S 12 SB 3113/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 12 SB 3113/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Es liegt trotz einer sozialgerichtlichen Abweichung von einer Entscheidung eines Landessozialgerichts keine „rechtliche Schwierigkeit“ im Sinne des § 105 SGG vor, falls die landessozialgerichtliche Entscheidung willkürlich ist.

Das Urteil des 6. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg im Verfahren L 6 SB 3637/19 vom 23.01.2020 ist sowohl objektiv als auch subjektiv willkürlich begründet worden.

Der Inhalt der sozialgerichtsverfahrensrechtlichen Normen zur Bestimmung des Streitgegenstandes wird in krasser Weise und damit willkürlich missachtet, wenn ein Gericht wider den ausdrücklich und unmissverständlich erklärten Willen der Prozessbeteiligten fälschlich annimmt, zwischen ihnen umstrittene Rechtstatsachen stünden schon nicht im Streit.

Es läuft offensichtlich jedem Zweck einer Beweiswürdigung zuwider, ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar, objektiv sachfremd und deswegen willkürlich, als Obergericht einen bestimmten Sachverhalt ins Blaue hinein zu behaupten, ohne sich ansatzweise mit erstinstanzlich umfangreich hierzu erhobenen ausgewerteten und das Gegenteil beweisenden Erkenntnismitteln auseinanderzusetzen.

Die richterliche Unabhängigkeit wird in krasser und damit willkürlicher Weise missachtet, wenn der weisungsgebundenen Verwaltung mehr sachliche Unabhängigkeit zugebilligt wird als verfassungskräftig sachlich unabhängigen Richtern.

Es ist willkürlich, in einer streitentscheidenden Rechtsfrage als Berufungsgericht von der durch das erstinstanzliche Gericht zitierten und als zutreffend erachteten ständigen Rechtsprechung des Revisionsgerichts stillschweigend abzuweichen.

Es ist unter keinem denkbaren rechtlichen Aspekt haltbar, sachfremd und willkürlich, als Berufungsgericht auf eine nach den Ausführungen der Vorinstanz veraltete Rechtsprechung eines anderen Landessozialgerichts zu rekurrieren, ohne sich als Berufungsgericht mit der hiervon abweichenden, ungleich jüngeren, ebenfalls von der Vorinstanz zitierten und mitsamt ergänzender Begründung ausdrücklich herangezogenen Rechtsprechung eines anderen Senats des eigenen Landessozialgerichts oder mit der ebenfalls zitierten seit vielen Jahren ständigen Rechtsprechung des erstinstanzlichen Gerichts inhaltlich auseinanderzusetzen.

Objektiv willkürlich sind Entscheidungsgründe eines Berufungsgerichts, wenn dem erstinstanzlichen Gericht sprachlich missglückte Formulierungen in den Mund gelegt, diese unrichtiger Weise mithilfe von Anführungszeichen als wörtliche Zitate gekennzeichnet und dadurch der irreführende Anschein erweckt wird, die Vorinstanz habe erstens schlampig formuliert und zweitens nicht einmal die rechtlich maßgebliche Rechtsverordnung, sondern irgendwelche rechtlich unerheblichen „gesetzliche Vorgaben“ herangezogen.

Es läuft jedem Zweck einer Beweiswürdigung zuwider, ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar, objektiv sachfremd und deswegen willkürlich, Sozialrichtern obergerichtlich den Freibrief auszustellen, den Gesamt-Grad der Behinderung allein mithilfe ihrer Berufserfahrung eigenständig zu bestimmen, weil diese Aufgabe wegen ihrer Komplexität (sozial-) medizinisch viel fundiertere Kenntnisse erfordert als Sozialrichtern unterstellt werden können.

In subjektiver Hinsicht ist richterliches Handeln willkürlich, soweit es nicht auf den vorgeblichen Entscheidungsgründen beruht, sondern auf Motiven sachfremder Art, wobei als nach außen kaum sichtbarer Hintergrund hierfür etwa in Betracht kommen: die erschöpfungsbedingte Kapitulation vor chronisch überhöhtem Arbeitsanfall, die begründete Furcht vor dienstrechtlichen Nachteilen, die begründete Hoffnung auf dienstrechtliche Vorteile, die opportunistische Unterordnung der eigenen Meinung unter kollegialen Anpassungsdruck, schlichte Bequemlichkeit, Ignoranz, Zynismus, Resignation oder eine Mischung einer oder mehrerer dieser oder anderer Faktoren.

Die Annahme subjektiv willkürlichen Richterhandelns wird durch eine Vielzahl von objektiven Verstößen gegen das Willkürverbot indiziert.

Die durch eine Vielzahl von objektiven Verstößen gegen das Willkürverbot indizierte auch subjektive Willkür richterlichen Handelns verdichtet sich regelmäßig zum Vollbeweis, falls sie sich ein landessozialgerichtlicher Senat in voller Besetzung zuschulden kommen lassen hat.

Es besteht möglicherweise eine strukturell bedingte, nicht unerhebliche Ungewissheit, ob die dienstrechtlich dem Bundesland Baden-Württemberg unterstellten Berufsrichter der Landessozialgerichtsbarkeit des Bundeslandes Baden-Württemberg in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts in jedem Einzelfall freie und unabhängige Urteile über Verwaltungsentscheidungen der Versorgungsverwaltung des Bundeslandes Baden-Württemberg fällen (können) und nicht mitunter subjektiv willkürlich befinden (müssen).

Es entspricht Wortsinn, Systematik, Historie und Sinn und Zweck von § 131 Abs. 5 SGG sogar in besonderem Maße, Rechtsstreitigkeiten an Verwaltungsbehörden zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen, wenn letztere ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Amtsermittlung systematisch nicht nachkommen, weil sie aufgrund ihrer absolut unzureichenden personellen und sächlichen Mittelausstattung von einem gesetzlich vorgesehenen Beweismittel überhaupt nicht oder nur in absolut unzureichendem Maß Gebrauch machen und deswegen die Erhebung des Beweismittels in nahezu allen Fällen ins gerichtliche Verfahren verlagert wird (Fortsetzung von: Sozialgericht Karlsruhe, 16.10.2019, S 2 SB 1734/19; Sozialgericht Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19; Abweichung von: Landessozialgericht Baden-Württemberg, 23.01.2020, L 6 SB 3637/19).

Die langjährige Ermittlungsstrategie der Versorgungsverwaltung des Landes Baden-Württemberg, lediglich die behandelnden Ärztinnen und Ärzte über so bezeichnete Befundberichte zu befragen, ergänzend Rehabilitations-, Krankenhausentlassungs- und Operationsberichte einzuholen, und diese nur nach Aktenlage versorgungsärztlich auszuwerten, ohne eine ambulante Begutachtung zu veranlassen, hat sich nicht „bewährt“, sondern erwiesenermaßen als ungeeignet sowie viel zu langatmig erwiesen, um zutreffend über die Höhe des GdB oder das Vorliegen gesundheitlicher Merkzeichen entscheiden; sie widerspricht (erstens) der langjährigen Ermittlungsstrategie in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts des 6. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg, (zweitens) der langjährigen Ermittlungspraxis aller in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts zuständigen Kammern des Sozialgerichts Karlsruhe, welche – bei konservativer Schätzung – 100 Mal so viele ambulante Begutachtungen veranlassen wie die Versorgungsverwaltung des Beklagten, (drittens) der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach Sachverständigengutachten zur Feststellung des Ausmaßes gesundheitlicher Funktionsstörungen vielfach unerlässlich sind, und (viertens) den überzeugenden Ausführungen der hierzu eigens befragten Gerichtssachverständigen Dr. W. und Dr. P. (Fortsetzung von: Sozialgericht Karlsruhe, 16.10.2019, S 2 SB 1734/19; Sozialgericht Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19; Abweichung von: Landessozialgericht Baden-Württemberg, 23.01.2020, L 6 SB 3637/19).

Zur Beseitigung verbleibender sozialmedizinischer Zweifel können und müssen Sozialgerichte in Baden-Württemberg derzeit in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts einstweilig keine Rückfragen an die Landesversorgungsverwaltung des Beklagten bzw. dessen Ärztlichen Dienst stellen, anstatt die Klage zur erneuten Ermittlung und Entscheidung an die Versorgungsverwaltung zurückzuverweisen (Fortsetzung von: Sozialgericht Karlsruhe, 16.10.2019, S 2 SB 1734/19; Sozialgericht Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19; Abweichung von: Landessozialgericht Baden-Württemberg, 23.01.2020, L 6 SB 3637/19).

Die Regelung des § 131 Abs. 5 SGG gelangt auch zur Anwendung, wenn erst das Vorbringen im Klageverfahren weitere Ermittlungen angezeigt erscheinen lässt und der Behörde deshalb ein Ermittlungsversäumnis beziehungsweise eine sachwidrige Aufwandsverlagerung auf die Gerichte nicht vorgeworfen werden kann (Fortsetzung von: Sozialgericht Karlsruhe, vgl. 11.12.2019, S 12 SB 1642/19; Abweichung von: Landessozialgericht Baden-Württemberg, 23.01.2020, L 6 SB 3637/19).
Der Bescheid des Landratsamts Calw vom 16.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 11.09.2019 wird aufgehoben, soweit darin die Feststellung eines GdB von mehr als 30 ab dem 29.08.2019 abgelehnt worden ist. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über den Erstfeststellungsantrag für die Zeit ab dessen Eingang beim Beklagten am 29.08.2018 an das Landratsamt Calw zurückverwiesen. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX).

Am 29.08.2019 beantragte die sodann 52-jährige Klägerin die Erstfestsetzung ihres GdB. Sie teilte dem Beklagten zur Überprüfung ihrer gesundheitlichen Verhältnisse die sie behandelnden Ärzte mit, befreite diese von deren Schweigepflicht und legte zur Substantiierung ihrer Gesundheitsstörungen diverse medizinische Unterlagen vor. Sie bezeichnete körperliche, geistige bzw. seelische Gesundheitsstörungen (Sarkoidose der Lunge, Intrinsisches Asthma, mittelgradig depressive Episode und Schlafstörungen) und gab an, aus ihnen resultierten seit bereits mehr als sechs Monaten Funktionsbeeinträchtigungen.

Der Beklagte zog daraufhin medizinische Untersuchungs- und Behandlungsunterlagen bei, insbesondere einen Bericht über die Behandlung der Klägerin in der Abteilung Psychosomatik/Psychotherapie einer Rehabilitations-Fachklinik vom 20.06.2018 bis 24.07.2018 sowie Auskünfte der behandelnden Fachärzte für Innere Medizin und Pneumologie bzw. Neurologie und Psychiatrie. Anlässlich der sozialmedizinischen Auswertung der Aktenlage nahm der Ärztliche Dienst des Beklagten zwar an keiner Stelle Bezug auf die Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 (VersMedV) bzw. deren nähere Ausgestaltung in der Anlage zu § 2 der VersMedV, den sogenannten Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG,) und unterließ jegliche Ausführungen zur Bildung des Gesamt-GdB. Der Ärztliche Dienst meinte in seinem vier Zeilen umfassenden Freitext aber, eine mittels beruhigender Medikamente behandlungsbedürfte Depression könne ebenso anerkannt werden wie eine unter Kortisontherapie stabile Sarkoidose. Der "BGA" weise eine Normoxämie auf. In Ruhe sei die Obstruktion nur gering-gradig. Bei forcierter Atmung trete keine Obstruktion auf. Die Überblähung sei gering-gradig. Es bestehe keine Restriktion. Seit 29.08.2018 sei ein Gesamt-GdB von 30 aufgrund folgender Funktionsbeeinträchtigungen nachgewiesen:

"GdB" Funktionsstörung(en) 30 Sarkoidose 20 Depression

Dementsprechend setzte der Beklagte mit Bescheid vom 16.01.2019 den GdB ab dem 29.08.2019 auf 30 fest. Hiergegen legte die Klägerin am 04.02.2019 unter Vorlage weiterer Arztbriefe im Wesentlichen mit der Begründung Widerspruch ein, die Sarkoidose sei im Zuge ihrer nervenärztlichen Rehabilitationsbehandlung anlässlich der durch sie verursachten Auswirkungen auf andere Organe (Rippenfellentzündung, Schwellung der Lymphknoten) diagnostiziert worden. Am meisten beeinträchtige sie die "Totalerschöpfung" bei alltäglichen Dingen und der Verlust von Antrieb, Kraft und Entschließungsfähigkeit. Sie leide unter Herzrasen, Schweißausbrüchen und gestiegenem Blutdruck. Das Atmen falle ihr schwer. Es bildeten sich Ödeme an den Beinen. Ihr sei übel. Sie sei traurig und nehme an Gewicht zu durch die Einnahme von Cortison. Ihr intrinsisches Asthma und ihre Ventilationsstörung mitsamt mittelgradiger Überblähung seien noch nicht berücksichtigt worden. Mit der Bitte um Beachtung übersende sie aktuelle Berichte der Frauenklinik des Universitätsklinikums Tübingen über eine im Mai 2019 zur Behandlung von "CIN I" und "VAIN I" erfolgten operativen Eingriff unter Narkose mit "Laservaporisation an Vagina und Vulva mit LEEP-Konisation, Nachresektion, CK-Abrasio und Vulva PEs" bei noch ausstehendem histologischen Untersuchungsergebnis.

Der Beklagte versuchte daraufhin (teilweise vergeblich), Berichte über Nachuntersuchungen in Form von Röntgenaufnahmen der linken Hand sowie des Thorax beizuziehen, holte daneben eine weitere Auskunft des die Klägerin behandelnden Facharztes für Pneumologie und Innere Medizin ein, der auch aktuelle Behandlungsberichte Dritter vorlegte, aus denen insgesamt ersichtlich war, dass aufgrund der beiden seit dem Erlass des angefochtenen Bescheides erfolgten Kontrolluntersuchungen – jeweils: "Bodyplethysmographie" nebst "BGEM epoc-Bluttest" – im Fall der Klägerin Befund-Verschlechterungen eingetreten seien. Trotz der von der Widerspruchsführerin beklagten Totalerschöpfung mit Traurigkeit und Gewichtszunahme bei Verlust von Antrieb, Kraft, Entschließungsfreiheit und vordiagnostizierter mittelgradig depressiver Störung nebst Anpassungsstörung, sah der Beklagte von jeglichen nervenärztlichen Ermittlungen ab. Auch auf frauenheilkundlichem Gebiet veranlasste er keine weiteren Sachverhaltsermittlungen, insbesondere nicht die Beiziehung der ausstehenden Ergebnisse der histologischen Untersuchung der bei der vaginalen Operation entnommenen Gewebeproben. Auch ohne die Klägerin selbst ambulant sozialmedizinisch zu untersuchen, meinte der Ärztliche Dienst des Beklagten in einer gutachterlichen Stellungnahme nach Aktenlage anschließend, auch nach nochmaliger Aktendurchsicht und Berücksichtigung der ergänzenden Berichte komme es zu keiner Änderung der letzten versorgungsärztlichen Stellungnahme. Die Sarkoidose werde behandelt und sei angemessen nach den VMG anerkannt. Die beschriebenen Funktionseinbußen/Auswirkungen seien mit einem GdB von 30 abgedeckt. Die zwischenzeitlich beschriebene röntgenologische Befundverschlechterung könne nicht nachvollzogen werden, da der CT-Thorax-Befund nicht vorliege. Die obstruktive Ventilationsstörung sei gering, werde inhalativ behandelt und erreiche nicht das Ausmaß einer Behinderung. Auch die behandlungsbedürftige seelische Störung sei angemessen gewürdigt. Eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bestehe nicht.

Im Anschluss an einen elfzeiligen Freitext ohne jedwede Bezeichnung einer Ziffer der VMD oder Ausführungen zur Bildung des Gesamt-GdB meinte der Ärztliche Dienst, ein Gesamt-GdB von 30 sei aufgrund folgender Funktionsstörungen nachgewiesen:

"GdB" Funktionsstörung(en) 30 Sarkoidose 20 Depression (10 Bronchialasthma

Daraufhin hat der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.09.2019 zurückgewiesen. Deswegen hat die Klägerin am 23.09.2019 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, eine Schweigepflichtentbindungserklärung abgegeben, ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wörtlich wiederholt und beantragt:

"Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 16.01.2019, in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.09.2019, verpflichtet, bei der Klägerin einen GdB von mind. 50 seit dem 29.08.2018 (Antragstellung) festzustellen."

Das Landratsamt Calw hat auf die gerichtliche Aufforderung hin seine Verwaltungsakte an den Beklagten abgegeben. Dieser hat sie eingesehen, auf die gerichtliche Verfügung vom 25.09.2019 hin einen Monat später – am 24.10.2019 – dem Sozialgericht Karlsruhe vorgelegt.

Die 12. Kammer hat die Beteiligten in einer ihnen im Dezember 2019 zugestellten Anhörung darauf hingewiesen, dass sie nach intensiver Auseinandersetzung mit dem Klagebegehren, den rechtlichen Beurteilungsgrundlagen und den aktenkundigen sozialmedizinischen Erkenntnissen noch erheblichen Ermittlungsbedarf auf dem psychiatrischen sowie auf dem lungenfachärztlichen Fachgebiet sehe. Über den geltend gemachten höheren Grad der Behinderung könne das Gericht nicht ohne Weiteres entscheiden. Es verfüge nicht über hinreichend eigene sozialmedizinische Sachkunde. Auch könne es sich nicht auf die aktenkundigen gutachterlichen Stellungnahmen des Ärztlichen Dienstes des Beklagten stützen. Diese ließen keine über vernünftige Zweifel erhabene Überzeugungsbildung zu. Sie seien viel zu kurz bzw. inhaltlich nicht nachvollziehbar. Überdies seien sie ohne eine – in diesem Einzelfall nach Meinung der Kammer unerlässliche – ambulante psychiatrische und lungenfachärztliche Untersuchung zu sozialmedizinischen Zwecken ergangen. Der Ärztliche Dienst des Beklagten werde die erforderliche Begutachtung mitsamt ambulanter Untersuchung mithilfe der von ihm vorzuhaltenden personellen und sächlichen Ausstattung schnell und kosteneffizient bewerkstelligen und binnen maximal sechs Monaten erneut über die Sache entscheiden müssen. Das angerufene Gericht verfüge hingegen über keinen eigenen Ärztlichen Dienst und wäre auf externe Gutachter angewiesen, die teurer und langsamer seien als ein auf die sozialmedizinischen Fragestellungen der vorliegenden Art spezialisierter Ärztlicher Behördendienst. Die Kammer erachte daher die Zurückverweisung der Sache an den Beklagten unter Aufhebung seiner angefochtenen Entscheidung für sachdienlich, damit es möglichst schnell und nicht erst in vielen Monaten oder Jahren eine in der Sache zutreffende Entscheidung geben könne. Das Gericht beabsichtige, ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, da die Sache nach vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweise und der Sachverhalt geklärt sei.

Der seitens des Gerichts mitgeteilten Absicht, die Sache zur erneuten behördlichen Ermittlung und Entscheidung ohne vorherige mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Gerichtsbescheid zurückzuverweisen, ist die Klägerin nicht entgegengetreten.

Der Beklagte beantragt (teilweise sinngemäß),

Einsicht in seine, von ihm an das Gericht übersandte Behördenakte,

die Durchführung der mündlichen Verhandlung,

die Anordnung des Ruhens des Verfahrens und

die Klageabweisung.

