L 3 AS 520/20 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AS 173/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 520/20 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Eine ordentliche Vermieterkündigung wegen schuldhafter, nicht unerheblicher Verletzung der vertraglichen Pflichten des Mieters kann nicht durch Begleichung der Mietschulden abgewendet werden, da nach der ständigen Rechtsprechung des BGH § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB nicht auf eine ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB anwendbar ist. Dies kann einer nachhaltigen Sicherung der Unterkunft durch Mietschuldentilgung und somit einem Anspruch auf Übernahme der Mietschulden durch den Grundsicherungsträger entgegenstehen (Anschluss an LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 01.07.2015 – L 32 AS 1579/15, juris Rn. 16 ff.).
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 03.02.2020 wird zurückgewiesen. Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt W. bewilligt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung des Antragsgegners zur darlehensweisen Übernahme von Mietschulden in Höhe von 4.654,39 EUR.

Die Antragstellerin lebt mit ihren drei Kindern (geboren 2002, 2005 und 2014) als Bedarfsgemeinschaft zusammen. Seit 2015 wohnt die Familie in einer Mietwohnung in N., für die laut § 9 des Mietvertrages vom 15.04.2015 monatlich im Voraus jeweils bis spätestens zum dritten Werktag eine Grundmiete in Höhe von 580 EUR sowie Nebenkosten/Betriebskosten in Höhe von 200 EUR zu bezahlen waren. Laut § 4 Nr. 3 des Mietvertrages betrug die Kündigungsfrist drei Monate und verlängerte sich nach fünf Jahren seit der Überlassung des Wohnraums für den Vermieter um weitere drei Monate. In der Zeit vom 01.04.2017 bis 30.11.2017 bezog die Familie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Antragsgegner, der mit Bescheiden vom 27.03.2017 als Bedarfe für die Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) 780 EUR zugrundelegte und diesen Betrag sowie die nach Anrechnung von Einkommen verbleibenden Regelleistungen für die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft auf das Bankkonto der Antragstellerin überwies. Am 21.01.2019 beantragte die Antragstellerin für sich und ihre Kinder erneut die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheiden vom 26.02.2019 und vom 22.07.2019 bewilligte der Antragsgegner vorläufig (aufgrund der noch nicht bekannten Höhe des Erwerbseinkommens der Antragstellerin) Leistungen für die Zeit vom 01.02.2019 bis 31.07.2019 und für die Zeit vom 01.08.2019 bis 31.01.2020, legte hierbei die inzwischen auf 880 EUR erhöhten KdU (Kaltmiete 680 EUR, Nebenkosten 200 EUR) zugrunde und überwies diesen Betrag zuzüglich der unter Berücksichtigung eines fiktiven Einkommens in Höhe von 850 EUR netto verbleibenden Regelleistungen für die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft wiederum auf das Bankkonto der Antragstellerin.

Mit Schreiben vom 26.11.2019 legte die Vermieterin der von der Antragstellerin und ihren Kindern bewohnten Mietwohnung eine Aufstellung der seit Januar 2018 entstandenen Mietrückstände vor, die sich nach der dortigen Berechnung auf insgesamt 4.654,39 EUR beliefen. Danach war für die Monate März 2018 bis einschließlich August 2018 sowie für Oktober 2019 und November 2019 gar keine Miete gezahlt worden, im Februar 2018 nur 400 EUR und im September 2018 nur 430 EUR (anstatt jeweils 680 EUR). Weiter ergibt die Aufstellung, dass die Antragstellerin im März und April 2019 statt der geschuldeten 880 EUR jeweils 1080 EUR und in den Monaten Mai und Juni 2019 jeweils 1030 EUR gezahlt hatte. Die Vermieterin kündigte mit dem Schreiben vom 26.11.2019 das Mietverhältnis fristlos und stützte diese Kündigung auf §§ 543 Abs. 2 Nr. 3b, 569 Abs. 3 BGB, da die Antragstellerin über mehr als zwei Zahlungstermine mit mindestens zwei Mieten in Verzug sei. Die Vermieterin widersprach außerdem unter Hinweis auf § 545 BGB der Fortsetzung des Mietgebrauchs über den Beendigungszeitpunkt 10.12.2019 hinaus und erklärte hilfsweise die auf § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB gestützte ordentliche Kündigung zum 29.02.2020.

