S 42 AY 82/19 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
42
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 42 AY 82/19 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 28.12.2019 gegen den Bescheid vom 26.11.2019 wird angeordnet. Der Antragsgegner wird vorläufig im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom 01.01.2020 bis 30.06.2020 Grundleistungen nach §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

II. Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.

Gründe:

I. Der Antragsteller wendet sich im Eilverfahren gegen eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG für die Zeit vom 01.01.2020 bis 30.06.2020 und begehrt Grundleistungen nach §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG.

Der 1956 geborene Antragsteller ist nach eigenen Angaben jordanischer Staatsangehöriger und am 23.07.2019 erstmalig in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingereist. Er ist alleinstehend und derzeit in der Aufnahmeeinrichtung C-Stadt in A-Stadt untergebracht.

Der Asylantrag des Antragstellers vom 12.08.2019 wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Flüchtlinge und Migration (BAMF) vom 09.09.2019 als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung in die Niederlande angeordnet. Am 22.08.2019 sei ein Übernahmeersuchen nach der Dublin III-VO (VO (EU) Nr. 604/2013) an die Niederlande gerichtet worden. Die niederländischen Behörden hätten ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages mit Schreiben vom 22.08.2019 erklärt.

Mit Schreiben vom 07.11.2019 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zum beabsichtigten Erlass einer Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG an. Der Antragsteller erwiderte hierauf mit Schreiben vom 19.11.2019, er habe aufgrund seines hohen Alters spezielle Hygienebedarfe, welche nicht im Hygienepaket enthalten seien. Wegen psychischer Belastung sei er an den Psychiater Dr. D. in C-Stadt gebunden. Hierfür benötige er ein Ticket. Außerdem habe er weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen, weshalb er spezielle Nahrung kaufen müsse, die er in der Unterkunft nicht erhalte.

Nach Anhörung mit Schreiben vom 07.11.2019 stellte der Antragsgegner mit Bescheid vom 26.11.2019 eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG für die Zeit vom 01.01.2020 bis 30.06.2020 fest. Dem Antragsteller werde für diesen Zeitraum nach § 1a Abs. 1 AsylbLG eine Unterkunft im Landkreis A-Stadt einschließlich Strom- und Heizungsversorgung, sowie notwendiger Hausrat zur Verfügung gestellt. Außerdem erhalte der Antragsteller Sachleistungen für Nahrungsmittel, Gesundheits- und Körperpflege. Nach § 1a Abs. 7 AsylbLG ende der Anspruch auf Leistungen nach § 3 AsylbLG, wenn das BAMF den Asylantrag als unzulässig abgelehnt habe und eine Abschiebung angeordnet worden sei (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 31 Abs. 6 AsylG). Dies treffe auf den Antragsteller zu.

Mit Bescheid des BAMF vom 09.09.2019 sei der Asylantrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung in die Niederlande angeordnet worden. Ein Fall von § 1a Abs. 7 Satz 2 AsylbLG liege nicht vor.

Hiergegen legte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit Telefax vom 28.12.2019 Widerspruch ein mit im Eilantrag wiederholter Begründung. Auf die Widerspruchsschrift wird Bezug genommen.

Der Antragsgegner half dem Widerspruch nicht ab und legte ihn am 09.01.2020 der Regierung von Oberbayern vor. Diese hat noch nicht über den Widerspruch entschieden.

