S 12 SB 3599/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 12 SB 3599/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Aus der neutralen Sichtweise eines verständigen Betrachters besteht bei vernünftiger Würdigung aller Umstände jedenfalls dann Anlass, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung eines Richters in einem ihm zur Bearbeitung zugewiesenen Verfahren zu zweifeln, wenn objektive Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass er wegen der Aufrechterhaltung seiner in einem Vorverfahren eines Beteiligten bereits geäußerten Rechtsauffassung in einem ihm nunmehr zur Bearbeitung zugewiesenen vergleichbaren weiteren Rechtsstreit der konkreten, nachvollziehbaren und beachtlichen Gefahr ausgesetzt ist, persönlich eine dienstliche Benachteiligung zu erfahren.

Eine nachdrückliche Warnung eines Dienstvorgesetzten vor dienstlicher Benachteiligung begründet regelmäßig hinreichend eine Furcht vor dienstlicher Benachteiligung seitens des mit der Warnung adressierten Dienst-Untergebenen.

Die Eigenverantwortlichkeit unterscheidet den mittelmäßigen Bürokraten vom guten Richter: Der eine liefert sich freiwillig der Banalität des Bösen im Arendtschen Sinne aus und verwerkzeuglicht sich selbst, der andere widmet sich freien Herzens den radikalen Ideen universeller Subjektivität und unveräußerlicher Menschenwürde.
1. Der Kammervorsitzende lehnt sich für das Verfahren S 12 SB 3599/19 als Gerichtsperson selbst ab und schließt sich von der weiteren Mitwirkung hieran selbst aus. 2. Das Ablehnungsgesuch des Beklagten gegen den Kammervorsitzenden wird als offensichtlich unzulässig verworfen.

Gründe:

1.

Die Beteiligten streiten über die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinder-ter Menschen (SGB IX).

Das Landratsamt Karlsruhe lehnte den Antrag des 1966 geborenen Klägers auf höhe-re Neufestsetzung des GdB mit Bescheid vom 26.11.2018 ab, ohne zuvor eine ambu-lante Untersuchung zur sozialmedizinischen Begutachtung des Klägers zwecks Fest-stellung von Art und Ausmaß seiner Gesundheitsstörungen zu veranlassen. Den hier-gegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies das Regierungspräsidium Stuttgart ebenfalls ohne vorherige ambulante Begutachtung mit Widerspruchsbescheid vom 10.10.2019 zurück. Hiergegen hat der fachkundig vertretene Kläger am 04.11.2019 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, sein Vorbringen zu Art und Ausmaß sei-ner behinderungsbedingten Teilhabebeeinträchtigungen vertieft, die Beiziehung schriftlicher Zeugenauskünfte seitens der ihn behandelnden Ärzte sowie die Einholung medizinischer Sachverständigengutachten auf verschiedenen medizinischen Fachge-bieten angeregt und angekündigt, in der Sache wörtlich beantragen zu wollen:

1. Der Bescheid des Beklagten vom 26.11.2018 in der Gestalt des Wi-derspruchsbescheids vom 10.10.2018 wird aufgehoben.

2. Der Beklagte wird verurteilt, beim Kläger eine Schwerbehinderung mit einem GdB von mindestens 80 anzuerkennen.

Auf die siebenseitige Klagebegründung hat der Beklagte einseitig erwidert, es ergäben sich keine wesentlichen neuen Gesichtspunkte. Er hat dem angerufenen Gericht aus-weislich einer Aktennotiz der Geschäftsstelle am 28.11.2019 seine Behördenakte vor-gelegt. Ferner hat der Beklagte in zahlreichen Angelegenheiten des Schwerbehinder-tenrechts anhängigen Parallelverfahren den einstweiligen Verfahrensstillstand ange-regt. Der Vorsitzende der 12. Kammer möge vorläufig keine Behördenentscheidungen aufheben und die Sachen zur weiteren sozialmedizinischen Ermittlung sowie zur er-neuten Sachentscheidung an die Versorgungsämter des Beklagten zurückverweisen, denn

"( ) Insgesamt erscheint es dem Beklagten auch mit Blick auf die Interessen der Klägerin nicht sachdienlich, wenn das Gericht vor Abschluss des bereits anhängigen Berufungsverfahren eine weitere Zurückverweisungsentscheidung trifft, die wegen der grundsätzlichen Problematik wiederum mit der Berufung angefochten werden müsste, wodurch letztlich nur Zeitverzögerungen und zu-sätzliche Kosten für die Beteiligten entstehen würden. Derzeit sind beim Lan-dessozialgericht Baden-Württemberg schon 13 Berufungen gegen Zurückver-weisungsentscheidungen der Kammer anhängig. Über einige der Berufungs-verfahren wird der 6. Senat des Landessozialgerichts in seiner nächsten münd-lichen Verhandlung am 23. Januar 2020 entscheiden ( ) " (vgl. S. 108 bzw. S. 114 dieser Prozessakte).

Dieser Anregung hat der Kammervorsitzende im Verfahren S 12 SB 3599/19 unter Berücksichtigung des aus der (den Einzelfall des Klägers betreffenden) beigezogenen Behördenakte evidenten außergerichtlichen sozialmedizinischen Ermittlungsdefizits entsprochen.