Die Antragstellerin legte das Kündigungsschreiben der Vermieterin am 02.12.2019 beim Antragsgegner vor, der die Antragstellerin mit Schreiben vom 09.12.2019 aufforderte, eine Vereinbarung mit der Vermieterin über die Rücknahme der fristgerechten Kündigung bei Ausgleich der Mietrückstände bis 13.12.2019 vorzulegen.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 09.12.2019 teilte die Vermieterin mit, sie habe an der Fortsetzung des Mietverhältnisses kein Interesse und werde an der hilfsweise ausgesprochenen fristgemäßen Kündigung festhalten.

Mit Bescheid vom 18.12.2019 lehnte der Antragsgegner die Übernahme der Mietschulden ab. Die Unterkunft könne nicht gesichert werden, da auch durch die Begleichung der Mietschulden die Wohnungslosigkeit nicht verhindert werden könne.

Zur Begründung des hiergegen am 15.01.2020 eingelegten Widerspruchs wurde vorgetragen, es sei bereits fraglich, ob die Pflichtverletzung der Antragstellerin als so schwerwiegend zu erachten sei, dass eine Fortsetzung des Mietverhältnisses dem Vermieter unzumutbar sei. Außerdem liefe die vom Gesetzgeber gewollte Heilungsmöglichkeit nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB völlig ins Leere, wenn diese durch eine ordentliche Kündigung umgangen werden könnte.

Am 18.02.2020 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Freiburg (SG) die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt mit dem Ziel einer Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung eines Darlehens zum Ausgleich von Mietrückständen in Höhe von 4.654,39 EUR. Zur Begründung ist auf die persönliche Situation der Antragstellerin verwiesen worden, die einen Erziehungsauftrag für drei Kinder habe, sich ernsthaft um die Wiederaufnahme einer beruflichen Tätigkeit bemühe und über keinerlei Rücklagen und Reserven verfüge. Dem Wortlaut des § 22 Abs. 8 SGB II sei nicht zu entnehmen, dass eine Übernahme von Mietschulden nur im Falle einer Erklärung des Vermieters bezüglich der Fortsetzung des Mietverhältnisses infrage komme. Außerdem sei der Norm nicht zu entnehmen, dass die betroffene Wohnung auf unbestimmte Zeit erhalten bleiben müsse. Sinn und Zweck sei vielmehr die Verhinderung der Wohnungslosigkeit für den Hilfebedürftigen, so dass auch schon die nicht unwesentliche Verschaffung von Zeit zur Wohnungssuche eine Übernahme rechtfertige.

Der Antragsgegner hat darauf hingewiesen, dass die derzeit bewohnte Unterkunft auch bei Gewährung eines Darlehens nicht dauerhaft gesichert werden könne, da die Vermieterin an der Fortsetzung des Mietverhältnisses kein Interesse habe. Bezüglich der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung mit Kündigungsfrist zum 29.02.2020 sehe das Gesetz keine Heilungsmöglichkeit vor.

Das SG hat den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 03.02.2020 zurückgewiesen. Der Antrag sei als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG statthaft und auch sonst zulässig, aber unbegründet. Die Antragstellerin habe keinen Anordnungsanspruch auf Gewährung eines Darlehens zum Ausgleich ihrer Mietschulden gemäß § 22 Abs. 8 SGB II. Vorliegend könne zwar durch eine Übernahme der Mietschulden die außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB abgewendet werden, hiervon bleibe aber die Wirksamkeit der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses unberührt, da nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) (Urteil vom 01.07.2015 - VIII ZR 278/13, juris; Beschluss vom 20.07.2016 - VIII ZR 238/15, juris) die Regelung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB auf eine wegen Mietzahlungsverzugs erfolgte ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht anwendbar sei.