Mit Eilantrag vom 28.12.2019, eingegangen beim Sozialgericht München am 30.12.2019, beantragt der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 26.11.2019 anzuordnen und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller ab 01.01.2020 vorläufig Leistungen gemäß §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG (Regelbedarfsstufe 1) in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers trägt im Wesentlichen vor, § 1a AsylbLG sei verfassungswidrig, da das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) verletzt werde, welches die physische Existenz sichere, wie ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Die Anspruchseinschränkung des § 1a Abs. 7 AsylbLG verfolge kein legitimes Ziel im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG. Es gehe dem Gesetzgeber allein um die repressive Sanktionierung eines Verhaltens der Betroffenen im Einzelfall, welches abschreckende Wirkung entfalten und damit unerwünschte Sekundärmigration eindämmen, sowie die Betroffenen zur freiwilligen Ausreise drängen solle. Darüber hinaus sei die Regelung unverhältnismäßig, weil der Sanktionierte keine Möglichkeit habe, durch eigenes Verhalten die Leistungsminderung abzuwenden. Außerdem habe der Gesetzgeber keine tragfähige Prognose über die Wirkung der Anspruchseinschränkung vorgenommen. Eine starre Sanktionsdauer von sechs Monaten (§ 14 Abs. 1 AsylbLG), ohne die Möglichkeit der Betroffenen, die Sanktion durch eigenes Handeln abzuwenden, sei mit Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Auch die Beschränkung der Leistungen auf Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege sei verfassungswidrig.

Die Leistungshöhe betrage ca. 50% der nach §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 AsylbLG zustehenden Leistungen (EUR 153,88 statt EUR 310,- pro Person) und nur ca. 40% der nach § 2 AsylbLG i.V.m. dem SGB XII vorgesehenen Leistungen (EUR 153,88 statt EUR 382,- pro Person). Darüber hinaus lägen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1a Abs. 7 AsylbLG nicht vor, weil dem Antragsteller kein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen sei, welches nach verfassungskonformer Auslegung der Norm zu verlangen sei. Die Einreise nach Deutschland könne kein pflichtwidriges Verhalten darstellen, weil die Dublin III-VO hierfür ein geregeltes Verfahren bereitstelle. Unklar sei auch, ob der Antragsteller in den Niederlanden überhaupt Asyl beantragt habe. Bis zu einer Entscheidung über das Asylgesuch sei der Aufenthalt im Bundesgebiet gesetzlich gestattet (§ 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Bei einer Ablehnung des Asylantrags als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG werde die Ausreisepflicht erst vollziehbar, wenn ein Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt werde oder die Frist für die Stellung dieses Antrags abgelaufen sei (§ 34a Abs. 2 AsylG). Ein pflichtwidriges Verhalten scheide bereits deshalb aus, weil dem Antragsteller nie mitgeteilt worden sei, dass er Asyl nicht in der Bundesrepublik Deutschland beantragen dürfe, weil ein anderer EU-Mitgliedstaat zuständig sei. Jedenfalls sei eine Belehrung über die Rechtsfolge nicht erfolgt, dass er währen des Verfahrens in Deutschland nur eingeschränkte Sozialleistungen erhalte. § 1a Abs. 7 AsylbLG ziele verfassungswidrig darauf ab, eine dauerhafte Leistungsabsenkung zu begründen, die erst mit einer Anerkennung im Asylverfahren ende. Die Regelung des § 3a Abs. 1 Nr. 2 b) und Abs. 2 Nr. 2 b) AsylbLG sei verfassungswidrig, da der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), wie das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verletzt seien (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG). Einspareffekte bei Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft würden pauschal unterstellt, ohne dass die tatsächlichen Bedarfe realitätsgerecht und nachvollziehbar in einem inhaltlich transparenten Verfahren ermittelt worden seien. Faktisch seien Einsparungen durch ein partnerschaftliches Zusammenleben und ein "Wirtschaften aus einem Topf", wie bei Paarhaushalten in der Regelbedarfsstufe 2 (§ 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 RBEG), bei Leistungsberechtigten nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 b), Abs. 2 Nr. 2 b) AsylbLG nicht zu realisieren. Leistungen in Höhe von nur 90% des Bedarfs der Regelbedarfsstufe 1 für Alleinstehende seien evident unzureichend.

Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.

Der Antragsgegner trägt vor, der Antragsteller sei vor Erlass des Bescheides angehört worden. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG seien erfüllt. In diesem Fall sei die Leistungskürzung zwingend vorgeschrieben. Weder das "ob" noch die Höhe und der Umfang stünden im Ermessen der Leistungsbehörde. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte des Antragsgegners.

II. Der Eilantrag ist zulässig und weit überwiegend begründet. Streitgegenstand ist der Bescheid vom 26.11.2019. Der Antragsteller wendet sich gegen eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG für die Zeit von 01.01.2020 bis 30.06.2020 und begehrt Grundleistungen nach §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG.