Am 23.01.2020 hat der 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg unter dem Aktenzeichen L 6 SB 3637/19 auf die Berufung des Beklagten die vorherige Zu-rückverweisungsentscheidung des Kammervorsitzenden vom 10.10.2019 im Verfah-ren S 12 SB 981/19 aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Karlsruhe zurückverwiesen. Die am Sozialgericht Karlsruhe zur erneuten Verhandlung und Entscheidung erforderlichen Unterlagen (Ab-druck des Urteils, des Protokolls der mündlichen Verhandlung und die Prozessakten des Sozialgerichts) hat der 6. Senat dem Sozialgericht Karlsruhe – aus hier nicht nachvollziehbaren Gründen – erst Mitte April 2020 zu(rück-)gesandt.

Mitte April hat der Kammervorsitzend die Unterlagen des Verfahrens S 12 SB 981/19 bzw. L 6 SB 3637/19 durchgesehen und hierbei festgestellt, dass in eben diesem Be-rufungsurteil der Sach- und Streitstand des Einzelfalls durch den 6. Senat des Lan-dessozialgerichts unzutreffend dargestellt worden ist. Nach intensiver Auseinander-setzung mit der weiteren Entscheidungsbegründung des Berufungsurteils hat sich der Kammervorsitzende von deren Willkürlichkeit überzeugt und an seiner ständigen Rechtsprechungspraxis zum systematischen Ermittlungsdefizit in der Versorgungs-verwaltung des Beklagten festgehalten. Er erachtet in jenen Streitigkeiten des Schwerbehindertenrechts weiterhin Zurückverweisungsentscheidungen gemäß § 131 Abs. 5 SGG als sachdienlich, in denen im Einzelfall nach Art und Umfang noch als erheblich anzusehende sozialmedizinische Ermittlungen über Art und Ausmaß behin-derungsbedingter Teilhabeeinschränkungen – insbesondere ambulante Begutachtun-gen – nötig sind, bevor in der Sache entschieden werden kann.

Seiner freien richterlichen Überzeugung entsprechend hat der Kammervorsitzende auch nach Kenntniserlangung von der Rechtsauffassung des Obergerichts in einem weiteren vergleichbaren Rechtsstreit des Beklagten die Behördenentscheidung zur weiteren Ermittlung und neuerlichen Sachentscheidung an die Versorgungsverwaltung zurückverwiesen. Zur Entscheidungsbegründung hat er auch die im sodann entschie-denen Einzelfall unzureichende sozialmedizinische Sachverhaltsaufklärung im dort betroffenen außergerichtlichen Verfahren im Einzelnen dargelegt. Zur Rechtfertigung der (unüblichen) Abweichung von der obergerichtlichen Urteilsbegründung im Verfah-ren L 6 SB 3637/19 hat der Kammervorsitzende insgesamt zwölf objektive Verstöße des Obergerichts gegen das Willkürverbot herausgearbeitet. Ergänzend hat der Kammervorsitzende einige objektive Anhaltspunkte dargestellt, derentwegen von den drei Berufsrichtern des 6. Senats des Landessozialgerichts am 23.01.2020 möglich-erweise keine sachangemessene Willensbildung und -bekundung zu erwarten gewe-sen sein könnte. Diesbezüglich hat er auch ausgeführt, warum die objektive Willkür auf einer strukturell bedingten Verunsicherung sämtlicher dem Beklagten unterstellten Berufsrichter der Landessozialgerichtsbarkeit des Bundeslandes Baden-Württemberg in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts beruhen könnte (Sozialgericht Karlsruhe, Gerichtsbescheid vom 14.04.2020, S 12 SB 3113/19).

Bereits am Folgetag (15.04.2020) hat der Kammervorsitzend für das hier betroffene Verfahren S 12 SB 3599/19 einen Sachentscheidungsentwurf zur Prozessakte ge-nommen (S. 27 bis 72 der Prozessakte). Danach hat er (auch hier) beabsichtigt, den (hier) angefochtenen Bescheid des Landratsamts Karlsruhe vom 26.11.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.10.2019 per Gerichtsbescheid aufzuheben. Er hat diese Sache (noch vor Ablauf der hierfür maßgeblichen 6-Ausschlussfrist im Mai 2020) zur erneuten Entscheidung über den Neufeststellungsantrag vom 17.08.2018 für die Zeit ab dessen Eingang beim Beklagten am 21.08.2018 an das Landratsamt Karlsruhe zurückverweisen wollen. Zur Begründung dieser Entscheidung hat der Kammervorsitzende ausweislich des voll-ständigen Entwurfs geplant, die Entscheidungsbegründung aus seinem insofern ver-gleichbaren Gerichtsbescheid vom 14.04.2020 im Verfahren S 12 SB 3113/19 inhalt-lich teilweise zu wiederholen. Insbesondere hat er beabsichtigt, seine dortigen Aus-führungen unter Rn. 118. ff. und Rn. 128 ff (Nummerierung laut juris) sogar wörtlich zu wiederholen und erneut die Feststellungen des Verwaltungsgerichts Karlsruhe (in dessen zwei Entscheidungen vom 29.10.2015 – 2 K 3639/14 – bzw. 17.06.2019 – 13 K 1843/19 –) und die diesbezügliche Fachliteratur zu zitieren. Diesen Quellen zufolge werde die ohnehin seit Jahren "weit verbreitete Vorstellung" innerhalb der Richter-schaft inzwischen "zusätzlich befeuert", wonach

"( ) Beförderungen in der Justiz nicht das Ergebnis einer anhand aktueller dienstlicher Beurteilungen getroffenen Auswahlentscheidung seien, sondern vorweg schon durch Absprachen zwischen den Personalverantwortlichen des Justizministeriums und den Gerichtspräsidenten determiniert."