Gegen den am 06.02.2020 zugestellten Beschluss des SG richtet sich die am 11.02.2020 eingelegte Beschwerde, mit der außerdem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren beantragt wird. Zur Begründung wird im Wesentlichen das Vorbringen aus dem erstinstanzlichen Verfahren wiederholt. Die Antragstellerin vertritt unter Hinweis auf die Kommentierung in Schmitt-Futterer/Blank, Mietrecht, 14. Auflage 2019, § 569 BGB, Rn. 65 entgegen der Rechtsprechung des BGH die Auffassung, die analoge Anwendung von § 569 BGB auf eine ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB sei aus Gründen des Mieterschutzes geboten. Außerdem gehe es der Vermieterin hier wohl nicht um die vorgetragene Pflichtverletzung, sondern sie wolle zugunsten ihres Sohnes die strengen Voraussetzungen einer Eigenbedarfskündigung umgehen.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 03.02.2020 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, der Antragstellerin ein Darlehen zum Ausgleich von Mietrückständen i.H.v. 4.654,39 EUR zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Das Argument einer persönlichen Überforderung der Klägerin befreie sie nicht von ihren Pflichten als Mieterin und dringe angesichts der nicht unerheblichen Pflichtverletzung nicht durch. Ob die Voraussetzungen einer Eigenbedarfskündigung umgangen werden sollten, könne nicht beurteilt werden. Jedenfalls liege keine Eigenbedarfskündigung vor.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist nicht begründet.

Das Gericht kann nach § 86b Abs. 2 SGG eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers erschwert oder wesentlich vereitelt wird. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO stets die Glaubhaftmachung des Vorliegens sowohl eines Anordnungsgrundes (also die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) als auch eines Anordnungsanspruchs (die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht. Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweggenommen werden, wobei hiervon nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Ausnahmen zu machen sind, wenn drohende schwere Grundrechtsverletzungen zu verhindern sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.02.2009 - 1 BvR 120/09, Rn. 17, juris).

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.

Grundlage für einen Anspruch auf die vorläufige Verpflichtung eines Leistungsträgers nach dem SGB II zur Übernahme von Mietschulden in Form eines Darlehens ist § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II. Danach sollen Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt und notwendig ist, weil sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht.

Nach Würdigung des Vorbringens im erstinstanzlichen Verfahren und im Beschwerdeverfahren ist die darlehensweise Übernahme der in Höhe von 4.654,39 EUR bestehenden Mietschulden nicht gerechtfertigt, weil auch dadurch eine Sicherung der gegenwärtigen Unterkunft der Bedarfsgemeinschaft nicht mehr zu erreichen wäre, so dass eine Ermessensreduzierung auf Null, die im Hinblick auf § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II den mit dem Eilantrag hier verfolgten Anspruch begründen könnte, nicht vorliegt.

Eine Schuldenübernahme ist nämlich dann nicht gerechtfertigt, wenn die fragliche Unterkunft bereits geräumt ist oder wenn deren Räumung auch bei Übernahme der Rückstände nicht mehr abgewendet werden könnte und eine längerfristige Sicherung der Unterkunft also nicht mehr zu erreichen ist. Letzteres ist u.a. dann der Fall, wenn eine Kündigung bereits ausgesprochen und sich deren Rechtswirkungen nicht mehr vermeiden lassen, weil etwa der Vermieter unter keinen Umständen zur Fortsetzung des Mietverhältnisses bereit ist (vgl. Luik in Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 22, Rn. 269; Piepenstock in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, § 22, Rn. 244; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.01.2016 - L 2 AS 11/16 B-ER, Rn. 4, juris).

So liegt der Fall hier, denn eine Sicherung der von der Antragstellerin und ihren Kindern bewohnten Wohnung durch Übernahme der Mietschulden durch den Antragsgegner ist im vorliegenden Fall ausgeschlossen, da das Mietverhältnis bereits gekündigt wurde und die Vermieterin angegeben hat, an der mit Wirkung zum 29.02.2020 ausgesprochenen ordentlichen Kündigung festhalten zu wollen und an der Fortsetzung des Mietverhältnisses kein Interesse zu haben.

