L 9 SO 1/20 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 27 SO 485/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 1/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Unter welchen Voraussetzungen eine ein materielles Freizügigkeitsrecht begründende Unterhaltsgewährung i.S.d. § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU vorliegt, ist umstritten. Daher kann einer im Wege des sozialgerichtlichen Eilverfahrens existenzsichernde Leistungen nach dem SGB XII begehrenden Person die Berufung auf ein materielles Freizügigkeitsrecht zumindest dann nicht verwehrt werden, wenn ihr tatsächliche, den Lebensunterhalt zumindest teilweise deckende Leistungen durch freizügigkeitsberechtigte Verwandte seit ihrer Einreise nach Deutschland erbracht werden (hier bejaht bei mietfreiem Wohnen sowie Gewährung monatlicher Zuwendungen von ca. 120 € durch die Söhne der Antragstellerin).
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 11.12.2019 wird zurückgewiesen. Auf die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin wird die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin auch für die Zeit vom 01.02.2020 bis 30.06.2020 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen in Höhe des Regelbedarfes abzüglich 120,00 EUR monatlich sowie Hilfe bei Krankheit zu gewähren. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für das Beschwerdeverfahren. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren ab dem 14.01.2020 ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt C, L, beigeordnet.

Gründe:

Die zulässige, insbesondere fristgemäß eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin vom 19.12.2019 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 11.12.2019, mit der sie sich gegen die im Wege der einstweiligen Anordnung auferlegte Verpflichtung wendet, der Antragstellerin ab Antragstellung bis Ende Dezember 2019 vorläufig nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) in Höhe des Regelbedarfs abzüglich 120,00 EUR monatlich sowie Hilfe bei Krankheit zu gewähren, ist unbegründet. Das Sozialgericht hat dem Antrag der Antragstellerin für den aus dem Tenor ersichtlichen Zeitraum und Umfang zu Recht entsprochen (unter 1.). Ferner war der mit Schriftsatz der Antragstellerin vom 24.03.2020 eingelegten (unselbstständigen) Anschlussbeschwerde hinsichtlich des Zeitraums vom 01.02.2020 bis 30.06.2020 bei ansonsten unveränderter Sach- und Rechtslage stattzugeben (unter 2.).

1.) a) Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes - (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO). Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Bestehens von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. BSG, Beschl. v. 07.04.2011 - B 9 VG 15/10 B -, juris Rn. 6). Allerdings ergeben sich aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes - (GG) und Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn - wie hier - die Gewährung existenzsichernder Leistungen im Streit steht. Aus Art. 19 Abs. 4 GG folgen dabei Vorgaben für den Prüfungsmaßstab. Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen (vgl. BVerfG, Beschl. der 3. Kammer des Ersten Senats v. 06.08.2014 - 1 BvR 1453/12 -, juris Rn. 10, 12). In Anwendung dieser Maßstäbe hat die Antragstellerin ab dem 31.10.2019 sowohl einen Anordnungsanspruch, gerichtet auf Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem Vierten Kapitel des SGB XII in Form des Regelbedarfes sowie der Hilfe bei Krankheit, als auch einen Anordnungsgrund gegen die Antragsgegnerin aus dem im sozialgerichtlichen Tenor ersichtlichen Zeitraum und Umfang glaubhaft gemacht. Zur Begründung nimmt der Senat nach eigener Würdigung der Sach- und Rechtslage auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts im angefochtenen Beschluss Bezug und sieht insoweit von einer näheren Darstellung der Gründe ab (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

b) Das Beschwerdevorbringen der Antragsgegnerin ist im Ergebnis nicht geeignet, eine ihr günstigere Entscheidung zu rechtfertigen. Die im Dezember 1952 geborene Antragstellerin, italienische Staatsbürgerin, ist dem Grunde nach originär leistungsberechtigt nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, weil sie die Altersgrenze des § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht hat, als (seit März 2019) im Inland lebende Ausländerin auch Grundsicherungsleistungen nach den §§ 41 ff. SGB XII bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen beziehen kann (arg. § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB XII), hilfebedürftig (§§ 19 Abs. 2, 41, 82 ff., 90 SGB XII) und insbesondere nicht von Leistungen gemäß § 23 Abs. 3 SGB XII ausgeschlossen ist, weil sie sich nach summarischer Prüfung auf ein materielles Freizügigkeitsrecht außerhalb der Ausschlusstatbestände dieser Vorschrift berufen kann.