Bezüglich der von Seiten des Beklagten in vergleichbaren Fällen der 12. Kammer bereits mehrfach mittels Textbausteinen vorgebrachten Gesichtspunkte wird exemplarisch auf deren erschöpfende Darstellung der Kammer im Tatbestand des Gerichtsbescheides zum Vorverfahren 12 SB 981/19 vom 10.10.2019 Bezug genommen. Ergänzend hierzu hat der Beklagte gemeint, er könne keinen weiteren (erheblichen) Ermittlungsbedarf auf psychiatrischem und lungenfachärztlichem Fachgebiet erkennen. Zu Sarkoidose und Depression seien im Verwaltungsverfahren aktuelle Befunde bei den behandelnden Ärzten eingeholt und anschließend versorgungsärztlich ausgewertet worden. Nach diesen bestehe nur eine geringe Obstruktion und bei Durchschnittsbetrachtung eine leichtere psychische Symptomatik. Das spätere Vorbringen der Gegenseite enthalte keine neuen Gesichtspunkte, die zu einer für sie günstigeren Entscheidung führen könnten. Der Beklagte könne sich nicht weiter äußern, denn die Kammer teile in dem richterlichen Hinweis vom 18.12.2019 nicht mit, worin der Ermittlungsbedarf bestehen soll und aus welchen Gründen sie eine ambulante psychiatrische Untersuchung im vorliegenden Fall zur Bewertung des GdB für erforderlich halte. Die beabsichtigte Zurückverweisung an den Beklagten sei nicht sachdienlich, wenn der Versorgungsverwaltung keine bessere Ausstattung als dem Gericht zur Ermittlung des medizinischen Sachverhalts zur Verfügung stehe und von ihr deshalb ebenfalls ein externes Gutachten eingeholt werden müsste. Unklar sei, ob der ärztliche Dienst überhaupt über Fachärzte derjenigen medizinischen Fachrichtungen verfüge, in denen die Kammer eine Begutachtung mit ambulanter Untersuchung für notwendig erachte. Das Ruhen des Verfahrens beantrage der Beklagte im Hinblick auf die zweistellige Anzahl von Berufungsverfahren, die er bislang gegen Zurückverweisungsentscheidungen der angekündigten Art durch die 12. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe angestrengt habe, weil vor Abschluss der bereits anhängigen Berufungsverfahren eine weitere Zurückverweisungsentscheidung wegen der grundsätzlichen Problematik wiederum mit der Berufung angefochten werden müsste, wodurch für die hier Beteiligten letztlich nur Zeitverzögerungen und zusätzliche Kosten entstehen würden, obgleich bereits für den 23.01.2020 eine erste diesbezügliche Entscheidung des 6. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg zu erwarten sei.

Der 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 3637/19 erstmals eine Zurückverweisungsentscheidung der 12. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe (vom 10.10.2019 im Verfahren S 12 SB 981/19) aufgehoben, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Karlsruhe zurückverwiesen und in seinen Entscheidungsgründen unter anderem ausgeführt, die Ermittlungsstrategie der Versorgungsverwaltung habe sich "über die Jahre hinweg bewährt."

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte des Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Das Gesuch der beklagten Versorgungsverwaltung um nochmalige Einsicht in ihre, zuvor an das Gericht übersandte und seither unveränderte Behördenakte, aus welcher sie in ihrer zugleich vorgelegten Klageerwiderung detailliert zu zitieren vermochte, wird als unzulässig verworfen, da das Akteneinsichtsgesuch zur vollen tatrichterlichen Überzeugung der Kammer rechtsmissbräuchlich gestellt worden ist, um diesen Prozess so lange zu verschleppen, bis die Sechsmonatsfrist für Zurückverweisungsentscheidungen aus § 131 Abs. 5 SGG nicht mehr einzuhalten sein wird, zumal die Akteneinsicht überdies auch versagt würde, weil das Recht auf Akteneinsicht hinsichtlich eines unveränderten Akteninhalts nur einmal besteht und der beklagten Versorgungsverwaltung auf Veranlassung des Gerichts die Behördenakte bereits einmal vom Landratsamt Calw überlassen worden und von der Versorgungsverwaltung des Beklagten ausweislich seiner Klageerwiderung auch bereits gründlich ausgewertet worden ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl. 2017, § 120, Rn. 3a).

2. Der Antrag des Beklagten auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung wird gemäß § 105 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGG als unzulässig verworfen, weil ein solcher Antrag gegen eine Anhörung zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid nicht statthaft ist und überdies gegen diesen Gerichtsbescheid selbst nicht statthaft wäre, weil gegen ihn die Berufung gegeben ist, da eine solche nach § 143 SGG auch zulässig gewesen wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte, denn die Berufung hätte auch dann gemäߧ 144 Abs. 1 SGG keiner Zulassung bedurft.

3. Der Antrag auf Anordnung des Ruhens des Verfahrens des Beklagten wird als unzulässig verworfen, weil mit der Verkündung des Urteils des 6. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 3637/19 eben jenes Ereignis bereits eingetreten ist, bis zu dessen Eintritt nach Meinung des Beklagten das Gerichtsverfahren S 12 SB 3113/19 formal stillstehen sollte, weshalb seither kein Rechtsschutzbedürfnis an einem Ruhen mehr von Amts wegen ersichtlich oder vom Beklagten vorgetragen worden ist.

4. Der Rechtsbehelf im Verfahren S 12 SB 3113/19 ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, form- und fristgemäß erhoben worden sowie im Übrigen zulässig und gemäß § 131 Abs. 1 und 5 SGG auch begründet im Sinne der teilweisen Aufhebung der angefochtenen Bescheide unter Zurückverweisung der angegriffenen Entscheidung an die Versorgungsverwaltung zur neuerlichen Prüfung und nochmaligen Sachentscheidung.

Der rechtswidrige Bescheid vom 16.01.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.09.2019 wird nicht insgesamt aufgehoben, sondern nur in Bezug auf die negative Feststellung, dass der GdB nicht mehr als 30 beträgt, weil dem Gericht die vollständige Aufhebung wegen des im Rechtsstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) verankerten Grundsatzes der "reformatio in peius" verwehrt ist, da hiernach eine Rechtsbehelfsführenden gegenüber ergangene Verwaltungsentscheidung im Klageverfahren nicht zu ihren Ungunsten abgeändert werden darf (vgl. Bundessozialgericht, 29.02.1956, 10 RV 75/55).

Soweit die angefochtene Verwaltungsentscheidung hingegen den Rechtsbehelfsführer nicht begünstigt, kann das Gericht nach § 131 Abs. 5 Satz 1 und 5 SGG, wenn es eine weitere Sachaufklärung für erforderlich hält, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten seit Eingang der Behördenakten aufheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, falls nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter besonderer Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Das gilt nach § 131 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 SGG auch bei Klagen auf Verurteilung zum Erlass eines Verwaltungsaktes der hier vorliegenden Art.

Zwar ist eine Zurückverweisung regelmäßig nur dann gerechtfertigt, wenn die begründete Möglichkeit besteht, dass die noch erforderlichen erheblichen Ermittlungen – insbesondere wegen der personellen und sächlichen Ausstattung der Behörde – inhaltlich besser oder schneller vonstattengehen als bei Gericht und es unter übergeordneten Gesichtspunkten vernünftiger und sachgerechter ist, diese tätig werden zu lassen (vgl. Bundessozialgericht, 25.04.2013, B 8 SO 21/11 R). Allerdings soll die gesetzlich mögliche Zurückverweisung an die Verwaltung den Sozialgerichten der Gesetzesbegründung zufolge ausnahmsweise auch in anderen Fällen eine zeit- und kostenintensive Sachaufklärung ersparen, die eigentlich der Verwaltung obliegt, nämlich dann, wenn die zuständigen Verwaltungsbehörden diese unterlassen und sachwidrigen Ermittlungsaufwand auf die Gerichte verlagern (BT-Drs. 15/1508 S. 29). Eine allzu enge Auslegung der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 131 Abs. 5 SGG ist trotz der Möglichkeit der Kostenauferlegung nach § 192 Abs. 4 SGG ausweislich der der Vorschrift zu Grunde liegenden Gesetzesbegründung und dem Gang der Gesetzgebung nicht geboten (Sozialgericht Karlsruhe, 16.10.2019, S 2 SB 1734/19), denn die Regelung dient gerade dazu, Behörden das gerichtliche Verständnis einer ausreichenden Sachverhaltsaufklärung verbindlich vorzuschreiben (a. A. Aussprung, in: Roos/Wahrendorf, Kommentar zum SGG, 2014, § 131, Rn. 94). Überdies entspricht es dem Wortsinn, der Systematik, der Historie und dem Sinn und Zweck von § 131 Abs. 5 SGG sogar in besonderem Maße, Rechtsstreitigkeiten an Verwaltungsbehörden zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen, wenn letztere ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Amtsermittlung systematisch nicht nachkommen, weil sie aufgrund ihrer absolut unzureichenden personellen und sächlichen Mittelausstattung von einem gesetzlich vorgesehenen Beweismittel überhaupt nicht oder nur in absolut unzureichendem Maß Gebrauch machen und deswegen die Erhebung des Beweismittels in nahezu allen Fällen ins gerichtliche Verfahren verlagert wird (Sozialgericht Karlsruhe, 16.10.2019, S 2 SB 1734/19; Sozialgericht Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19). Im Falle eines systematischen Ermittlungsdefizits "muss" das Gericht den Sachverhalt gerade nicht selbst weiter aufklären, sondern "kann" – nach dem unmissverständlichen Gesetzeswortlaut von § 131 Abs. 5 SGG – die Sache auch zur erneuten Entscheidung an die Verwaltung zurückverweisen (Sozialgericht Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19).

Unter Zugrundelegung dieser Beurteilungsmaßstäbe hält die 12. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe die genannten tatbestandlichen Voraussetzungen aus § 131 Abs. 5 SGG i. V. m. § 105 SGG i. V. m. §§ 183, 193 SGG für gegeben.

Die Frist für die Zurückverweisung ist zum Zeitpunkt dieser Entscheidung am 14.04.2020 noch nicht abgelaufen, weil seit dem erstmaligen Eingang der Verwaltungsakte beim Gericht am 24.10.2019 noch keine sechs Monate verstrichen sind.

Die Kammer sieht noch erheblichen Ermittlungsbedarf, bevor über das Klägerbegehren entschieden werden kann.

Das materiell-rechtliche Begehren der Klägerin ist dem Wortlaut des fachkundig formulierten Klageantrags nach zwar auf die Feststellung eines höheren GdB von "mindestens 50 seit dem 29.08.2019" gerichtet. Da bislang lediglich ein GdB von 30 festgestellt ist, begehrt die Klägerin aber nach der durch § 123, § 106 Abs. 1 SGG gebotenen sachdienlichen Auslegung sinngemäß neben der stufenweisen Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung eines größtmöglichen GdB von bis zu 100 hier auch die hilfsweise Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung eines GdB von 40. Das hiernach entscheidungserhebliche Ausmaß der durch die Klägerin zu ertragenden Teilhabebeeinträchtigungen in Höhe von mindestens 40 seit dem 29.08.2018 ist für die Kammer noch nicht mit dem erforderlichen Beweismaß – dem Vollbeweis – feststellbar, ohne das die vorhandenen Beweismittel bereits ausgeschöpft wären.

Rechtsgrundlage für die Feststellung eines GdB ist § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Nach dieser Vorschrift stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den Gesamt-GdB fest. Als Gesamt-GdB werden dabei nach § 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wenn nicht ein niedrigerer Gesamt-GdB als 20 gegeben ist, § 152 Abs. 1 Satz 6 SGB IX.

Durch den bis zum 14.01.2015 in der Vorgängervorschrift des § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX enthaltenen Verweis auf die im Rahmen des § 30 BVG festgelegten Maßstäbe wurde auf das versorgungsrechtliche Bewertungssystem abgestellt, dessen Ausgangspunkt die "Mindestvomhundertsätze" für eine größere Zahl erheblicher äußerer Körperschäden sind. Von diesen "Mindestvomhundertsätzen" leiten sich die aus den Erfahrungen der Versorgungsverwaltung und den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft gewonnenen Tabellenwerte der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG VersMedV und den VMG ab, welche als Rechtsverordnung grundsätzlich sowohl Verwaltung als auch Gerichte binden.

Gemessen an diesen Beurteilungsmaßstäben ist die durch die Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage noch nicht spruchreif. Spruchreif wird sie erst sein, wenn nach Ausschöpfung der Aufklärungsmöglichkeiten entweder festgestellt oder nicht feststellbar sein wird, dass der geltend gemachte Anspruch auf Feststellung eines GdB von mindestens 40 ab 29.08.2019 besteht. Bevor hier über das Ausmaß der Teilhabebeeinträchtigungen der Klägerin abschließend entschieden werden kann, besteht noch erheblicher Ermittlungsbedarf, weil zuvor die sie behandelnden Ärzte (ggfs. schriftlich) als sachverständige Zeugen anzuhören und anschließend (d. h. unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der behandelnden Ärzte) sachverständige ambulante Untersuchungen auf lungenfachärztlichem und psychiatrischem Fachgebiet zu veranlassen sind durch solche ärztlichen Gutachter, für welche die Klägerin nicht Patientin, sondern sozialmedizinische Probandin ist. Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG wäre überdies noch die Anhörung eines von ihr benannten Arztes und/oder auf Inanspruchnahme des Fragerechts nach § 116 SGG die Einholung ergänzender Stellungnahmen der gehörten Ärzte durch das angerufene Sozialgericht zu veranlassen.

Im vorliegenden Einzelfall ist der Vollbeweis bezüglich des geltend gemachten Gesamt-Ausmaßes aller Teilhabe-Einschränkungen allein durch die aktenkundigen medizinischen Unterlagen und Auswertungen noch nicht erbracht. Es bestehen jedoch hinreichend Anhaltspunkte für das Vorliegen eines GdB von mindestens 40 aufgrund der substantiierten Vorbringens der Klägerin im Verwaltungs- und Widerspruchs- und Klageverfahren sowie aufgrund der Vorlage bzw. Beiziehung aussagekräftiger Entlassungs- und Befundberichte. Die tatrichterliche Überzeugungsbildung erforderte hier die Einholung eines nervenärztlichen Hauptgutachtens mitsamt lungenfachärztlichem Nebengutachten aufgrund ambulanter Untersuchungen, weil die beiden aktenkundigen gutachterlichen Stellungnahmen des Ärztlichen Dienstes des Beklagten sowie die ihnen zugrundeliegenden Berichte über die Gesundheitsstörungen der Klägerin keine abschließende sozialmedizinische Bewertung erlauben. Sie beruhen – erstens – nicht auf einer hinreichend aktuellen vollständigen fachlich fundierten und von den Zwängen eines Patientenverhältnisses unabhängigen Anamnese, Befunderhebung, Diagnostizierung und unvoreingenommener Würdigung des bisherigen Therapieverlaufs auf denjenigen medizinischen Fachgebieten, auf denen für den Gesamt-GdB erhebliche Funktionsstörungen vorliegen könnten (im Folgenden "Ermittlungsdefizit" im engeren Sinne). Die beiden gutachterlichen Stellungnahmen des Ärztlichen Dienstes lassen – zweitens – keine hinreichend nachvollziehbare schriftliche sozialmedizinische Würdigung der durch die einzelnen Gesundheitsstörungen beeinträchtigten Funktionen an und für sich (sog. "Einzel-GdB"), innerhalb des einzelnen Funktionssystems (sog. "Teil-GdB") bzw. in der Gesamtbetrachtung aller Funktionssysteme (sog. "Gesamt-GdB") erkennen, welche seitens des Gerichts auf ihre Schlüssigkeit hin überprüfbar wäre (sog. "Darstellungsdefizit").

Weiterer Ermittlungsbedarf besteht zunächst im Hinblick auf die abschließende sozialmedizinische Bildung des Gesamt-GdB.

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Gesamt-GdB gemäß § 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Folglich werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen (§ 2 Abs. 1 SGB IX) und die sich daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen bestimmt. In einem zweiten Schritt sind diese mit einem Einzel-GdB zu bewerten und den jeweils unter Teil A Ziff. 2 Buchstabe e) der VMG genannten Funktionssystemen zuzuordnen. Innerhalb der Funktionssysteme sind die jeweiligen Einzel-GdB sodann zu einem Teil-GdB zusammenzufassen. In einem dritten Schritt ist gemäß Teil A Ziff. 3 der VMG dann – in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Teil-GdB – in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinanderstehen. Außerdem sind bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle feste Grade angegeben sind.

Nach der ständigen Rechtsprechung ist der Gesamt-GdB somit jeweils im Rahmen tatsachengerichtlicher Einschätzung aufgrund einer gebotenen Gesamtbetrachtung aller Einzelbehinderungen zu ermitteln, wobei auch allgemeine Erfahrungssätze berücksichtigt werden können (vgl. Bundessozialgericht, 17.04.2013, B 9 SB 69/12 B). Der GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls, aber nicht in jedem Fall, unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten in freier Beweiswürdigung festzulegen (vgl. Bundessozialgericht, 11.11.2004, B 9 SB 1/03 R). Zwar ist die Bewertung des GdB nicht die vordringliche Aufgabe des medizinischen Sachverständigen, wenn es indessen darum geht, alle Behinderungsmomente in einer Gesamtschau unter Beachtung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander einzuschätzen sind ärztliche Meinungsäußerungen jedoch unerlässlich. Ärztlichen Meinungsäußerungen kommt zwar bei der GdB-Schätzung keine bindende Wirkung zu; sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage (Bundessozialgericht, 27.01.1987, 9a RVs 53/85). Unbedingt muss das Gericht ärztliches Fachwissen dabei aber nur bei der Feststellung der einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen heranziehen. Wenn – hingegen – bei durchgeführter behördlicher Sachaufklärung im Klageverfahren ausnahmsweise nur noch die Bildung des Gesamt-Grades der Behinderung im Streit steht, kann das Gericht im Einzelfall in freier richterlicher Beweiswürdigung auf ärztliches Fachwissen verzichten, falls es sich selbst aufgrund der eigenen richterlichen Vorkenntnisse aus einer Vielzahl vergleichbarer Fälle unter Berücksichtigung der individuellen Komplexität des jeweiligen Einzelfalls hierzu imstande sieht (in diese Richtung: Landessozialgericht Baden-Württemberg - 6. Senat -, 23.01.2020, L 6 SB 4155/18).

Unter Zugrundelegung dieser abstrakten Entscheidungsmaßstäbe hält die 12. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe im hier konkret zu entscheidenden Einzelfall den Sachverhalt für nicht ausreichend aufgeklärt. Die Kammer sieht sich aufgrund der Anzahl, der Art und des Ausmaßes der vorliegenden Gesundheitsstörungen und der hieraus resultierenden sozialmedizinischen Komplexität der insgesamt anzustellenden sozialmedizinischen Erwägungen nicht imstande, sich mit einem brauchbaren Grad an Gewissheit die zur Feststellung des Gesamt-GdB notwendige Überzeugung zu bilden. Die Kammer verfügt selbst nicht über hinreichend eigene sozialmedizinische Expertise, um die wechselseitigen Auswirkungen der durch den Beklagten wegen der einzelnen Funktionssysteme als Behinderungen anerkannten Teilhabebeeinträchtigungen der Klägerin zu bewerten und mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle feste Grade angegeben sind.

Zwar sind in den VMG typisierend für einige der möglichen Funktionsbeeinträchtigungen feste GdB-Werte vorgesehen. Allerdings hat der Verordnungsgeber davon absehen müssen, die jeweils denkbaren konkreten Formen und Intensitäten der jeweiligen Auswirkungen der einzelnen Funktionsstörungen erschöpfend darzustellen, und überdies nicht selten ausfüllungsbedürftige Generalklauseln oder GdB-Bewertungsfenster ("von bis ") verwendet. Soweit eine Behinderung sich möglicherweise nachteilig auf die für das Lebensalter typische Teilhabemöglichkeit am Leben in der Gesellschaft auswirken kann, muss das Gericht aber nach § 2 Abs. 1 SGB IX jeweils das Ausmaß der durch die Funktionsstörungen einzeln bedingten Einschränkungen feststellen (um hieraus den Gesamt-GdB bilden zu können). Bereits dies vermag ein medizinischer Laie in Unkenntnis der medizinischen Zusammenhänge trotz sozialrichterlicher Erfahrung regelmäßig nicht ohne Weiteres mit dem erforderlichen Vollbeweismaß zu bewerkstelligen. Erst recht vermag er nicht die ungleich komplexeren Fragen nach den wechselseitigen Auswirkungen der einzelnen Funktionsstörungen innerhalb desselben Funktionssystems bzw. der einzelnen Funktionssysteme untereinander richtig zu beurteilen oder den von der Verordnung geforderten Vergleich mit denjenigen Werten anstellen, für welche in der GdB-Tabelle feste Grade angegeben sind.

Die Kammer kann sich hier auch nicht auf eine hinreichend nachvollziehbare und schlüssige sozialmedizinische Auswertung eines hierzu qualifizierten Arztes stützen. Die im Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren eingeholten gutachterlichen Stellungnahmen genügen hierfür nicht. Sie enthalten zwar die Nennung eines "Gesamt-GdB" sowie eine Auflistung verschiedener (Einzel- oder Teil-?) "GdB". Es fehlen jedoch jeweils nachvollziehbare und schlüssige Ausführungen über die Bildung des Gesamt-GdB unter Anwendung der oben zitierten Vorgaben. Die hier vorliegenden gutachterlichen Stellungnahmen sagen letztlich viel zu wenig darüber aus, wie sich alle festgestellten Behinderungen im Zusammenwirken zueinander funktional auf die Teilhabe im Einzelfall auswirken.