Bei der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung erweist sich die am 26.11.2019 ausgesprochene und auf § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB gestützte ordentliche Kündigung zum 29.02.2020 als wirksam. Gemäß § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Vermieter nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Ein berechtigtes Interesse in diesem Sinne liegt gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB insbesondere vor, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten nicht unerheblich verletzt hat. Die Kündigung erfolgte hier schriftlich (§ 568 Abs. 1 BGB), war mit dem notwendigen Hinweis auf die Widerspruchsmöglichkeit nach §§ 574 ff. BGB versehen (§ 568 Abs. 2 BGB) und erfolgte unter Einhaltung der gemäß § 4 Nr. 3 des Mietvertrages maßgeblichen Frist von drei Monaten. In diesem Fall liegt auch eine nicht unerhebliche Verletzung der vertraglichen Hauptpflicht zur Entrichtung des Mietzinses (§ 535 Abs. 2 BGB) vor, die jedenfalls dann anzunehmen ist, wenn die für eine fristlose Kündigung geltende Grenze des Zahlungsverzugs (nicht entrichtete Miete für zwei aufeinander folgende Termine, § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3a BGB) erreicht ist. Da die Antragstellerin die für die Monate Oktober und November 2019 jeweils am 3. des Monats (vgl. § 9 des Mietvertrages) fällig gewesene Miete nicht gezahlt hat und zudem seit Januar 2018 weitere erhebliche Mietrückstände in Höhe von 4.610 EUR (sechs volle Monatsmieten à 680 EUR für die Zeit von März 2018 bis August 2018, fehlende 280 EUR für Februar 2018 und fehlende 230 EUR für September 2018) entstanden sind, die sich auch nach teilweiser Nachentrichtung seitens der Antragstellerin (je 200 EUR im März und April 2019 und je 150 EUR im Mai und Juni 2019) immer noch auf 3.910 EUR belaufen, was nahezu einer Halbjahresmiete entspricht, wird von einer nicht unerheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptpflicht auszugehen sein, was das SG zutreffend auch so bewertet hat. Damit kommt es hier auf die in Literatur und Rechtsprechung uneinheitlich beantwortete Frage, ob eine ordentliche Kündigung auch bei einem Zahlungsverzug unterhalb der Schwelle des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB zulässig ist (vgl. zum Streitstand BGH, Urteil vom 10.10.2012 - VIII ZR 107/12, Rn. 15 ff., juris) nicht an.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin wird die ordentliche Kündigung auch nicht durch Begleichung der Mietschulden abgewendet werden können. Zwar könnte die ebenfalls am 26.11.2019 ausgesprochene fristlose Kündigung (§§ 543 Abs. 2 Nr. 3, 569 Abs. 3 BGB) abgewendet werden (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB), falls die Mietschulden spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs getilgt würden oder sich eine öffentliche Stelle zur Übernahme verpflichten würde. Diese Möglichkeit besteht jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des BGH nicht im Falle einer - hier gegebenen - ordentlichen Kündigung nach § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB (vgl. BGH Urteil vom 25.10.2006 - VIII ZR 102/06, juris; Urteil vom 01.07.2015 - VIII ZR 278/13, juris; Beschluss vom 20.07.2016 - VIII ZR 238/15, juris), was auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung der Sozialgerichte sowie in der einschlägigen Kommentarliteratur (LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 16.07.2018 - L 29 AS 1252/18, Rn. 27ff., und vom 01.07.2015 - L 32 AS 1579/15, Rn. 16, juris; Luik, a.a.O., § 22, Rn. 261) so vertreten wird. Soweit die Antragstellerin unter Hinweis auf die in der Kommentierung von Blank (in Schmitt-Futterer/Blank, Mietrecht, 14. Auflage 2019, § 569 BGB, Rn. 65) vertretene Meinung eine analoge Anwendung von § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB auf Fälle des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB aus Gründen des Mieterschutzes für geboten hält, führt dies im Ergebnis zu keiner anderen Beurteilung. Selbst wenn der von der Antragstellerin zitierten zivilrechtlichen Argumentation gefolgt werden könnte, bliebe bei der hier maßgeblichen sozialrechtlichen Prüfung das Kriterium der nachhaltigen Sicherung der Unterkunft zu berücksichtigen. Letzteres könnte bei Anschluss an eine bisher nur in der Kommentarliteratur und entgegen der langjährigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des BGH vertretenen Rechtsmeinung nicht angenommen werden. Der erkennende Senat verweist auf die überzeugende Begründung des LSG Berlin-Brandenburg, das im Beschluss vom 01.07.2015 (L 32 AS 1579/15) diesbezüglich ausgeführt hat: "Daher kann die Befriedigung der Vermieterin hinsichtlich der fälligen Miete nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung des Mietverhältnisses führen, denn § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB findet nach ständiger Rechtsprechung des BGH keine Anwendung bei der Kündigung gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB ( ). Solange diese höchstrichterliche Rechtsprechung besteht, kann die Befriedigung des Vermieters innerhalb der Frist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB nicht zur nachhaltigen Sicherung der Unterkunft führen, selbst wenn dies von einigen Amtsgerichten anders beurteilt wird. Deren Entscheidungen sind nicht unanfechtbar." (Rn. 16 ff. des Beschlusses vom 01.07.2015, juris). Damit ist auch im vorliegenden Fall der Antragstellerin die Übernahme der Schulden zur nachhaltigen Sicherung der Unterkunft nicht geeignet.