aa) Die Antragstellerin kann sich ab Antragstellung sowie nach Lage der Akten und summarischer Prüfung auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung als Unionsbürgerin und Familienangehörige nach § 2 Abs. 2 Nr. 6, § 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU berufen. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU haben Familienangehörige der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 genannten Unionsbürger das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs. 1, wenn sie den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen. Gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU sind Familienangehörige die Verwandten in gerader aufsteigender und in gerader absteigender Linie der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 und 7 genannten Personen oder ihrer Ehegatten und Lebenspartner, denen diese Personen oder ihre Ehegatten oder Lebenspartner Unterhalt gewähren. Bei der Antragstellerin handelt es sich um die Mutter ihrer in Deutschland lebenden drei Söhne und damit eine Verwandte in gerader absteigender Linie. Ferner sind die Söhne nach Aktenlage, insbesondere ausweislich der im Eilverfahren eingereichten Verdienstabrechnungen, erwerbstätig und beziehen gegenwärtig keine (ergänzenden) Leistungen nach dem SGB II. Damit können sie sich ihrerseits auf ein materielles Freizügigkeitsrecht als Arbeitnehmer i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU berufen. Hiervon kann wiederum die Antragstellerin, die im März 2019 ihren Söhnen nachgezogen ist, ein materielles Aufenthaltsrecht nach Maßgabe des § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU ableiten, weil sie ausweislich der aktenkundigen eidesstattlichen Versicherungen, die durch die sonstigen Unterlagen gestützt werden, zur Zeit mietfrei in der Wohnung ihres Sohnes N wohnt und ihre Söhne sie mit ca. 120,00 EUR im Monat unterstützen.

Unter welchen Voraussetzungen eine "Unterhaltsgewährung" i.S.d. § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU vorliegt, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung indes umstritten. Nach einer Ansicht liegt eine ein materielles Aufenthaltsrecht begründende Unterhaltsgewährung bereits dann vor, wenn der freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger dem Verwandten tatsächlich Leistungen zukommen lässt, die vom Ansatz her als Mittel der Bestreitung des Lebensunterhalts angesehen werden können. Dazu gehört eine fortgesetzte, regelmäßige Unterstützung in einem Umfang, der es ermöglicht, zumindest einen Teil des Lebensunterhalts regelmäßig zu decken (so BayLSG, Beschl. v. 06.08.2019 - L 16 AS 450/19 B ER -, juris Rn. 32 unter Hinweis auf BVerwG, Urt. v. 20.10.1993 - 11 C 1/93 -, juris Rn. 13). Dieser Auffassung zufolge kommt es hingegen nicht darauf an, ob die Unterhaltszahlung vollständig bedarfsdeckend ist oder bereits im Herkunftsland geleistet wurde. Vielmehr sei ausschließlich auf den Zeitpunkt der Einreise nach Deutschland oder ggf. der Antragstellung beim Leistungsträger abzustellen und würde bereits die Überlassung einer kostenfreien Unterkunft eine Unterhaltsgewährung darstellen (so BayLSG, Beschl. v. 06.08.2019 - L 16 AS 450/19 B ER -, juris Rn. 33). Auch soll bereits eine nur teilweise bedarfsdeckende Unterstützung von 100 EUR im Monat für die Bejahung eines abgeleiteten Freizügigkeitsrechts aus dem Gesichtspunkt der Unterhaltsgewährung ausreichend sein (s. LSG NRW, Beschl. v. 28.05.2015 - L 7 AS 372/15 B ER, L 7 AS 373/15 B -, juris Rn. 13 m.w.N. und Beschl. v. 15.04.2015 - L 7 AS 428/15 B ER -, juris Rn. 10). Nach einer anderen, deutlich restriktiveren Auffassung kann eine Unterhaltsgewährung i.S.d. § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU hingegen im Grundsatz nur dann vorliegen, wenn bereits in dem Zeitpunkt, in dem der oder die Verwandte sein bzw. ihr Herkunftsland verlässt oder den Nachzug beantragt, ein Abhängigkeitsverhältnis zu der freizügigkeitsberechtigten Person besteht. Hiernach muss der Unterhaltsbedarf schon im Herkunfts- bzw. Heimatland des Verwandten bestanden haben und mittels Geldleistungen durch den freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger oder dessen Ehegatten gesichert gewesen sein (so LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 11.07.2019 - L 15 SO 181/18 -, juris Rn. 47). Soweit der Verwandte den Status eines freizügigkeitsberechtigten Familienangehörigen auch noch nach Einreise erlangen kann (was das LSG Berlin-Brandenburg im dortigen Fall dahingestellt lässt), soll nach dieser Ansicht Maßstab für die materielle Absicherung jedenfalls das Lebenshaltungsniveau der Bundesrepublik Deutschland, wie es durch die existenzsichernden Leistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII gewährleistet wird, sein. Dieses müsste durch die Zuwendungen der freizügigkeitsberechtigten Person im Wesentlichen gedeckt sein. Würden hiernach bereits Unterhaltsleistungen ausreichen, welche die Grundbedürfnisse des Verwandten nur zu einem Teil deckten, würde ein Freizügigkeitstatbestand geschaffen, der europarechtlich keine Grundlage hätte und auch vom deutschen Gesetzgeber nicht beabsichtigt war (so LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 11.07.2019 - L 15 SO 181/18 -, juris Rn. 49 unter Berufung auf BT-Drs. 15/420, 103 zu § 3).