Zur Beseitigung verbleibender sozialmedizinischer Zweifel können und müssen Sozialgerichte in Baden-Württemberg derzeit in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts einstweilig keine Rückfragen an die Landesversorgungsverwaltung des Beklagten bzw. dessen Ärztlichen Dienst stellen, anstatt die Klage zur erneuten Ermittlung und Entscheidung an die Versorgungsverwaltung zurückzuverweisen. Die mit der Zurückverweisung intendierte Entlastung des Gerichts ist mit den Interessen eines Rechtssuchenden unter Umständen auch dann vereinbar, wenn die Behörde – wie hier – zur sachgerechten Prozessvertretung umfangreiche medizinische Unterlagen genauso durchzuarbeiten hätte, falls das Sozialgericht die Sache selbst spruchreif machen würde und hierzu Rückfragen an die Behörde stellen würde. Jedenfalls bei einer vollständig unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung ist der Ausnahmecharakter des § 131 Abs. 5 SGG mit der Zurückverweisung in die Verwaltung nicht verkannt (Bundessozialgericht, 12.09.2018, B 14 AS 4/18 R). Aufgrund der unmissverständlichen Gesetzesbegründung von § 131 Abs. 5 SGG in seiner derzeitigen Fassung ist eine Zurückverweisung an die Verwaltung überdies und erst recht im Falle des systematischen Ermittlungs- und Darstellungsdefizits einer Behörde als sachdienlich anzusehen (Sozialgericht Karlsruhe, 29.7.2019, S 12 SB 877/19; Sozialgericht Karlsruhe, 16.10.2019, S 2 SB 1734/19).

Aufgrund der diesbezüglich umfangreichen Beweiserhebungen in vorangegangenen Verfahren ist ein systematischen Ermittlungs- und Darstellungsdefizit auf Seiten der Versorgungsverwaltung des Beklagten festzustellen (Sozialgericht Karlsruhe, 29.7.2019, S 12 SB 877/19). Die Ermittlungen des Gerichts beweisen die außerordentliche Schwere und Dauer und volkswirtschaftliche Unsinnigkeit, mit welcher das Land Baden-Württemberg seit Jahren unter Missachtung seiner durch Bundesrecht vorgegebenen Pflichten zur Aufklärung und bindenden Feststellung des individuellen Ausmaßes der Teilhabeeinschränkungen der bei lebenden Menschen mit Behinderungen vernachlässigt (Sozialgericht Karlsruhe, 29.7.2019, S 12 SB 877/19). Umfangreiche statistische Auswertungen der in den Kalenderjahren 2014 bis 2018 am Sozialgericht Karlsruhe in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts abgeschlossenen Verfahren, die schriftliche Anhörung der Landesversorgungsverwaltung und mündliche Befragungen ihrer Sitzungsvertreter bei Gericht beweisen, dass durch das Sozialgericht Karlsruhe – bei konservativer Schätzung – ca. 100 Mal so viele ambulante Begutachtungen veranlasst werden wie durch die Versorgungsverwaltung, obgleich das Ausmaß der Amtsermittlungspflicht für Versorgungsämter und Sozialgerichte jeweils identisch ist (Sozialgericht Karlsruhe, 16.10.2019, S 2 SB 1734/19). Weitere statistische Auswertungen beweisen, dass eben diese Nachholung sozialmedizinischer Ermittlungen durch das Sozialgericht Karlsruhe in mehr als ¾ aller Rechtsstreitigkeiten in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts dazu führt, dass es gar keiner Gerichtsentscheidung in der Sache mehr bedarf, weil die Versorgungsverwaltung auf Grundlage der gerichtlich durchgeführten Amtsermittlungen entweder das Begehren der Rechtsuchenden vollumfänglich anerkennt oder die Rechtssuchenden die für sie negativen Begutachtungsergebnisse vollumfänglich akzeptieren oder sich beide Beteiligten sodann vergleichsweise verständigen. Schließlich beweist eine Auswertung der Verfahrenskosten, dass allein am Sozialgericht Karlsruhe Jahr für Jahr Millionen Euro an Personal-, Sach- und Gutachterkosten aufgewendet werden, um die medizinischen Ermittlungen systematisch nachzuholen, die in den öffentlichen Verwaltungsstrukturen infolge personeller, sächlicher und räumlicher Sparmaßnahmen undurchführbar geworden sind. Mit den Erkenntnismitteln des Gerichts lässt sich lediglich nicht feststellen, in welchem Ausmaß die besonders schutzbedürftigen Menschen mit Behinderung des Bundeslandes irrtümlich auf die Rechtmäßigkeit vielfach rechtswidriger Verwaltungsentscheidungen vertrauen oder die Mühen, Risiken und Aufwendungen einer gerichtlichen Rechtsverfolgung aus vernünftigen Kosten-/Nutzenerwägungen scheuen, da unaufgeklärt bleibt, wie viele in Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren unterlegene Menschen gar nicht erst gerichtlich gegen (ggfs. ganz oder teilweise rechtswidrige) Verwaltungsentscheidungen der Versorgungsverwaltung vorgehen, denn die Landesversorgungsverwaltung des Beklagten hat auf die diesbezügliche Anfrage des Sozialgerichts Karlsruhe hin nur mitteilt, über keine entsprechenden Zahlen zu verfügen (Sozialgericht Karlsruhe, 29.7.2019, S 12 SB 877/19).

Es spricht nicht gegen Zurückverweisungsentscheidungen nach § 131 Abs. 5 SGG, dass es nicht zwangsläufig einem Ermittlungsdefizit in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts – sondern allein den vermeintlichen Erfordernissen der "Massenverwaltung" (sic!) – geschuldet sein könnte, dass die gutachtlichen Stellungnahmen des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten der Übersicht halber sehr verkürzt und standardisiert dargestellt werden (a. A. Landessozialgericht Baden-Württemberg - 6. Senat -, 23.01.2020, L 6 SB 4155/18). Wenn für das angerufene Sozialgericht die Darstellung der sozialmedizinischen Expertise des Ärztlichen Dienstes im anschließenden Gerichtsverfahren nicht mehr nachzuvollziehen ist, kann im Rahmen der Prüfung des Tatbestandes des § 131 Abs. 5 SGG dahinstehen, ob dieser bereits auf einem Ermittlungsdefizit im engeren Sinne oder auf einer defizitären Darstellung an sich ausreichender Ermittlungsergebnisse beruht. Es kann dann unter Umständen sowohl offenbleiben, ob, welche und wie viele Befunderhebungen im Verwaltungsverfahren stattgefunden haben, als auch, wie zutreffend diese fachkundig ausgewertet worden sind, denn für eine Zurückverweisung nach § 131 Abs. 5 SGG genügt es nach dem unmissverständlichen Wortlaut, dass sich das Gericht ohne weitere Ermittlungen kein eigenes Urteil bilden kann. Das ist regelmäßig schon dann der Fall, wenn das Gericht im Einzelfall auf sozialmedizinische Expertise Dritter angewiesen ist, weil deren Darstellung durch den Ärztlichen Dienst dermaßen verkürzt und standardisiert erfolgt ist, dass eben diese durch das Gericht nicht mehr nachvollzogen und infolgedessen nicht mehr auf Vollständigkeit und Schlüssigkeit überprüft werden kann. Auch für Bereiche der "Massenverwaltung" gilt das Vollbeweismaß nach den bundesgesetzlichen Vorgaben der §§ 20 ff. SGB X bzw. §§ 103 ff. SGG uneingeschränkt. Es versteht sich ohnehin von selbst, dass Verwaltung und Rechtsprechung unter Berücksichtigung des speziellen Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG Menschen mit Behinderung gerade nicht allein deswegen benachteiligen dürfen, weil sie der großen Bevölkerungsgruppe der Menschen mit Behinderung angehören. Auch die bei einer rein wirtschaftlichen Betrachtung möglicherweise unverhältnismäßig erscheinenden Kosten einer ausreichenden Sachverhaltsaufklärung in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts rechtfertigen keine Einschränkung des Vollbeweismaßes, weil ein in Deutschland lebender Mensch mit Behinderung nach dem System des Schwerbehindertenrechts im SGB IX Anspruch auf Feststellung des für ihn maßgeblichen GdB unabhängig davon hat, ob sich seine rechtliche und/oder wirtschaftliche Situation dadurch unmittelbar verbessert (vgl. Bundessozialgericht, 07.04.2011, B 9 SB 3/10 R).

Aus eben diesen Gründen können Zurückverweisungsentscheidungen durch das Sozialgericht selbst dann erfolgen, wenn im Einzelfall zu jeder im Ausgangs- und Widerspruchsverfahren geltend gemachten Behinderung medizinische Befunde ermittelt und ausgewertet worden sind (a. A. Landessozialgericht Baden-Württemberg - 6. Senat -, 23.01.2020, L 6 SB 4155/18). Die Gegenauffassung verkennt, dass dem für den Bereich der Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts bundesgesetzlich vorgeschriebenen Vollbeweismaß mit dem bisher in Baden-Württemberg in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts minimal gehaltenen behördlichen Ermittlungs- und Darstellungskostenaufwand regelmäßig nicht gerecht zu werden ist. Unter Berücksichtigung der verfahrensrechtlichen Vorgaben der §§ 20 ff. SGB X bzw. §§ 103 ff. SGG können von Amts wegen je nach Einzelfall sachverständige ambulante Untersuchungen und Begutachtungen dann zu veranlassen sein, wenn der Rechtsuchende mithilfe fachärztlicher Atteste einerseits das Vorliegen der sozialmedizinischen Voraussetzungen eines Nachteilsausgleichs hinreichend substantiiert hat, andererseits die aktenkundigen Berichte der den Antragsteller behandelnden Mediziner für eine abschließende Beurteilung noch nicht zur Bejahung der für den Vollbeweis erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausreichen. Letzteres ist etwa der Fall, wenn tatsächliche Zweifel fortbestehen, weil in den (Untersuchungs-, Behandlungs- bzw. Entlassungs ) Berichten die für die sozialmedizinische Beurteilung maßgeblichen Befunde entweder gar nicht dokumentiert, nicht hinreichend validiert, unschlüssig, nicht nachvollziehbar, veraltet oder anderweitig unzureichend sind und auch nicht durch die Beiziehung von medizinischen Unterlagen oder Auskünften behandelnder Ärzte beschafft werden können (Sozialgericht Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19; Sozialgericht Karlsruhe, 16.10.2019, S 2 SB 1734/19).

Das ist auch hier der Fall. Die vorliegende Klage wäre schlussendlich und überdies selbst dann nicht spruchreif, wenn sich die Kammer entweder die sozialmedizinische Kompetenz anmaßte, allein mithilfe der rudimentären Tabellen und Bemerkungen des Ärztlichen Dienstes des Beklagten sowie unter Heranziehung des für den medizinischen Laien nicht selbstverständlichen Wortlauts der VMG und der darin aktenkundigen und im Klageverfahren vorgelegten medizinischen Berichts selbst den (Einzel-, Teil- bzw. Gesamt-) GdB zu bestimmen, und/oder den Beklagten unter Inanspruchnahme dessen versorgungsärztlichen Dienstes hierzu nach § 103 Satz 1 Halbsatz 2 SGG ergänzend mittels Rückfragen heranziehen würde. Denn in tatsächlicher bzw. beweisrechtlicher Hinsicht verblieben ohnehin auch danach noch zu große Zweifel über Art und Ausmaß der Behinderungen der Klägerin.

Zur Überzeugung der Kammer reichen in diesem Einzelfall jedenfalls die durch die Klägerin vorgelegten und die durch den Beklagten beigezogenen medizinischen Unterlagen für eine abschließende Beurteilung des GdB noch nicht aus. Es bestehen hier zu starke Anhaltspunkte dafür, dass die für die sozialmedizinische Bewertung maßgeblichen Befunde darin nach unzureichender Validierung und zudem unvollständig dokumentiert worden sind und überdies nicht (mehr) den hier maßgeblichen Zeitraum abdecken. Ebenso wenig wird unter Berücksichtigung der vorliegenden Umstände nach freier richterlicher Überzeugung aufgrund der Vorerfahrung aus einer Vielzahl vergleichbarer Fälle allein durch die Beiziehung medizinischer Unterlagen bzw. Auskünfte seitens der behandelnden Ärzte eine hinreichende Beweismittellage erreicht werden können.

Im Regelfall kann davon ausgegangen werden, dass in ärztlichen Befunden das zu entscheidende Krankheitsbild objektiv und unabhängig von ärztlichen Eigeninteressen und unbeeinflusst vom Arzt-Patienten-Verhältnis wiedergeben wird (Landessozialgericht Baden-Württemberg - 6. Senat -, 23.01.2020, L 6 SB 4155/18). Dies gilt gleicher Maßen für behördliche und gerichtlichen Ermittlungsergebnisse, d. h. auch für sachverständige Zeugenaussagen oder Gutachten auf eigenes Kostenrisiko nach § 109 SGG, bei denen ebenfalls ein Näheverhältnis zum Beteiligten bestehen kann. Die Fragen, inwieweit und aus welchen Gründen der ärztlichen oder gutachterlichen Einschätzung zu folgen ist, sind solche der freien richterlichen Beweiswürdigung im Einzelfall, welche eine ureigene gerichtliche Aufgabe ist und ebenfalls im Ergebnis nicht pauschal davon abhängen, ob die Aussage von einem behandelnden Arzt oder Sachverständigen stammt (Landessozialgericht Baden-Württemberg - 6. Senat -, 23.01.2020, L 6 SB 4155/18). Das gilt auch im vorliegenden Fall.

Abweichend von diesen Grundsätzen kann aber im Einzelfall für den Tatrichter aufgrund seiner Vorkenntnis aus einer Vielzahl vergleichbarer Rechtsstreitigkeiten auch absehbar sein, dass allein die Einholung von Auskünften der Behandler unzureichend wäre, um umfassende aktuelle und hinreichend objektivierte medizinische Befunde, anamnestische Angaben, fachärztliche Diagnosen und Therapieverläufe als sozialmedizinisch maßgebliche Anknüpfungstatsachen zu erheben bzw. eine schlüssige und nachvollziehbare Bewertung der strittigen Gesamt-Teilhabebeeinträchtigung zu ermöglichen. Denn unter Umständen unterscheiden sich die Untersuchungsziele, -methoden und -ergebnisse in Abhängigkeit davon, ob eine Person entweder zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken oder zum Zwecke der sozialmedizinischen Beurteilung ärztlich untersucht wird (Sozialgericht Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19). So steht es auch im vorliegenden Fall.

Bei lebensnaher Betrachtung sind im Zuge der Auswertung der Angaben behandelnder Ärzte ausweislich des vom Sozialgericht Karlsruhe beigezogenen Sachverständigengutachtens von Dr. W. Zweifel geboten, ob und ggfs. inwiefern die Belastbarkeit ihrer Befundberichte, Diagnosen und sozialmedizinischen Einschätzungen unter legitimen Eigeninteressen sowie Ansprüchen ihrer Patienten leidet. Eine über vernünftige Zweifel regelmäßig erhabene Richtigkeit jeglicher Angaben seitens behandelnder Ärzte kann nicht für jeden Einzelfall unterstellt werden. Vielmehr ist bei deren Auswertung dem Umstand Rechnung zu tragen, dass medizinische Behandler bei der Dokumentation ihrer Untersuchungen und Therapien sowie bei der Auskunftserteilung gegenüber Behörden und Gerichten einen wahren Drahtseilakt meistern müssen: Zugleich sollen sie ihren staatsbürgerlichen, schuldrechtlichen und ärztlichen Wahrheitspflichten genügen, legitime berufliche und wirtschaftliche Eigeninteressen verfolgen, das besondere Vertrauensverhältnis zu ihren Patienten achten, dem teils kaum überschaubaren Spektrum schulmedizinischer Meinungsstreitigkeiten Rechnung tragen, sozialmedizinische Beurteilungsspielräume in kohärenter Weise ausfüllen und all dies ggfs. mit winzigem Arbeitsaufwand – d. h. gegen Aufwandspauschalen in Höhe von regelmäßig 21 EUR und maximal 38 EUR (vgl. Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG) – nachvollziehbar kommunizieren (Sozialgericht Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19).

Seitens eines orthopädisch behandelnden Facharztes bedarf es beispielsweise ausweislich des vom Sozialgericht Karlsruhe beigezogenen Sachverständigengutachtens von Dr. P. zur Diagnose und Auswahl therapeutischer Mittel naturgemäß nicht der Erhebung oder Dokumentation solcher Befunde, welche zur sozialmedizinischen Beurteilung unabdingbar sind. Die genaue Feststellung der Bewegungsmaße der betroffenen Gliedmaßen in den jeweils einschlägigen Bewegungsformen ist von behandelnden Orthopäden nicht zu erwarten. Noch weniger kann von ihnen eine Objektivierung der vorgetragenen Beschwerden verlangt werden, welche hingegen Kernbestandteil jeder zwecks sozialmedizinischer Bewertung durchgeführten ambulanten fachorthopädischen Untersuchung seitens eines mit dem Probanden nicht durch ein Patientenverhältnis verbundenen Gutachters ist (Sozialgericht Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19; Sozialgericht Karlsruhe, 16.10.2019, S 2 SB 1734/19).

Unter Berücksichtigung des gesamten Vorbringens der Klägerin im Verwaltungs-, Widerspruchs- und Klageverfahren sowie des Inhalts der von Amts wegen beigezogenen medizinischen Unterlagen ist in diesem Einzelfall die ernsthafte Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, dass der Gesamt-GdB höher zu bewerten sein könnte, als der Beklagte außergerichtlich festgestellt hat. Bereits eine Gegenüberstellung der im Fall der Klägerin vom Beklagten als nachgewiesen angesehenen Funktionsstörungen mit den diesbezüglich aktenkundigen medizinischen Unterlagen zeigt, dass eine der Amtsermittlungspflicht und dem (Voll-) Beweismaß genügende Sachaufklärung erfordert, zur sozialmedizinischen Bewertung der Einzel- bzw. Teil-GdB auf lungenfachärztlichem, nervenärztlichem und gegebenenfalls auf frauenheilkundlichem Fachgebiet jeweils sozialmedizinisch motivierte Untersuchungen und Begutachtungen durchführen zu lassen, weil andernfalls die für die sozialmedizinische Beurteilung maßgeblichen Befunde ohne Ausschöpfung der vorhandenen Erkenntnismittel für die tatrichterliche Überzeugungsbildung unzureichend blieben.

Der Kammer erschließt sich im vorliegenden Einzelfall nicht, wie sich die Teilhabebeeinträchtigungen in den drei Funktionssystemen der Atmung, der weiblichen Geschlechtsorgane bzw. im Bereich des Gehirns einschließlich der Psyche zueinander verhalten. Insbesondere drängen sich die Fragen auf, ob und ggfs. wie sehr sich die Anpassungsstörung mit Depression und die schlechte Sauerstoffversorgung wechselseitig verstärken, weshalb gegebenenfalls der führende Teil-GdB von 30 wegen des weiteren Teil-GdB von 20 einmalig um 10 zu erhöhen wäre. Auch stellen sich der Kammer aufgrund ihrer fehlenden sozialmedizinischen ärztlichen Expertise bezüglich der frauenärztlichen Leiden die Fragen, ob und ggfs. wie sich im Einzelfall den Intimbereich und den Hormonhaushalt tangierende Gesundheitsstörungen möglicherweise dauerhaft verstärkend auf die psychisch bedingten Teilhabeeinschränkungen der Klägerin auswirken könnten, nachdem hier invasive Eingriffe an Vagina und Vulva stattgefunden haben, die noch keine ausdrückliche Erwähnung in irgendeiner sozialmedizinischen Stellungnahme gefunden haben, obgleich für den sozialmedizinischen Laien völlig unklar ist, ob insofern dauerhafte Funktionsstörungen zu beklagen sind, und ob sie die übrigen Funktionsstörungen verstärken oder sich – bezogen auf ihre Auswirkungen auf die soziale Teilhabe – nur überlagern.