Da die Sicherung der gegenwärtigen Unterkunft nicht mehr möglich ist, ist die Übernahme der Mietschulden nicht gerechtfertigt im Sinne von § 22 Abs. 8 SGB II. Auf die Wirksamkeit der ebenfalls am 26.11.2019 ausgesprochenen fristlosen Kündigung kommt es damit nicht mehr an. Ob darüber hinaus eine Eigenbedarfskündigung ausgesprochen wurde, ist ebenfalls nicht relevant.

Soweit im Verfahren wiederholt - und für den Senat nachvollziehbar - auf die vielfältigen Belastungen der Antragstellerin hingewiesen worden ist, der es in der Vergangenheit gelungen ist, den Lebensunterhalt für sich und ihre drei minderjährigen Kinder ganz oder teilweise durch Erwerbstätigkeit sicherzustellen, kann dies indes im Ergebnis zu keiner anderen Entscheidung führen. Da die Antragstellerin seit März 2018 bei jedenfalls seit 01.02.2019 erfolgter stets vollständiger Bewilligung der anfallenden Wohnkosten seitens des Antragsgegners dennoch die Miete in einem Ausmaß nicht gezahlt hat, dass es zur durch Begleichung der Schulden nicht mehr abwendbaren Vermieterkündigung gekommen ist, ist ein Erhalt der Wohnung - auch unter Berücksichtigung der Belange der Kinder - durch eine Verpflichtung des Antragsgegners gemäß § 22 Abs. 8 SGB II nicht mehr möglich.

Die Beschwerde war daher mangels glaubhaft gemachten Anordnungsanspruchs zurückzuweisen.

Allerdings war der Antragsgegnerin auf ihren Antrag Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu gewähren.

Gemäß § 73a SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Die Antragstellerin hat ihre Bedürftigkeit in diesem Sinne nachgewiesen. Sie bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

Auch die erforderlichen Erfolgsaussichten waren gegeben. Eine hinreichende Erfolgsaussicht für die Rechtsverfolgung liegt bereits vor, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt eines Klägers oder Antragstellers aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zumindest vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht mindestens von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Es muss also aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage möglich sein, dass die Antragstellerin mit ihrem Begehren durchdringen würde (B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 73a SGG, Rn. 7 ff.). Vorliegend schien es zum Zeitpunkt des Eingangs der Beschwerde und der Antragstellung zumindest im Hinblick auf den zivilrechtlichen Streitstand hinsichtlich der analogen Anwendung von § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB nicht ausgeschlossen, dass sich eine im Sinne des Begehrens der Antragstellerin andere rechtliche Bewertung eines Anspruchs nach § 22 Abs. 8 SGB II ergeben könnte (vgl. dazu auch Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14.02.2017 - 1 BvR 2507/16, Rn. 14, juris).

Daher hat die Antragstellerin einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab dem Tag der Antragstellung.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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