Welcher Auffassung im Ergebnis zu folgen ist, lässt der Senat für das hier vorliegende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes dahinstehen. Da sich beide Rechtsansichten indes sowohl nach nationalem als auch (sekundären) europäischem Gemeinschaftsrecht durchaus gut vertreten lassen und zu der Frage, wann eine Unterhaltsgewährung i.S.d. § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU vorliegt, höchstrichterliche Rechtsprechung bislang, soweit ersichtlich, fehlt, kann einem im Wege des Eilverfahrens existenzsichernde Leistungen begehrenden Antragsteller die Berufung auf ein materielles Freizügigkeitsrecht zumindest dann nicht verwehrt werden, wenn entsprechend der erstgenannten Rechtsauffassung tatsächliche, den Lebensunterhalt zumindest teilweise deckende Leistungen durch freizügigkeitsberechtigte Verwandte der Antragstellerin seit ihrer Einreise nach Deutschland erbracht werden, was hier durch das mietfreie Wohnen bei einem Sohn der Antragstellerin sowie der Gewährung monatlicher Zuwendung von ca. 120 EUR der Fall ist. Im Übrigen hat die Antragstellerin auf konkrete Anfrage des Senates mit Schriftsatz vom 19.03.2020 eine eidesstattliche Versicherung des Sohnes C vorgelegt, wonach die Antragstellerin schon in Italien in der Wohnung ihres Sohnes N gewohnt und die anderen Brüder sie finanziell unterstützt hätten, insbesondere durch Essen und Kleidung, aber auch durch Geldzuwendungen von ca. 100 EUR. Zwar mögen diese Auskünfte relativ knapp erscheinen. Den Senat liegen jedoch keine greifbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass die Angaben nicht den Tatsachen entsprechen.