Hinsichtlich der vom Beklagten als führende Funktionsstörung angesehenen Sarkoidose Typ II stellt der angenommene GdB von 30 gemäß Teil B Ziff. 8.9 VMD nur den Mindestwert dar bei chronischem Verlauf mit klinischen Aktivitätszeichen und Auswirkungen auf den Allgemeinzustand. Nach dem Wortlaut der dortigen Bewertungsvorgaben gilt dieser Wert aber "ohne Funktionseinschränkung von betroffenen Organen". Abweichend vom Mindest-GdB kann eine Sarkoidose daher je nach der Aktivität mit ihren Auswirkungen auf den Allgemeinzustand und nach den Auswirkungen an den verschiedenen Organen auch deutlich schwerwiegendere Teilhabeeinschränkungen bzw. einen deutlich höheren Einzel-GdB als 30 bedingen. Beim Abgleich dieser abstrakten Maßstäbe aus den Vorgaben in den VMD mit den aktuellsten aktenkundigen Unterlagen zur Sarkoidose Typ II der Klägerin springt ins Auge, dass der behandelnde Lungenfacharzt nach Erlass des angefochtenen Bescheides vom 16.01.2019 sogar zwei Mal im Abstand von zwei Monaten (d.h. im März 2019 sowie im Mai 2019) Kontrolluntersuchungen – mitsamt "Bodyplethysmographie" und "BGEM epoc-Bluttest" – durchgeführt und ausdrücklich zusammengefasst hatte, es seien Befund-Verschlechterungen eingetreten.

Das Gericht ist anders als ein ärztlicher Sozialmediziner außerstande, die aktenkundigen Messergebnisse von "Bodyplethysmographie" oder "BGEM epoc-Bluttest" in ihrer teils graphischen und teils tabellenartigen Darstellung ansatzweise nachzuvollziehen. Die Kammer vermag ebenfalls nicht entscheiden, welches Ausmaß die Ventilationsstörung der Klägerin trotz der laufenden inhalativen Behandlung tatsächlich hat (mittelgradig laut behandelndem Facharzt, nur gering-gradig laut Ärztlichem Dienst), da der Ärztliche Dienst seine vom Facharzt insoweit abweichende Bewertung nicht erläutert hat. Das Sozialgericht kann schon infolgedessen nicht feststellen, wieso hier die zweimalige den Facharzt ausdrücklich besorgende Befundverschlechterung keine Abweichung vom Mindest-GdB rechtfertigen sollte. Überdies hat die Klägerin in Verwaltungs-, Widerspruchs- und Klageverfahren ausführlich darauf hingewiesen, welche über das Atmungssystem hinausgehenden Funktionen anderer Organe von der Sarkoidose in Mitleidenschaft gezogen würden. Unter Vorlage weiterer Arztbriefe führte sie aus, die Sarkoidose sei im Zuge ihrer nervenärztlichen Rehabilitationsbehandlung anlässlich der durch sie verursachten Auswirkungen auf andere Organe (Rippenfellentzündung, Schwellung der Lymphknoten) diagnostiziert worden. Am meisten beeinträchtige sie die "Totalerschöpfung" bei alltäglichen Dingen ( ). Sie leide unter Herzrasen, Schweißausbrüchen und gestiegenem Blutdruck. Das Atmen falle ihr schwer. Es bildeten sich Ödeme an den Beinen. Ihr sei übel. Sie ( ) nehme an Gewicht zu durch die Einnahme von Cortison. Die 12. Kammer des Sozialgerichts kann ohne diesbezügliche sozialmedizinisch fachkundige Aussagen nicht im Vollbeweismaß feststellen, ob derartige Funktionseinbußen lediglich allgemeine "Auswirkungen auf den Allgemeinzustand" im Sinne von Teil B Ziff. 8.9 VMD darstellen (die den Einzel-GdB von 30 nicht erhöhen) oder schon "Funktionseinschränkungen an betroffenen Organen" im Sinne von Teil B Ziff. 8.9 VMD (die einen höheren Einzel-GdB als 30 rechtfertigen würden). Derartiges Fachwissen wird durch Jurastudium, Juristischen Vorbereitungsdienst oder die Ernennung zum Richter (auf Probe) nicht erworben, sondern durch ein (sozial ) medizinisches Studium und eine (sozial ) medizinische ärztliche Praxis. Nach alldem ist zur Sarkoidose noch aufzuklären, inwieweit diesbezügliche Beurteilungsspielräume bestehen bzw. auszuschöpfen sind. Die Kammer vermag zudem mangels eigener lungenfachärztlicher Expertise die zahlreichen aktenkundigen Untersuchungsbefunde auch nicht zu werten und nachzuvollziehen, soweit der Ärztliche Dienst des Beklagten die Bronchiale Hyperreagibilität gar nicht erst als eigene Behinderung anerkannt hat und den (Einzel-?) GdB für das Asthma mit niedriger als 10 bewertet hat. Noch innerhalb des Funktionssystems der Atmung besteht zudem die Frage nach einem möglichen Wechselspiel zwischen der fachärztlich diagnostizierten Sarkoidose Typ II, der Bronchialen Hyperreagibilität sowie dem Asthma Bronchiale.

Hinsichtlich der Funktionsstörungen im System des Gehirns einschließlich der Psyche ist die Subsumtion des Ärztlichen Dienstes unter (die von ihm nicht ausdrücklich bezeichneten aber dem Wortlaut seiner Stellungnahme im Widerspruchsverfahren zufolge wohl sozialmedizinisch als einschlägig erachteten) Teil B Ziffer 3.7 der VMG ebenfalls nur unzureichend. Aufgrund der aktenkundigen Unterlagen lässt sich das Ausmaß der Teilhabebeeinträchtigungen durch die depressive Verstimmung und die – vom Beklagten bislang außer Acht gelassene – Anpassungsstörung im Funktionsbereich Gehirn einschließlich Psyche nicht abschließend beurteilen. Nach Teil B Ziff. 3.7 VMG sind leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem Einzel-GdB von 0 bis 20 zu versehen. Stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswerten, somatoforme Störungen) sind mit einem Einzel-GdB von 30 bis 40 zu bewerten. Für schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten ist ein Einzel-GdB von 50 bis 70 vorgesehen. Bei schweren Störungen mit schweren sozialen Anpassungsstörungen beträgt der Einzel-GdB 80 bis 100.

Die bloße Feststellung des Ärztlichen Dienstes, wonach keine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und damit ein Einzel-GdB von nur 20 vorliegt, erklärt sich auch hier nicht von selbst. Dem (weiteren) Wortlaut der Norm zufolge ist bei einer "ausgeprägten depressiven Störung" ein Einzel-GdB von 30 bis 40 anzunehmen. Es erschließt sich nicht, warum eine solche hier (nicht) vorliegen sollte. Dem aktenkundigen Entlassungsbericht zufolge begab sich die Klägerin im Sommer 2018 für fünf Wochen in eine psychosomatisch-psychotherapeutische Rehabilitations-Klinik. Ihrem glaubhaften Vorbringen zufolge war sie seither monatlich in ambulanter nervenärztlicher Behandlung und nimmt einmal wöchentlich die Unterstützung einer psychologischen Psychotherapeutin in Anspruch, ohne dass dies zu einer wesentlichen Verbesserung geführt hätte. Auch ist angesichts der bislang durch den Beklagten vernachlässigten, aber fachärztlich diagnostizierten Anpassungsstörung alles andere als abwegig, dass die fortgesetzten körperlich bedingten Herausforderungen an die Umstellungsfähigkeit der Klägerin durch die Sarkoidose eine reaktive "ausgeprägte depressive Störung" im Sinne von Teil B Ziffer 3.7 VMD aufrechterhalten könnten. Es bedarf insofern überdies auch deshalb weiterer Ermittlungen, weil der Beklagte trotz des substantiierten Vorbringens im Widerspruchsverfahren zu den Einschränkungen auf psychischem Gebiet keine Ermittlungen mehr angestellt hat. Im vorliegenden Einzelfall lässt sich nach alldem ohne eine zu sozialmedizinischen Zwecken nervenärztlich durchgeführte anamnestische Erhebung des Tagesablaufs, der sozialen Einbindung, und des psychischen Befundes anhand einer mehrstündigen Untersuchung unter ggfs. ergänzender testpsychologischer und/oder laborchemischer Objektivierung der hierbei gewonnenen Erkenntnisse und deren Abgleich mit den bereits aktenkundigen Anknüpfungstatsachen nicht mit einer über vernünftige Zweifel erhabenen Wahrscheinlichkeit feststellen, ob die Störungen der Klägerin im Vergleich zum alterstypischen Gesundheitszustand nur "leichterer" Natur sind, ob sie die Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bereits "stärker behindern" oder sogar "mittelgradige" Anpassungsschwierigkeiten bedingen. Die Kammer vermag derartige Erhebungen und Bewertungen mangels eigener nervenärztlicher Sachkunde und der hierfür erforderlichen sächlichen Ausstattung nicht selbst zu bewerkstelligen und ist daher auf die Einholung externen Sachverstands angewiesen. Dieser müsste im vorliegenden Einzelfall schon deswegen eingeholt werden, weil der im Verwaltungsverfahren eingeholte Befundbericht des behandelnden Nervenarztes bei Erlass des Widerspruchsbescheides schon mehr als 1 Jahr alt und damit veraltet war bzw. inzwischen sogar 18 Monate alt ist. Erkenntnisse von der bereits während des Widerspruchsverfahrens frequentierten psychologischen Psychotherapeutin hatte der Beklagte vor seiner abschließenden Entscheidung ebenso wenig eingeholt, obgleich dies zur Sachverhaltsaufklärung erheblich beigetragen hätte.

Ebenso wenig ist der Sachverhalt auf frauenheilkundlichem Gebiet gänzlich ausermittelt. Die Ergebnisse der histologischen Untersuchung des bei der Operation von Vagina und Vulva am 17.05.2019 entnommenen Gewebes waren in den knapp vier Monaten bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides vom Beklagten nicht beigezogen worden. Dies mag hier möglicherweise sozialmedizinisch entbehrlich sein. Die Kammer vermag aber in Ermangelung eigener ärztlicher Sachkunde die in den beiden Berichten des Universitätsklinikums Tübingen enthaltenen Diagnosen, Befunde und Therapien nicht nachzuvollziehen und kann nicht ausschließen, dass nach der – laut Wikipedia – wahrscheinlich erfolgten operativen Entfernung von Organteilen ("Resektion") keine Behinderungen verblieben sind, auch wenn diese hier – vielleicht aus Scham oder aufgrund eines Flüchtigkeitsfehlers des Klägerbevollmächtigten – im Namen der Klägerin im Klageverfahren nicht ausdrücklich geltend gemacht wird, nachdem sie die diesbezüglichen Berichte im Widerspruchsverfahren noch eigens nachgereicht hatte.

Die Regelung des § 131 Abs. 5 SGG gelangt auch zur Anwendung, wenn erst das Vorbringen im Klageverfahren weitere Ermittlungen angezeigt erscheinen lässt und der Behörde deshalb ein Ermittlungsversäumnis beziehungsweise eine sachwidrige Aufwandsverlagerung auf die Gerichte nicht vorgeworfen werden kann. Einer Zurückverweisung nach § 131 Abs. 5 SGG steht es deshalb nicht grundsätzlich entgegen, wenn ein Rechtssuchender mit seiner Klagebegründung eine nicht ausreichende Sachverhaltsaufklärung im Verwaltungsverfahren überhaupt nicht geltend gemacht hat und vielmehr nur die Bildung des Gesamt-GdB beanstandet und zusätzlich hierzu nur neue, bislang in das Verfahren nicht eingeführte Funktionsbeeinträchtigungen vorträgt, die somit von dem Beklagten gar nicht hätten berücksichtigt werden können (ständige Rechtsprechung des Sozialgerichts Karlsruhe, vgl. 11.12.2019, S 12 SB 1642/19).

Bereits die Einholung eines einzigen Sachverständigengutachtens ist nach Art und Umfang "erheblich" im Sinne des § 131 Abs. 5 SGG (Sozialgericht Karlsruhe, 10.10.2019, S 12 SB 1588/19; Landessozialgericht Baden-Württemberg, 20.10.2015, L 11 R 2841/15). Für die Frage der Erheblichkeit gilt ein den Anforderungen des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG für eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme vergleichbarer Maßstab. Die Erheblichkeit der Ermittlungen kann sich aus der Art, Zeitdauer, dem Umgang und den personellen Möglichkeiten des Gerichts ergeben. Erheblich sind solche Ermittlungen, die einen erheblichen Einsatz von personellen und sächlichen Mitteln erfordern (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, 27.01.2012, L 13 SB 212/11). Seit der letzten Gesetzesänderung von 2008 ist diese Voraussetzung bereits dann zu bejahen, wenn auf lediglich einem einzigen medizinischen Fachgebiet die Einholung eines Sachverständigengutachtens nötig ist (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, 24.4.2012, L 13 SB 10/12). Angesichts des ausdrücklichen Zwecks der Neuregelung zum 01.04.2008, die Sozialgerichtsbarkeit nachhaltig zu entlasten (BT-Drs 16/7716 S 1), ist es nicht geboten, die Vorschrift derart restriktiv auszulegen, dass ihr kein sinnvoller Anwendungsbereich mehr verbleibt (Sozialgericht Karlsruhe, 09.05.2014, S 15 U 4024/13; Landessozialgericht Baden-Württemberg, 20.10.2015, L 11 R 2841/15).

Auch widerspricht es bereits dem Wortlaut "erheblich", wenn selbst der Einsatz des zeit-, kosten- und arbeitsintensivsten der in § 106 Abs. 3 SGG nach ihrem Aufwand von Ziffer 1. bis 5. geordneten Beweismittel als unerheblich angesehen würde. Die Beweiserhebung durch Sachverständige bedeutet – wegen des Fehlens eines eigenen Ärztlichen Dienstes an Sozialgerichten – in pekuniärer Hinsicht regelmäßig die Verwendung von Euro-Beträgen in vierstelliger Höhe, dauert regelmäßig drei bis manchmal deutlich mehr Monate und ist – mit Blick auf den zeitintensiven richterlichen Einsatz bei der gedanklichen Durchdringung und Würdigung des einzuholenden Gutachtens – auch in personeller Hinsicht sehr arbeitsintensiv. Auch werden ggf. durch das erste Sachverständigengutachten zuvor nicht absehbare weitere Ermittlungen und fachlich fundierte Einwendungen des Ärztlichen Dienstes des Beklagten veranlasst. An ihrer Rechtsprechung haben die vom Beklagten zur Rechtsverteidigung in Bezug genommenen Landessozialgerichte (Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Sachsen-Anhalt, vom 05.05.2011, Az. L 7 SB 42/09; Landessozialgericht BB, 19.04.2012, L 11 SB 45/11) – soweit ersichtlich – seit vielen Jahren nicht mehr festgehalten.

Die Kammer hält es auch für sachdienlich, diese Sache an den Beklagten zurückzuverweisen.

Die Entscheidung über die Zurückverweisung nach § 131 Abs. 5 SGG steht im Ermessen des Gerichts. Es muss deshalb prüfen, ob es sich im Einzelfall zu einer Zurückverweisung an die Behörde entschließt oder stattdessen die unterlassene Sachverhaltsaufklärung selbst nachholt und die Sache spruchreif macht. Die 12. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe macht von ihrem Entschließungsermessen wegen des fortbestehenden systematischen sozialmedizinischen Ermittlungs- und Darstellungsdefizits der Versorgungsverwaltungspraxis des Beklagten Gebrauch. Jedenfalls im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Sozialgerichts Karlsruhe sind in allen Streitigkeiten des Schwerbehindertenrechts, in denen im Einzelfall nach Art und Umfang noch als erheblich anzusehende sozialmedizinische Ermittlungen über Art und Ausmaß behinderungsbedingter Teilhabeeinschränkungen nötig sind, bevor in der Sache entschieden werden kann, bis zur Beseitigung des langjährigen diskriminierenden und rechtsstaatswidrigen Ermittlungs- und Darstellungsdefizits der Landesversorgungsverwaltung die Eignung, die Erforderlichkeit und die Sachdienlichkeit der Zurückverweisung an den Beklagten im Sinne des § 131 Abs. 5 SGG zu bejahen, weil die Zurückverweisung dem öffentlichen Interesse an einer verfassungsmäßigen Verwaltung, dem Interesse beider Beteiligten an der Beschleunigung des Verfahrens und dem pekuniären Interesse des Beklagten an einem möglichst niedrigen Kostenaufwand dient (Sozialgericht Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19). Gründe, aus denen eine Zurückverweisung im vorliegenden Einzelfall nicht sachdienlich bzw. nicht ermessensgerecht sein sollte, sind weder zur Überzeugung der Kammer vorgetragen noch von Amts wegen ersichtlich.

Unerheblich ist insofern, dass der Beklagte ebenso wie das Sozialgericht Karlsruhe externe Sachverständige zur Erstellung der Gutachten beauftragen müsste (so aber: Landessozialgericht Baden-Württemberg - 6. Senat -, 23.01.2020, L 6 SB 4155/18). Zwar ist eine Zurückverweisung regelmäßig nur dann gerechtfertigt, wenn die begründete Möglichkeit besteht, dass die noch erforderlichen erheblichen Ermittlungen, insbesondere wegen der personellen und sachlichen Ausstattung der Behörde, inhaltlich besser oder schneller vonstattengehen als bei Gericht (Bundessozialgericht, 25.04.2013, B 8 SO 21/11 R). Eine Ausnahme von dieser Regel ist aber zu machen, wenn der Ausstattungsmangel nicht nur im besonders gelagerten Einzelfall zum Tragen kommt, sondern in einer Vielzahl vergleichbarer Fälle, da die jeweilige Verwaltung systematisch zu schlecht ausgestattet ist. Weder eine seit Jahren strukturell unzureichende Ausstattung einer Behörde noch die hierdurch bedingten regelmäßig unangemessenen Bearbeitungszeiten oder eine hinsichtlich der Wahl der Mittel der Aufklärung konsequente Unterschreitung des Auswahlermessens (bezüglich der praktisch so gut wie nie veranlassten Einholung sozialmedizinischer Gutachten aufgrund sozialmedizinisch motivierter ambulanter Untersuchungen) stehen der Sachdienlichkeit einer Zurückverweisung nach § 131 Abs. 5 SGG entgegen (Sozialgericht Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19). Zu Recht hat der Beklagte zwar darauf hingewiesen, dass nach der gesetzlichen Bestimmung des § 20 Abs. 1 SGB X das "Wie" der Ermittlungen in das weite Ermessen der Verwaltung gestellt ist, was auch für die Entscheidung gilt, ob die medizinische Sachaufklärung durch den versorgungsärztlichen Dienst im Rahmen einer eigenen ambulanten gutachtlichen Untersuchung oder eine Auswertung beigezogener Befundberichte stattfindet (Landessozialgericht Baden-Württemberg - 6. Senat -, 23.01.2020, L 6 SB 4155/18). Das Gericht darf bei der Überprüfung einer behördlichen Ermessensausübung nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Verwaltungsermessens setzen. Bei der gerichtlichen Überprüfung der eigentlichen Ermessensentscheidung findet keine Zweckmäßigkeitsüberprüfung, sondern nur eine Rechtskontrolle statt (Bundessozialgericht, 15.07.2015, B 6 KA 32/14 R). Das Gericht überprüft hierbei nur, ob einer von vier denkbaren Ermessensfehlern vorliegt und, ob der Kläger durch den Ermessensfehler beschwert ist (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl. 2017, § 54, Rn. 28). Einer der vier gerichtlich feststellbaren Ermessensfehler, welche zur Rechtswidrigkeit einer Verwaltungsentscheidung führen, ist indessen die sogenannte "Ermessensunterschreitung" (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl. 2017, § 54, Rn. 27). Eine Ermessensunterschreitung liegt vor, wenn die Behörde den Umfang ihres Ermessens in der Weise verkennt, dass sie bestimmte Entscheidungsalternativen nicht in die Überlegungen miteinbezieht (Söhngen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 54 SGG [Stand: 17.06.2019], Rn. 53).

So liegt der Fall hier, weil die Versorgungsverwaltung die Auswahl des Erkenntnismittels der ambulanten Begutachtung überhaupt nicht in seine Überlegungen einbezieht, sondern infolge seiner hierfür völlig unzureichenden sächlichen, personellen und räumlichen Ausstattung hierauf faktisch verzichten muss, obwohl sie rechtlich im Einzelfall zu deren Auswahl verpflichtet wäre (Sozialgericht Karlsruhe, 16.10.2019, S 2 SB 1734/19; Sozialgericht Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19). Das beklagte Bundesland vermag seine Versorgungsverwaltung von ihren Verfahrenspflichten in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts aus den diesbezüglichen bundesgesetzlichen Vorgaben in § 20 ff. SGB X i. V. m. §§ 14, 17 SGB IX nicht dadurch freizustellen, dass es ihr die zur Ausführung der Bundesgesetze erforderlichen Mittel schlechterdings nicht zur Verfügung stellt. Einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis kommt keine normative Kraft zu, weil nach dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG nicht das Gesetz an die Verwaltung gebunden ist, sondern umgekehrt, die (hier: Landesversorgungs-) Verwaltung an (hier: Bundes-) Gesetze (Sozialgericht Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19).