1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ist statthaft, da Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der eine Einschränkung des Leistungsanspruchs nach § 1a AsylbLG feststellt, keine aufschiebende Wirkung haben (§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 11 Abs. 4 AsylbLG).

Die Entscheidung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG erfolgt auf Grundlage einer Interessenabwägung. Abzuwägen ist das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verschont zu bleiben, mit dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der behördlichen Entscheidung. Im Rahmen dieser Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache eine wesentliche Bedeutung zu. Dabei ist die Wertung des § 11 Abs. 4 AsylbLG zu berücksichtigen, wonach der Gesetzgeber aufgrund einer typisierenden Abwägung der Individual- und öffentlichen Interessen dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug Vorrang gegenüber entgegenstehenden privaten Interessen einräumt. Eine Abweichung von diesem Regel-Ausnahmeverhältnis kommt nur in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen oder wenn ausnahmsweise besondere private Interessen überwiegen (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 11. Auflage 2014, § 86b Rn. 12c).

Bei der Interessensabwägung ist neben den Erfolgsaussichten in der Hauptsache von besonderer Bedeutung, ob eine Dringlichkeit für das im Eilverfahren geltend gemachte Begehren vorliegt (Bayer. LSG, Beschluss vom 13.02.2015 - L 7 AS 23/15 B ER).

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist möglich. Der angegriffene Bescheid ist aufgrund form- und fristgerechter Widerspruchseinlegung noch nicht bestandskräftig geworden (§ 77 SGG).

2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichtet auf Zahlung von Grundleistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG ist statthaft. Denn das Rechtsschutzziel, ungekürzte Leistungen zu erhalten, kann allein durch die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Sanktionsbescheid nicht erreicht werden. Es liegt kein früherer Bewilligungsbescheid vor, aus welchem der Antragsteller Leistungen ab Eilantragstellung nach §§ 3, 3a AsylbLG begehren könnte (vgl. Bayer. LSG, Beschluss vom 13.09.2016 - L 8 AY 21/16 B ER - Rn. 63).

Statthaft ist damit die einstweilige Anordnung in Form der Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG. Hiernach sind einstweilige Anordnungen zulässig zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der Antragsteller sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der Antragsteller glaubhaft zu machen, das heißt abweichend von der vollen richterlichen Überzeugung reicht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit (§ 86b Abs. 2 Satz 2, 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b Rn. 41).

Geht es um Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums, ist die Ablehnung des einstweiligen Rechtsschutzes aufgrund fehlender Erfolgsaussichten der Hauptsache nur dann zulässig, wenn das Gericht die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend geprüft hat.

Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist die Eilentscheidung anhand einer Folgenabwägung zu treffen, wobei die Gerichte eine Verletzung der Grundrechte des Einzelnen, insbesondere der Menschenwürde zu verhindern haben (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, Juris Rn. 25; vgl. auch Beschluss vom 06.02.2007, 1 BvR 3101/06, Juris Rn. 18).

3. Die nach obigen Grundsätzen (s.o. unter Ziffer II. 1. und 2.) zu fällende Entscheidung ergeht aus Gründen der verfassungsrechtlich gebotenen Folgenabwägung zugunsten des Antragstellers. Daher ist die aufschiebende Wirkung gegen den Sanktionsbescheid anzuordnen und es sind Leistungen nach §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG vorläufig im Wege der einstweiligen Anordnung zuzusprechen.

Die Folgenabwägung ist jeweils zugunsten des Antragstellers vorzunehmen, da existenzsichernde Leistungen in Streit stehen und bei Fortsetzung der Anspruchseinschränkung die Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung des Existenzminimums zu befürchten ist (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG), sollte sich im Hauptsacheverfahren herausstellen, dass Leistungen zu Unrecht nicht gewährt wurden. Nach den Vorgaben des BVerfG ist gerade eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG zu verhindern. Die Dringlichkeit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung, sowie der Anordnungsgrund, ergeben sich ebenfalls aus der existenzsichernden Funktion der beantragten Sozialleistungen.

a) Die mit Bescheid vom 26.11.2019 festgestellte Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG ist rechtswidrig. Der Antragsteller wurde nicht zu einer vorwerfbaren Pflichtverletzung angehört (s.u. aa)). Zudem hat der Antragsgegner kein Ermessen ausgeübt (s.u. bb)).