Mit Anhörung vom 16.04.2020 hat der Kammervorsitzende im hier betroffenen Verfah-ren S 12 SB 3599/19 den Beteiligten zur beabsichtigten Zurückverweisung der Sache durch Gerichts-bescheid Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, welche der Kläger bislang nicht genutzt hat.

Am 21.04.2020 hat der nach dem gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan ebenfalls mit Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts als Richter befasste Präsident des Sozialgerichts im Zuge des seit Langem gerichtsintern geführten kollegialen Erfah-rungs- und Meinungsaustausches den Kammervorsitzenden auf einen neu erschiene-nen rechtswissenschaftlichen Beitrag in einer renommierten juristischen Fachzeit-schrift hingewiesen. Die beiden Autoren haben darin auf die Ermittlungsdefizite in Verwaltungsverfahren für – hier streitgegenständliche – Feststellungen nach § 152 SGB IX und die Reaktionsmöglichkeiten der Sozialgerichte aufmerksam gemacht. Unter Wiederholung, Vertiefung und explizitem Verweis auf die vom Kammervorsit-zenden seit dem 29.07.2019 ständig vertretenen Rechtsauffassung haben sie die Zu-rückverweisungen der im Verfahren S 12 SB 3599/19 beabsichtigten Art ausdrücklich empfohlen und zugleich fragwürdige Aspekte des willkürlichen Urteils im Verfahren L 6 SB 3637/19 herausgearbeitet.

Auch anlässlich dieses fürsorglichen fachlichen Hinweises hat der Kammervorsitzende den Präsidenten des Sozialgerichts Karlsruhe um eine diesbezügliche Dienstbespre-chung gebeten. Weitere Anlässe hierfür waren dessen gerichtsbekanntermaßen lang-jährige Diensterfahrung in der Landesversorgungsverwaltung des Beklagten sowie die auf der Homepage des Gerichts weiterhin veröffentlichten (Stand: 26.05.2020) Pres-semitteilungen vom 09.08.2006, 12.02.2007, 22.02.2008 (vgl. etwa dort:

"( ) Ohne zusätzliche Richterstellen, so Präsident Z., können diese Verfahren ohne Qualitätsverlust nicht mehr in einem für die Kläger hinnehmbaren Zeitraum bearbeitet werden. Nach einer vom Land Baden-Württemberg mitgetragenen Studie (Pebb§y) fehlen am Sozialgericht Karlsruhe derzeit mehr als 4 Richterstellen und sogar 33 bei allen Sozialgerichten im Land. Die Zuweisung von einigen Richtern an andere Sozial-gerichte als Karlsruhe begrüßt Präsident Z. ausdrücklich, sie reiche jedoch nicht, um den aktuellen Bedarf zu decken "),

sowie vom 03.04.2009, 19.03.2010, 15.04.2011, 20.04.2012, 21.06.2013, da diese ein besonderes Verständnis der Gerichtsleitung für den Ursachenzusammenhang zwi-schen Mangelausstattung und Qualitätsverlust erkennen lassen.

Während der noch am 21.04.2020 im Büro des Präsidenten durchgeführten Dienstbe-sprechung hat der Kammervorsitzende offen von der eigenen Sorge vor seiner dienst-lichen Benachteiligung berichtet. Dies hat er abrissartig mit seinem eigenen Willkür-vorwurf gegenüber dem Obergericht sowie seiner schonungslosen Darstellung der die richterliche Unabhängigkeit möglicherweise beschränkenden Mechanismen im Ge-richtsbescheid vom 14.04.2020 begründet. Er hat dem Präsidenten versichert, ihn persönlich mit diesen Ausführungen nicht angreifen, sondern lediglich zur Relativie-rung des Verhaltensvorwurfs gegenüber den drei Berufsrichterkollegen des 6. Senats die den Missstand perpetuierenden Strukturen aufzeigen zu wollen. Der Präsident hat den Kammervorsitzenden wiederum beschwichtigt, es wären allein deswegen vom Justizministerium selbstverständlich keine disziplinarrechtlichen Konsequenzen zu erwarten. Zum Besprechungsende hat der Kammervorsitzende dem Präsidenten ei-nen Abdruck des Gerichtsbescheides vom 14.04.2020 zur erstmaligen Lektüre über-lassen.