Die Zurückverweisung dient der Durchsetzung der Gewaltenteilung sowie der Gesetzesbindung der Versorgungsverwaltung und damit dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 23 Abs. 1 der Landesverfassung bzw. Art. 20 Abs. 2 und 3 i.V.m. Art. 28 Abs. 1 GG. Der Beklagte muss die ihm originär zugewiesenen Verwaltungsaufgaben der Tatsachenfeststellung und -würdigung selbst erfüllen. Er darf seine Aufgaben nicht vernachlässigen und systematisch auf die Sozialgerichtsbarkeit abwälzen. Es ist nicht deren Aufgabe, über Jahre – wenn nicht Jahrzehnte – hinweg in uferlosem Ausmaß Behördenermittlungen nachzuholen. Im Status quo instrumentalisiert die Versorgungsverwaltung die Sozialgerichtsbarkeit in kompetenzwidriger Weise. Faktisch werden die behinderungsbezogenen sozialmedizinischen Ermittlungen rechtswidriger Weise systematisch von der Versorgungsverwaltung auf die Sozialgerichte des Bundeslandes Baden-Württemberg verlagert. Als Organe der rechtsprechenden Gewalt verfügen die neun Gerichte der Landessozialgerichtsbarkeit aber nicht einmal über Ärztliche Dienste mitsamt ärztlichem Personal, Räumlichkeiten oder Apparaten. Dergleichen muss – im Gegensatz zu der für jegliche Angelegenheiten des Sozialrechts (zum Beispiel: Sozialhilfe, Arbeitslosenversicherung, Grundsicherung für Arbeitsuchende, Asylbewerberleistungen, Elterngeld, etc.) grundsätzlich zuständige Sozialgerichtsbarkeit – die auf sozialmedizinische Ermittlungen zur Feststellung des GdB und behinderungsbezogener Merkzeichen spezialisierte Versorgungsverwaltung in quantitativer und qualitativer Hinsicht ausreichenden Umfang vorhalten. Es ist kein rechtlicher Grund ersichtlich, warum das beklagte Bundesland dies seit Langem systematisch unterlässt. Im Gegensatz zum Beklagten veranlassen die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, Unfallversicherung, Pflegeversicherung oder Krankenversicherung in Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren ständig ambulante Untersuchungen und Begutachtungen durch ihre hierauf spezialisierten und entsprechend ausgestatteten ärztlichen Dienste (Sozialgericht Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19).

In einem Rechtsstaat darf zudem nicht in Kauf genommen werden, dass regelmäßig (aufgrund eines gravierenden, systematischen Ermittlungsdefizits folgefehlerhaft) materiell-rechtlich rechtswidrige Einzelfallentscheidungen in hoher Anzahl rechtlich bindend werden. Dies ist bezüglich der Versorgungsverwaltung des Landes Baden-Württemberg aber festzustellen. Dabei vermag die Kammer zwar nicht abzuschätzen, wie viele rechtswidrige Verwaltungsentscheidungen über den GdB oder gesundheitliche Merkzeichen mangels Anfechtung Jahr für Jahr rechtswirksam werden, da der Beklagte der gerichtlichen Aufforderung um Vorlage konkret angeforderter statistischer Daten – nach eigenen Angaben – in Ermangelung entsprechender Statistiken nicht rechtzeitig nachkommen konnte. Die Kammer ist gleichwohl überzeugt, dass nicht wenige durch den Beklagten in ihren subjektiven Rechten verletzte Menschen mit Behinderung ahnungslos auf die Rechtmäßigkeit der Versorgungsverwaltung vertrauen oder die finanziellen, nervlichen und sonstigen Mühen scheuen, welche jeder Rechtsweg mit sich bringt (Sozialgericht Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19).

Überdies darf in einem Rechtsstaat auch die materielle Richtigkeit gerichtlicher Entscheidungen nicht darunter leiden, dass im Zuständigkeitsbereich einer systematisch untätigen Behörde zwei vorherige Tatsacheninstanzen (nämlich: Ausgangs- und Widerspruchsbehörde) keine ernstliche Prüfung der Sach- und Rechtslage vornehmen und von den gesetzgeberisch intendierten vier Tatsachen-Instanzen (einschließlich der Berufungsinstanz) letztlich nur die Hälfte ernstliche Anstrengungen unternimmt, um die tatsächlichen Verhältnisse zu ermitteln, welche für die rechtliche Beurteilung ausschlaggebend sind (Sozialgericht Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19).

Die Zurückverweisung dient ebenfalls der Verwirklichung des allgemeinen Gleichheitsgebots aus Art. 3 Abs. 1 GG. Unter dem Gesichtspunkt der Gleichberechtigung darf nicht hingenommen werden, dass die förmliche Anerkennung des zutreffenden Grades der Behinderung bzw. gesundheitlicher Merkzeichen ganz wesentlich von Umständen solcher Art und solchen Gewichts abhängen, die keine Benachteiligung rechtfertigen. Zur Durchsetzung der subjektiven Ansprüche auf Feststellung des GdB bzw. von Merkzeichen ist bislang in zahlreichen Fällen die Beschreitung des Sozialrechtsweges nötig. Die ggfs. behinderungsbedingt fehlende Fähigkeit bzw. Bereitschaft (schwer) behinderter Menschen, die mit dem (Sozial ) Rechtsweg verbundenen nervlichen, zeitlichen und finanziellen Aufwendungen, Verzögerungen und Risiken in Kauf zu nehmen, rechtfertigt die Vorenthaltung ihrer diesbezüglichen Rechte nicht (Sozialgericht Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19).

Das Gericht entscheidet über all dies nach vorangegangener Anhörung der Beteiligten gemäß § 105, § 3 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter und ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.

Ohne Erfolg moniert der Beklagte, das Gericht hätte nicht bereits mit der Anhörung zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid mitgeteilt, welchen konkreten weiteren Ermittlungsbedarf es sehe. Zweck der Anhörung ist es, den Beteiligten Gelegenheit zu geben, Gründe für die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung vorzubringen oder Beweisanträge zu stellen. Gründe für die Absicht des Gerichts brauchen in der Anhörung nicht im Einzelnen mitgeteilt zu werden. Das Gericht ist auch sonst grundsätzlich nicht verpflichtet, den Beteiligten mitzuteilen, aus welchen rechtlichen Überlegungen es die Klage für begründet hält, so wünschenswert ein Rechtsgespräch auch ist. Es muss letztlich auch vermieden werden, den Gesetzeszweck durch überzogene Anforderungen zu vereiteln (B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl. 2017, § 105, Rn. 10a). Überdies sind dem Beklagten die Anforderungen, die das Sozialgericht an die Verwertbarkeit gutachterlicher Stellungnahmen des Ärztlichen Dienstes stellt, aus der von ihm zur Rechtsverteidigung in Bezug genommenen Gerichtsentscheidung vom 29.07.2019 im Verfahren S 12 SB 877/19 genauso gut bekannt wie dessen Erwägungen zur Sachdienlichkeit von Zurückverweisungen in Fällen vergleichbarer Art. Da die Kammer von den dort aufgestellten Grundsätzen hier nicht abweicht, ist dem Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör Genüge getan.

Für den Schwierigkeitsgrad ist im Rahmen des § 105 SGG ein objektiver Maßstab anzusetzen. Die Formulierung "weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art auf" ist an zivilprozessuale Regelungen (heute § 348 Abs. 3 Nr. 1, § 348a Abs. 1 Nr. 1 ZPO) angelehnt. Ein Gerichtsbescheid kann danach nicht erlassen werden, wenn es sich um Fälle überdurchschnittlicher Schwierigkeit handelt, die tatsächlicher und rechtlicher Art sein kann. Es ist also nicht erforderlich, dass die Klage offensichtlich begründet oder offensichtlich unbegründet ist, oder dass die Sachverhaltsaufklärung und die rechtliche Würdigung besonders einfach sind (B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl. 2017, § 105, Rn. 6). Maßgebend ist nur der entscheidungserhebliche Sachverhalt, während nicht von vornherein von Bedeutung ist, ob der Fall erheblichen Arbeitsaufwand erfordert. Auch ist der bloße Umfang der Akten kein Indiz für die Schwierigkeit der Sache (B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl. 2017, 105, Rn. 6a). Einer gerichtlichen Entscheidung nach § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG durch Gerichtsbescheid stehen weder das Erfordernis der Klärung des Sachverhalts noch die Voraussetzung, dass die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher Art aufweisen darf, generell entgegen (Landessozialgericht Baden-Württemberg, 21.10.2015, L 5 R 4256/13). Denn beides bezieht sich nur auf den entscheidungserheblichen Sachverhalt. Dieser beschränkt sich im Fall der Zurückverweisung aber auf die Umstände, die für die Beurteilung nach § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG erforderlich sind (vgl. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, 04.01.2006, L 6 SB 197/05; (B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl. 2017, § 105, Rn. 7a).

Selbst wenn die Sache an sich besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art aufweist, kommt eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid dann in Betracht, wenn die erkennende Kammer – wie es die 12. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe am 29.07.2019 im Verfahren S 12 SB 877/19 getan hat – über die maßgeblichen Rechtsfragen bereits unter Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Urteil entschieden hat. Der Gesetzgeber hat bei der Einführung des Gerichtsbescheides ausdrücklich diese Konstellation im Blick gehabt (Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 105 SGG [Stand: 05.11.2019], Rn. 29).

Die Subsumtion unter die von der Rechtsprechung wegen des systematischen Ermittlungsdefizits des Landes Baden-Württemberg in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts bereits durch die 12. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe im Verfahren S 12 SB 877/19 entwickelten Obersätze bereitet hier keine tatsächlichen Schwierigkeiten besonderer Art. Bezüglich der vorliegenden Fallgruppe der Zurückverweisungen beschränkt sich der streiterhebliche konkrete sozialgerichtliche Prüfungsaufwand unter Zugrundelegung der ständigen Rechtsprechung der 12. Kammer des Sozialgericht Karlsruhe seit dem 29.07.2019 im Wesentlichen auf folgende vier Fragen:

1. Ist vom Rechtsuchenden im Einzelfall mithilfe medizinischer Unterlagen das Vorliegen einer höher als bisher zu bewertenden und sich potentiell auch auf den Gesamt-GdB auswirkenden Behinderung hinreichend substantiiert vorgetragen worden?

2. Bestehen durchgreifende Bedenken an der Nachvollziehbarkeit und Schlüssigkeit der im Einzelfall aktenkundigen gutachterlichen Stellungnahmen des Ärztlichen Dienstes des Beklagten?

3. Sind die im Einzelfall aktenkundigen medizinischen Unterlagen nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für die sozialmedizinische Bewertung der Teilhabeeinschränkungen ausreichend, weil zumindest hinsichtlich einer einzigen, auch für den Gesamt-GdB erheblichen Funktionsstörung, die maßgeblichen Befundtatsachen nur unvollständig dokumentiert, für den medizinischen Laien unverständlich, nicht hinreichend validiert, widersprüchlich, veraltet oder anderweitig nicht verwertbar sind?

4. Wäre unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls die Einholung sachverständiger Zeugenauskünfte von den seitens des Rechtssuchenden benannten Behandlern ungeeignet, die ggfs. verbesserungsbedürftige Aktenlage dermaßen abzurunden, dass es anschließend keiner ambulanten Begutachtung mehr bedürfte?

Die Bejahung dieser vier Fragen fällt im vorliegenden Einzelfall – wegen des fortbestehenden systematischen Ermittlungsdefizits des Beklagten und aus den bereits jeweils einzelfallbezogen ausgeführten Gründen – ausgesprochen leicht.

Zwar liegen auch dann besondere rechtliche Schwierigkeiten im Sinne des § 105 SGG vor, wenn es um die Auslegung und Anwendung neuer Rechtsnormen geht, die obergerichtlich nicht geklärt sind (B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl. 2017, § 105, Rn. 6b). Ein einfacher Fall wird aber nicht allein deswegen tatsächlich oder rechtlich schwierig im Sinne des § 105 SGG, weil ein Beteiligter ihn durch eine Vielzahl nicht tragender Begründungsansätze und -elemente aufbläht. Die Auseinandersetzung mit der hier auf die Anhörung zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid vorgebrachten Kritik des Beklagten an der Zurückverweisungsabsicht der Kammer bereitet keine ernstlichen "Schwierigkeiten" im Sinne des § 105 SGG, weil die Prüfung der unzulässigen Anträge und Verweise des Beklagten auf veraltete, nicht einschlägige oder aus dem Kontext gerissene Gerichtsentscheidungen in ihrer Gesamtheit der Kammer zwar ihrerseits seitenlange Auseinandersetzungen abzuverlangen vermag, alle vorgetragenen Argumente des Beklagten aber unter Berücksichtigung der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung ausnahmslos einer schnellen, eindeutigen und über vernünftige Zweifel erhabenen abschließenden rechtlichen Bewertung der Kammer zugänglich sind.

Ebenso wenig steht der Entscheidung durch Gerichtsbescheid entgegen, dass der 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg mit Urteil vom 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 3637/19 erstmals eine vergleichbare Zurückverweisungsentscheidung der 12. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen hat, denn die vom 6. Senat darin konkret formulierten Entscheidungsgründe können keine ernstlichen Bedenken an der ständigen Kammerpraxis begründen, in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts per Gerichtsbescheid weiterhin Sachen zur erneuten Entscheidung an die Versorgungsverwaltung zurückzuverweisen.

Zwar liegen auch dann besondere rechtliche Schwierigkeiten im Sinne des § 105 SGG vor, wenn das Gericht von einer Entscheidung eines Landessozialgerichts abweichen will (B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl. 2017, § 105, Rn. 6b). Im hier zu entscheidenden Einzelfall weicht die 12. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe aber schon deswegen vom Urteil des 6. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 3637/19 nicht entscheidungserheblich ab, weil sich die landessozialgerichtlichen Ausführungen nur auf den (dort ebensowenig wie hier einschlägigen und in der sozialgerichtlichen Praxis jedenfalls der 12. Kammer ohnehin eher hypothetischen Ausnahme-) Fall bezogen, dass "bei durchgeführter behördlicher Sachaufklärung im Klageverfahren ausschließlich die Bildung des Gesamt-Grades der Behinderung im Streit steht".

Überdies gilt: Es liegt trotz einer sozialgerichtlichen Abweichung von einer Entscheidung eines Landessozialgerichts keine "rechtliche Schwierigkeit" im Sinne des § 105 SGG vor, falls die landessozialgerichtliche Entscheidung objektiv willkürlich ergangen ist. Dies ist hinsichtlich des Urteils des 6. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 3637/19 aus den nachfolgenden zwölf Gründen (sogleich unter a] bis l]) zu konstatieren:

Das Bundesverfassungsgericht entnimmt dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG ein Verbot willkürlicher, sachfremder Erwägungen, gegen das auch die Rechtsprechung verstoßen kann. Eine mit der Verfassungsordnung unvereinbare Grundrechtsverletzung liegt vor, wenn eine Gerichtsentscheidung "sachlich schlechthin unhaltbar" ist, wenn ein Richterspruch "unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht" bzw. "wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in krasser Weise missachtet wird" (Schmidt-Aßmann/Schenk in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Werkstand: 37. EL Juli 2019, vor § 1, Rn. 49, beck-online). Eine Tatsachen- oder Beweiswürdigung verstößt gegen das Verbot sachfremder Erwägungen, wenn sie so schwerwiegende Fehler aufweist, dass sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar ist und offensichtlich jedem Zweck einer Beweiswürdigung zuwiderläuft (Bundesfinanzhof, 09.11.2011, II B 105/10).

a) Willkürlich entschied der 6. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg am 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 3637/19, weil er als Obergericht umfangreiche, einzelfallbezogene und streiterhebliche Ausführungen der Vorinstanz zum tatsächlichen Streitgegenstand mithilfe der unzutreffenden Sachverhaltsentstellung abtat, insofern hätte zwischen den Beteiligten kein Streit bestanden. Der Inhalt der sozialgerichtsverfahrensrechtlichen Normen zur Bestimmung des Streitgegenstandes (§ 103, § 106, § 123 SGG i. V. mit dem Grundrecht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG und dem Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 19 Abs. 4 GG) wird in krasser Weise und damit willkürlich missachtet, wenn ein Gericht wider den ausdrücklich und unmissverständlich erklärten Willen der Prozessbeteiligten fälschlich annimmt, zwischen ihnen umstrittene Rechtstatsachen stünden schon nicht im Streit.

Das Sozialgericht Karlsruhe hatte in seiner Entscheidung vom 10.10.2019 im Verfahren S 12 SB 981/19 (unter Rn. 51 bis 53 nach Juris) ausgeführt, aus welchen Gründen die Einholung eines Sachverständigengutachtens unabdingbar sei, weil die hierfür maßgeblichen Befunde in den Behörden- und Gerichtsakten entweder gar nicht dokumentiert, nicht hinreichend validiert, unschlüssig, nicht nachvollziehbar, veraltet oder anderweitig unzureichend seien, um diverse, im Einzelnen umstrittene Einzel- und Teil-GdB sozialmedizinisch zu beurteilen und hieraus den zutreffenden Gesamt-GdB zu bilden. Zu eben dieser Entscheidung hat der 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in seiner Entscheidung vom 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 4155/18 ausweislich seines unter Juris veröffentlichten amtlichen Leitsatzes ausgeführt, der Kläger habe vor dem Sozialgericht gar nicht die Bewertung der Einzel-GdB, sondern ausschließlich die Bildung des Gesamt-GdB beanstandet.

Richtigerweise durfte der 6. Senat im Verfahren L 6 SB 4155/18 seiner rechtlichen Würdigung vom 23.01.2020 nicht zugrunde legen, dass "nur noch die Bildung des Gesamt-Grades der Behinderung im Streit steht", wenngleich der dortige Kläger zur Klagebegründung auf Seite 2 bis 4 seiner Klagebegründung vom 11.06.2019 ausdrücklich neben der Bildung des Gesamt-GdB auch die zusätzliche Berücksichtigung bzw. höhere Neubewertung von acht weiteren Einzel-GdB geltend gemacht hatte. Nach dem unmissverständlichen Wortlaut seiner dortigen Ausführungen und der dort ausdrücklich in Bezug genommenen Anlage hatte sich der Kläger gerade nicht nur gegen die Bildung des Gesamt-GdB gewandt. Nachdem der Beklagte bereits außergerichtlich einen Einzel-GdB von 40 allein für die Funktionsstörung "Diabetes Mellitus" berücksichtigt hatte, hatte der Kläger sein Klagebegehren auf die Anerkennung eines Gesamt-GdB von 50 auf eine für ihn günstigere Bewertung acht weiterer Einzel-GdB gestützt, indem er ausdrücklich moniert hatte, dass ergänzend zum Diabetes für namentlich folgende Funktionsstörungen jeweils entweder erstmalig überhaupt oder höhere Einzel-GdB als bisher zu berücksichtigen seien: - "Polyneuropathie"; - "Hypertonie"; - "Adipositas mit Body-Maß-Index von 30 bis unter 35; - "Schulterzerrung links"; - "Chronisch-rezidivierende Lumbalgie"; - "Skoliotische Fehlhaltung links"; - "Spondylarthrose der Lendenwirbelsäule"; - "Funktionelle Störung des Muskel-Skelett-Systems".

