L 6 AS 528/19 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 34 AS 695/19 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 528/19 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Inanspruchnahme von Sozialleistungen, die aufstockend zu einer tatsächlichen und echten Arbeitnehmertätigkeit oder daneben zur (weiteren) Integration in den Arbeitsmarkt gewährt werden, kann, selbst wenn ein entsprechender Bedarf zum Zeitpunkt der Zuwanderung absehbar gewesen ist, nicht per se einen Missbrauch des Freizügigkeitsrechts begründen.
Für die Annahme, die Berufung auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit könne sich als missbräuchlich darstellen, bleibt in diesem Fall nach Auffassung des Senats jedenfalls dann kein Raum, wenn der Betroffene durch seine Tätigkeit seinen eigenen Bedarf jedenfalls fast vollständig decken kann.
Unter diesen Umständen kann weder dem Arbeitnehmer selbst noch seinen Familienangehörigen die missbräuchliche Berufung auf den Arbeitnehmerstatus des beschäftigten Familienmitglieds und die daran anknüpfende Freizügigkeitsberechtigung auch der anderen Familienmitglieder entgegengehalten werden.
I. Der Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 22. Oktober 2019 wird aufgehoben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 19. August 2019 bis zum 31. Januar 2020, höchstens bis zur Bestandskraft des Bescheides der Antragsgegnerin vom 14. August 2019, zu gewähren.

II. Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern die zur Rechtsverfolgung in beiden Instanzen notwendigen Kosten zu erstatten.

III. Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin E. bewilligt.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II).

Die Antragsteller sind bulgarische Staatsangehörige. Der Antragsteller zu 1. und die Antragstellerin zu 2., seine Ehefrau, sind im Jahre 1996 geboren, die Antragstellerin zu 3. und der Antragsteller zu 4., ihre gemeinsamen Kinder, im Jahre 2014 beziehungsweise 2015. Die Antragsteller reisten im Frühjahr diesen Jahres nach Deutschland ein, der Antragsteller zu 1. offenbar wenige Wochen vor den anderen Familienmitgliedern. Der Antragsteller zu 1. hielt sich nach seinen Angaben bereits im Jahre 2014 für kurze Zeit in Deutschland auf; Deutschkenntnisse haben die Antragsteller nicht.

Seit ihrer (jeweiligen) Einreise leben die Antragsteller in A-Stadt, zunächst bei einer Tante des Antragstellers zu 1. und deren Ehemann. Am 1. April 2019 schloss der Antragsteller zu 1. einen Mietvertrag für die bis heute von den Antragstellern gemeinsam bewohnte, 84 Quadratmeter große Drei-Zimmer-Wohnung, für die eine Kaltmiete von 800,- Euro monatlich und eine Betriebskostenvorauszahlung (einschließlich Heizkosten) von 300,- Euro monatlich anfällt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Mietvertrag (Bl. 37 ff. der zu den Antragstellern geführten Leistungsakte der Antragsgegnerin, erster Abschnitt – im Folgenden: LA I –) sowie das vom Vermieter gezeichnete Formular "Mietangebot und Wohnungsbeschreibung" (LA I Bl. 45) Bezug genommen. Bei Einzug in die Wohnung war eine Kaution in Höhe von 2.400,- Euro zu leisten.

Unter dem 29. April 2019 unterzeichnete der Antragsteller zu 1. einen Arbeitsvertrag mit der Fa. F. GmbH als Landschaftsgärtner. Arbeitsvertraglich waren eine regelmäßige monatliche Arbeitszeit von 80 Stunden und ein Stundenlohn in Höhe von 10,50 Euro vorgesehen. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 1 der Leistungsakte, zweiter Abschnitt – im Folgenden: LA II – verwiesen. Der monatliche Bruttoverdienst sollte dementsprechend bei 850,- Euro, der Nettoverdienst bei 680,- Euro liegen.

Der Antragsteller zu 1. nahm, wie im Arbeitsvertrag vereinbart, am 2. Mai 2019 die Arbeit auf. Bereits wenige Tage später, am 7. Mai 2019, erlitt er während der Arbeit einen Unfall, bei dem er sich eine Trennscheibenverletzung der Wange sowie eine Jochbeinfraktur rechts zuzog. Seither ist er, abgesehen von jeweils nach wenigen Tagen wieder beendeten Arbeitsversuchen im Sommer, arbeitsunfähig erkrankt und erhält Verletzten- beziehungsweise Krankengeld (vgl. hierzu beispielsweise das Schreiben der AOK Hessen vom 5. Juni 2019, Bl. 35 der Leistungsakte, dritter Abschnitt – im Folgenden: LA III – sowie die im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen, Bl. 163 ff. der Gerichtsakte – im Folgenden: GA –). Gekündigt ist das Arbeitsverhältnis nicht.

Die Antragsteller beantragten sodann am 9. Mai 2019 bei der Antragsgegnerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches. Die Antragsgegnerin fertigte in diesem Zusammenhang Vermerke zu persönlichen Vorsprachen der Antragsteller (der Antragstellerin zu 2. am 9. Mai 2019 und des Antragstellers zu 1. am 17. Mai 2019, wobei sie jeweils von einem Bekannten, Hr. G., der auch übersetzte, begleitet wurden), aus denen sich – zusammengefasst – ergibt, der Antragsteller zu 1. arbeite 80 Stunden pro Monat als Helfer im Gartenbau. Die Antragstellerin zu 2. arbeite nicht. Für die Kinder werde Kindergeld bezogen. Aus eigenen Mitteln könnten der Bedarf zum Lebensunterhalt und die Kosten der Unterkunft nicht voll gedeckt werden. Vor diesem Hintergrund werde die Bewilligung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch beantragt. Der Antragsteller zu 1. habe in Bulgarien immer gearbeitet, aber die Arbeit auch immer wieder verloren. Es sei nicht so einfach gewesen, in Bulgarien eine dauerhafte Beschäftigung zu finden. In A-Stadt habe er Familie und Bekannte. Um in Deutschland erst einmal leben zu können, hätten sie von Bekannten 3.000,- Euro geliehen. Das Geld hätten sie dann für die Kaution der Wohnung, die Miete für April und für Lebensmittel genutzt. Seit Anfang Mai 2019 arbeite der Antragsteller zu 1. Sein erstes Gehalt werde er voraussichtlich Anfang Juni 2019 erhalten. Über weiteres Einkommen oder Vermögen verfügten sie nicht. Wegen der Einzelheiten wird auf LA I Bl. 67 f. (Antragstellerin zu 2.) und LA I Bl. 72 f. (Antragsteller zu 1.) Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 14. Juni 2019 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag unter Verweis auf den Leistungsausschlusstatbestand aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die Tätigkeit des Antragstellers zu 1. sei als unwesentlich und untergeordnet im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (Hinweis auf EuGH, Urteil vom 4. Februar 2010 – C-14/09 – RS Genc –) anzusehen, weil er lediglich 13,5 Stunden im Mai gearbeitet habe. Er habe lediglich einen Verdienst von 141,75 Euro brutto beziehungsweise 113,29 Euro netto erzielt. Er erfülle damit nicht die Voraussetzungen des Arbeitnehmerstatus nach § 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern – Freizügigkeitsgesetz/EU – (FreizügG/EU). Wegen der Einzelheiten wird auf LA III Bl. 31 ff. Bezug genommen.