Am darauffolgenden 22.04.2020 hat der Kammervorsitzende auch den Kollegenkreis am Sozialgericht Karlsruhe über den Artikel in der Fachzeitschrift, seine neuerliche Entscheidung vom 14.04.2020 und den Besprechungsinhalt vom 21.04.2020 (unter anderem wörtlich im vorletzten Absatz wie folgt) Bericht erstattet:

"( ) gestern hat der Präsident in unserem sehr angenehmen Gespräch über das sys-tematische Ermittlungsdefizit in der Versorgungsverwaltung, die Rezeption meiner Rechtsprechung in der SGb sowie meine Entscheidung vom 14.04.2020 wieder sehr viel Verständnis geäußert und mich beschwichtigt, dass ich ob meiner Entscheidung vom 14.04.2020 keinerlei disziplinarrechtlichen Konsequenzen vom Justizministerium befürchten müsse. Nicht weniger sollte dies für alle übrigen (Probe-) Richter unserer Gerichtsbarkeit gelten. ( )"

Wegen des damaligen (dem Coronavirus SARS-CoV-2 geschuldeten) reduzierten Notfallbetriebs des Sozialgerichts hat sich der Präsident am 23.04.2020 ebenfalls nicht wie üblich in der donnerstäglichen "Kaffeerunde" persönlich an die am heimi-schen Arbeitsplatz tätige Richterschaft einschließlich des Kammervorsitzenden wen-den können. Stattdessen hat der Präsident diese nur per E-Mail erreichen und hierbei den Kammervorsitzenden klarstellend unter ausnahmsweiser Markierung seiner E-Mail mit dem Vermerk "Priorität: Hoch" – auf Folgendes hinweisen können:

"Sehr geehrter Herr P., Ihre Mail vom 22.04.2020 an die Kolleginnen und Kollegen im Hause, dort den vorletz-ten Absatz, kann ich so nicht kommentarlos stehenlassen: Ich habe zum Zeitpunkt un-seres Gesprächs am 21.04.2020 weder den Inhalt noch insbesondere den Wortlaut Ih-res Gerichtsbescheids vom 14.04.2020 gekannt. Von daher habe ich Ihnen gegenüber auch keine Aussagen zu "disziplinarrechtliche(n) Konsequenzen vom Justizministeri-um" gemacht oder auch nur machen können.

Auf Ihre Ausführungen insbesondere unter Rn. 118ff und vor allem Rn. 128ff Ihres Ge-richtsbescheides werde ich nach Lektüre Ihrer Entscheidung hier nicht eingehen.

Mit freundlichen Grüßen

Z. Präsident des Sozialgerichts Sozialgericht Karlsruhe Karl-Friedrich-Str. 13 76133 Karlsruhe Tel.: ( ) mailto: ( ...)"

Am darauffolgenden 24.04.2020 hat der Präsident des Sozialgerichts unter neuerli-cher förmlicher Angabe seiner Amtsbezeichnung, seiner Dienststelle und seiner Kon-taktdaten den Kammervorsitzenden und andere Berufsrichter über seinen Ruhe-standseintritt zum 01.10.2020 informiert. Er beabsichtige, einen sog. weiteren Beurtei-lungsbeitrag anzufertigen. Er werde demnächst noch gesondert mitteilen, welche Un-terlagen hierfür durch die beurteilten Richter vorzulegen seien.

Am 29.04.2020 hat parallel hierzu der Beklagte in dem hier betroffenen Verfahren S 12 SB 3599/19 auf die Anhörung zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid vom 16.04.2020 reagiert. Den entsprechenden Entwurf hat ausweislich des Briefkopfes (vgl. Seite 91 der Prozessakte) ein vor einigen Jahren noch am Sozialgericht Karlsru-he als Richter tätiger und inzwischen zum Landesversorgungsamt abgeordneter Kol-lege gefertigt. Eine ebenfalls aus der Landessozialgerichtsbarkeit des Beklagten in-zwischen zur Landesversorgungsverwaltung des Beklagten "gewechselte" ehemalige Richterin am Sozialgericht, Dr. H., hat den Entwurf unterzeichnet und darin den Kammervorsitzenden im Namen des Beklagten wegen der Besorgnis der Befangen-heit ablehnen lassen.

Zur Begründung dieses Ablehnungsgesucht hat der Beklagte im Wesentlichen auf die vielfache Vorbefassung des Kammervorsitzenden in vergleichbaren Verfahren in An-gelegenheiten des Schwerbehindertenrechts und die vielfache Verwerfung der dort im Namen des Beklagten gestellten Verfahrensanträge als rechtsmissbräuchlich bzw. unzulässig verwiesen. Ferner hat er die Besorgnis der Befangenheit auf die "unübliche Verfahrensweise", die angekündigte Divergenz zum Urteil des 6. Senats des Landes-sozialgerichts Baden-Württemberg im Verfahren L 6 SB 3637/19 vom 23.01.2020 ge-stützt und die Ausführungen des Kammervorsitzenden im Gerichtsbescheid vom 14.04.2020 im Verfahren S 12 SB 3113/19 moniert. Schließlich hat der Beklagte sein Ablehnungsgesuch darauf gestützt, dass der Kammervorsitzende die Ankündigung der Zurückverweisungsentscheidung vom 16.04.2020 an den Beklagten elektronisch zustellen lassen und eine Frist von nicht mehr als zwei Wochen zur Stellungnahme bestimmt habe. Innerhalb dieser Äußerungsfrist sei es dem Beklagten unmöglich ge-wesen, sich hinsichtlich irgendwelcher – nicht näher bestimmten und von Amts wegen aus den Akten nicht ersichtlichen neuen – "Ermittlungsergebnisse nochmals versor-gungsärztlich beraten zu lassen". Eben dies sei dem Kammervorsitzenden aufgrund eines vorangegangenen E-Mail-Verkehrs bewusst gewesen und begründe die Be-sorgnis seiner Voreingenommenheit.

