S 4 AS 2464/19 ER

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Reutlingen (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 2464/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Kosten für die Schädlingsbekämpfung in einer Wohnung stellen Kosten der Unterkunft dar.
Beschluss

Der Antragsgegner wird vorläufig verpflichtet, die Kosten für eine thermische Schädlingsbekämpfung durch die Firma A von voraussichtlich 1.700,00 EUR zuzüglich Stromkosten zu übernehmen.

Die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin sind vom Antragsgegner zu erstatten.

Gründe:

Die Antragstellerin begehrt die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme von Kosten für eine Schädlingsbekämpfungsmaßnahme.

Die im Jahr 1996 geborene Antragstellerin bezieht zusammen mit ihren in den Jahren 2015 und 2017 geborenen Kindern als Bedarfsgemeinschaft laufende Leistungen vom Antragsgegner. In der aktuell angemieteten Wohnung lebt die Bedarfsgemeinschaft seit Mitte Oktober 2018 (zwei Zimmer, ca. 40 m² Wohnfläche).

Am 04.10.2019 beantragte die Antragstellerin beim Antragsgegner die Übernahme der Kosten für eine Schädlingsbekämpfung. In ihrer Wohnung seien Bettwanzen aufgetreten. Sie legte hierzu einen Kostenvoranschlag der Firma A i.H.v. 1.700 EUR über eine thermische Schädlingsbekämpfung vor und wies darauf hin, dass zusätzlich Stromkosten entstünden. Der Vermieter lehne eine Kostenübernahme rundweg ab, da im gesamten Mietshaus noch nie Bettwanzen aufgetreten seien und diese offensichtlich von ihr oder ihren Kindern eingeschleppt worden seien. Die Antragstellerin verwies auf eine Informationsbroschüre des Umweltbundesamtes, wonach bei Bettwanzen eine professionelle Schädlingsbekämpfung angezeigt sei.

Der Antragsgegner lehnte diesen Antrag mit den Bescheiden vom 08. und 22.10.2019 sowohl im Hinblick auf eine Zuschuss- als auch im Hinblick auf eine Darlehensgewährung ab. Die Leistung sei im Regelbedarf als Pauschale abgedeckt. Die Übernahme der Kosten für eine Schädlingsbekämpfung sei im Rahmen der Kosten für Unterkunft nicht vorgesehen. Ohne gesetzliche Grundlage könne keine Leistung und nach Ausübung von Ermessen auch kein Darlehen gewährt werden. Hiergegen erhob die Antragstellerin Widerspruch.

Am 06.11.2019 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Reutlingen um die Gewährung von einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Sie hat weitere Unterlagen zu dem von der Firma A nach einer Vor-Ort-Besichtigung erstellten Kostenvoranschlag vorgelegt und ergänzend zu ihren Bemühungen um weitere Kostenvoranschläge sowie zu der Möglichkeit einer chemischen Bekämpfung vorgetragen. Es sei absolut eklig, jede Nacht im Bett von den Bettwanzen angezapft zu werden und morgens die Bisse am Körper zu zählen sowie die Blutspuren in den Bettlaken zu beseitigen. Auch ihre beiden Kinder seien betroffen. Der Vermieter dränge ständig auf die Beseitigung des Ungeziefers.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, die Kosten für eine thermische Schädlingsbekämpfung durch die Firma A von voraussichtlich 1.700 EUR zuzüglich Stromkosten zu übernehmen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Antragsgegner hat zu Erwiderung vorgetragen, die Kosten für die Bekämpfung der Bettwanzen seien weder als Zuschuss noch als Darlehen bewilligungsfähig. Es handle sich nicht um Kosten der Unterkunft. Die Kosten seien auch nicht vom Regelbedarf umfasst. Im Übrigen sei der Vermieter zivilrechtlich in Anspruch zu nehmen. Auch ein Anordnungsgrund erscheine zweifelhaft, denn der Bettwanzenbefall bestehe laut eigenen Angaben bereits seit einiger Zeit.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte des Antragsgegners und die Gerichtsakte verwiesen.

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zu erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist Voraussetzung, dass ein der Antragstellerin zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegt (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, so dass der Antragstellerin schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Sie stehen nicht isoliert nebeneinander; es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, dass sich die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) verringern und umgekehrt. Bei offensichtlich fehlenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Liegen in der Hauptsache dagegen offensichtlich Erfolgsaussichten vor, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. Auch dann kann aber nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden (LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 28.03.2007, L 7 AS 1214/07 ER-B und 06.03.2017, L 7 SO 420/17 ER-B beide in juris).