Hiergegen erhoben die Antragsteller am 17. Juni 2019 Widerspruch (LA III Bl. 34). Zu einer anschließenden persönlichen Vorsprache des Antragstellers zu 1. am 17. Juli 2019 fertigte die Antragsgegnerin wiederum einen Vermerk. Er habe danach im Wesentlichen dargelegt, die Antragsteller hätten in Bulgarien bei seinem Vater gelebt, ohne dafür Miete bezahlen müssen. Er sei dort zweimal pro Woche arbeiten gegangen und habe circa 30,- Euro in der Woche verdient. Außerdem habe er Kindergeld bezogen. Sonstige Einkünfte habe die Familie nicht gehabt. Sie hätten lediglich ein wenig Unterstützung durch die Familie erhalten. Anfang März 2019 seien sie dann nach Deutschland gekommen. Der Grund für die Einreise sei, dass sie in Bulgarien nicht genug Geld verdient hätten, um den Lebensunterhalt dauerhaft alleine bestreiten zu können. Sie hätten gehofft, dies in Deutschland zu schaffen. Anfang März, als sie nach Deutschland gekommen seien, seien sie erst bei seiner Tante und deren Mann untergekommen. Da deren Wohnung aber auf Dauer zu klein für alle gewesen sei, hätten sie sich eine eigene Wohnung gesucht. Kurz bevor er angefangen habe zu arbeiten, habe er Kontakt mit dem Arbeitgeber aufgenommen. Er habe mit diesem telefonieren können, da dieser türkisch spreche und er ebenfalls türkisch verstehe. Bei der F. GmbH sei er als Landschaftsgärtner beschäftigt. Er habe keine Ausbildung absolviert und sei kein gelernter Landschaftsgärtner. Nachdem er sich an seinem ersten Tag bewährt habe, habe er in der Pause den Arbeitsvertrag unterzeichnen können. Bei der F. GmbH verdiene er circa 850,- Euro brutto im Monat. Ihm sei von Anfang an bewusst gewesen, dass er mit diesem Gehalt nicht den Lebensunterhalt der Familie bestreiten und die Miete sicherstellen könne. Aufgrund dessen habe er parallel noch eine andere Arbeitsstelle gesucht. Aufgrund seines Arbeitsunfalles habe er dann jedoch nicht mehr arbeiten können. Am 9. Mai 2019 habe die Familie einen Antrag auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch gestellt. Obwohl sie schon Anfang März 2019 nach Deutschland eingereist seien, hätten sie den Antrag erst Anfang Mai 2019 gestellt, da sie sich vorher noch nicht hätten verständigen können. Durch reinen Zufall habe er in einem Café Herrn G. getroffen, der ihnen jetzt bei Behördengängen helfe und übersetze. Ob er schon früher einen Antrag auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch gestellt hätte, wenn die sprachlichen Barrieren nicht bestanden hätten, wisse er nicht. Er sei mit der Absicht nach Deutschland gekommen, dass seine Familie und er ein besseres Leben hätten. Er habe sich eine Arbeit suchen wollen, um unabhängig von anderen zu sein. Wegen der Einzelheiten wird auf LA III Bl. 55 ff. Bezug genommen.

Die Antragsgegnerin hob mit Bescheid vom 31. Juli 2019 den Bescheid vom 14. Juni 2019 auf, lehnte die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende jedoch mit Bescheid vom 14. August 2019 erneut ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Bst. b SGB II greife ein, da sich der Aufenthalt der Antragsteller allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe. Hiervon abgesehen bestünden auch Zweifel an der Hilfebedürftigkeit. Die Antragsteller hätten ihren Lebensunterhalt von Anfang März bis Ende Mai unabhängig von staatlichen Leistungen und selbst erzielten Einkünften bestreiten können. Dies sei ihnen möglich gewesen, da sie Geld von der Tante des Antragstellers zu 1. und deren Mann erhalten hätten. Auch müsse, sofern die Miete gezahlt worden sei, dies mit Hilfe der Tante und von deren Mann geschehen sein, da der Verdienst des Antragstellers zu 1. und das Kindergeld nicht ausreichten, um die Miete komplett zahlen zu können. Da die Antragsteller bislang keine staatlichen Leistungen erhalten hätten, sei zweifelhaft, inwieweit Hilfebedürftigkeit bestehe. Das Verhalten der Antragsteller seit der Einreise zeige, dass ihr Aufenthalt nicht auf eine ernsthafte auskömmliche Erwerbstätigkeit ausgerichtet sei und stattdessen das Ziel verfolgt werde, den überwiegenden Bedarf der Familie durch Sozialleistungen zu decken. Der Europäische Gerichtshof habe in der Entscheidung vom 12. März 2014 – C-456/12 – geurteilt, dass "das Unionsrecht (=Arbeitnehmerfreizügigkeit) bei Rechtsmissbrauch keine Anwendung" finde. National gestützt werde diese Rechtsauffassung durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Entscheidung vom 27. November 2018 – 10 CS 18.2180 –).Wegen der Einzelheiten wird auf LA III Bl. 77 ff. verwiesen.

Hiergegen erhoben die Antragsteller unter dem 19. August 2019 Widerspruch (LA III Bl. 83), über den noch nicht entschieden ist, und haben am selben Tag beim Sozialgericht Wiesbaden um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Bei ihrer Entscheidung habe die Antragsgegnerin nicht berücksichtigt, dass der Antragsteller zu 1. mehr als acht Stunden pro Woche gearbeitet und auch ein Monatseinkommen von mehr als 200,- Euro bis 300,- Euro erwirtschaftet habe. Somit seien sie nicht zur Arbeitsuche eingereist. Die Erkrankung und die Notlage seien nicht vorhersehbar gewesen. Seit Mai 2019 hätten sie durch ein Darlehen im privaten Umfeld notdürftig finanziell überlebt. Verwertbares Vermögen sei nicht vorhanden. Ergänzend haben sie eine eidesstattliche Versicherung der Antragsteller zu 1. und 2. vom 13. August 2019 vorgelegt (GA Bl. 16), deren Text von einem Freund übersetzt worden sei.

Die Antragsgegnerin hat demgegenüber im Wesentlichen ihre Ausführungen aus dem Bescheid vom 14. August 2019 wiederholt.