Zur Glaubhaftmachung all dessen hat der Beklagte diverse in Vorverfahren in seinem Namen – auch vom ehemaligen Richterkollegen S. – verfasste Stellungnahmen zu den jeweiligen Anhörungen des Kammervorsitzenden zur beabsichtigten Zurückver-weisung durch Gerichtsbescheid mit den darin jeweils an den Einzelfall angepassten Textbausteinen vorgelegt. Wegen deren wesentlichen Inhalt wird exemplarisch auf die Darstellung im Tatbestand des Gerichtsbescheides zum Vorverfahren 12 SB 981/19 vom 10.10.2019 Bezug genommen.

Zur weiteren Glaubhaftmachung der positiven Kenntnis von den Verhältnissen in der Landesversorgungsverwaltung seitens des Kammervorsitzenden hat der Beklagte des Weiteren einen Abdruck der E-Mail des (ehemaligen Vizepräsidenten des Sozialge-richts Karlsruhe sowie ehemaligen Richters am Bundessozialgericht in Kassel und derzeitigen) Präsidenten des Landessozialgerichts Baden-Württemberg mit dem Be-treff: "WG: Mitteilung Landesversorgungsamt" vom 19.03.2020, 15:06 Uhr, folgenden Wortlautes vorgelegt (vgl. Seite 102 der Prozessakte):

"Sehr geehrte Damen und Herren im LSG und bei den SG s,

das Landesversorgungsamt (LVoA, hier Frau Dr. H.) hat sich telefonisch und per Fax gemeldet und darauf hingewiesen, dass der Dienstbetrieb dort so weit auf Heimarbeit umgestellt wurde, dass keine Hauptsacheverfahren mehr bedient werden können, weil die Mitarbeiter von Zuhause keinen Zugriff auf die Prozessakten haben und die Telefo-ne nicht umgestellt werden sollen. Vor Ort ist ein Notbetrieb eingerichtet, der nur noch Eilsachen bearbeitet. Der Versorgungsärztliche Dienst ist ohnehin eingestellt, weil die Ärzte alle zum Landesgesundheitsamt abgezogen worden sind (gesonderte Nachricht ging Ihnen zu).

Anscheinend sind aber bis heute Anfragen von LSG und den SGs beim LVoA einge-gangen, die Hauptsacheverfahren betreffen (Anforderung von Stellungnahmen der Versorgungsärzte, Bitten um omV-Zustimmungen). Dr. H. bittet unter Hinweis auf die Anweisungen des JUM darum, dass die Senate und auch die SGs darauf hinzuweisen, dass im LVoA nur noch Eilsachen bearbeitet werden und hierzu - wenn möglich - mit E-Mail kommuniziert werden soll.

Den Hinweis und die Bitte von Frau Dr. H. gebe ich gern an Sie weiter und bitte Sie, das Anliegen möglichst zu berücksichtigen.

Mit freundlichen Grüßen M. Präsident des Landessozialgerichts Baden-Württemberg Hauffstr. 5 70190 Stuttgart Tel.: ( ) Fax.: ( ) mailto: ( )"

Zur weiteren Glaubhaftmachung der positiven Kenntnis von diesen Verhältnissen in der Landesversorgungsverwaltung seitens des Kammervorsitzenden hat der Beklagte schließlich eine E-Mail des Kammervorsitzenden an die individuelle E-Mail-Adresse der ehemaligen Richterkollegin und zwischenzeitlichen Generalprozessbevollmächtig-ten der Landesversorgungsverwaltung des Beklagten, Dr. H., vom 19.03.2020, 18:20 Uhr, mit dem Betreff: "E-Mail-Kontakt?" sowie folgendem Wortlaut vorgelegt (vgl. Sei-te 101 Prozessakte):

"Sehr geehrte Frau Dr. H.,

Bezugnehmend auf die unten angehängte E-Mail des Präsidenten des Landessozial-gerichts bitte ich erstens um Mitteilung einer konkreten E-Mail-Adresse des LVoA, mit-hilfe derer die Kommunikation zwischen LVoA und dem Sozialgericht Karlsruhe in Eil-sachen bis auf Weiteres erfolgen soll.

Bitte teilen Sie zweitens auch schriftlich im Namen des LVoA mit, ob die Kommunika-tion bis auf Weiteres ausschließlich über diese noch mitzuteilende E-Mail-Adresse er-folgen soll (und hierdurch auf die Wahrung sonstiger Formvorschriften rechtsverbind-lich verzichtet wird). Oder wünschen Sie, dass die Kommunikation künftig sowohl in der bisherigen Form (d. h. schriftlich, per Telefax oder gegen Empfangsbekenntnis) als auch (ergänzend) per E-Mail erfolgt?

Drittens stellen Sie bitte schriftlich im Namen des LVoA mit, ob Ihre Antworten für Eil-sachen für die zwingend notwendige Kommunikation in Hauptsacheverfahren (Zustel-lungen von Entscheidungen, Terminaufhebung, etc.) entsprechend gelten sollen.

