aus dem SGB XII-Bereich, deren Kosten der Unterkunft über den Richtwerten liegen. Im Bereich des SGB XII war eine Aufteilung nach Ein- und Zwei-Personen-Haushalte nach der Auskunft des Beklagten nicht möglich, weshalb zu Gunsten der Leistungsbezieher diese Anzahl im Folgenden bei den streitgegenständlichen 2-Personen-Haushalten mit einbezogen wird. Es existieren demnach 308 Zwei-Personen-Haushalte aus dem Bereich des SGB II und SGB XII, die um den Wohnraum von 45-60 Quadratmeter zu einer Bruttokaltmiete von 469,80 EUR konkurrieren. In dieser Zahl völlig außer Acht gelassen sind die übrigen Bevölkerungsgruppen, die in diesem Bereich auf Wohnungssuche sind, wie beispielsweise Auszubildende, Studenten, Wohngeldbezieher oder Wochenendpendler, die sich lediglich aufgrund ihrer Arbeit werktags im Vergleichsraum aufhalten.

Legt man nun das Konzept zugrunde, stehen dem 65 Angebotsmieten im Erhebungszeitraum des Konzepts von November 2015 bis April 2016 gegenüber, wobei der Zeuge Klupp im Erörterungstermin vom 7. März 2018 angegeben hat, dass der Ersteller des Konzepts davon ausgeht, dass 15 Prozent dieser 65 Angebote auf Bedarfsgemeinschaften entfallen können (Bl. 49 d.A.). Dies sind 9,75 Wohnungsangebote. Stellt man nun mindestens 308 Zwei-Personen-Haushalte, die im vom Beklagten als angemessen erachteten Segment suchen, dem gegenüber, so liegt auf der Hand, dass bei 9,75 in Betracht kommenden freien Wohnungsangeboten pro Halbjahr die Möglichkeit angemessenen Wohnraum zu finden nahezu ausgeschlossen ist. Verschärfend kommt hinzu, dass diese Berechnung noch die oben genannten übrigen Bevölkerungsgruppen, wie Auszubildende, Studenten, Wohngeldbezieher oder Wochenendpendler außer Acht lässt, die im selben Segment nach Wohnraum suchen. Selbst wenn man nicht, wie der Beklagte dies selbst macht, 15 Prozent von 65 Angeboten ansetzt, sondern die vollen 65 Wohnungsangebote zugrunde legt, wäre dies nicht ausreichend.

Sofern auf Seite 16 des Konzepts (Bl. 60 d.A.) im letzten Absatz ausgeführt wird, dass tatsächlich ein wesentlich größeres Wohnungsangebot unterhalb der Angemessenheitsrichtwerte respektive in Höhe der Rechtswerte zur Verfügung stehe, so bewegt sich dieser Ansatz ohne Benennung eines überprüfbaren statistischen Anknüpfungspunktes im Bereich der Vermutung. Diese Vermutung genügt nicht den Anforderungen einer kontrollierten Methodenvielfalt und ist – ohne tatsächliche ausgewiesene Datengrundlage – oder Benennung eines konkreten Faktors schlichtweg nicht überprüfbar und deshalb bei der Frage der tatsächlichen Verfügbarkeit von Wohnraum nicht zu berücksichtigen. Um tatsächlich vorhandenen Wohnraum im Rahmen eines Konzepts berücksichtigen zu können, ist es gerade erforderlich, dass dieser auf dem allgemeinen Markt angeboten wird. Nur so werden Leistungsbezieher in die Lage versetzt, diesen auch anmieten zu können. Dieses tatsächliche Anbieten geeigneten Wohnraums muss der Verwender des Konzepts für das Gericht nachvollziehbar und nachprüfbar dokumentieren, was nicht geschehen ist.

Betrachtet man nun die vorgelegten Wohnungsangebote aus der Heilbronner Stimme aus dem dem Konzept zugrundeliegenden Erhebungszeitraum November 2015 bis April 2016 (Bl. 91/132 d.A.), so verdeutlichen diese gerade, dass im Erhebungszeitraum nicht ausreichend Wohnungen zu einer als vom Beklagten erachteten angemessenen Bruttokaltmiete auf dem Wohnungsmarkt vorhanden waren.