Aufgrund ungeklärter und schwieriger verfassungsrechtlicher Fragen, die im Eilverfahren nicht abschließen geklärt werden können und müssen (BVerfG, Beschluss vom 14.02.2017 - 1 BvR 2507/16 Rn. 19), ist im Ergebnis der vorzunehmenden Folgenabwägung die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 26.11.2019 anzuordnen.

Rechtsgrundlagen der Leistungseinschränkung sind §§ 1a Abs. 7 Satz 1, 14 Abs. 2 AsylbLG.

Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder 5 AsylbLG, deren Asylantrag durch eine Entscheidung des BAMF nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 31 Abs. 6 AsylG als unzulässig abgelehnt wurde und für die eine Abschiebung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG angeordnet wurde, erhalten nur Leistungen entsprechend § 1a Abs. 1 AsylbLG, auch wenn die Entscheidung noch nicht unanfechtbar ist (§ 1a Abs. 7 Satz 1 AsylbLG). Dies gilt nicht, sofern ein Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung angeordnet hat (§ 1a Abs. 7 Satz 2 AsylbLG). Die Anspruchseinschränkungen nach diesem Gesetz sind auf sechs Monate zu befristen (§ 14 Abs. 1 AsylbLG). Im Anschluss ist die Anspruchseinschränkung bei fortbestehender Pflichtverletzung fortzusetzen, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen der Anspruchseinschränkung weiterhin erfüllt werden (§ 14 Abs. 2 AsylbLG). aa) Die Anspruchseinschränkung ist rechtswidrig, da keine vorwerfbare Pflichtverletzung des Antragstellers vorliegt.

§ 1a Abs. 7 AsylbLG wurde mit dem zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht (BGBl I 2019, 1294) vom 15.08.2019, in Kraft getreten zum 21.08.2019, eingefügt. Intention des Gesetzgebers ist es, die Ausreisepflicht besser durchzusetzen und unerwünschte Sekundärmigration zu verhindern (BT-Drs. 19/10047).

Verfassungsrechtlich problematisch erscheint insoweit, dass die Regelung ausschließlich auf die Durchsetzung des asyl- bzw. ausländerrechtlichen Konzepts abzielt und nicht an leistungsrechtlichen Bedarfslagen ausgerichtet ist (Oppermann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 1a AsylbLG (Stand: 01.02.2020), Rn. 145). Demgegenüber hat das BVerfG festgestellt, dass ein Absenken des Leistungsstandards unterhalb des physischen oder soziokulturellen Existenzminimums mit migrationspolitischen Erwägungen nicht zu rechtfertigen ist (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10; 1 BvL 2/11). Ferner dürfte eine Minderung staatlicher Leistungen nur dann dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen, wenn es dem Betroffenen tatsächlich möglich ist, die Minderung durch eigenes zumutbares Verhalten abzuwenden und die existenzsichernden Leistungen wiederzuerlangen (BVerfG, Urteil vom 05.11.2019 - 1 BvL 7/16).

Nach Auffassung der Kammer ist § 1a Abs. 7 Satz 1 AsylbLG daher in verfassungskonformer Auslegung teleologisch zu reduzieren. Als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ist zu verlangen, dass dem Leistungsberechtigten ein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen ist (ebenso bereits SG Landshut, Beschluss vom 28.01.2020 - S 11 AY 3/20 ER und Beschluss vom 23.01.2020 - S 11 AY 79/19 ER; vgl. zu § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG a.F.: Bayer. LSG; Beschluss vom 17.09.2018 - L 8 AY 13/18 B ER).