Bitte antworten Sie umgehend. Hier ist derzeit nicht klar, wie rechtliches Gehör ge-währt werden soll. ( )"

Obgleich der Kammervorsitzende dieses Auskunftsersuchens unter Verwendung sei-ner Amtsbezeichnung sowie seiner dienstlichen E-Mail-Adresse und unter Hinweis auf seine Dienststelle und die Eilbedürftigkeit abgesandt hatte, ist es bis zum Zeitpunkt dieser Entscheidung völlig unbeantwortet geblieben. Auch mehr als zwei Monate spä-ter ist von Dr. H. (oder sonst jemandem) weiterhin keine E-Mail-Adresse des Landes-versorgungsamtes mitgeteilt worden, welche zugleich vor dem unbefugten Zugriff Drit-ter hinreichend technisch gesichert wäre (um den Austausch sensibelster Daten über die Krankheiten und Behinderungen der Antragsteller in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts) und zugleich (als Ersatz für den Schriftverkehr in tausen-den parallellaufenden Rechtsstreitigkeiten der Landesversorgungsverwaltung vor allen Sozialgerichten des Bundeslandes) notwendigerweise den Zugriff durch mehr als nur eine einzige dort Bedienstete zuließe.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie den der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.

2.

I. Aufgrund seiner zulässigen und begründeten Selbstablehnung schließt sich der Kammervorsitzende vom weiteren Gerichtsverfahren S 12 SB 3599/19 selbst aus.

Von der Mitwirkung am weiteren Verfahren ist eine zurecht abgelehnte Gerichtsper-son auszuschließen (vgl. Flint in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 60 SGG, Rn. 172). Für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen gelten gemäß § 60 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die §§ 41 bis 46 Abs. 1 und die §§ 47 bis 49 der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend. Nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 ZPO kann ein Richter von der Ausübung des Richteramts abgelehnt werden.

Im vorliegenden Fall sind die Ablehnung des Kammervorsitzenden von der Ausübung seines Richteramtes und seine Ausschließung im Verfahren S 12 SB 3599/19 zu-nächst zulässig.

§ 48 Alt. 1 ZPO bestimmt, dass ein für die Erledigung einer Richterablehnung zustän-dige Gericht zu entscheiden hat, wenn ein Richter selbst von einem Verhältnis Anzei-ge macht, das seine Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen könnte. Gemäß § 46 Abs. 1 ZPO ergehen die Entscheidungen über die Ablehnung und Ausschließung wegen der Besorgnis der Befangenheit durch Beschluss. Sie set-zen laut § 124 Abs. 3 SGG keine mündliche Verhandlung voraus. Infolgedessen kön-nen die Selbstablehnung und die Selbstausschließung nach §§ 12 Abs. 1 Satz 2, 33 Abs. 1 Satz 2 SGG auch ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter erfolgen.

Der verfassungskräftige Verfahrungsgrundsatz des rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK gebietet nach seiner sozialgerichtsverfahrensrechtli-chen Ausprägung in § 62 Halbsatz 1 SGG grundsätzlich, die Beteiligten vor jeder Ge-richtsentscheidung anzuhören. Er wird für das Ablehnungsverfahren nach § 60 Abs. 1 SGG durch die spezielle Regelung in § 44 Abs. 3 ZPO dahingehend konkretisiert, dass der abgelehnte Richter sich dienstlich zur Frage seiner Befangenheit zu äußern hat und diese dienstliche Äußerung den Beteiligten zur Ermöglichung einer weiteren Stellungnahme überlassen wird (Flint in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 60 SGG, Rn. 123 2). Ausnahmsweise bedarf es aber aus teleologischen Gründen nicht einmal einer vorherigen dienstlichen Äußerung zur Befangenheit, wenn sich ein Richter selbst ablehnt, denn dem Zweck der dienstlichen Äußerung wird bereits durch die richterliche Selbstablehnung hinreichend Genüge getan (Flint in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 60 SGG, Rn. 127), so auch hier.

Selbstablehnung und Selbstausschließung des Kammervorsitzenden sind auch be-gründet.

§ 42 Abs. 1 und 2 ZPO zufolge findet wegen Besorgnis der Befangenheit die Ableh-nung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unpartei-lichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Der Maßstab für die Besorgnis der Befangen-heit muss streng sein, da über die Besetzung des Gerichts und damit über den ver-fassungsrechtlich garantierten gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) entschieden wird. Der strenge Maßstab birgt insoweit ein Problem, als er ohne Wertungen nicht auskommt, denn was die neutrale Sichtweise im oben genannten Sinne ist, bedarf wiederum der rechtlichen Bewertung. Hier helfen nur die Offenlegung des verfassungsgerichtlich gebilligten Entscheidungsmaßstabs, die Ori-entierung an den Tatsachen und die nachvollziehbare Begründung der im Rahmen des Bewertungsspielraums unvermeidbaren Wertungen (Flint in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 60 SGG, Rn. 55). Von dem Institut der richterlichen Selbst-ausschließung sollte indessen nicht zu vorsichtig Gebrauch gemacht werden, denn es ist eine gesetzliche Ausgestaltung des durch Art. 97 Abs. 1 Satz GG verbürgten Rechts der Beteiligten, nicht vor einen Richter gestellt zu werden, dem es an der ge-botenen Neutralität fehlt (vgl. Flint in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 60 SGG, Rn. 111). Maßstab für die Besorgnis der Befangenheit ist nach alledem, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommen-heit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln, wobei es hierfür weder auf die subjektive Sicht der Beteiligten noch auf die des Richters ankommt, sondern auf die neutrale Sichtweise eines verständigen Betrachters (Flint in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 60 SGG, Rn. 55).