All diese Funktionsstörungen hatte der Kläger teils ausdrücklich und teils unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die zu seiner weiteren Klagebegründung ergänzend vorgelegten einseitigen Anlage bezeichnet, in welcher eben diese "Diagnosen" sogar unter Verwendung eines international gängigen Diagnoseschlüssels aufgezählt wurden, ohne dass der Kläger im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens von der Geltendmachung einer dieser Gesundheitsstörungen oder später irgendwann irgendwie davon Abstand genommen hätte. Mit Ausnahme der fachorthopädischen Gesundheitsstörungen hatte der Kläger auch auf sämtliche dieser Störungen bereits mit seiner Widerspruchsbegründung ausdrücklich rekurriert. Eben dieses Vorbringen hatte der Kläger auch im Rahmen seiner Klagebegründung ausdrücklich wiederholt. Ausdrücklich hatte er zusätzlich zu seiner ausdrücklichen Wiederholung klarstellend auf die weitere Geltendmachung dieser Einschränkungen hingewiesen ("Zur Sache selbst verbleibt es bei unserem bisherigen Vortrag"). Das Sozialgericht hatte beides – Widerspruchsbegründung und Klagebegründung – insofern zutreffend in seinen Entscheidungsgründen dargestellt. Beides war dem Berufungsgericht positiv bekannt. Gleichwohl veröffentlichte der 6. Senat auf der Entscheidungsdatenbank zu eben diesem Streitgegenstand den daran nicht anknüpfenden und insofern sachfremden Leitsatz:

"Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung an die Verwaltung liegen nicht vor, wenn bei durchgeführter behördlicher Sachaufklärung im Klageverfahren nur noch die Bildung des Gesamt-Grades der Behinderung im Streit steht."

In eben dieser Weise verkennt der 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in seinen Entscheidungsgründen für sein Urteil vom 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 3637/19 den tatsächlichen Streitgegenstand auch, soweit er dort wörtlich unrichtig ausführt:

( ) "Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung an die Verwaltung liegen nicht vor, wenn bei durchgeführter behördlicher Sachaufklärung im Klageverfahren nur noch die Bildung des Gesamt-Grades der Behinderung im Streit steht." ( ) (Der Kläger) "hat vielmehr die Bildung des Gesamt-GdB beanstandet (keine Überschneidung) und zusätzlich neue, bislang in das Verfahren nicht eingeführte orthopädische Funktionsbeeinträchtigungen berichtet, die somit von dem Beklagten gar nicht hätten berücksichtigt werden und deswegen erst Recht nicht eine Zurückverweisung begründen können" ( ) "Weder aus dem Vorbringen des Klägers noch aus den beigezogenen Befunden haben sich konkrete Anhaltspunkte für weitergehende Beeinträchtigungen ergeben, worauf der versorgungsärztliche Dienst in seinen gutachtlichen Äußerungen vom 2. Juli 2018 und 9. Januar 2019 zutreffend hingewiesen und was der Kläger überhaupt nicht beanstandet hat."

b) Willkürlich entschied der 6. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg am 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 3637/19 auch, weil er ausdrücklich die Ermittlungsstrategie des Beklagten als "über Jahre hinweg bewährt" bezeichnete. Es läuft offensichtlich jedem Zweck einer Beweiswürdigung zuwider, ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar, objektiv sachfremd und deswegen willkürlich, als Obergericht einen bestimmten Sachverhalt ins Blaue hinein zu behaupten, ohne sich wenigstens ansatzweise mit erstinstanzlich umfangreich hierzu erhobenen ausgewerteten und das Gegenteil beweisenden Erkenntnismitteln auseinanderzusetzen. Der 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg hat am 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 3637/19 trotz der zum Nachweis des systematischen sozialmedizinischen Ermittlungs- und Darstellungsdefizites des Beklagten in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts durch das erstinstanzlich zuständige Sozialgericht Karlsruhe in Bezug genommenen Beweismittel die "Ermittlungsstrategie" der zuständigen Versorgungsverwaltung in Baden-Württemberg dahingehend gepriesen, dass sie sich "über Jahre hinweg bewährt" habe, ohne diese Aussage in Anbetracht der sie widerlegenden aktenkundigen Statistiken und Ausführungen einer im Berufungsverfahren gebotenen Würdigung zu unterziehen.

Die langjährige Ermittlungsstrategie der Versorgungsverwaltung des Beklagten, lediglich die behandelnden Ärztinnen und Ärzte über so bezeichnete Befundberichte zu befragen, ergänzend Rehabilitations-, Krankenhausentlassungs- und Operationsberichte einzuholen, und diese nur nach Aktenlage versorgungsärztlich auszuwerten, ohne eine ambulante Begutachtung zu veranlassen, widerspricht zuvörderst der langjährigen Ermittlungsstrategie in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts des 6. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg selbst, weil er ausweislich seiner veröffentlichten Entscheidungen regelmäßig ambulante Begutachtungen durch medizinische Sachverständige veranlasst während der Beklagte das praktisch so gut wie nie tut. Die langjährige Ermittlungsstrategie der Versorgungsverwaltung des Beklagten widerspricht zudem der langjährigen Ermittlungspraxis aller in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts zuständigen Kammern des Sozialgerichts Karlsruhe, welches – bei konservativer Schätzung – 100 Mal so viele ambulante Begutachtungen veranlassen wie die Versorgungsverwaltung des Beklagten, siehe oben. Die langjährige Ermittlungsstrategie der Versorgungsverwaltung des Beklagten widerspricht ferner der oben zitierten ständigen Rechtsprechung des BSG, wonach Sachverständigengutachten zur Feststellung des Ausmaßes gesundheitlicher Funktionsstörungen vielfach unerlässlich sind, siehe oben. Die langjährige Ermittlungsstrategie der Versorgungsverwaltung des Beklagten widerspricht des Weiteren den überzeugenden Ausführungen der hierzu eigens befragten Sachverständigen Dr. W und Dr. P, siehe oben.

Die langjährige Ermittlungsstrategie der Versorgungsverwaltung des Beklagten ist erwiesenermaßen ungeeignet, um zutreffend über die Höhe des GdB oder das Vorliegen gesundheitlicher Merkzeichen entscheiden zu können. Der Beklagte hat während der Jahre 2014 bis 2018 in insgesamt 4333 vor dem Sozialgericht Karlsruhe abgeschlossenen Verfahren in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts infolge der Nachholung sozialmedizinisch gebotener, aber außergerichtlich nicht hinreichend durchgeführter Ermittlungen in 46 % (bzw. in 1973) Verfahren zumindest teilweise verloren. Hierzu gehören außer den Fällen einer Verurteilung des Beklagten in 181 Urteilen und Gerichtsbescheiden auch die Fälle, in denen der Rechtsstreit durch ein angenommenes Anerkenntnis des Klagebegehrens (838) oder durch den Abschluss eines (gerichtlichen oder außergerichtlichen) Vergleichs (305 bzw. 641) erledigt wurde, nachdem das Gericht die außergerichtlich unzureichende medizinische Aufklärung mithilfe externer Dienstleister kostspielig bewerkstelligt hatte. Überdies werden wegen des systematischen Ermittlungsdefizits in vielen Fällen auch die jeweiligen Antragsteller rechtswidrig begünstigende Feststellungen zu GdB bzw. Merkzeichen durch die Versorgungsverwaltung getroffen und bestandskräftig, weil die Versorgungsärzte auf einer völlig unzureichenden Beweismittellage gutachterliche Stellungnahmen abgeben (müssen). Es wird statistisch nicht erfasst, in welchem Umfang sich ihre außergerichtlichen Schätzungen im Falle nachfolgender Gerichtsverfahren aufgrund der nachgeholten medizinischen Ermittlungen retrospektiv als zu großzügig erweisen. Da die Häufigkeit die Antragsteller zu Unrecht begünstigenden Verwaltungsentscheidungen nach der tatrichterlichen Erfahrung aus einer Vielzahl von Fällen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (deutlich) über fünf Prozent liegt, bestehen keine vernünftigen Zweifel daran, dass insgesamt mehr als jede zweite Verwaltungsentscheidung der Versorgungsverwaltung des Beklagten aufgrund seiner defizitären Ermittlungsstrategie rechtswidrig ist.

Es liegt auf der Hand, dass die Arbeitszeit von lediglich vier ärztlichen Vollzeitkräften nicht ausreicht, um sämtliche Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahren des gesamten Bundeslandes mit 35 Versorgungsämtern, 8 Sozialgerichten und einem Landessozialgericht sozialmedizinisch zu begleiten und hierbei nach Bedarf auch im Einzelfall gebotene ambulante Untersuchungen zur sozialmedizinischen Begutachtung selbst durchzuführen. Zwar konnte die genaue Anzahl der von den vier Vollzeit-Ärzten bearbeiteten Verfahren seitens des Gerichts nicht festgestellt werden. In Anbetracht der Anzahl von allein am Sozialgericht Karlsruhe in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts (im Durchschnitt zwischen 2014 und 2018) jährlich abgeschlossenen 867 Gerichtsverfahren kann jedoch bei insgesamt 9 Gerichten in der Landessozialgerichtsbarkeit schätzungsweise angenommen werden, dass allein mindestens 5.000 Gerichtsverfahren jährlich vom Ärztlichen Dienst der Rechtsbehelfsstelle des Beklagten neben einer denknotwendig noch höheren Anzahl von Widerspruchsverfahren zu begleiten waren. Der Verdienst der Handvoll Ärzte des Beklagten, welche die gesamte Landesversorgungsverwaltung mit jährlich schätzungsweise weit über 10.000 Verfahren am Laufen zu halten vermögen, kann überhaupt nicht stark genug gewürdigt werden. Die Annahme, dass der Beklagte mit einer zahlenmäßig dermaßen unzureichenden personellen Ausstattung im Einzelfall nötige ambulante Untersuchungen bei Bedarf selbst durchführen könnte, liegt fern (Sozialgericht Karlsruhe, 29.07.2019, S 12 SB 877/19).

c) Willkürlich entschied der 6. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg am 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 3637/19 ferner, da er dem Beklagten auch eine "rasche" bzw. "schnellstmögliche" Ermittlungsstrategie attestierte. Es ist sachlich schlechthin nicht haltbar und mithin willkürlich, das Vorliegen einer "raschen" oder "schnellstmöglichen" sozialmedizinischen Sachbearbeitung seitens der Verwaltung festzustellen, wenn zwischen Antragseingang und Erlass eines diesbezüglichen Widerspruchsbescheides 16,5 Monate verstrichen waren, falls dies im Wesentlichen der Langsamkeit des behördlichen Ärztlichen Dienstes sowie dem Verzicht der Behörde auf die Veranlassung einer eigenen zeitnahen ambulanten Begutachtung geschuldet war und die gesetzlich vorgeschriebene sozialmedizinischen Regelbearbeitungsdauer ungefähr einen Monat beträgt.

So aber lag der Fall in dem vom 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg am 23.01.2020 entschiedenen Berufungsverfahren L 6 SB 4155/18. Die langjährige Ermittlungsstrategie der Versorgungsverwaltung des Beklagten, ausschließlich die behandelnden Ärztinnen und Ärzte über so bezeichnete Befundberichte zu befragen, ergänzend Rehabilitations , Krankenhausentlassungs- und Operationsberichte einzuholen, diese nur versorgungsärztlich nach Aktenlage auszuwerten und auf eine zeitnahe Veranlassung einer ambulanten Begutachtung zu verzichten, hatte sich als viel zu langatmig erwiesen, weil zwischen Eingang des Feststellungsantrag bei der Behörde und dem Erlass des dem Ausgangsbescheid seine maßgebliche Gestalt gebenden Widerspruchsbescheides 16,5 Monate verstrichen waren.

Eine Beschleunigung des Verwaltungsverfahrens in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts liegt aber im besonderen Interesse von Menschen mit Behinderung. Dies gilt insbesondere, wenn sie sich noch im Erwerbsleben befinden, weil sie sodann an einer raschen Statusfeststellung besonders interessiert sind wegen des hiermit verbundenen zusätzlichen Kündigungsschutzes, Urlaubsanspruchs, der behindertengerechten Arbeitsplatzausgestaltung, etc. Dieser Rechtsgedanke hat in dem in § 152 Abs. 1 Satz 3 SGB IX enthaltenen Verweis auf die Fristen des § 14 SGB IX und § 17 SGB IX, die der Beschleunigung des Feststellungsverfahrens dienen, auch Eingang in die Gesetzgebung gefunden. Wenn es sich bei dem Antragsteller um eine erwerbstätige Person handelt und Gegenstand des Verfahrens die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft ist, muss die zuständige Behörde, wenn kein Gutachten erforderlich ist, innerhalb von drei Wochen entscheiden (§ 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX). Ist ein Gutachten notwendig, ist unverzüglich ein geeigneter Sachverständiger zu benennen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 SGB IX), der innerhalb von zwei Wochen nach Auftragserteilung ein Gutachten zu erstellen hat (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Die Behörde trifft ihre Entscheidung über die Schwerbehinderteneigenschaft innerhalb von zwei Wochen nach Vorliegen des Gutachtens (§ 14 Abs. 2 Satz 3 SGB IX).

d) Willkürlich entschied der 6. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg am 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 3637/19 zudem, indem er ausdrücklich annahm, als sachverständige Zeugen befragte Mediziner hätten keine widersprüchlichen Interessen in Ausgleich zu bringen. Es läuft – wie gesagt – offensichtlich jedem Zweck einer Beweiswürdigung zuwider, ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar, objektiv sachfremd und deswegen willkürlich, als Obergericht einen bestimmten Sachverhalt ins Blaue hinein der eigenen rechtlichen Würdigung zugrunde zu legen, ohne sich auch nur ansatzweise mit den erstinstanzlich umfangreich hierzu erhobenen ausgewerteten und das Gegenteil beweisenden Erkenntnismitteln auseinanderzusetzen. Hier hatte das erstinstanzliche Gericht auch umfangreiche Erkenntnisse gewonnen zur Frage der beweisrechtlichen Belastbarkeit von Befundberichten behandelnder Ärzte, die auf zwei eigens hierzu beigezogenen Sachverständigengutachten und weiter angestellten umfangreichen statistischen Ermittlungen und komplexen Überlegungen beruhten. Aufgrund dieser Beweismittel war erstinstanzlich erkannt worden, dass bei lebensnaher Betrachtung im Zuge der Auswertung der Angaben behandelnder Ärzte Zweifel geboten seien, ob und ggfs. inwiefern die Belastbarkeit ihrer Befundberichte, Diagnosen und sozialmedizinischen Einschätzungen unter legitimen Eigeninteressen sowie Ansprüchen ihrer Patienten leidet, sodass eine über vernünftige Zweifel regelmäßig erhabene Richtigkeit jeglicher Angaben seitens behandelnder Ärzte nicht für jeden Einzelfall unterstellt werden könne und vielmehr bei deren Auswertung dem Umstand Rechnung zu tragen sei, dass medizinische Behandler bei der Dokumentation ihrer Untersuchungen und Therapien sowie bei der Auskunftserteilung gegenüber Behörden und Gerichten einen wahren Drahtseilakt meistern müssen. Gleichwohl kanzelte der 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg am 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 3637/19 sämtliche diesbezügliche erstinstanzlichen Erkenntnisse willkürlich allein mit dem pauschalen Einwand ab, es könnte insofern keine Interessenkollision vorliegen.

e) Willkürlich entschied der 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg am 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 3637/19 des Weiteren, weil er ausdrücklich annahm, Sozialrichter könnten aufgrund ihrer richterlichen Erfahrung und der Vielzahl vergleichbarer Fälle den Gesamt-GdB selbst bestimmen, ohne auf Vorschläge des Versorgungsärztlichen Dienstes, der angehörten Ärzte wie der Sachverständigen angewiesen zu sein. Es ist willkürlich, in einer streitentscheidenden Rechtsfrage als Berufungsgericht von der durch das erstinstanzliche Gericht zitierten und als zutreffend erachteten ständigen Rechtsprechung des Revisionsgerichts stillschweigend abzuweichen. Dem Bundessozialgericht zufolge sind ärztliche Meinungsäußerungen unerlässlich, wenn es darum geht, alle Gesundheitsstörungen in einer Gesamtschau unter Beachtung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander einzuschätzen, da den Sachverständigengutachten zwar bei der Schätzung des Gesamtmaßes der Auswirkungen keine bindende Wirkung zukommt, sie aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage darstellen (vgl. Bundessozialgericht, 27.01.1987, 9a RVs 53/85). Überdies läuft es offensichtlich jedem Zweck einer Beweiswürdigung zuwider, ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar, objektiv sachfremd und deswegen willkürlich, Sozialrichtern obergerichtlich den Freibrief auszustellen, den Gesamt-GdB allein mithilfe ihrer Berufserfahrung eigenständig zu bestimmen, weil diese Aufgabe der oben ausführlich dargestellten Komplexität (sozial-) medizinisch viel fundiertere Kenntnisse erfordert als Sozialrichtern unterstellt werden können. Für die GdB-Bestimmung ist ein volles Verständnis medizinischer Angaben in Befund-, Labor-, MRT-, Röntgen-, Operations- und sonstigen Behandlungsberichten notwendig, welche jedoch allein für die Kommunikation zwischen fachkundigen Ärzten und nicht für Juristen bestimmt sind. Die aus den medizinischen Unterlagen zu extrapolierenden medizinischen Erkenntnisse müssen zudem mit den unbestimmten Rechtsbegriffen und Beurteilungsmaßstäben in den sozialmedizinischen Bewertungsvorgaben der hier maßgeblichen Rechtsverordnungen abgeglichen werden, was wiederum weitreichende sozialmedizinische Kenntnisse über die jeweiligen Gesundheitsstörungen und deren Wechselwirkungen voraussetzt. Die Behauptung, Richter der Sozialgerichtsbarkeit wären trotz fehlender medizinischer und sozialmedizinischer Ausbildung befähigt, dergleichen eigenständig zu bewerkstelligen, ist durch keinerlei Erkenntnismittel belegt, erfolgt "ins Blaue hinein" und ist nach alldem Ausdruck willkürlicher (Selbst-) Überschätzung richterlicher Fähigkeiten und Leistungen.

f) Willkürlich entschied der 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg am 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 3637/19 auch insofern, als er ausführte, die Vorinstanz hätte die Sache selbst spruchreif machen und hierzu Rückfragen an die Versorgungsverwaltung bzw. deren Ärztlichen Dienst stellen müssen. Es ist – wie gesagt – unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich haltbar, als Berufungsgericht eine vom erstinstanzlichen Gericht ausdrücklich als zutreffend und tragend angesehene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts außer Acht zu lassen und insgeheim von ihr abzuweichen. Das erstinstanzliche Urteil beruhte vorliegend auch auf der Übertragung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach eine Zurückverweisung an die Verwaltung als sachdienlich im Sinne des § 131 Abs. 5 SGG anzusehen sei, falls der Beklagte zur Durchführung der für die abschließende Sachentscheidung weiteren Ermittlungen besser ausgestattet sei und die maßgeblichen Unterlagen zur sachgerechten Prozessvertretung genauso durchzuarbeiten hätte, als wenn das Sozialgericht die Sachen selbst spruchreif machen würde (vgl. BSG Urt. v. 12.9.2018 – B 14 AS 4/18 R). Hiermit setzte sich der 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg am 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 3637/19 nicht auseinander, als er in einem eben solchen Fall urteilte, die Vorinstanz hätte die Sache selbst spruchreif machen und hierzu Rückfragen an die Versorgungsverwaltung bzw. deren Ärztlichen Dienst stellen müssen.

g) Willkürlich, da sachlich schlechthin nicht haltbar, ist der Verweis des 6. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg am 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 3637/19 auf die Möglichkeit zu prozessbegleitenden Rückfragen an den Beklagten bzw. dessen Ärztlichen Dienst auch angesichts der langjährigen faktischen Unmöglichkeit, in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts in Baden-Württemberg als Sozialgericht systematisch binnen angemessener Frist von der Landesversorgungsverwaltung auf die systematisch notwendigen Rückfragen zu den systematisch sachunangemessenen außergerichtlichen gutachterlichen Stellungnahmen sachangemessene Antworten innerhalb einer sachangemessenen Frist zu bekommen.