Die Vorwerfbarkeit der Pflichtverletzung setzt dabei voraus, dass der Leistungsberechtigte zuvor konkret angehört wurde und, dass dargestellt wird, welches Verhalten von ihm verlangt wird (vgl. zu § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG a.F.: Bayer. LSG, Beschluss vom 21.12.2016 - L 8 AY 31/16 B ER - Rn. 59).

Die Anspruchseinschränkung ist bereits deshalb rechtswidrig, weil es an einer Anhörung in diesem Sinne fehlt.

Darüber hinaus liegt - jedenfalls nach dem Erkenntnisstand im Eilverfahren - kein vorwerfbares Verhalten des Antragstellers vor, das eine Anspruchseinschränkung rechtfertigen könnte.

Die Einreise als solche könnte allenfalls dann vorwerfbar in diesem Sinne sein, wenn feststeht, dass der Antragsteller Kenntnis davon hatte, dass er (zumindest vorerst) nach den Regelungen der VO (EU) Nr. 604/2013 (sog. Dublin III-VO) ausländerrechtlich gehalten war, sein Asylverfahren in den Niederlanden durchzuführen. Anhaltspunkte für eine entsprechende Kenntnis des Antragstellers, der eine solche bestreitet, liegen nicht vor. Dies geht daher nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten des Antragsgegners, der im Zweifel die Umstände für eine Anspruchseinschränkung zu beweisen hat.

Die Nichtausreise ist dem Antragsteller nicht vorwerfbar. Denn es bestehen erhebliche Zweifel, ob dem Antragsteller die sofortige Ausreise rechtlich und tatsächlich möglich ist. Weder der Leistungsakte noch dem Vortrag des Antragsgegners ist zu entnehmen, dass ein konkreter Abschiebetermin bestimmt wurde. Außerdem ist nicht ersichtlich, dass eine Abstimmung der beteiligten EU-Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 29 Abs. 1 VO (EU) Nr. 604/2013 über die Modalitäten der Überstellung erfolgt ist. Die verbleibenden Zweifel gehen aus Gründen der objektiven Beweislast zu Lasten des Antragsgegners.

Im Übrigen dürfte die Nichtausreise frühestens dann vorwerfbar sein, wenn ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt wurde oder die Frist für die Stellung dieses Antrags abgelaufen ist (§ 34a Abs. 2 AsylG). Denn die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig (§ 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG).

bb) Die Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG ist auch deshalb rechtswidrig, weil der Antragsgegner kein Ermessen ausgeübt hat.

Verfassungsrechtlich problematisch ist neben § 1a Abs. 7 AsylbLG die Regelung des § 14 AsylbLG, welche schon aus gesetzessystematischen Gründen dauerhafte Leistungsabsenkungen des Lebensunterhaltes nicht rechtfertigen kann (so Oppermann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 14 AsylbLG (Stand: 01.02.2020), Rn. 21 ff. m.w.N. zur Gegenauffassung).

Insbesondere unter Berücksichtigung der Entscheidung des BVerfG mit Urteil vom 05.11.2019 - 1 BvL 7/16 - begegnen längere Anspruchseinschränkungen Bedenken. Für Sanktionen nach § 31a SGB II hat das BVerfG unter anderem problematisiert, dass die Wirksamkeit der Sanktion nicht hinreichend erforscht sei, dass die gesetzliche Regelung der Behörde keinen Ermessensspielraum bei außergewöhnlichen Härtefällen einräumen würde und, dass die Regelung eine starre Frist von drei Monaten vorsehe. Die Sanktion müsse enden, sobald die geforderte Mitwirkungshandlung vorgenommen werde. Diese Erwägungen dürften auch im Hinblick auf §§ 1a Abs. 3, 14 AsylbLG anzustellen sein. Im Übrigen wird auf die vom Prozessbevollmächtigten des Antragstellers vorgetragenen verfassungsrechtlichen Fragestellungen Bezug genommen.