Aus der neutralen Sichtweise eines verständigen Betrachters besteht bei vernünftiger Würdigung aller Umstände jedenfalls dann Anlass, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung eines Richters in einem ihm zur Bearbeitung zugewiesenen Verfahren zu zweifeln, wenn der Richter entgegen seiner in Art. 97 Abs. 1 GG verfas-sungsrechtlich garantierten persönlichen und sachlichen richterlichen Unabhängigkeit dienstliche Benachteiligung wegen seiner richterlichen Meinungsbildung oder Ent-scheidungsbegründung ernstlich zu befürchten hat. Dies ist gerade dann der Fall, wenn objektive Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass er wegen der Auf-rechterhaltung seiner in einem Vorverfahren eines Beteiligten bereits geäußerten Rechtsauffassung in einem ihm nunmehr zur Bearbeitung zugewiesenen vergleichba-ren weiteren Rechtsstreit der konkreten, nachvollziehbaren und beachtlichen Gefahr ausgesetzt ist, persönlich eine ihn dienstlich belastende Behandlung durch seinen Dienstherrn zu erfahren.

Unter Zugrundelegung dieser Beurteilungsmaßstäbe ist der Kammervorsitzende auf-grund seiner Selbstablehnung vom weiteren Gerichtsverfahren S 12 SB 3599/19 we-gen der Besorgnis seiner Befangenheit auszuschließen.

Ausweislich seines bereits am 15.04.2020 zur elektronischen Akten genommenen Entwurfs und der diesbezüglichen Anhörung der Beteiligten vom 16.04.2020 beab-sichtigt der Kammervorsitzende den im Verfahren S 12 SB 3599/19 angefochtenen Bescheid des Landratsamts Karlsruhe vom 26.11.2018 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.10.2019 per Gerichts-bescheid aufzuheben, die Sache zur erneuten Entscheidung über den Neufeststel-lungsantrag vom 17.08.2018 für die Zeit ab dessen Eingang beim Beklagten am 21.08.2018 an das Landratsamt Karlsruhe zurückzuverweisen. Zur Begründung dieser Entscheidung plant er ausweislich des vollständigen, 46-seitigen Entwurfs, ganz we-sentlich seine Entscheidungsbegründung aus dem insofern vergleichbaren Gerichts-bescheid der 12. Kammer vom 14.04.2020 im Verfahren S 12 SB 3113/19 inhaltlich zu wiederholen, insbesondere und sogar wörtlich diejenigen Ausführungen, zu denen er sich dort "unter Rn. 118. ff. und vor allem Rn. 128 ff" (Nummerierung laut juris) durchgerungen hatte. Darin hatte er nach außerordentlich gründlicher Prüfung der Rechts-, Sach- und Beweismittellage und einer besonderen Gewissensanspannung bereits am 14.04.2020 ausgeführt, warum Indizien vorlägen, welche mutmaßen lie-ßen, die zuständigen Personalreferenten des Justizministeriums des Landes Baden-Württemberg entschieden über Lebenszeiternennungen, Beförderungen und Abord-nungen von Berufsrichtern nicht nur anhand ihrer individuellen Eignung, Fähigkeit und Leistung, sondern auch aufgrund ihres richterlichen Umgangs mit der (Landes-)Versorgungsverwaltung des Landes Baden-Württemberg (SG Karlsruhe, Gerichtsbe-scheid vom 14. April 2020 – S 12 SB 3113/19 –, Rn. 122, juris).

Für den Fall, dass der Kammervorsitzende in der hier betroffenen Angelegenheit des Schwerbehindertenrechts S 12 SB 3599/19 die Sache entsprechend seines am 15.04.2020 zur Akte genommenen Entwurfes gemäß § 131 Abs. 5 SGG zur erneuten Entscheidung an den Beklagten zurückverweisen sollte, empfindet der Kammervorsit-zende nach seiner eigenen, subjektiven Wahrnehmung zum Zeitpunkt dieser Ent-scheidung Furcht vor dienstlicher Benachteiligung durch seinen Dienstherrn bzw. den hier Beklagten. Die Furcht des Kammervorsitzenden äußert sich namentlich in einem von Sorge und Angst getragenen, wiederholten gedanklichem Abdriften zu eben die-sem Thema vor, während und nach seiner Dienstzeit, sogar nachts, mit widerkehren-den Durchschlafschwierigkeiten, gefühlter Brustenge sowie nachfolgender Tagesmü-digkeit, Konzentrationsstörungen und dem Bedürfnis nach stützenden Gesprächen mit seiner Partnerin und seiner engsten Freundin insbesondere zur Frage nach einem gewissenhaften Umgang mit eben diesem Problemkreis.

Diese subjektive Furcht des Kammervorsitzenden erweist gerade nicht allein deswe-gen als objektiv begründet, weil er persönlich die Abfassung des Gerichtsbescheides vom 14.04.2020 zu verantworten hat. Eine Besorgnis der Befangenheit besteht näm-lich grundsätzlich nicht allein aufgrund einer Vorbefassung eines Richters. Dem Ver-fahrensrecht liegt die berechtigte Erwartung zugrunde, dass ein Richter auch dann unvoreingenommen an die Beurteilung einer Sache herantritt, wenn er bereits früher mit der Sache befasst war. Mit der gesetzlichen Ausnahmeregelung in § 60 Abs. 1 SGG i.V.m. § 41 Nr. 6 ZPO wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der bloße Umstand der Vorbefassung eines Richters mit der Sache geeignet wäre, Misstrauen gegen sei-ne Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Um in den Fällen der Vorbefassung die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, müssen vielmehr besondere zusätzliche Umstände hinzutreten (vgl. Flint in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 60 SGG, Rn. 66).