Das Sozialgericht hat im Rahmen eines Erörterungstermins am 19. September 2019 Beweis erhoben durch die informatorische Anhörung der Antragsteller zu 1. und 2. sowie durch die Vernehmung der Tante des Antragstellers zu 1., Frau H.K., deren Ehemann, Herrn J.K., und von Herrn G. als Zeugen. Diesbezüglich wird auf die Sitzungsniederschrift (GA Bl. 69 ff.) Bezug genommen.

Das Sozialgericht hat sodann den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch Beschluss vom 22. Oktober 2019 abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Antragsteller hätten einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Sie seien nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch ausgeschlossen. Danach hätten diejenigen Ausländerinnen und Ausländer keinen Anspruch auf Leistungen, (a) die kein Aufenthaltsrecht hätten, (b) deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe oder (c) die ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Buchstabe (b) aus Artikel 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union ableiteten.

Die Antragsteller könnten sich zunächst nicht auf ein Aufenthaltsrecht nach dem Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet – Aufenthaltsgesetz – (AufenthG) berufen. Denn nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bedürften Ausländer für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, was impliziere, dass dieser erteilt sein müsse, um daraus ein Aufenthaltsrecht abzuleiten. Dies sei bei den Antragstellern nicht der Fall.

Die Antragsteller seien darüber hinaus auch nicht aufgrund der Regelungen des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt, namentlich seien sie keine freizügigkeitsberechtigten Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU oder Familienangehörige einer solchen Person. Zwar begründe die von dem Antragsteller zu 1. aufgenommene Tätigkeit als Landschaftsgärtner bei der F. GmbH grundsätzlich eine Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Unionsrechts. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sei der Begriff "Arbeitnehmer" ein autonomer Begriff des Unionsrechts, der nicht eng ausgelegt werden dürfe (hierzu und im Folgenden Hinweis auf EuGH, Urteil vom 21. Februar 2013 – C-46/12 –). Der Begriff sei anhand objektiver Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf die Rechte und Pflichten der betroffenen Personen kennzeichneten. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses bestehe darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringe, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhalte (Hinweis auf EuGH, Urteil vom 3. Juli 1986 – C-66/85 –). Für die Qualifizierung als Arbeitnehmer sei es erforderlich, dass die betreffende Person eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübe, die keinen so geringen Umfang habe, dass sie sich als vollständig untergeordnet und unwesentlich darstelle. Bei der Prüfung, ob im konkreten Fall eine tatsächliche und echte Tätigkeit vorliege, müsse der Rechtsanwender alle relevanten objektiven Gesichtspunkte ermitteln und im Rahmen einer Gesamtwürdigung gegeneinander abwägen. Als Kriterien zur Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft seien insbesondere die Dauer eines Beschäftigungsverhältnisses, die Arbeitszeit, die Höhe der Vergütung, die Einhaltung von Ansprüchen auf bezahlten Urlaub, die Geltung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Anmeldung zur Sozialversicherung und die Entrichtung von Beiträgen heranzuziehen (Hinweis auf LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. September 2017 – L 19 AS 1540/17 B ER u.a. –).

Diese Voraussetzungen seien im Falle des Antragstellers zu 1. erfüllt. Die Kammer habe keine Zweifel daran, dass er eine tatsächliche und echte Tätigkeit bei der F. GmbH aufgenommen habe. Dies zeigten die Arbeitsaufnahme am 2. Mai 2019, die abgeleisteten Arbeitsstunden bis zum Arbeitsunfall am 7. Mai 2019 sowie der Arbeitsunfall selbst. Mit einem geplanten Arbeitsumfang von 80 Stunden pro Monat sei diese Tätigkeit auch nicht völlig untergeordnet und unwesentlich. Wegen des kurzen Zeitraumes zwischen der Arbeitsaufnahme und dem Arbeitsunfall müsse die Kammer auf die vertraglichen Vereinbarungen abstellen. Die Kammer habe keine Anhaltspunkte dafür, dass diese nicht auch tatsächlich so hätten gelebt werden sollen.

Die Antragsteller genössen dennoch keine Freizügigkeit, da die Geltendmachung des auf § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU gestützten Freizügigkeitsrechts sich als rechtsmissbräuchlich darstelle. Begebe sich ein EU-Bürger nur mit der Absicht in einen Mitgliedstaat, um dort nach einer sehr kurzen Berufstätigkeit Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen, handele es sich nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes um Missbrauch, der durch die Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer nicht gedeckt sei (Hinweis auf EuGH, Urteil vom 21. Juni 1988 – Rs. 39/86 –). Denn das Unionsrecht finde bei missbräuchlichen Praktiken keine Anwendung (Hinweis auf Hess. VGH, Beschluss vom 5. März 2019 – 9 B 56/19 –; Hess. VGH, Beschluss vom 30. Juli 2018 – 1 B 953/18 – (richtig wohl: 9 B 953/18, allerdings, soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht); Hess. VGH, Beschluss vom 26. Juni 2014 – 1 B 37114 – (richtig wohl: 9 B 37/14); VG Darmstadt, Beschluss vom 14. Oktober 2019 – 5 K 1116.18.DA – nicht veröffentlicht). Der Nachweis eines Missbrauchs setze zum einen voraus, dass eine Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergebe, dass trotz formaler Einhaltung der unionsrechtlichen Bedingungen das Ziel der Regelung nicht erreicht worden sei, und zum anderen ein subjektives Element, nämlich die Absicht, sich einen unionsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen würden (Hinweis auf EuGH, Urteil vom 12. März 2014 – C-456/12 –; Hess. VGH, Beschluss vom 5. März 2019 – 9 B 56/19 –; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. März 2017 – 18 B 274/17 –; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 20. September 2016 – 7 B 10406/16, 7 D 10407/16–; VG Darmstadt, Beschluss vom 14. Oktober 2019 – 5 K 1116.18.DA – nicht veröffentlicht). Dies sei – abweichend von der Prüfung des Arbeitnehmerbegriffs – anhand einer Gesamtschau aller maßgeblichen Gesichtspunkte des einzelnen Falles zu beurteilen.