bb) Der Anspruchsberechtigung der Antragstellerin auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII steht nach summarischer Prüfung auch § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB XII (Einreise, um Sozialhilfe zu erlangen) nicht entgehen. Denn der Senat sieht dessen strenge Voraussetzungen nach Aktenlage nicht als erfüllt an. § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB XII verlangt schon ausweislich seines insoweit eindeutigen Wortlauts ("um zu") einen finalen Zusammenhang zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme von Sozialhilfe im Sinne eines ziel- und zweckgerichteten Handelns (BVerwG, Urt. v. 04.06.1992 - 5 C 22/87 -, juris Rn. 11). Erforderlich ist, dass nach den objektiven Umständen von einem Wissen und Wollen mindestens im Sinne eines Vorsatzes ausgegangen werden kann, der für den Entschluss zur Einreise von prägender Bedeutung gewesen sein muss, ohne dass hierin auch ein "unlauteres Verhalten" gesehen werden müsste (Coseriu, in: jurisPK-SGB XII, § 23 Rn. 54). Der erforderliche Zusammenhang zwischen der Einreise und der missbilligten Inanspruchnahme von Sozialhilfe besteht nicht nur, wenn der Wille, Sozialhilfe zu erlangen, der einzige Einreisegrund ist. Beruht die Einreise des Ausländers auf verschiedenen Motiven, ist das Erfordernis des finalen Zusammenhangs auch erfüllt, wenn der Zweck der Inanspruchnahme von Sozialhilfe für den Einreiseentschluss von prägender Bedeutung ist (BSG, Urt. v. 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R -, juris Rn. 25). Das bedeutet, dass die Möglichkeit, auf Sozialhilfe angewiesen zu sein, für den Einreiseentschluss des Ausländers, sei es allein, sei es neben anderen Gründen, in besonderer Weise bedeutsam gewesen sein muss. Es genügt daher nicht, dass der Sozialhilfebezug beiläufig erfolgt oder anderen Einreisezwecken untergeordnet und in diesem Sinne (nur) billigend in Kauf genommen wird (Senat, Beschl. v. 22.04.2015 - L 9 SO 496/14 B -, juris Rn. 6 m.w.N. und Beschl. v. 14.10.2019 - L 9 SO 255/19 B ER -, juris Rn. 9). Hiernach reicht allein die objektive Tatsache, dass die Antragstellerin bei ihrer Einreise nach Deutschland im März 2019 mittellos gewesen ist und aufgrund ihres Alters und ihres Gesundheitszustandes nicht davon ausgehen konnte, ihren Lebensunterhalt vollständig ohne Inanspruchnahme öffentlicher Fürsorgeleistungen sicherzustellen alleine nicht aus, um auf den Willen, Sozialhilfe in Deutschland zu erlangen, als prägendes Motiv für die Einreise zu schließen. Denn im vorliegenden Fall ist es durchaus naheliegend, dass die Antragstellerin nach dem Wegzug ihrer Söhne von Italien nach Deutschland aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation nicht mehr in der Lage gewesen ist, im Herkunftsstaat nunmehr alleine zu leben, nachdem sie über Jahrzehnte nach dem Tod ihres Ehemannes im Jahre 1989 mit ihren Kindern mehr oder weniger zusammengelebt hat. Es spricht daher viel dafür, dass der Wunsch, zu den Kindern nach Deutschland zu ziehen, um in einem für sie vertrauten familiären Umfeld leben zu können, prägendes Motiv für die Einreise gewesen ist und nicht vordergründig der Wunsch nach Erhalt staatlicher Fürsorgeleistungen (vgl. auch Siefert, in: jurisPK-SGB XII, § 23 [1. Überarbeitung] Rn. 93, wonach der Leistungsausschluss nach Nr. 4 bei Begleitung eines oder Nachzug zu einem Ehegatten auch dann nicht zum Zuge kommt, wenn bereits bei der Einreise Bedürftigkeit bestand und auch der Ehegatte nicht über ausreichendes Einkommen oder Vermögen zur Bestreitung des Lebensunterhalts verfügte; für den Nachzug zu Verwandten in gerader Linie kann nichts anderes gelten).