Die Kammer geht davon aus, dass unter Zugrundelegung obiger Entscheidung des BVerfG (BVerfG, Urteil vom 05.11.2019 - 1 BvL 7/16) § 14 Abs. 1 und 2 AsylbLG im Wege verfassungskonformer Auslegung teleologisch zu reduzieren ist in dem Sinne, dass die Behörde bei pflichtgemäßer Ermessensausübung in außergewöhnlichen Härtefällen von der Sanktionierung abzusehen hat, sowie die Leistungseinschränkung aufzuheben hat, sobald die sanktionierte Pflichtverletzung entfallen ist (vgl. SG München, Beschluss vom 06.02.2020 - S 42 AY 78/19 ER).

Ermessen hat der Antragsgegner nicht ausgeübt. Eine Prüfung, ob ein Härtefall im obigen Sinne vorliegt, ist nicht erfolgt. Es liegt deshalb ein sog. Ermessensausfall vor, der zur materiellen Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung führt (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG; BSG, Urteil vom 07.02.1995 - B 4 RA 44/94 - Rn. 32). Die Leistungsakte ergibt hinreichende Anhaltspunkte für eine Härtefallprüfung im vorliegenden Einzelfall. So hat der Antragsgegner im Rahmen der Anhörung zur Anspruchseinschränkung, wie auch in der ausländerrechtlichen Anhörung durch das BAMF, umfangreiche gesundheitliche Beeinträchtigungen vorgetragen, die leistungsrechtlich relevant sein und einen Härtefall begründen könnten.

b) Der Antragsteller hat Anspruch auf Leistungen nach §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG.

Die einstweilige Anordnung von Leistungen nach §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG beruht ebenfalls auf ungeklärten und schwierigen verfassungsrechtlichen Fragen, die im Eilverfahren nicht abschließen geklärt werden können, wie auf der deshalb vorzunehmenden Folgenabwägung. Der Antragsteller hält sich tatsächlich im Bundesgebiet auf. Er ist vollziehbar ausreisepflichtig und daher dem Grunde nach leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG.

Die Leistungen des Antragstellers sind nach § 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 AsylbLG i.V.m. mit der Bekanntmachung über die Höhe der Leistungssätze nach § 3a Abs. 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes für die Zeit ab 1. Januar 2020 zu bemessen. Der Antragsteller hat daher vorläufig Anspruch auf Leistungen in Höhe von EUR 351,- monatlich.

Nachdem der Antragsteller in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht ist, stünden ihm grundsätzlich Leistungen nach §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2 b), Abs. 2b) AsylbLG in Höhe von monatlich EUR 310,- zu. Der notwendige persönliche Bedarf nach § 3 Abs. 1 Satz 2 AsylbLG beträgt monatlich für erwachsene Leistungsberechtigte je EUR 136,-, wenn sie nicht in einer Wohnung leben, weil sie in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 Abs. 1 AsylG untergebracht sind, wenn der notwendige persönliche Bedarf vollständig durch Geldleistungen gedeckt wird. Wird der notwendige Bedarf nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG mit Ausnahme der Bedarfe für Unterkunft, Heizung, Hausrat, Wohnungsinstandhaltung und Haushaltsenergie vollständig durch Geldleistungen gedeckt, so beträgt dieser monatlich für erwachsene Leistungsberechtigte je EUR 174, wenn sie nicht in einer Wohnung leben, weil sie in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 AsylG untergebracht sind (§ 3a Abs. 2 Nr. 2 b) AsylbLG).

Dagegen erhalten erwachsene Leistungsberechtigte, die ohne Ehegatten oder Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft mit einem Partner in einer Wohnung im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 2 RBEG leben, für den notwendigen persönlichen Bedarf je EUR 150,- monatlich (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG). Für den notwendigen Bedarf werden monatlich je EUR 194 ausbezahlt (§ 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG). Damit haben Alleinstehende grundsätzlich monatlich EUR 344,- zur Verfügung. Für die Zeit ab 01.01.2020 beträgt die Leistung nach § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG EUR 153,- monatlich, die Leistung nach § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG EUR 198,- monatlich (§ 3a Abs. 4 AsylbLG in Verbindung mit der Bekanntmachung über die Höhe der Leistungssätze nach § 3a Abs. 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes für die Zeit ab 1. Januar 2020 vom 01. Oktober 2019; BGBl. I, S. 1429), mithin gesamt EUR 351,-.