Die Kammer sei nach umfassender Würdigung des Akteninhalts und der durchgeführten Beweisaufnahme im Rahmen des Erörterungstermins am 19. September 2019 zu der Überzeugung gelangt, dass die Antragsteller – und damit auch der Antragsteller zu 1. – rechtsmissbräuchlich in das Bundesgebiet eingereist seien, um Sozialleistungen zu beziehen. Das Gericht gehe aufgrund der Würdigung des Sachverhalts davon aus, dass der Antragsteller zu 1., der bei der Einreise weder über berufliche Qualifikationen verfügt noch einfache deutsche Sprachkenntnisse besessen und solche auch im Weiteren nicht erworben habe, sich ausschließlich zu dem Zweck in das Bundesgebiet begeben habe, um für sich, seine Ehefrau und die minderjährigen Kinder ein Auskommen durch den Bezug von Sozialleistungen zu erlangen. Dies hat das Sozialgericht ausführlich näher begründet und dabei namentlich auf die nur geringe Dauer der tatsächlichen Arbeitstätigkeit, die Höhe des Gehalts, dessen fehlende Eignung, auch nur den Lebensunterhalt des Antragstellers zu 1., umso weniger den der Familie zu sichern, die fehlenden Sprachkenntnisse und beruflichen Qualifikationen, die damit einhergehend fehlende Aussicht auf Beschäftigung und Integration sowohl bei der Einreise als auch danach, die fehlenden Bemühungen um einen Sprachkurs und eine über die Teilzeittätigkeit hinausgehende (weitere) Beschäftigung, die geringen finanziellen Mittel bei der Einreise, die alsbaldige Anmietung einer Wohnung mit einer aus diesen Mitteln und der Beschäftigung nicht zu finanzierenden Miethöhe und das schon bei der Einreise vorhandene Wissen um die Möglichkeit, Sozialleistungen zu beantragen, verwiesen. Es sei daher nicht glaubhaft, dass die Antragsteller nicht von Beginn an und schon bei der Einreise beabsichtigt hätten, Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch zu beantragen und daraus ihren Lebensunterhalt im Wesentlichen zu bestreiten. Wegen der Einzelheiten wird auf S. 12 ff. der Entscheidung (GA Bl. 128 ff.) Bezug genommen.

Die Antragsteller haben – nach Zustellung des Beschlusses bei ihrem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am 22. Oktober 2019 – am 7. November 2019 Beschwerde erhoben.

Zur Begründung wiederholen und vertiefen sie ihr bisheriges Vorbringen. Auf Anfrage des Berichterstatters haben sie vorgetragen, sie hätten in der Zwischenzeit von Krankengeld und Kindergeld gelebt. Das Arbeitsverhältnis sei weiter ungekündigt. Die Antragstellerin zu 2. sei wegen der Kindererziehung nicht berufstätig, werde aber ab Januar 2020 im Rahmen einer Verhinderungspflege tätig werden. Ergänzend haben sie namentlich eidesstattliche Versicherungen des Antragstellers zu 1. und ihres Vermieters, Herrn L., beide vom 28. Oktober 2019, sowie eine weitere eidesstattliche Versicherung des Antragstellers zu 1. vom 26. November 2019 und medizinischen Unterlagen, unter anderem einen Befundbericht der Universitätsklinik Mainz vom 15. Oktober 2019, zu dem Unfall des Antragstellers zu 1. und dessen fortdauernder Arbeitsunfähigkeit vorgelegt. Wegen der Einzelheiten wird auf GA Bl. 149 f. und Bl. 162 ff. Bezug genommen.

Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 22. Oktober 2019 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen vorläufig laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch zu gewähren.

Die Antragsgegnerin hat sich inhaltlich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der die Antragsteller betreffenden Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Antragsgegnerin ist im Wege der einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Erbringung von laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch für die Zeit von der erstinstanzlichen Antragstellung am 19. August 2019 bis 31. Januar 2020 zu verpflichten. Der entgegenstehende Beschluss des Sozialgerichts ist aufzuheben.

1. Gegenstand des Verfahrens ist die Erbringung laufender Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch auf der Grundlage einer einstweiligen Anordnung; statthaft ist, da die Antragsteller eine Erweiterung ihrer Rechtsposition erstreben, eine Regelungsanordnung im Sinne von § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Entsprechende Leistungen (beziehungsweise eine Verpflichtung hierzu) können, dem Charakter des einstweiligen Rechtsschutzes entsprechend, nur vorläufig zugesprochen werden. Die – anwaltlich vertretenen – Antragsteller haben zwar (im Beschwerdeverfahren, anders noch erstinstanzlich) die Erbringung der streitigen Leistungen ohne eine entsprechende Einschränkung beantragt; da sie ihr Rechtsschutzbegehren allerdings im Wege eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verfolgen, wird man ihren Antrag als entsprechend beschränkt verstehen können. Einer ausdrücklichen Antragsabweisung im Übrigen, also wegen Leistungsansprüchen, die über eine vorläufige Gewährung hinausgehen, bedarf es daher nicht.

In zeitlicher Hinsicht hatten die Antragsteller ihr Rechtsschutzbegehren erstinstanzlich auf Leistungen ab dem Zeitpunkt der Antragstellung begrenzt. In dem schriftsätzlich formulierten Beschwerdeantrag fehlt ein entsprechendes Anfangsdatum; allerdings ist auch nicht ersichtlich, dass die Antragsteller ihr Begehren zweitinstanzlich hätten erweitern wollen, so dass – weiterhin – von einem entsprechend beschränkten Antrag auszugehen sein dürfte.

2. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere nach § 172 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 in Verbindung mit § 143 und § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthaft sowie den Vorgaben aus § 173 SGG entsprechend frist- und formgerecht erhoben.

3. Das Gericht kann eine Regelungsanordnung erlassen, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG).

a) Ein solcher Nachteil ist (nur) anzunehmen, wenn einerseits den Antragstellern gegenüber der Antragsgegnerin – mit ausreichender Wahrscheinlichkeit – ein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch in der Hauptsache zusteht (Anordnungsanspruch) und es ihnen andererseits nicht zuzumuten ist, die Entscheidung über den Anspruch in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund). Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert neben-, sondern in einer Wechselbeziehung zueinander, nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit beziehungsweise Schwere des drohenden Nachteils, dem Anordnungsgrund, zu verringern sind und umgekehrt (vgl. zum Maßstab für den Erlass einer einstweiligen Anordnung für die st. Rspr. des Hess. LSG: Beschluss vom 29. Juni 2005 – L 7 AS 1/05 ER –, info also 2005, 169; Beschluss vom 7. September 2012 – L 9 AS 410/12 B ER – sowie Beschluss vom 5. September 2018 – L 6 AS 216/18 B ER –; außerdem Keller, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG – Kommentar, 12. Aufl. 2017, § 86b Rn. 27 ff.; Kallert, in: Gagel, SGB II/SGB III, vor § 39 SGB II, Rn. 76 ff.): Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn auf diesen nicht gänzlich verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung – regelmäßig unter Einbeziehung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache – zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist.