cc) Ferner hat die Antragstellerin auch ihre Hilfebedürftigkeit glaubhaft gemacht, weil sie ihren Regelbedarf bzw. ihre gesundheitsbedingten Aufwendungen nicht mit den ihr monatlich zur Verfügung stehenden, als Einkommen (§ 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII) anzurechnenden Zuwendungen ihrer Kinder in Höhe von ca. 120 EUR vollständig decken kann. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin steht der Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin gegenwärtig nicht entgegen, dass sie möglicherweise einen Anspruch auf Bewilligung einer italienischen Hinterbliebenenrente hat und ausweislich des Schriftsatzes vom 12.03.2020 lediglich einen Antrag auf eine italienische Regelaltersrente und italienische Sozialleistungen gestellt hat, obwohl der Senat mit Schreiben vom 11.03.2020 explizit nach einer Antragstellung bezogen auf eine Hinterbliebenenrente gefragt hat. Zwar werden als Einkommen nach § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII auch Einnahmen aus ausländischen Leistungen, namentlich Renten, erfasst (s. nur BSG, Urt. v. 05.09.2007 - B 11b AS 49/06 R -, juris Rn. 22; BSG, Urt. v. 30.06.2016 - B 8 SO 3/15 R -, juris Rn. 22). Diese können jedoch nur bedarfsmindernd angerechnet werden, wenn sie (tatsächlich) zufließen oder der hierauf gerichtete Anspruch ohne weiteres, d.h. unproblematisch, realisierbar ist. Denn nur dann handelt es sich um bereite, also jederzeit verfügbare Mittel, die eine Hilfebedürftigkeit entweder ausschließen oder mindern. Im vorliegenden Fall bezieht die Antragstellerin unstreitig keine italienische Hinterbliebenenrente, so dass diese als bereites Mittel nicht zur Verfügung steht. Es erscheint nach jetzigem Sachstand auch fraglich, ob ein solcher Rentenanspruch - ungeachtet der Möglichkeit einer hierauf bezogenen Antragstellung (hierzu gleich) - ohne weiteres zu realisieren wäre. Nach Auskunft der Antragstellerin und ihrer Söhne hat der 1989 verstorbene Ehemann nicht gearbeitet, so dass jedenfalls nach summarischer Prüfung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zweifelhaft ist, ob der Antragstellerin aus einer Anwartschaft ihres Ehemannes überhaupt eine Hinterbliebenenrente nach Maßgabe des italienischen Rechts zusteht. Nach der von Seiten der Antragsgegnerin eingereichten Anlage zu den Anspruchsvoraussetzungen einer italienischen Hinterbliebenenrente müssen entweder 15 Beitragsjahre oder mindestens fünf Beitragsjahre nachgewiesen werden, von denen zumindest drei in den letzten fünf Jahren vor dem Todesdatum entrichtet wurden. Soweit das italienische Recht noch eine Entschädigung im Todesfall unter gegenüber Rentenleistungen erleichterten Voraussetzungen vorsieht, gilt dies nach der aktenkundigen Auskunft nur für verstorbene Erwerbstätige, die zum 31.12.1995 versichert gewesen sind. Der Ehemann der Antragstellerin ist indes bekanntlich 1989 verstorben. Ob unter diesen Voraussetzungen ein Rentenanspruch oder zumindest ein solcher auf Entschädigung besteht, mag in einem etwaigen Hauptsacheverfahren geklärt werden. Eine andere rechtliche Bewertung folgt auch nicht daraus, dass die Antragstellerin, aus welchen Gründen auch immer, bis März dieses Jahrs keine Anstrengungen unternommen hat, eine (mögliche) Hinterbliebenenrente zu beantragen und auch aufgrund der aktuell eingereichten Unterlagen fraglich ist, ob eine solche Rente von ihr überhaupt beantragt worden ist. Eine solches Verhalten führt indes nicht ohne weiteres zu einem Ausschluss von Leistungen der Grundsicherung (arg. e. § 41 Abs. 4 SGB XII). Die Antragsgegnerin kann sich insoweit nicht auf den Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 1 SGB XII stützen. Denn diese Vorschrift stellt, wenn andere Leistungen tatsächlich nicht erbracht werden, keine eigenständige Ausschlussnorm dar, sondern ihr kommt regelmäßig nur im Zusammenhang mit ergänzenden bzw. konkretisierenden sonstigen Vorschriften des SGB XII Bedeutung zu; ein Leistungsausschluss ohne Rückgriff auf andere Normen des SGB XII ist mithin allenfalls in extremen Ausnahmefällen denkbar, etwa wenn sich der Bedürftige generell eigenen Bemühungen verschließt und Ansprüche ohne Weiteres realisierbar sind (s. nur BSG, Urt. v. 22.03.2012 - B 8 SO 30/10 R -, juris Rn. 25 m.w.N.). Dass diese Voraussetzungen hier vorliegen, ist jedenfalls unter den besonderen Prüfungsvoraussetzungen im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens (noch) nicht ersichtlich. Der Senat vermag nach Aktenlage auch nicht zu erkennen, dass die Antragstellerin ihre Hilfebedürftigkeit in den letzten zehn Jahren grob fahrlässig oder gar vorsätzlich herbeigeführt hat, was indes ohnehin nur Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII ausschließen würde (§ 41 Abs. 4 SGB XII), nicht aber solche zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Dritten Kapitel des SGB XII. Ungeachtet dessen weist der Senat die anwaltlich vertretene Antragstellerin nachdrücklich sowie zur Vermeidung künftiger gerichtlicher Verfahren darauf hin, durch einen eindeutig formulierten Antrag auf italienische Hinterbliebenenrente die Voraussetzungen für eine baldige Bescheidung eines solchen Antrages zu schaffen, damit eine endgültige Klärung über dieses möglicherweise verfügbare Einkommen herbeigeführt wird.