Dies gesetzgeberische Konstruktion des § 3a Abs. 1 Nr. 2 b), Abs. 2 Nr. 2 b) AsylbLG wirft diverse schwierige und ungeklärte verfassungsrechtliche Fragestellungen auf. Auf die umfassende Antragsbegründung des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers wird Bezug genommen.

Das SG Landshut ist für diese Problematik zum Ergebnis gelangt, dass aufgrund der vorzunehmenden Folgenabwägung die Höhe der Leistungen nach §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG zu bestimmen sei. Die Vorschriften der § 3a Abs. 1 Nr. 2 b), Abs. 2 Nr. 2 b) AsylbLG könnten unter Berücksichtigung der Vorgaben des BVerfG allenfalls dahingehend verfassungskonform auszulegen sein, dass als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal zu prüfen ist, ob tatsächlich eine gemeinschaftliche Haushaltsführung des Leistungsberechtigten mit anderen in der Sammelunterkunft untergebrachten Leistungsberechtigten erfolgt. Insoweit bedürfe es einer Prüfung im Einzelfall, ob der Leistungsberechtigte mit anderen zusammenlebt und wirtschaftet und hierdurch geringere Bedarfe, etwa an Lebensmitteln, Freizeit, Unterhaltung und Kultur bestehen. Zweifel gingen nach der objektiven Beweislast zu Lasten des Leistungsträgers nach dem AsylbLG (SG Landshut, Beschluss vom 23.01.2020 - S 11 AY 79/19 - Rn. 36 ff.).

Die Kammer schließt sich den obigen Erwägungen des SG Landshut an. Leistungsunterschiede zwischen Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG und dem SGB XII sind nur gerechtfertigt, wenn und soweit die Bedarfslagen der beiden Gruppen in einem inhaltlich transparenten Verfahren sachgerecht ermittelt wurden (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11). An einer entsprechenden Erhebung der Verbrauchsausgaben von Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG fehlt es. Ohne eine solche erscheint die pauschale Annahme des Gesetzgebers, dass regelmäßig einander fremde Personen gemeinsam wie Ehegatten oder Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft wirtschaften würden, nicht haltbar. Denn Synergieeffekte können zum Teil bereits dann nicht erzielt werden, wenn für andere Mitbewohner Anspruchseinschränkungen nach § 1a AsylbLG festgestellt wurden oder Leistungen mit geringeren Regelbedarfsstufen gewährt werden (SG Landshut, a.a.O.). Hinzu kommt, dass in einer Gemeinschaftsunterkunft regelmäßig einander fremde Personen aus unterschiedlichen Nationen und Kulturkreisen untergebracht sind. Insoweit liegt nahe, dass bei generell knapp bemessenen Leistungen nach dem AsylbLG kein besonderes Nähe- und Vertrauensverhältnis untereinander herrscht, welches einem gemeinsamen Wirtschaften in der Regel zugrunde liegen wird.

Eine Prüfung, ob der Antragsteller wie oben dargestellt tatsächlich Einsparungen erzielt durch gemeinsames Wirtschaften mit anderen Leistungsberechtigten, ist durch den Antragsgegner bislang nicht erfolgt. Dies geht nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten des Antragsgegners. Daher sind Leistungen nach §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG zu gewähren.

c) Die Antragsablehnung im Übrigen beruht darauf, dass das Gericht die zu gewährenden Leistungen in Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens zur Vermeidung einer Vorwegnahme der Hauptsache befristet (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO).

Es wird darauf hingewiesen, dass Leistungen, die mittels einstweiligen Rechtsschutzes erlangt werden, lediglich vorläufig gewährt werden. Wenn sich im Hauptsacheverfahren herausstellen sollte, dass die Leistungen tatsächlich nicht zustehen, sind die erlangten Leistungen zurückzuzahlen. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG und beruht auf dem Unterliegen des Antragsgegners.

Da der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zukunftsoffen formuliert wurde, ist die Beschwerde statthaft nach §§ 172 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG (Bayer. LSG, Beschluss vom 15.11.2019 - L 8 AY 43/19 B ER).
Rechtskraft
Aus
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