Dabei sind grundrechtliche Belange der Antragsteller, soweit diese durch die Entscheidung berührt werden, umfassend in der Abwägung zu berücksichtigen; die Gerichte müssen sich – insbesondere wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht – schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen: Sie haben eine Verletzung der grundgesetzlichen Gewährleistung der Menschenwürde zu verhindern, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 –, BVerfGK 5, 237 = info also 2005, 166; BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 2009 – 1 BvR 120/09 –, BVerfGK 15, 133 = juris, Rn. 11).

b) Ausgehend von diesen Maßstäben ist zunächst ein auf §§ ff., §§ 19 ff. SGB II gestützter Anordnungsanspruch der Antragsteller auf die vorläufige Gewährung von Arbeitslosengeld II beziehungsweise Sozialgeld glaubhaft.

aa) Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II liegen, wie insoweit auch das Sozialgericht festgestellt hat, vor: Die im Jahre 1996 geborenen Antragsteller zu 1. und 2. halten sich in den sich aus § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 7a SGB II ergebenden Altersgrenzen. Die Antragsteller zu 3. und 4. haben zwar selbst das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet, sind aber gegebenenfalls aufgrund ihres Zusammenlebens in einer Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs. 3 SGB II) mit den Antragstellern zu 1. und 2. ebenfalls leistungsberechtigt (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Jedenfalls die Antragstellerin zu 2. ist erwerbsfähig im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 8 Abs. 1 SGB II; der Senat hat aber auch hinsichtlich des Antragstellers zu 1. trotz seiner langwierigen Erkrankung keine erheblichen Zweifel an dessen Erwerbsfähigkeit; im Übrigen könnte sich die Antragsgegnerin mit Blick auf die als Nahtlosigkeitsregelung zu verstehende Regelung aus § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II (vgl. dazu BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 10/06 R –, BSGE 97, 231; BSG, Urteil vom 2. April 2014 – B 4 AS 26/13 R –, juris) auf eine auf medizinischen Gründen beruhende Einschränkung der Erwerbsfähigkeit nicht berufen, nachdem sie bislang, soweit ersichtlich, diesbezüglich keine Verständigung mit dem Sozialhilfeträger gesucht hat. Ausländerrechtliche Beschränkungen hinsichtlich der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 8 Abs. 2 SGB II) bestehen nicht, da die Antragsteller Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union sind. Der Senat hat weiter keine durchgreifenden Zweifel an der Hilfebedürftigkeit der Antragsteller (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 in Verbindung mit §§ 9 ff. SGB II): Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass ihre Einnahmen ausreichen könnten, um ihren Bedarf vollständig zu decken. Weiter haben sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II in Verbindung mit § 30 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – [SGB I]). Nachdem die Antragsgegnerin, die als Ausländerbehörde auch hierfür zuständig wäre, nicht vorgetragen hat und insoweit auch sonst keine Hinweise ersichtlich sind, dass ein Verlust des Freizügigkeitsrechts der Antragsteller festgestellt worden sein könnte, kann offenbleiben, welche Auswirkungen dies auf den Fortbestand des gewöhnlichen Aufenthaltes im Inland haben könnte. Die Antragsteller haben schließlich auch den nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB II notwendigen Antrag auf laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gestellt.

bb) Nach Auffassung des Senats liegt aber auch ein Ausschlusstatbestand nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II jedenfalls seit der Arbeitsaufnahme des Antragstellers zu 1. am 2. Mai 2019 nicht vor, da dieser seither als Arbeitnehmer freizügigkeitsberechtigt ist und ein darauf beruhendes Recht auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat (Art. 45 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV –; § 2 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU). Sofern von einem fortdauernden Status als Arbeitnehmer nicht schon im Hinblick auf das nicht gekündigte Beschäftigungsverhältnis auszugehen ist, ist ihm dieser jedenfalls auf Grund seiner Erkrankung bis heute erhalten geblieben (vgl. § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU).

Der Antragsteller ist als Arbeitnehmer im Sinne der europarechtlichen Vorgaben anzusehen: Namentlich ist sein Arbeitsverhältnis bei der Fa. F. GmbH als "tatsächlich und echt" – und damit umgekehrt nicht als "völlig untergeordnet und unwesentlich" – im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes anzusehen (vgl. zu dieser Voraussetzung für die Begründung der Arbeitnehmerfreizügigkeit aus der st. Rspr. des EuGH grdl. Urteil vom 6. November 2003 – C-413/01 – RS Ninni-Orasche –, Slg. 2003, I-13187; näher dazu Schreiber, SGb 2019, 698/700 f.). Insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts (Umdruck S. 10 f.) Bezug genommen werden.

Nach Auffassung des Senats ist die Berufung auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit auch nicht als rechtsmissbräuchlich anzusehen. Zwar trifft es im Ausgangspunkt zu, dass die europarechtlichen Verbürgungen unter einem Vorbehalt des Missbrauchs stehen (vgl. allg. EuGH, Urteil vom 14. Dezember 2000 – C-110/99 – RS Emsland-Stärke –, Slg. 2000, I-11459, Rn. 51; EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 – C-303/08 – RS Bozkurt –, Slg. 2010, I-13445, Rn. 47 sowie EuGH, Urteil vom 12. März 2014 – C-456/12 – RS O. –, juris, Rn. 58). Die Annahme eines Missbrauchs setzt dabei zum einen voraus, dass eine Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergibt, dass trotz formaler Einhaltung der unionsrechtlichen Bedingungen das Ziel der Regelung nicht erreicht wurde, und zum anderen ein subjektives Element, nämlich die Absicht, sich einen unionsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Oktober 2012 – C-364/10 – RS Ungarn/Slowakei –, juris, Rn. 58; EuGH, Urteil vom 12. März 2014 – C-456/12 – RS O. –, juris, Rn. 58).

Im Ausgangspunkt zu Recht ist das Sozialgericht auch davon ausgegangen, dass die Prüfung des Missbrauchstatbestandes nach der insoweit maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes kategorial von der Prüfung, ob ein "tatsächliches und echtes" Arbeitsverhältnis als Voraussetzung des Arbeitnehmerstatus vorliegt, zu unterscheiden ist (vgl. EuGH, Urteil vom 6. November 2003 – C-413/01 – RS Ninni-Orasche –, Slg. 2003, I-13187). Dessen ungeachtet kann dem Missbrauchseinwand aber, sofern ein Arbeitsverhältnis von wirtschaftlicher Relevanz vorliegt, nur ein kleiner Anwendungsbereich vor allem mit Blick auf die im Rahmen des Missbrauchstatbestandes gebotene Einbeziehung aller und insbesondere subjektiver Umstände verbleiben, der nach Auffassung des Senats vorliegend nicht erfüllt ist.

Dabei ist zunächst in den Blick zu nehmen, dass der Europäische Gerichtshof den Missbrauchstatbestand im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit, soweit ersichtlich, nur zur Anwendung gebracht hat, wenn die Aufnahme einer Arbeitstätigkeit im Zielstaat erkennbar darauf zielte, sich Zugang zu Leistungen mit einem deutlich anderen Förderziel – konkret: Studienbeihilfen – zu verschaffen und eine mehr als ganz kurzzeitige Integration unmittelbar in den Arbeitsmarkt daher von vornherein nicht angestrebt war (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Juni 1988 – C-39/86 – RS Lair –, juris; EuGH, Urteil vom 6. November 2003 – C-413/01 – RS Ninni-Orasche –, Slg. 2003, I-13187). Eine Übertragung dieser Überlegungen auf Sozialleistungen, die gerade der Integration in den Arbeitsmarkt dienen und aufstockend zu Einkünften aus einem – tatsächlichen und echten – Arbeitsverhältnis gezahlt werden, erscheint dem Senat daher schon strukturell als problematisch. Das gilt jedenfalls, sofern die Arbeitsaufnahme nicht mehr oder weniger zum Schein erfolgt ist, wofür hier keine Anhaltspunkte bestehen.