Hinsichtlich der Leistungen in Form von Hilfe bei Krankheit gilt im Ergebnis nichts anderes als das Vorstehende. Dass die Antragstellerin nach Maßgabe des italienischen Rechts krankenversichert ist, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ersichtlich. Insbesondere hängt auch das Vorliegen eines Krankenversicherungsschutzes nach den aktenkundigen Unterlagen vom Bezug einer italienischen (Hinterbliebenen-)Rente ab, welcher hier jedoch fehlt. Da ein hierauf gerichteter Anspruch, wie bereits erwähnt, nach Aktenlage auch nicht ohne Weiteres (im Sinne eines breiten Mittels) zu realisieren sein dürfte, kann der Antragstellerin jedenfalls im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes das Fehlen eines Krankenversicherungsschutzes nicht entgegengehalten werden.

dd) Die Antragstellerin hat hinsichtlich des Regelbedarfs auch einen Anordnungsgrund, d.h. eine gegenwärtige Notlage glaubhaft gemacht, weil deren Anspruch auf Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) trotz zutreffender Anrechnung der Zuwendung ihrer Söhne von 120,00 EUR nicht gewährleistet ist.

2.) Soweit die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 24.03.2020 unselbstständige Anschlussbeschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts insofern eingelegt hat, als es die Verpflichtung der Antragsgegnerin zu den tenorierten vorläufigen Leistungen auf das Ende des Monats Dezember 2019 beschränkt hat, ist diese bis zur Entscheidung über die Beschwerde statthaft (vgl. hierzu Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, Vor § 172 Rn. 4a m.w.N.). Ein auch hierfür zu forderndes Rechtsschutzbedürfnis besteht für die Antragstellerin jedoch erst für die Zeit ab 01.02.2020, weil die Antragsgegnerin angekündigt hat, über den 31.01.2020 hinaus keine vorläufigen Leistungen für die Antragstellerin mehr zu erbringen. Ab dem 01.02.2020 ist die Anschlussbeschwerde jedoch mit gegenüber der Entscheidung des Sozialgerichts gleichbleibendem inhaltlichen Tenor auch begründet, weil sich die maßgebende Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats unverändert darstellt. Es entspricht daher dem Gebot der Prozessökonomie, bei im Wesentlichen unveränderter Sach- und Rechtslage auf die Anschlussbeschwerde für den Zeitraum ab Februar 2020 zu entscheiden, auch um weitere Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bis zum Ende der Geltungsdauer der einstweiligen Anordnung zu vermeiden (vgl. zum Aspekt der Prozessökonomie bei Anschlussberufungen Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 143 Rn. 5a). Letzteres bildet auch den Hintergrund für die Befristung dieser Anordnung auf den 30.06.2020, mit der der Senat von seinem insoweit bestehenden Ermessen Gebrauch gemacht hat. Dies gibt insbesondere der Antragstellerin die Gelegenheit, einen eindeutigen Antrag auf Hinterbliebenenrente beim italienischen Versicherungsträger zu stellen und dessen Entscheidung abzuwarten. Dass der Senat eine solche Vorgehensweise auch vor dem Hintergrund des § 2 Abs. 1 SGB XII erwartet, ist bereits ausgeführt worden.

3.) Der Antragstellerin war ungeachtet der hinreichenden Erfolgsaussicht ihrer Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung schon deswegen Prozesskostenhilfe zu bewilligen, weil die Antragsgegnerin das Rechtsmittel eingelegt hat (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Auch ist die Antragstellerin als (vorläufige) Bezieherin von Leistungen nach dem SGB XII nicht in der Lage, die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens auch nur teilweise aufzubringen.

4.) Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

5.) Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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