Gegen die im Urteil des 6. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 3637/19 diskutierte sozialgerichtliche Rückfrageobliegenheit spricht zunächst, dass sich in Anbetracht der völlig unzureichenden Ausstattung der Versorgungsverwaltung des Beklagten in nahezu jeder Angelegenheit des Schwerbehindertenrechts zahlreiche Rückfragen massiv aufdrängen. Bei einer jährlich hohen vierstelligen Anzahl von Rechtsstreitigkeiten in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts im Land Baden-Württemberg resultiert hieraus eine Vielzahl insofern vergleichbarer Rechtsstreitigkeiten mit vergleichbarem Rückfragebedarf. Eine systematisch prozessbegleitende Inanspruchnahme des Ärztlichen Dienstes des Beklagten mit zusätzlichen Rückfragen der Gerichte in nahezu jedem Einzelfall würde daher sowohl die Versorgungsverwaltung als auch die mit Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts befasste Rechtsprechung des Landes Baden-Württemberg binnen kurzer Zeit schlechterdings lahmlegen. Ausweislich des beigezogenen Schreibens des zuständigen Abteilungspräsidenten des Landesversorgungsamtes des Beklagten an den Vizepräsidenten des Landessozialgerichts Baden-Württemberg sind ohnehin bereits jetzt mit den sozialmedizinischen Auswertungen in laufenden Gerichtsverfahren "von der Sozialgerichtsbarkeit seit Jahren zu Recht beanstandeten verlängerten Bearbeitungszeiten" von regelmäßig drei und ausnahmsweise bis zu neun Monaten verbunden (Sozialgericht Karlsruhe, 29.7.2019, S 12 SB 877/19). Die Anfertigung gutachterlicher Stellungnahmen seitens des versorgungsärztlichen Dienstes des Landes Baden-Württemberg nimmt in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts nicht selten so viele Monate in Anspruch, dass die eingeholten Berichte schon wieder veraltet sind, bevor das Gericht in der Sache entscheiden kann, wenn es zuvor sowohl dem verfassungsrechtlichen Anspruch der Versorgungsverwaltung auf rechtliches Gehör zu den gerichtlichen Ermittlungsergebnissen als auch der in quantitativer Hinsicht desolaten Ausstattung der Versorgungsverwaltung bei der diesbezüglichen Fristsetzung Rechnung tragen will, anstatt die systematisch außergerichtlich nicht ausermittelten Sachverhalte zur Nachholung der erheblichen Ermittlungen und zur erneuten Entscheidung an die Versorgungsverwaltung gemäß § 131 Abs. 5 SGG zurückzuverweisen. Exemplarisch zeigt sich die Unzweckmäßigkeit von Rückfragen bei der Versorgungsverwaltung anschaulich in dem von der 12. Kammer zuletzt (am 16.03.2020) in der Sache entschiedenen Parallelverfahren S 12 SB 2783/17: Der Ärztliche Dienst hatte auch dort bereits außergerichtlich die Sachbearbeitung des Beklagten vergeblich auf den weiteren Ermittlungsbedarf hingewiesen und im Laufe der gerichtlichen Ermittlungen wegen seiner zahlenmäßig desolaten Personalausstattung wiederholt so lange zur Auswertung der beigezogenen Berichte benötigt, dass er selbst sogleich in seinen Stellungnahmen darauf hinweisen musste, dass die behandelnden Ärzte noch ein weiteres Mal befragt werden sollten, was insgesamt vier Mal nacheinander durch das Gericht veranlasst wurde, bevor eine vom Ärztlichen Dienst des Beklagten außergerichtlich unterlassene und im Gerichtsverfahren ausdrücklich angeregte ambulante Begutachtung ergab, dass der Beklagte erst im März 2020 mit 38-monatiger Verzögerung zur Feststellung eines um bis zu 70 Punkte höheren GdB zu verurteilen war, als der Beklagte im Januar 2017 im Verwaltungsverfahren ohne ausreichende eigene Amtsermittlungen festgestellt hatte (Sozialgericht Karlsruhe, 16.03.2020, S 12 SB 2783/17).

Zudem erweisen sich bloße Rückfragen an den Ärztlichen Dienst als völlig ungeeignet zur abschließenden Sachverhaltsaufklärung. Aus den in aller Regel nur wenige Zeilen umfassenden freitextlichen gutachterlichen Stellungnahmen ohne jedwede Bezugnahme auf die Ziffern oder den Wortlaut der maßgeblichen Rechtsverordnung (vgl. hierzu exemplarisch nur die auf Juris veröffentlichten Zurückverweisungsentscheidungen der 12. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe, welche jeweils genaue Feststellungen zum winzigen Umfang und oberflächlichen Inhalt der gutachterlichen Freitexte in den jeweiligen Behördenakten enthalten) lässt sich allenfalls ansatzweise erkennen, anhand welcher konkreten Überlegungen der Ärztliche Dienst die von ihm selbst als nachgewiesen angesehenen Funktionsstörungen jeweils einzeln unter die einschlägigen abstrakten Beurteilungsmaßstäbe subsumiert hat. Es fehlen insofern zunächst nahezu immer vollständige Bezugnahmen auf die einzelnen rechtlichen Vorgaben der VersMedV bzw. VMG, deren einschlägige Ziffern, deren Wortlaut, deren Bewertungsspielräume und deren auslegungsbedürftige Generalklauseln. Die Kammer vermag regelmäßig nicht mit einer hinreichend hohen Wahrscheinlichkeit festzustellen, dass keine vernünftigen Zweifel mehr geboten wären bezüglich der gebotenen Subsumtion unter den Wortlaut der einschlägigen Bewertungsvorgaben und des von der Rechtsverordnung zudem geforderten Vergleichs mit festen GdB-Werten aus der Rechtsverordnung.

h) Willkürlich entschied der 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg am 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 3637/19 auch, weil er die erstinstanzlich als tragend angesehene und ausdrücklich zitierte Rechtsauffassung des 11. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg zur Erheblichkeit im Sinnes des § 131 Abs. 5 SGG außer Acht gelassen hat. Es ist unter keinem denkbaren rechtlichen Aspekt haltbar, sachfremd und willkürlich, als Berufungsgericht auf eine nach den Ausführungen der Vorinstanz veraltete Rechtsprechung eines anderen Landessozialgerichts zu rekurrieren, ohne sich als Berufungsgericht mit der hiervon abweichenden, ungleich jüngeren, ebenfalls von der Vorinstanz zitierten und mitsamt ergänzender Begründung ausdrücklich herangezogenen Rechtsprechung eines anderen Senats des eigenen Landessozialgerichts und mit der ebenfalls zitierten diesbezüglich vielen Jahren ständigen Rechtsprechung des erstinstanzlichen Gerichts inhaltlich auseinanderzusetzen. Der 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg verwies zur Entscheidungsbegrünung seines Urteils vom 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 3637/19 gleichwohl bezüglich der von ihm aufgegriffenen Frage der Erheblichkeit eines weiteren Ermittlungsaufwandes auf die – soweit ersichtlich – veraltete Rechtsprechung des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 05.05.2011 Im Verfahren L 7 SB 42/09, ließ die jüngere Rechtsprechung eines anderen Senates des eigenen Landessozialgerichts (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, 20.10.2015, L 11 R 2841/15) sowie die seit 2014 in ständiger Rechtsprechung von – soweit ersichtlich – allen hiermit befassten Kammern des Sozialgerichts Karlsruhe geteilte Rechtsauffassung (vgl. Sozialgericht Karlsruhe, 16.10.2019, S 2 SB 1734/19) außer Acht und setzte sich demzufolge damit inhaltlich auch nicht auseinander.

i) Willkürlich entschied der 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg am 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 3637/19 ferner, weil er darin Richtern weniger sachliche Unabhängigkeit zubilligt als Verwaltungsbediensteten. Die richterliche Unabhängigkeit wird in krasser und damit willkürlicher Weise missachtet, wenn der weisungsgebundenen Verwaltung mehr sachliche Unabhängigkeit zugebilligt wird als verfassungskräftig sachlich unabhängigen Richtern. Selbst wenn es zuträfe, dass schon die Regelung des § 131 Abs. 5 SGG nicht dazu diente, das gerichtliche Verständnis einer ausreichenden Sachverhaltsaufklärung, welches erfahrungsgemäß von Gericht zu Gericht auch sehr unterschiedlich ist, der Verwaltung als verbindlich vorzuschreiben, diente die Regelung des § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG – im Lichte des Art. 97 Abs. 1 GG, wonach ein Richter nur dem Gesetze unterworfen und im Übrigen unabhängig sein soll – erst recht nicht dazu, das eigene landessozialgerichtliche Verständnis eines Senats von einer ausreichenden Sachverhaltsaufklärung dem nachgeordneten Sozialgericht als verbindlich vorzuschreiben, zumal dieses landessozialgerichtliche Verständnis erfahrungsgemäß von Senat zu Senat und Landessozialgericht zu Landessozialgericht sehr unterschiedlich ist.

j) Willkürlich entschied der 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg am 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 3637/19 zudem, da er die obergerichtliche Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung in ein der Revision durch das Bundessozialgericht faktisch entzogenes sogenanntes "obiter dictum" verlagert und hierdurch eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt bzw. deren Inhalt in krasser Weise missachtet hat. Es ist unter keinem denkbaren rechtlichen Aspekt haltbar, sachfremd und willkürlich, eine in Literatur und Rechtsprechung höchst strittige Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung der dem Bundessozialgericht nach § 160 Abs. 2 Ziff. 1 SGG zustehenden höchstrichterlichen Klärung zu entziehen. Vorliegend ist selbst zwischen den einzelnen Senaten des Landessozialgericht Baden-Württemberg noch umstritten, wie weit oder restriktiv die Voraussetzungen der unbestimmten Rechtsbegriffe "erheblich" und "sachdienlich" im Sinne des § 131 Abs. 5 SGG im Einzelnen zu verstehen sind. Der 6. Senat hat die inhaltliche Auseinandersetzung mit den seine eigene Rechtsauffassung in Frage stellenden Argumenten nicht nur gänzlich unterlassen, sondern zugleich die Veröffentlichung seiner gegen Wortlaut, Sinn und Zweck und Gesetzesbegründung der Norm verstoßenden Meinung sachfremd verlagert in ein mit der Revision faktisch nicht überprüfbares sogenanntes "obiter dictum". Obgleich aufgrund der ständigen Rechtsprechung der 12. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe eine Mehrzahl von Verfahren vor dem 6. Senat des Landessozialgericht Baden-Württemberg anhängig ist, in denen sich wegen des systematischen Ermittlungs- und Darstellungsdefizits dieselben Rechtsfragen zur Rechtmäßigkeit von Zurückverweisungsentscheidungen an die Versorgungsverwaltung stellen, hat der 6. Senat des Landessozialgericht Baden-Württemberg seine Rechtsaufassungen nicht in einer Entscheidung geäußert, in welcher sie auch entscheidungserheblich sind. Stattdessen hat er hierfür und für die Veröffentlichung eben dieser Rechtsauffassungen gerade eine solche vorinstanzliche Entscheidung ausgewählt, in der er das Verbot der "reformatio in peius" verletzt sah, sodass dahinstehen konnte, ob § 131 Abs. 5 SGG angewendet werden durfte, da insofern die Revision jedenfalls unzulässig ist.

k) Willkürlich entschied der 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg am 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 3637/19 des Weiteren, weil er eine Auseinandersetzung mit dem systematischen Ermittlungs- und Darstellungsdefizit der Versorgungsverwaltung im Bundesland Baden-Württemberg trotz dessen grundsätzlicher Bedeutung für die Abertausenden von Menschen mit Behinderung im Land vermieden und hierdurch eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt bzw. deren Inhalt in krasser Weise missachtet hat. Da das Berufungsverfahren nach § 144 Abs. 2 Ziff. 1 SGG gerade dazu dient, Tatfragen grundsätzlicher Bedeutung aufzuklären, ist es in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts in Baden-Württemberg derzeit unter keinem rechtlichen Aspekt mehr vertretbar und folglich willkürlich, sich als Berufungsgericht in Bezug auf die Auseinandersetzung mit den umfangreichen Ermittlungsergebnissen der ersten Instanz (hier: die statistische Auswertung des Verfahrensausgangs sowie der Verfahrenskosten in abertausender Rechtsstreitigkeiten; zwei externe Sachverständigengutachten; die Ergebnisse der schriftlichen Anhörungen der Behörde sowie die Befragung ihrer Sitzungsvertreter; die Auswertung des beigezogenen Schriftwechsels) der obergerichtlichen Verantwortung zur Klärung dieser tatsächlichen Fragen grundsätzlicher Bedeutung zu entziehen, indem das erstinstanzlich bejahte langjährige diskriminierende und rechtsstaatswidrige Sachaufklärungsdefizit lediglich ausweichend und ganz pauschal mit der distanzierenden Bemerkung abgetan wird, dieses sei nur vom Sozialgericht "ausgemacht" (d. h.: nicht nachgewiesen, sondern wohl eher unrichtig unterstellt) worden. Es gibt ein überragendes öffentliches Interesse daran, entweder den vermeintlich falschen Anschein eines extremen Verwaltungsmissstands obergerichtlich endgültig aus der Welt zu schaffen, um den Beklagten und seine Versorgungsverwaltung von der erstinstanzlichen Anprangerung nachhaltig zu rehabilitieren, oder aber den tatsächlichen Missstand endgültig obergerichtlich zu bestätigen, damit ihn die verantwortlichen Stellen des Beklagten alsbald beseitigen.

l) Objektiv willkürlich entschied der 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg am 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 3637/19 schließlich auch, indem er dem erstinstanzlichen Gericht in herabsetzender Weise frei erfundene sprachlich missglückte Formulierungen in den Mund legte und diese unrichtiger Weise mithilfe von Anführungszeichen als wörtliche Zitate kennzeichnete. Dadurch wurde der irreführende Anschein erweckt, die Vorinstanz habe erstens schlampig formuliert und zweitens nicht einmal die rechtlich maßgebliche Rechtsverordnung, sondern irgendwelche rechtlich unerheblichen "gesetzliche Vorgaben" herangezogen.

Hier hatte die Vorinstanz (Sozialgericht Karlsruhe, 10.10.2019, S 12 SB 981/19) formuliert:

"Es fehlen jedoch jeweils erschöpfende Ausführungen über die Bildung des Gesamt-GdB unter Anwendung der oben zitierten Vorgaben."

Der 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg hat im Urteil vom 23.01.2020 in seinem Verfahren L 6 SB 4155/18 dieselbe Formulierung gleichwohl hiervon abweichend einschließlich der Anführungszeichen wie folgt unrichtig wieder:

((Soweit das SG Karlsruhe die Zurückverweisung damit begründet hat, dass Ermittlungsbedarf im Hinblick auf die sozialmedizinische Bildung des Gesamt-GdB besteht, weil "erschöpfende Ausführungen über die Bildung "desselben" unter Anwendung der gesetzlichen Vorgaben" fehlen, ( ) )).

Die nach alldem bereits bei objektiver Betrachtung willkürlich formulierten Entscheidungsgründe zum Urteil vom 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 3637/19 beruhen zudem auch auf einer subjektiven Willkür (von zumindest wesentlichen Teilen) des mit mehreren Berufsrichtern besetzten 6. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg, weil hinreichend viele und aussagekräftige objektive Anhaltspunkte in ihrer Gesamtheit eben diese Schlussfolgerung rechtfertigen.

Erstens wird die Annahme subjektiv willkürlichen Richterhandelns durch eine Vielzahl von objektiven Verstößen gegen das Willkürverbot indiziert. Ein eben solches Indiz besteht mithin aufgrund der zwölf oben festgestellten objektiven Verstöße gegen das Willkürverbot in den schriftlichen Entscheidungsgründen des 6. Senats des Landessozialgericht Baden-Württembergs zu seinem Urteil vom 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 4155/18.

Die durch eine Vielzahl von objektiven Verstößen gegen das Willkürverbot indizierte auch subjektive Willkür richterlichen Handelns verdichtet sich regelmäßig zum Vollbeweis, falls sie sich ein landessozialgerichtlicher Senat in voller Besetzung zuschulden kommen lassen hat, denn während dem erstinstanzlichen Sozialrichter im Einzelfall trotz Sorgfalt, Eignung und Befähigung eher Rechtsanwendungsfehler unterlaufen, vermag die wechselseitige Kontrolle mehrerer besonders erfahrener und bewährter Berufsrichter in der Berufungsinstanz zuverlässig eine krasse Häufung objektiv sachfremder obergerichtlicher Erwägungen in einer einzigen Senatsentscheidung zu verhindern, es sei denn, die vielfache Willkür ist vom Senatswissen und -wollen getragen. Hinsichtlich der von drei Berufsrichtern gemeinschaftlich verfassten Entscheidungsgründe zum Urteil vom 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 4155/18 ist wegen der insgesamt zwölf objektivierbaren Verstöße gegen das Willkürverbot demnach der Vollbeweis auch subjektiv richterlicher Willkür erbracht.

Überdies war von den drei Berufsrichtern, welche die Entscheidung des 6. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg im Urteil vom 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 4155/18 verantworten, möglicherweise keine subjektiv sachangemessene Auseinandersetzung mit der dort angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung zu erwarten, weil ihre individuelle und kollektive Willensbildung bzw. Überzeugungsbekundung unter den gegebenen Umständen entgegen Art. 97 Abs. 1 GG nicht hinreichend frei und unabhängig von äußerlichen Zwängen, sondern vor dem Hintergrund strukturell bedingter Verunsicherung erfolgt sein könnte. Die drei Berufsrichter hatten bei der Abfassung ihrer Entscheidungsgründe Anlass, sich zu der bisherigen Ermittlungsstrategie der (Landes-)Versorgungsverwaltung zu positionieren, denn mit der Berufung angefochten war eine erstinstanzliche Entscheidung, mit welcher unter Hinweis auf deren systematisches Ermittlungs- und Darstellungsdefizit die Sache zur neuerlichen Ermittlung und Entscheidung an die Versorgungsverwaltung des Landes Baden-Württemberg zurückverwiesen worden war. Im Rahmen eben dieser Positionierung konnte von den drei Berufsrichtern des 6. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg zum Zeitpunkt ihrer Gerichtsentscheidung eine unvoreingenommene, neutrale Rechtsprechung nicht in einem höheren Maße erwartet werden als von allen anderen Richtern, welche in Baden-Württemberg in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts berufstätig sind, aber aus nicht vollständig nachvollziehbaren, ggfs. sachfremden Motiven bislang davon absehen, von der Möglichkeit der Zurückverweisung zur erneuten Ermittlung und Entscheidung an die Versorgungsverwaltung systematisch Gebrauch zu machen.

Es besteht möglicherweise eine strukturell bedingte, nicht unerhebliche Ungewissheit, ob die dienstrechtlich dem Beklagten unterstellten Berufsrichter der Landessozialgerichtsbarkeit des Bundeslandes Baden-Württemberg in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts in jedem Einzelfall freie und unabhängige Urteile über Verwaltungsentscheidungen der Versorgungsverwaltung des Beklagten fällen (können) und nicht mitunter subjektiv willkürlich befinden (müssen).

In subjektiver Hinsicht ist richterliches Handeln willkürlich, soweit es nicht auf den vorgeblichen Entscheidungsgründen beruht, sondern auf Motiven sachfremder Art. Als nach außen kaum sichtbarer Hintergrund hierfür kommen als sachfremde Motive etwa in Betracht die erschöpfungsbedingte Kapitulation vor chronisch überhöhtem Arbeitsanfall, die begründete Furcht vor dienstrechtlichen Nachteilen, die begründete Hoffnung auf dienstrechtliche Vorteile, die opportunistische Unterordnung der eigenen Meinung unter kollegialen Anpassungsdruck, schlichte Bequemlichkeit, Ignoranz, Zynismus, Resignation oder eine Mischung einer oder mehrerer dieser oder anderer Faktoren.