Grundsätzlich – und damit abgesehen von dem eng auszulegenden Missbrauchstatbestand – ist mit der Gewährleistung der Arbeitnehmerfreizügigkeit nämlich gerade der Zugang zu (ergänzenden) Sozialleistungen verbunden (vgl. in diesem Sinne auch Hess. LSG, Beschluss vom 9. Oktober 2019 – L 4 SO 160/19 B ER –, juris, Rn. 44 und Schreiber, SGb 2019, 698/700). Das ergibt sich letztlich schon daraus, dass für Unionsbürger, die (vollständig) für sich selbst sorgen können, die Freizügigkeit ohne weitere Voraussetzungen gewährt ist, und also namentlich ohne dass die Voraussetzungen einer der europarechtlichen Grundfreiheiten vorliegen müssten (vgl. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Bst. a i.V.m. Art. 21 AEUV und Art. 7 Abs. 1 Bst. b der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG – Unionsbürgerrichtlinie beziehungsweise Freizügigkeitsrichtlinie – sowie § 4 Satz 1 FreizügG/EU). Namentlich die Inanspruchnahme von Sozialleistungen, die aufstockend zu einer tatsächlichen und echten Arbeitnehmertätigkeit oder zur (weiteren) Integration in den Arbeitsmarkt gewährt werden, kann daher, selbst wenn ein entsprechender Bedarf zum Zeitpunkt der Zuwanderung absehbar gewesen ist, nicht per se einen Missbrauch des Freizügigkeitsrechts begründen.

Der Europäische Gerichtshof hat diesen Zusammenhang in der Rechtssache Kempf ausdrücklich betont, wenn es dort (Urteil vom 3. Juni 1986 – C-139/85 –, juris, Rn. 13 ff.) heißt: "Nach der gesicherten Rechtsprechung des Gerichtshofes gehört die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu den Grundlagen der Gemeinschaft. Die Vorschriften, in denen diese Grundfreiheit verankert ist, [ ] sind daher weit, die Ausnahmen und Abweichungen vom Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer dagegen eng auszulegen. Infolgedessen sind die diesbezüglichen Bestimmungen dahin zu verstehen, dass jemand, der eine tatsächlich und echte Teilzeitbeschäftigung ausübt, vom Geltungsbereich dieser Bestimmungen nicht allein deswegen ausgeschlossen werden kann, weil er die unter dem Existenzminimum liegenden Einkünfte aus dieser Tätigkeit durch andere zulässige Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zu ergänzen sucht. In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob die ergänzenden Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts aus dem Vermögen oder der Arbeit eines Familienmitglieds herrühren wie bei dem dem Urteil Levin zugrundeliegenden Sachverhalt oder ob sie – wie im vorliegenden Fall – auf einer aus öffentlichen Mitteln des Wohnortmitgliedstaats gezahlten Unterstützung beruhen, sofern feststeht, dass es sich um eine echte und tatsächliche Arbeitnehmertätigkeit handelt. Dieses Ergebnis wird im Übrigen dadurch erhärtet, dass die Begriffe "Arbeitnehmer" und "Tätigkeit im Lohn- und Gehaltsverhältnis" im Sinne des Gemeinschaftsrechts [ ] nicht durch Verweisung auf die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten definiert werden können, sondern vielmehr eine gemeinschaftsrechtliche Bedeutung haben. Diese Bedeutung wäre gefährdet, wenn die Geltendmachung der durch die Freizügigkeit der Arbeitnehmer begründeten Ansprüche ausgeschlossen wäre, sobald der Betroffene in den Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats vorgesehene Leistungen aus öffentlichen Mitteln beansprucht."

Auch die Freizügigkeitsrichtlinie führt dementsprechend – in Erwägungsgrund 10 und 16 -nur die unangemessene Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats als das Freizügigkeitsrecht potentiell begrenzend an (vgl. auch Art. 35 der Freizügigkeitsrichtlinie). In der Regel wird man diesbezüglich überdies eine gesetzgeberische Ausgestaltung zwingend zu erwarten haben und die Bestimmung der damit gegebenenfalls einhergehenden Grenzen – schon wegen ihrer Grundrechtsrelevanz – nicht einer auf den Missbrauchstatbestand gestützten Kasuistik überlassen können.

Für die Annahme, die Berufung auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit könne sich als missbräuchlich darstellen, bleibt nach Auffassung des Senats daher jedenfalls dann kein Raum, wenn der Betroffene – wie hier – durch seine Tätigkeit seinen eigenen Bedarf jedenfalls fast und zumindest unter zusätzlicher Inanspruchnahme von Wohngeld auch vollständig decken kann. Der Antragsteller zu 1. hat vorliegend – unter Berücksichtigung der grundsicherungsrechtlichen Maßstäbe – einen Regelbedarf von 382,- monatlich (nach der Regelbedarfsstufe 1 wäre, wenn man ihn zunächst isoliert betrachten wollte, von einem Regelbedarf in Höhe von 424,- Euro auszugehen; vgl. Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 2019 – RBSFV 2019 – vom 19. Oktober 2018, BGBl. I 2018, 1766). Hinzu kommen die Bedarfe für Unterkunft und Heizung, wenn man von dem aktuellen Wohnverhältnissen ausgeht also von 275,- Euro monatlich. Weitere grundsicherungsrechtlich relevante Bedarfe sind nicht ersichtlich. Das arbeitsvertraglich vorgesehene Entgelt von 840,- Euro brutto beziehungsweise von knapp 700,- Euro netto wäre damit zur Deckung des Bedarfs allein des Antragstellers zu 1. (zumindest fast) vollständig ausreichend.

Nach Auffassung des Senats kann es die Reichweite der Arbeitnehmerfreizügigkeit vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs nicht beeinflussen, wenn das deutsche Existenzsicherungsrecht zumindest im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende durch die Zusammenfassung einer Familie zu einer Bedarfsgemeinschaft und die damit einhergehende Verteilung von Einkommen und Vermögen auf der Grundlage von § 9 Abs. 2 SGB II dafür sorgt, dass rechnerisch auch der Bedarf eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft mit eigenem (Arbeits-)Einkommen (und/oder Vermögen) erst dann vollständig gedeckt ist, wenn dies auch für alle anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gilt.