Vorliegend sind Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners stellen die anstehenden Kosten für die Schädlingsbekämpfung Kosten der Unterkunft i.S. des § 22 Abs. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch dar.

Zu diesen Kosten gehören nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht nur der laufende Mietzins, die laufenden kalten Mietnebenkosten und die Heizkosten, sondern auch Kosten für Schönheitsreparaturen, die die im Regelbedarf enthaltenen Kosten für kleinere Reparaturen und Instandhaltungsmaßnahmen einer Wohnung überschreiten (BSG, Urteil vom 19.03.2008, B 11b AS 31/06 R in juris). Wenn aber nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts solche Schönheitsreparaturen als Kosten der Unterkunft zuschussweise zu übernehmen sind, muss dies erst recht für die Kosten von Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen in einer Wohnung gelten, die, was hier aufgrund des Eintritts des Schädlingsbefalls während des laufenden Mietverhältnisses der Fall ist, von der Antragstellerin als Mieterin zu tragen sind. Letztlich geht es bei der Übernahme dieser Kosten um die Sicherung eines menschenwürdigen Wohnens (jurisPK-SGB II, Stand 23.10.2019, § 22 Rn. 58).

Aufgrund der von der Antragstellerin vorgelegten Unterlagen steht fest, dass in ihrer Wohnung ein Bettwanzenbefall vorliegt. Dies wurde von einem Mitarbeiter der Firma A festgestellt.

Eine professionelle Schädlingsbekämpfung ist erforderlich. Die Kammer entnimmt der Informationsbroschüre des Umweltbundesamts "Bettwanzen - Erkennen, Vorbeugen, Bekämpfen" (Stand September 2017), dass die Bekämpfung eines Bettwanzenbefalls in der Regel sehr aufwändig ist und auch für den erfahrenen Schädlingsbekämpfer eine Herausforderung darstellen kann. Eine Bekämpfung in Eigenregie wird keine vollständige Beseitigung der Schädlinge zur Folge haben und kann u.U. sogar gesundheitsschädigende Wirkung haben. Von der Verwendung von im Internet frei verkäuflichen Produkten zur Schädlingsbekämpfung wird dringend abgeraten.

Die von der Firma A vorgeschlagene thermische Behandlung und die veranschlagten Kosten sind zu akzeptieren. Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass sie sich weitgehend erfolglos, aber ausreichend um weitere Kostenvoranschläge bemühte und die Firma A ein seriöser Anbieter ist. Ferner hat sie glaubhaft dargelegt, dass die thermische Behandlung eine von den Kosten und der Erfolgsprognose her vernünftige Bekämpfungsmethode ist.

Auch ein Anordnungsgrund liegt vor. Nachvollziehbar hat die Antragstellerin vorgetragen, dass der Befall von Bettwanzen kein hinnehmbarer Zustand ist. Bettwanzenstiche jucken in der Regel stark und durch das Aufkratzen der Haut kann es zu bakteriellen Infektionen kommen. Ein Bettwanzenbefall wird außerdem häufig als äußerst ekelerregend empfunden, da es sich bei den Tieren um blutsaugende Insekten handelt, die sich dauerhaft in den persönlichen Rückzugsbereichen des Menschen (Bett) bzw. in unmittelbarer Nähe dazu aufhalten. Bei einzelnen Personen stellt dies eine enorme psychische Belastung dar, die sich in Albträumen, Überwachsamkeit, Angstzuständen, sozialer Isolierung und weiteren persönlichen Einschränkungen äußern kann. Die Stichbelästigung kann außerdem zu starken Schlafstörungen führen (UBA, a.a.O. S. 6). Konkret sieht die Kammer die Gefahr einer sozialen Isolierung der Familie bei Bekanntwerden des Befalls und die Gefahr, dass die Bettwanzen - gerade durch die Kinder - unfreiwillig weiterverbreitet werden. Eine zeitnahe Schädlingsbekämpfung liegt damit sogar im öffentlichen Interesse.

Damit sind die anstehenden Schädlingsbekämpfungskosten als Kosten der Unterkunft vom Antragsgegner zu übernehmen. Auf eine darlehensweise Leistungsgewährung muss nicht näher eingegangen werden, wobei klarzustellen ist, dass im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zwangsläufig nur eine vorläufige Entscheidung erfolgt.
Rechtskraft
Aus
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