Erstens sind im Einzelfall subjektiv willkürliche Entscheidungen vielleicht unvermeidbar, solange ein dauerhaft überhöhter Arbeitsanfall sukzessive zur zeitweisen erschöpfungsbedingten richterlichen Kapitulation vor der berufsalltäglichen Aufgabe führt, tatsächlich und rechtlich komplexe Rechtsstreiten ausnahmslos im gebotenen Maße zu durchdringen. Das Land Baden-Württemberg verlangt seiner Richterschaft aber eine übermäßig "erledigungsträchtige" Arbeitsweise ab, weil es sie im Wege der chronischen Unterbesetzung seiner Gerichte und Staatsanwaltschaften systematisch zur Absenkung ihrer Sorgfaltsschwelle – einschließlich der veränderten, teils rechtswidrigen Anwendung des Prozessrechts – zwingt (vgl. Carsten Schütz, Die Richtgeschwindigkeit der Justiz, NRV-Info Baden Württemberg, 02/2018, S. 3 ff., https://www.neuerichter.de/fileadmin/user upload/lv baden-wuerttemberg/NRV-Landesinfo 18 -02.pdf; vgl. Schilling, Die dunkle Seite des Mondes, NRV-Info Baden Württemberg, 02/2018, S. 17 ff., https://www.neuerichter.de/fileadmin/user upload/lv baden-wuerttemberg/NRV-Landesinfo 18 -02.pdf; vgl. Bleckmann, Mitbestimmung sieht anders aus , NRV-Info Baden Württemberg, 02/2018, S. 9 ff., https://www.neuerichter.de/fileadmin/user upload/lv baden-wuerttemberg/NRV-Landesinfo 18-02.pdf, Beer, Jeden Tag widerstehen, NRV-Info Baden Württemberg, 02/2018, S. 3 ff., https://www.neuerichter.de/fileadmin/user upload/lv baden-wuerttemberg/NRV-Landesinfo 18-02.pdf; jeweils mit weiteren Nennungen). In Anbetracht des allgegenwärtigen sog. "Erledigungsdrucks" ist fraglich, ob von einem Berufsrichter am Sozialgericht Karlsruhe in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts ernstlich erwartet werden kann, dass er die ihm zugewiesenen Fälle mit einer arbeitsintensiven, weil streitigen Zurückverweisungsentscheidung abschließt, obgleich er nachgewiesenermaßen 76 % derartiger Fälle ohne nennenswerten eigenen Arbeitseinsatz mithilfe der für die Staatskasse kostspieligen Nachholung der außergerichtlich systematisch unterlassenen sozialmedizinischen Ermittlungen (unter Verlagerung seines Richterarbeitsaufwandes auf vergleichsweise sehr teure externe Sachverständige) unstreitig erledigen und in den verbleibenden 24 % der streitigen Entscheidungen unter Verweis auf gerichtliche Sachverständigengutachten regelmäßig Standard-Urteile mithilfe vorgefertigter Textbausteine vergleichsweise schnell und leicht absetzen kann. Im Gegensatz hierzu bedeutete für den Berufsrichter in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts das Abfassen jeder einzelnen Zurückverweisungsentscheidung eine ungleich aufwändigere eigenständige Prüfung und Verschriftlichung des jeweiligen sozialmedizinischen Sach- und Streitstandes, das Risiko, derart unübliche Entscheidungen selbst von der Berufungsinstanz aufgehoben und postwendend zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen zu bekommen, sowie die Inkaufnahme der Gefahr, dem hieraus resultierenden Arbeitsanfall in quantitativer Hinsicht alsbald nicht mehr gewachsen zu sein bzw. einem sog. "Burnout" zu erliegen. Durch die chronische Unterbesetzung seiner Gerichte legt der Beklagte nach Meinung der 12. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe "die Axt an die Wurzeln von Rechtsstaat und Demokratie an" (vgl. Verfassungsrichter Peter Müller, "Müssen Aushöhlung des Rechtsstaats verhindern!", FOCUS Online, 29. Juli 2019, https://www.focus.de/politik/gerichte-in-deutschland/gastbeitrag-fuer-focus-online-verfassungsrichter-peter-mueller-justiz-gut-aufgestellt-aber-es-drohen-grosse-gefahren id 10972378.html) und verabschiedet sich damit schleichend von seiner freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Zweitens besteht eine strukturell bedingte, nicht unerhebliche Ungewissheit, ob die dienstrechtlich dem Beklagten unterstellten Berufsrichter der Landessozialgerichtsbarkeit des Bundeslandes Baden-Württemberg in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts in jedem Einzelfall frei und unabhängig entscheiden, weil die die seit Jahrzehnten überfällige (bestenfalls empirisch sowie soziologisch fundierten) selbstkritische Auseinandersetzung mit der historisch-nationalsozialistischen Vorbelastung von Teilen der Richterschaft sowie deren mögliche Fernwirkung auf die aktuelle Rechtsprechungspraxis seit Jahrzehnten tabuisiert bzw. vernachlässigt wird. Es ist in Justizkreisen weiterhin schlechterdings untunlich, diese gerade in Bezug auf die personellen Verstrickungen zwischen Landesversorgungsverwaltung und Landessozialgerichtsbarkeit verfassungsrechtlich brisante und in ihrer Bedeutung und Tragweite vermutlich unmöglich zu überschätzende Thematik auch nur zu streifen, weil der bloße Versuch eines sachlichen Diskurses mit den Scheinargumenten "Verschwörungstheorie" und "Nazi-Keule" nur genervt beiseite gewischt, der jeweilige Urheber des Diskursangebots als vermeintlicher Nestbeschmutzer bzw. Störenfried abgewertet und das berechtigte Anliegen zum Anlass genommen wird, allein wegen eben dieser Andeutung des Unsagbaren auch sämtliche hiervon an sich unabhängigen Sachargumente als unsachlich-unprofessionell-politisierend zu stigmatisieren und den Abbau verfilzter Justiz-Strukturen (ungewollt) auszubremsen (gerade im Kontext der Zurückverweisungen illustrativ: Pflughaupt, Den Keller voller Leichen in Glanz und Würde seifen, April 2020, online unter: https://www.wattpad.com/859136448-den-keller-voller-leichen-in-glanz-und-w%C3%BCrde, m.w.N.).

Drittens besteht eine strukturell bedingte, nicht unerhebliche Ungewissheit, ob die dienstrechtlich dem Beklagten unterstellten Berufsrichter der Landessozialgerichtsbarkeit des Bundeslandes Baden-Württemberg in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts in jedem Einzelfall frei und unabhängig entscheiden, solange sie begründete Furcht vor dienstrechtlichen Nachteilen sowie begründete Hoffnung auf dienstrechtliche Vorteile haben oder zumindest kollegialen Anpassungsdruck empfinden könnten wegen der berechtigten Annahme, die zuständigen Personalreferenten des Justizministeriums des Beklagten würden im Rahmen der Entscheidungen über ihre Lebenszeiternennungen, Beförderungen und Abordnungen nicht nur anhand ihrer individuellen Eignung, Fähigkeit und Leistung entscheiden, sondern auch aufgrund ihres spezifischen Umgangs mit der (Landes-)Versorgungsverwaltung des (selben) Beklagten. Insbesondere deswegen könnten die Berufsrichter des 6. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (zumindest in Teilen) bei der Formulierung der Entscheidungsgründe ihres Urteils vom 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 3637/19 ernstlich befürchtet haben, das Justizministerium des Beklagten könnte über ihre künftige Beförderung oder Abordnung unter besonderer Berücksichtigung ihres Umgangs mit der ständigen Zurückverweisungspraxis der 12. Kammer in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts entscheiden.

Zu der in der Richterschaft verbreiteten Vorstellung über das Zustandekommen von Beförderungen innerhalb der Justiz führte das Verwaltungsgericht Karlsruhe in dem Verfahren 2 K 3639/14 in seinem Urteil vom 29.10.2015 unter anderem aus:

"Im vorliegenden Fall muss zudem unabhängig hiervon zur Auslegung des objektiven Erklärungswerts der Äußerungen der Präsidentin berücksichtigt werden, dass unter den Richterinnen und Richtern in der baden-württembergischen Justiz die Vorstellung weit verbreitet ist, die Vergabe von Ämtern erfolge in der Regel in einer Weise, dass sich zunächst die Personalverantwortlichen des Justizministeriums zusammen mit den Gerichtspräsidenten auf einen Richter einigten, der eine Stelle erhalten solle und dem Ausgewählten daraufhin mitgeteilt werde, für ihn werde demnächst eine Stelle ausgeschrieben. Erst im Anschluss hieran erfolge die öffentliche Ausschreibung der Stelle. Eine Bewerbung anderer – also nicht bereits durch die Personalverantwortlichen von der Stellenausschreibung in Kenntnis gesetzter – Richter sei für diese regelmäßig nicht ratsam: Einerseits sei eine solche von vornherein ohne Erfolg, weil die im Rahmen des Auswahlverfahrens zu erstellenden Anlassbeurteilungen entsprechend der bereits vor der Ausschreibung getroffenen Auswahlentscheidung erstellt würden, andererseits werde eine nicht zuvor durch die Personalverantwortlichen erbetene Bewerbung regelmäßig mit Nachteilen beim weiteren beruflichen Fortkommen sanktioniert. Begründet wird diese Vorstellung insbesondere mit dem Hinweis darauf, dass bereits im Rahmen der Einführungslehrgänge das Justizministerium neu eingestellten Proberichtern mitteilt, sie sollten sich nicht auf Lebenszeitstellen bewerben, solange ihnen nicht das Ministerium mitgeteilt habe, dass die für sie bestimmte Stelle nun ausgeschrieben sei. Verwiesen wird zudem auch darauf, dass es für die Besetzung von Beförderungsämtern in der Landesjustiz meist nur einen einzigen Bewerber gebe und jeder Richter auch aus eigener Erfahrung – sei es im Rahmen der Lebenszeiternennung oder bei Beförderungen – den Anruf des Ministeriums kenne, es werde nun "für ihn eine Stelle ausgeschrieben", ohne dass sich dann im Besetzungsverfahren weitere Bewerber zeigten. Schließlich höre man immer wieder von Kolleginnen und Kollegen, die sich informell nach den Möglichkeiten der Bewerbung um eine ausgeschriebene Stelle bei den Personalverantwortlichen erkundigten und denen mitgeteilt worden sei, sie seien für die ausgeschriebene Stelle "nicht vorgesehen", seien "noch nicht dran" bzw. es bestünden "andere Pläne".

Es spricht zwar viel dafür, dass diese Vorstellung jedenfalls nicht in jeder Hinsicht zutreffend sein kann. Gegen ihre Richtigkeit spricht bereits, dass die Beförderungspraxis – würde sie der genannten Vorstellung entsprechen – systematisch gegen Art. 33 Abs. 2 GG verstieße. Denn Art. 33 Abs. 2 GG macht für die Vergabe höherwertiger Ämter eine Bewerberauswahl notwendig. Deswegen muss der Dienstherr Bewerbungen von Beamten oder Richtern um das höherwertige Amt zulassen und darf das Amt nur demjenigen Bewerber verleihen, den er aufgrund eines den Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG entsprechenden Leistungsvergleichs als den am besten geeigneten ausgewählt hat, wobei der Leistungsvergleich anhand aktueller dienstlicher Beurteilungen vorzunehmen ist (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 20.06.2013 - 2 VR 1/13 -, BVerwGE 147, 20, juris Rn. 19 ff.). Sollte die Stellenbesetzung so ablaufen, wie dies den verbreiteten Vorstellungen in der Richterschaft entspricht, würde die Bewerberauswahl nur formal, nicht aber der Sache nach anhand aktueller dienstlicher Beurteilungen über die einzelnen Bewerber vorgenommen werden. Das Verfahren liefe dann gewissermaßen in umgekehrter Reihenfolge: Nicht die Auswahlentscheidung folgte dem Ergebnis der dienstlichen Beurteilungen, sondern die dienstlichen Beurteilungen folgten dem Ergebnis der Auswahlentscheidung, die im Vorfeld der Stellenausschreibung und damit zu einem Zeitpunkt getroffen worden wäre, zudem noch überhaupt keine aktuellen dienstlichen Beurteilungen vorlagen (Verwaltungsgericht Karlsruhe, Urteil vom 29. Oktober 2015 – 2 K 3639/14 –, Rn. 26 - 27).

Ein weiterer – rechtskräftiger – Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe im Verfahren 13 K 1843/19 zu einem rechtswidrigen Bewerbungsverfahren um ein bedeutsames Richteramt befeuerte am 17.06.2019 zusätzlich eben diese "weit verbreitete Vorstellung", wonach Beförderungen in der Justiz nicht das Ergebnis einer anhand aktueller dienstlicher Beurteilungen getroffenen Auswahlentscheidung sind, sondern vorweg schon durch Absprachen zwischen den Personalverantwortlichen des Justizministeriums und den Gerichtspräsidenten determiniert sind (Hansjürgen Schilling, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe a.D., "Die unendliche Geschichte – zugleich Anmerkung zu Verwaltungsgericht Karlsruhe, Beschluss vom 17.06.2019 – 13 K 1843/19 –", in: Landesinfo Neue Richtervereinigung 03/2020, S. 19. ff.; online unter: www.neuerichter.de/fileadmin/user upload/lv baden-wuerttemberg/NRV-BaWue 2020 final.pdf).

Für die Landessozialgerichtsbarkeit bedeutet diese in der gesamten Richterschaft in Baden-Württemberg weit verbreitete Vorstellung denknotwendig, dass die Ernennungen zum Richter am Sozialgericht auf Lebenszeit sowie Beförderungen zu höheren Richterämtern innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit durch Absprachen zwischen den für die Fachgerichtsbarkeit (d. h. Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit) zuständigen Personalverantwortlichen des Justizministeriums mit den landesweit insgesamt neun Präsidenten an den Sozialgerichten bzw. am Landessozialgericht determiniert wären.

Die Annahme, die dem 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg angehörigen Berufsrichter hätten Grund zur Furcht, ihr beruflicher Werdegang stehe und falle mit dem Ausmaß, in dem sie sich gegenüber der baden-württembergischen Versorgungsverwaltung gewogen zeigen, beruht überdies darauf, dass sämtliche Landessozialgerichtsbarkeiten und Landesversorgungsverwaltungen historisch und organisatorisch eng miteinander verflochten sind, ohne dass das Erbe der Nationalsozialismus-spezifischen Entwicklungen im Sozialrecht bereits zureichend untersucht wäre (vgl. von Miquel: Sozialgerichtsbarkeit und NS-Vergangenheit, 1. Aufl., 2016, S. 12 ff.). Die zu anderen Gerichtszweigen sowie zur Landessozialgerichtsbarkeit in anderen Bundesländern vorliegenden Untersuchungen zeigen, dass die Übernahme von Juristen, die als Richter im nationalsozialistischen Regime nur die Fassade von Rechtsprechung aufrechterhielten, auch in der Sozialgerichtsbarkeit möglich und sogar üblich war (Nieding, Präsident des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen a.D., Sozialgerichtsbarkeit und NS-Vergangenheit, 1. Aufl., 2016, S. 10 ff.). Die Dokumentations- und Forschungsstelle der Sozialversicherungsträger hat im Rahmen eines Forschungsprojektes am Beispiel der nordrhein-westfälischen Sozialgerichte die personellen Kontinuitäten unter den Sozialrichtern in den Nachkriegsjahren wissenschaftlich erforscht, dies in den Kontext der Gründungsgeschichte dieser jungen, erst 1954 etablierten Gerichtsbarkeit gestellt, herausgefunden, dass die Gesamtzahl der nationalsozialistisch "belasteten" Richter mit 29 Personen weitaus höher lag, als dies die damalige Braunbuch-Kampagne der DDR gegen NS-"Blutrichter" in Westdeutschland vermuten ließ, und herausgehoben, dass sich unter den NS-Belasteten überproportional viele ehemalige Verwaltungsjuristen fanden, die sich nach 1954 erfolgreich auf die beruflich attraktiven Richterstellen bewarben – und dass zwölf leitende Richter, bis hin zum ersten Präsidenten des Landessozialgerichts, eine belastende Vergangenheit aufwiesen (Kutschaty, Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen a.D., Sozialgerichtsbarkeit und NS-Vergangenheit, 1. Aufl., 2016, S. 10 ff.).

Die hiernach objektiv gegebene Ungewissheit für sämtliche in der Sozialgerichtsbarkeit des Landes tätige Berufsrichter, dass im Rahmen der Absprachen zwischen Justizministerium und Gerichtspräsidenten bzw. anlässlich der Erstellung entsprechender Beurteilungen durch die jeweiligen Präsidenten des (Landes-) Sozialgericht auch die individuelle sozialrichterliche Gewogenheit im Umgang gegenüber der baden-württembergischen Versorgungsverwaltung maßgeblich sein könnte, lässt sich mit den verfügbaren Erkenntnismitteln nicht beseitigen. Zur nachhaltigen Beseitigung dieser begründeten Furcht bedürfte es belastbarer Untersuchungen zu den sich insofern aufdrängenden Fragestellungen. In deren Ermangelung vermögen sich die hiermit befassten Berufsrichter einstweilen des praktischen Ausmaßes ihrer verfassungskräftig garantierten richterlichen Unabhängigkeit gerade nicht zu vergewissern.

Soweit dies für das erkennende Gericht überschaubar ist, harrt die Frage, inwieweit die spezifische historische Verstrickung der Sozialgerichtsbarkeit des Bundeslandes Baden-Württemberg mit ihrer Landesversorgungsverwaltung mitsamt personeller Kontinuitäten in den 1950-er Jahren die Judikatur in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts bis in die Gegenwart prägt, einer fundierten Beantwortung. Es ist weithin unbekannt, wie hoch der hieraus resultierende Anteil NS-belasteter Richter seit Anbeginn der hiesigen Sozialgerichtsbarkeit gewesen ist. Ebenso ungewiss ist die Länge der Liste der in der Landesversorgungsverwaltung "bewährten", aber NS-belasteten Verwaltungsjuristen, die nach ihrer Abordnung an ein Sozialgericht zu Kammervorsitzenden auf Lebenszeit ernannt und später vom Justizministerium sogar zu Richtern am Landessozialgericht, Vizepräsidenten (am Landessozialgericht), Senatsvorsitzenden am Landessozialgericht oder Gerichtspräsidenten (am Landessozialgericht) befördert wurden. Infolgedessen lässt sich erst recht nicht abschätzen, in welchem Umfang im Rahmen der jahrzehntelangen richterlichen Beurteilungspraxis NS-belastete Richter ihnen ideologisch vergleichsweise näherstehende Richter nachhaltig zu fördern vermochten. Ebenso wenig ist bekannt, in welchem Ausmaß hierdurch sich selbst regenerierende politisch ultrakonservative Strukturen über Richtergenerationen hinweg in demokratisch nicht legitimierter Weise die Ernennung von Mitgliedern der Gerichtsleitungen hiesiger Sozialgerichte nachhaltig mitzugestalten vermochten bzw. weiterhin vermögen.

Auch liegen keine belastbaren Erkenntnisse vor zu den Auswirkungen der bis heute fortbestehenden Praxis, "bewährte" und "flexible" Berufsrichter zeitweise an die Landesversorgungsverwaltung abzuordnen und später bewährenden Falls hierauf die Prognose zu stützen, sie wären innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit besonders geeignet, justizinterne Verwaltungsaufgaben wie etwa die Beurteilungen anderer Richter zu übernehmen. Nicht verifizierbar ist die These, der berufsrichterlicher Karriereweg gestalte sich mit einem Umweg über die Versorgungverwaltung vergleichsweise wenig holprig und führe nicht selten bis zum Amt eines Gerichtspräsidenten, auch am Landessozialgericht. Noch fehlen auch Untersuchungen dazu, in welchem Ausmaß die in beiden Gewalten "beheimateten" Erfolgsjuristen sodann anlässlich (probe-) richterlicher Beurteilungen informelle Beurteilungsbeiträge von – ihnen aus der gemeinsamen Verwaltungstätigkeit persönlich freundschaftlich verbundenen – Sitzungsver-tretern der Versorgungsverwaltung entweder offenkundig oder insgeheim verwerten. Erst recht ist bislang nicht untersucht, ob, wie häufig und wie nachdrücklich ehemalige Verwaltungsjuristen an der Spitze "ihres" (Landes-)Sozialgerichts in ihren Personalgesprächen mit den (Probe- bzw. Abordnungs-) Richtern nachdrücklich dazu auffordern, der Vielzahl der sozialgerichtlichen Verfahren (gerade auch in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts) Herr zu werden durch ein auf die regelmäßige Verständigung mit der (Versorgungs ) Verwaltung ausgerichtetes berufsrichterliches Handeln, welches besondere Rücksicht und "Fingerspitzengefühl" erfordere. Diesbezügliche Erkenntnisse wären im Hinblick auf die Neutralitätspflicht besonders für Konstellationen wünschenswert, in denen dieselben Beurteiler weiterhin auch als Gerichtspräsident selbst noch in der Funktion eines Berufsrichters in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts tätig sein sollten.

Zu beachten ist bei alldem jedoch, dass allenfalls in Form beweisrechtlich nicht verwertbaren anekdotenhaften Hörensagens und auch nur äußerst selten und unter vorgehaltener Hand berichtet wird über im Einzelfall – in Bezug auf den Verbleib am Sozialgericht und das Fortkommen in der Justiz – eingetretene Nachteile, welche sich zeitigen sollen, falls (Probe-) Berufsrichter "bewährte" Pfade verlassen sollten, welche die Gerichtspraxis unterhalb der formellen Ebene (von Verfassung, Gesetz, Verordnung und Rechtsprechung) im Wege informeller "Programme" (vgl. zum Begriff: Lautmann, Justiz - die stille Gewalt, 2011, S. 34) massiv vorprägen.

5. Die Entscheidung zur Erstattung der außergerichtlichen Kosten folgt aus §§ 183, 193 SGG und dem vollständigen Obsiegen der Klägerin im Sinne der Zurückverweisung an den Beklagten.
Rechtskraft
Aus
Saved