Die an den Arbeitnehmerstatus eines Familienmitglieds anknüpfende Freizügigkeit der anderen Familienmitglieder (§ 3 Abs. 1 FreizügG/EU; Art. 7 Abs. 1 Bst. d der Freizügigkeitsrichtlinie) ist allein von dem Arbeitnehmerstatus des beschäftigten Familienmitglieds abgeleitet, ohne dass insoweit Anhaltspunkte dafür vorhanden wären, dass ihre Inanspruchnahme wegen des Bezugs von Sozialleistungen im Wohnsitzstaat missbräuchlich sein könnte.

Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung kann jedenfalls unter diesen Umständen – und ohne dass es auf weitere Einzelheiten ankäme – weder dem Arbeitnehmer selbst noch seinen Familienangehörigen die missbräuchliche Berufung auf den Arbeitnehmerstatus des beschäftigten Familienmitglieds und die daran anknüpfende Freizügigkeitsberechtigung auch der anderen Familienmitglieder entgegengehalten werden.

Die vom Sozialgericht angeführten Entscheidungen aus der oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (soweit veröffentlicht) waren denn auch davon gekennzeichnet, dass der ernsthafte Wille zur dauerhaften Arbeitsaufnahme vollständig fraglich erschien (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 20. September 2016 – 7 B 10406/16 u.a. –, juris, Rn. 37 ff.; Hess. VGH, Beschluss vom 26. Juni 2014 – 9 B 37/14 –, juris, Rn. 11 – wobei die Missbräuchlichkeit in der Entscheidung letztlich offen blieb, da das Gericht schon den Arbeitnehmerstatus wegen des fehlenden Interesses an einer ernsthaften und kontinuierlichen Beschäftigung verneint hatte –) oder für den Zuzug familiäre Gründe maßgeblich waren und eine Erwerbstätigkeit immer nur in dem Maße aufgenommen wurde, wie dies für die Begründung des Freizügigkeitsrechts notwendig erschien (Hess. VGH, Beschluss vom 5. März 2019 – 9 B 56/19 –, juris, Rn. 8), beziehungsweise auf den Fortgang eines Verlustfeststellungsverfahrens abgestimmt war (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. März 2017 – 18 B 274/17 –, juris, Rn. 5). Damit ist der hiesige Sachverhalt nicht vergleichbar, nachdem sich der Antragsteller zu 1. bald nach der Einreise erfolgreich um eine (zumindest seinen Bedarf nahezu, wenn nicht vollständig deckende) Beschäftigung bemüht hat.

Dementsprechend vermag sich der Senat im Übrigen auch bei einer Gesamtwürdigung unter Einbeziehung der Umstände des Einzelfalles der Bewertung, die Berufung auf den europarechtlichen Status als Arbeitnehmer sei rechtsmissbräuchlich, nicht anzuschließen. Dies gilt zunächst für den Verweis auf die bislang nur wenige Tage andauernde tatsächliche Arbeitstätigkeit des Antragstellers zu 1.: Der Senat sieht keinen Anhaltspunkt, dass dies nicht allein durch den kurz nach der Arbeitsaufnahme erlittenen und nicht vorhersehbaren Unfall und die daran anknüpfende Arbeitsunfähigkeit verursacht wäre. Wegen des (auch) an die subjektive Vorhersehbarkeit der Entwicklung anknüpfenden Missbrauchstatbestandes gibt die kurze Dauer der realen Beschäftigung daher für eine Bewertung als rechtsmissbräuchlich nichts her.

Die Höhe des im konkreten Fall vertraglich vereinbarten Einkommens kann, wie bereits ausgeführt, als Beleg für die Missbräuchlichkeit gerade nicht herangezogen werden, nachdem es ausreichend ist, den Bedarf desjenigen, der sich auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit beruft, (nahezu) vollständig zu decken. Im vorliegenden Einzelfall ist zudem zu berücksichtigen, dass die soziale Lage der Antragsteller nach ihren glaubhaften und insoweit auch weder von der Antragsgegnerin noch vom Sozialgericht in Zweifel gezogenen Darstellungen gerade auch in Bulgarien im Wesentlichen als prekär einzustufen war. In einem derartigen Fall scheidet die Qualifizierung der Inanspruchnahme der Arbeitnehmerfreizügigkeit als missbräuchlich aber nach Auffassung des Senats regelmäßig schon dann aus, wenn es als nicht fernliegend erscheint, dass die Migration zumindest zu einer Verbesserung der Chancen führen kann, den Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu sichern, auch wenn absehbar sein sollte, dass dies zunächst nicht vollständig gelingt. Eine "willkürliche" oder "künstliche" Herbeiführung der formalen Voraussetzungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit, um ein mit den europarechtlichen Verbürgungen nicht geschütztes Ziel zu erreichen, liegt dann nach Auffassung des Senats gerade nicht vor (vgl. zum subjektiven Element des Missbrauchstatbestandes auch Hess. LSG, Beschluss vom 9. Oktober 2019 – L 4 SO 160/19 B ER –, juris, Rn. 44).

Dem Senat erscheint jedenfalls nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung auch zweifelhaft, ob der sehr skeptischen Einschätzung des Sozialgerichts hinsichtlich der Möglichkeit der Integration in den hiesigen Arbeitsmarkt zu folgen ist. In gewisser Weise zeigt gerade das Beispiel des Antragstellers zu 1., dass ein junger und gesunder Mensch – der nicht vorhersehbare Unfall erst nach Arbeitsaufnahme kann die Beurteilung, wie ausgeführt, nicht nachträglich ändern – im Bereich der Helfertätigkeiten beim gegenwärtigen Stand des Arbeitsmarktes in der Bundesrepublik im Allgemeinen und in Südhessen im Besonderen durchaus Arbeit finden kann, auch wenn er der deutschen Sprache nicht mächtig ist und über keine formalen Qualifikationen verfügt. Dies gilt namentlich, wenn er sich, wie der Antragsteller zu 1., nicht nur in einer in Deutschland selten gesprochenen, sondern in einer Sprache – hier der türkischen – zu verständigen vermag, die von einer Vielzahl von anderen Arbeitnehmern und auch Arbeitgebern gesprochen wird: Sofern es sich nicht um Tätigkeiten mit Publikumsverkehr handelt, kann dies ausreichen, um sich (mit Kollegen und Vorgesetzten) hinreichend zu verständigen. Vor diesem Hintergrund ist das fehlende sofortige Bemühen um Verbesserung der Deutschkenntnisse durch den Besuch eines Sprachkurses kein Hinweis auf ein missbräuchliches Verhalten. Dies könnte im Grundsatz eher für die ebenfalls nicht belegte Suche nach einer weiteren Tätigkeit – entgegen dem entsprechenden Vortrag der Antragsteller – gelten; insoweit ist aber zu berücksichtigen, dass der Antragsteller zu 1. schon sehr bald – fünf Tage nach der Arbeitsaufnahme – schwer erkrankte, woraus sich ein plausibler und schwerlich einen Missbrauch indizierender Grund dafür ergibt, dass er noch keine (weitere) Tätigkeit hat finden können (vgl. zu fehlenden Bemühungen um Beschäftigung als Kriterium für einen möglichen Missbrauch – neben den bereits genannten Entscheidungen – SG Darmstadt, Beschluss vom 25. März 2013 – S 16 AS 1089/12 ER –, juris, Rn. 54).