...

Die Klägerinnen haben einen Anspruch auf die Berücksichtigung ihrer tatsächlichen Kosten der Unterkunft, soweit diese angemessen sind. Das Konzept des Beklagten ist nicht schlüssig und daher nicht anzuwenden.

Deshalb bilden die Tabellenwerte zu § 12 WoGG eine Angemessenheitsobergrenze im Sinne einer Deckelung (BSG Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R Rn. 20; der im zitierten Urteil angesprochene § 8 WoGG entspricht nach aktueller Rechtslage § 12 WoGG):

"Wegen der nur abstrakten, vom Einzelfall und den konkreten Umständen im Vergleichsraum losgelösten Begrenzung ist zur Bestimmung der angemessenen Nettokaltmiete zuzüglich der kalten Betriebskosten (vgl. § 5 Abs 1 WoGG aF bzw. nunmehr § 9 Abs 1 WoGG) nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats bei § 8 WoGG auf den jeweiligen Höchstbetrag der Tabelle, also die rechte Spalte, zurückzugreifen und ein "Sicherheitszuschlag" einzubeziehen. Der Sicherheitszuschlag ist im Interesse des Schutzes des elementaren Bedürfnisses des Leistungsberechtigten auf Sicherung des Wohnraums erforderlich. Denn es kann beim Fehlen eines schlüssigen Konzepts nicht mit Sicherheit beurteilt werden, wie hoch die angemessene Referenzmiete tatsächlich ist. Bei der Bestimmung des Zuschlages ist daher zu beachten, dass es sich nicht um eine einzelfallbezogene Anwendung auf einen konkreten, tatsächlichen Sachverhalt, die dem LSG unter Beachtung der Verhältnisse des regionalen Wohnungsmarktes obliegt, handelt. Vielmehr ist er unter Berücksichtigung genereller, abstrakter Kriterien festzulegen. Ein Rückgriff auf die regionalen Verhältnisse kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil gerade erst der Ausfall der Erkenntnismöglichkeiten im räumlichen Vergleichsgebiet zur Anwendung von § 8 WoGG führt. Bereits durch die jeweiligen im WoGG verankerten Mietenstufen fließen regionale Unterschiede in die Bestimmung der zu übernehmenden KdU ein. In Anbetracht dessen erachtet der Senat für die Tabellenwerte des § 8 WoGG (rechte Spalte) einen Zuschlag in Höhe von 10 % als angemessen, aber auch ausreichend."

Unter Zugrundelegung der dargestellten Berechnungsmethode liegt die Angemessenheitsgrenze für die Brutto-Kaltmiete (Kaltmiete plus kalte Nebenkosten, wobei das Nutzungsentgelt für die Einbauküche in Höhe von monatlich 50,00 EUR als Teil der Bruttokaltmiete nach § 22 Absatz ein S. 1 SGB II zu sehen ist (BSG, Urteil vom 07. Mai 2009 – B 14 AS 14/08 R –, SozR 4-4200 § 22 Nr 20, Rn. 19)) im Zeitraum vom 1. Juni bis 31. August 2017 vorliegend bei 578,60 EUR pro Monat. Dies folgt aus der der Mietstufe 4 für die Stadt Heilbronn (vgl. Anlage zu § 1 Abs. 3 WoGV in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung) bei zwei Haushaltsmitgliedern (§ 12 WoGG), woraus sich ein Betrag von 526 EUR ergibt, der mit einem Sicherheitszuschlag von 10 % zu versehen ist, was zur maximal angemessenen Bruttokaltmiete von 578,60 EUR im vorliegenden Fall führt. Die Berücksichtigung einer darüber liegenden Bruttokaltmiete machen die Klägerinnen mit ihrem Klageantrag nicht geltend."