Das Sozialgericht hat schließlich nachvollziehbar dargelegt, dass die Antragsteller mit dem Wissen um die Möglichkeit, in der Bundesrepublik Deutschland existenzsichernde Sozialleistungen zu beantragen, eingereist sind und auch vorhergesehen haben dürften, dass sie auf einen entsprechenden Antrag angewiesen sein könnten. Die gegenteiligen Einlassungen der Antragsteller erscheinen auch dem Senat wenig überzeugend. Dies vermag aber die Missbräuchlichkeit der Berufung auf den Arbeitnehmerstatus nicht zu begründen, wenn es den Betroffenen – dann doch und möglicherweise entgegen dem bei der Einreise überwiegend wahrscheinlichen Gang der Dinge – gelingt, eine Beschäftigung zu finden, die sich als Realisierung der Grundfreiheit auf Arbeitnehmerfreizügigkeit verstehen lässt.

Nach allem ist der Senat jedenfalls nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Auffassung, dass die Berufung auf den Arbeitnehmerstatus seitens des Antragstellers zu 1. und nachfolgend auf die Freizügigkeit als Familienangehörige seitens der übrigen Antragsteller nicht als rechtsmissbräuchlich qualifiziert werden kann. Dementsprechend greift der Ausnahmetatbestand aus § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II aller Voraussicht nach nicht ein, so dass ein Anordnungsanspruch als glaubhaft gemacht anzusehen ist.

b) Auch ein Anordnungsgrund ist hinreichend glaubhaft gemacht. Insofern sind angesichts der hohen Erfolgsaussichten in der Hauptsache von vornherein keine übermäßigen Anforderungen zu formulieren. Hinzu kommt, dass das verfassungsrechtlich über Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG geschützte Interesse der Antragsteller an der nur aktuell zu verwirklichenden Sicherung ihrer Existenz den ausschließlich finanziellen Interessen der Antragsgegnerin gegenübersteht und diese deutlich überwiegt.

Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass den Antragstellern aktuell außer Kinder- und Verletzten- beziehungsweise Krankengeld weitere Mittel zur Verfügung stünden. Namentlich ist nicht ersichtlich, dass sie weiter von der Tante des Antragstellers zu 1. unterstützt würden. Es ist auch nicht unplausibel, dass sie – bei äußerst sparsamer Lebensweise – ihr Überleben in den letzten Monaten aus den Kinder- und Kranken- beziehungsweise Verletztengeldzahlungen bestritten haben, wenn man davon ausgeht, dass sie tatsächlich die Miete in vollem Umfang (abgesehen von der schon bei Einzug geleisteten Zahlung) schuldig geblieben sind. Von daher ergibt sich aus dem fehlenden Leistungsbezug bis zum heutigen Tag kein zwingender Hinweis darauf, dass den Antragstellern sonstiges Einkommen oder Vermögen zur Verfügung stehen müsste.

Auch hinsichtlich der Bedarfe für Unterkunft und Heizung ist nach Auffassung des Senats ein Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft. Zwar ergibt sich aus dem Vorbringen der Antragsteller nicht, dass ihr Vermieter ihnen mit Blick auf die aufgelaufenen Mietschulden bereits gekündigt oder Räumungsklage erhoben hätte. Der Senat ist jedoch nicht der Auffassung, dass dies zwingende Voraussetzung für die Annahme eines Anordnungsgrundes ist (vgl. hierzu auch BVerfG, Beschluss vom 1. August 2017 – 1 BvR 1910/12 –, juris). Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsteller einer ernstlichen Forderung aus dem Mietvertrag nicht ausgesetzt wären, hat der Senat nicht. Auf bloße Mutmaßungen aber lässt sich die Verneinung eines Anordnungsgrundes trotz der bei den Antragstellern liegenden materiellen Beweislast nicht stützen (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 2009 – 1 BvR 120/09 –, BVerfGK 15, 133 = juris, Rn. 16), namentlich nachdem ihre Erfolgsaussichten in der Hauptsache als deutlich überwiegend einzuschätzen sind und das durch die Entscheidung zentral berührte Recht auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz auch verfassungsrechtlich von erheblichem Gewicht ist (vgl. dazu zuletzt BVerfG, Beschluss vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 –, juris).

c) In zeitlicher Hinsicht war die einstweilige Anordnung auf die Zeit von der erstinstanzlichen Antragstellung am 19. August 2019 bis zum 31. Januar 2020 zu erstrecken.

Eine einstweilige Anordnung für Zeiträume, die – bezogen auf den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung – in der Vergangenheit liegen, scheidet regelmäßig und auch hier aus; überdies dürfte, wie bereits ausgeführt, der von den Antragstellern formulierte Antrag auch gar nicht dahin zu verstehen sein, dass Leistungen bereits für die Zeit vor der Antragstellung geltend gemacht werden sollen.

Bezüglich des Endzeitpunkts hält der Senat eine Begrenzung der einstweiligen Anordnung auf die Zeit bis zum 31. Januar 2020 unter Ausübung seines insoweit bestehenden Ermessens für sachgerecht: Zum einen wird eine Orientierung am Regelbewilligungszeitraum aus § 41 Abs. 3 Satz 1 SGB II nach dessen Verlängerung auf ein Jahr durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung – sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26. Juli 2016 (BGBl. I S. 1824) angesichts des Zwecks des einstweiligen Anordnungsverfahrens, einer aktuellen Notlage abzuhelfen, in vielen Fällen nicht mehr angemessen sein. Hier kommt hinzu, dass es – etwa im Hinblick auf die angekündigte Arbeitsaufnahme der Antragstellerin zu 2. – sachgerecht erscheint, der Antragsgegnerin in einem überschaubaren Zeitraum eine erneute Prüfung der Sach- und Rechtslage ohne Bindung an eine bereits erlassene einstweilige Anordnung zu ermöglichen und sie nicht auf ein Abänderungsverfahren zu verweisen; die zeitliche Erstreckung der einstweiligen Anordnung entspricht damit überdies ihrer Größenordnung nach einem an den Regelungsgedanken aus § 41 Abs. 3 Satz 2 SGB II angelehnten Zeitraum von 6 Monaten.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG und folgt dem Obsiegen der Antragsteller in der Sache; Gesichtspunkte, die eine Abweichung hiervon namentlich unter Veranlassungsgesichtspunkten nahelegten, sind nicht ersichtlich.

4. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Gunsten der Antragsteller unter Beiordnung ihrer Bevollmächtigten (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff., § 121 Abs. 2 Zivilprozessordnung) liegen vor.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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