Diese Ausführungen sind auf den 3-Personen-Haushalt zu übertragen. Der Fall liegt sogar noch deutlich klarer als bei 2-Personen-Haushalten. Selbst wenn man die Bedenken hinsichtlich der Datenerhebung nicht berücksichtigen würde, ergibt sich aus dem Konzept, dass hier im Gegensatz zu den anderen Haushaltsgrößen als Grenze nicht eine Perzentile von 40 % (bzw. 45 % bei Wohnungen über 90 Quadratmetern), sondern nur von 30 % gewählt wurde (vgl. Abb. 5 des Konzepts und S. 22). Dies hat zur Konsequenz, dass lediglich 76,95 EUR mehr als für einen 2-Personen-Haushalt als angemessen betrachtet wird. Die übrigen Steigerungen betragen 106,65 EUR (ein auf zwei Personen) 148,05 EUR (drei auf vier Personen), 99 EUR (vier auf fünf) und 113,40 EUR (jede weitere Person). Diese Sprünge stehen auch im Widerspruch zu den Werten des Mietspiegels. Diese belegen nicht, dass Wohnungen mit einer Fläche zwischen 60 und 75 Quadratmetern einen besonders niedrigen Quadratmeterpreis ausweisen. Innerhalb der vom Beklagten zu Grunde gelegten Angemessenheitsgrenze finden sich ausweislich der Abbildung 5 fast keine Neuvertrags- oder Angebotsmieten. Der Großteil der Mieten innerhalb dieses Bereichs sind Bestandsmieten, die aber gerade nicht auf dem Markt sind. Dies ergibt sich eindrücklich aus der Tabelle 12 des Konzepts. Der Anteil der Neuvertragsmieten bis zum Perzentil Bestandsmieten beträgt 0 %. Demgegenüber soll der Anteil der Angebotsmieten bei 10 % liegen. Diese Werte sind widersprüchlich. Neuvertragsmieten sind solche von Vermietern angebotenen Wohnungsmieten, welche ein Mieter akzeptiert hat. Deshalb ist zu erwarten, dass die Angebotsmieten im Durchschnitt teurer sind als Neuvertragsmieten, da hier auch solche Angebote erfasst werden, welche kein Mieter annimmt, insbesondere aufgrund einer zu hohen geforderten Miete. Vor diesem Hintergrund ist völlig unverständlich, weshalb mehr Angebotsmieten innerhalb des Perzentils liegen sollten als Neuvertragsmieten. Bei den anderen Haushaltsgrößen ist dies auch nicht der Fall. Das Konzept ist folglich für 3-Personen-Haushalte erst Recht nicht schlüssig. Es existieren schon nach den Zahlen des Konzepts auf dem Heilbronner Wohnungsmarkt nicht ausreichend Wohnungen im Rahmen der von dem Beklagten angenommenen Angemessenheitsgrenze. Dem stehen zahlreiche Bedarfsgemeinschaften gegenüber, welche nach Auffassung des Beklagten eine unangemessene Miete zahlen.

Nicht entscheidungserheblich ist die Frage, ob sich die Kläger um eine günstigere Wohnung bemüht haben. Dies wäre erst im Rahmen der konkreten Verfügbarkeit von Relevanz. Die Wohnung der Kläger war aber im streitigen Zeitraum abstrakt angemessen, weshalb es nicht darauf ankommt, ob eine solche Wohnung auch konkrete zur Verfügung gestanden hat.

Rechtsmittelbelehrung:

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Landessozialgericht Baden-Württemberg, Hauffstr. 5, 70190 Stuttgart - Postfach 10 29 44, 70025 Stuttgart -, schriftlich, als elektronisches Dokument oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Eine Einlegung per E-Mail ist nicht zulässig. Wie Sie bei Gericht elektronisch einreichen können, wird auf www.ejustice-bw.de beschrieben.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem Sozialgericht Heilbronn, Paulinenstr. 18, 74076 Heilbronn, schriftlich, als elektronisches Dokument oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden; dies gilt nicht im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs.
Rechtskraft
Aus
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