Auch der weitere Umstand, dass die schonungslose Formulierung der Entschei-dungsgründe des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14.04.2020 im Verfahren S 12 SB 3113/19 geeignet sein könnte, den Dienstherrn des Kammer-vorsitzenden, dessen Bedienstete in der Justizverwaltung sowie in der Landesversor-gungsverwaltung, erhebliche Teile der Richterschaft der Landessozialgerichtsbarkeit sowie den baden-württembergischen Landtag als Haushaltsgesetzgeber in schlech-tem Licht darzustellen, begründet – objektiv betrachtet – noch keine Furcht vor dienst-licher Benachteiligung, denn Richter dürfen nach Art. 97 Abs. 1 GG frei und unabhän-gig entscheiden. Gerade die öffentliche Exposition des Kammervorsitzenden als rich-terlicher Kritiker der von dem Beklagten in seiner Verwaltung und in seiner Justiz zu verantwortenden Verhältnisse rechtfertigt – umgekehrt – sogar die Annahme, dass der Beklagte eine dienstliche Benachteiligung des Kammervorsitzenden schon des-halb tunlichst unterlassen wird, weil der Beklagte in seinem steten Bemühen um eine rechtsstaatliche Verfasstheit die richterliche Unabhängigkeit gerade hier nicht antas-ten wird. Es erscheint grundsätzlich ganz und gar unwahrscheinlich, dass das Bun-desland Baden-Württemberg einen richterlichen Kammervorsitzenden wegen dessen Kritik, anlässlich dessen Kritik oder auch nur im engen zeitlichen Zusammenhang mit dessen Kritik ernstlich dienstlich benachteiligen sollte. Eine solche, letztlich als politi-sche Verfolgung eines Richters erscheinende Behandlung wäre offenkundig grundge-setzwidrig und derzeit evidenter Maßen politisch außerordentlich unzweckmäßig, weil die Bevölkerung des Beklagten ganz überwiegend in einem freiheitlich- demokrati-schen Rechtsstaat leben möchte.

Die subjektive Furcht des Kammervorsitzenden erweist sich jedoch inzwischen auf-grund anderweitiger objektiver Anhaltspunkte als hinreichend begründet. Wegen der beabsichtigten Aufrechterhaltung seiner für das Verfahren S 12 SB 3599/19 bereits vorläufig gebildeten Rechtsauffassung ist der Kammervorsitzende der konkreten, nachvollziehbaren und beachtlichen Gefahr ausgesetzt, persönlich eine belastende Behandlung durch seinen Dienstherrn bzw. seitens der durch ihn ausgewählten und ernannten Gerichtsleitung zu erfahren. Zur Darstellung der diese Gefahr objektiv be-gründenden Anhaltspunkte wird hier zuvörderst auf sämtliche Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Gerichtsbescheides vom 14.04.2020 im Verfahren S 12 SB 3113/19 Bezug genommen. Unter anderem sind dort zu der Fragestellung der ge-richtlichen Reaktion auf das systematische Ermittlungs- und Darstellungsdefizit der Landesversorgungsverwaltung des Beklagten zwölf objektivierbare Verstöße des dem Dienstherrn des Kammervorsitzenden zurechenbaren 6. Senats seines Landessozial-gerichts Baden-Württemberg im Verfahren L 6 SB 3637/19 gegen das Willkürverbot des Bundesverfassungsgerichts festgestellt worden. Eine dermaßen massive Häufung von Verstößen gibt nach wie vor Anlass zur Auseinandersetzung mit den Fragen, ob und warum von den drei Berufsrichtern, welche die Willkür-Entscheidung kollektiv mit-verantworten, möglicherweise gar keine subjektiv sachangemessene Ausübung ihrer Richterämter zu erwarten war. Mangels hinreichender Untersuchungen (bzw. der inso-fern weiterhin beschränkten Ermittlungsmöglichkeiten eines Richters am Sozialgericht nach §§ 103 ff. SGG) war am 14.04.2020 nicht abschließend festzustellen, ob die kollektiv subjektiv willkürliche Willensbildung bzw. -bekundung der Senatsmitglieder entgegen Art. 97 Abs. 1 GG unfrei und abhängig von äußerlichen Zwängen erfolgte. Gleichwohl ist bereits dort ausführlich diskutiert worden, warum die Willkür mit dem Hintergrund einer strukturell bedingten Verunsicherung sämtlicher dem Beklagten un-terstellten Berufsrichter der Landessozialgerichtsbarkeit des Bundeslandes Baden-Württemberg in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts zu erklären sein könn-te. Es kann hier also uneingeschränkt auch auf die dortigen Ausführungen zu den be-sorgniserregenden Fragen verwiesen werden, warum und welche diesbezüglichen Ungewissheiten bestehen, welcher Untersuchungsbedarf hieraus resultiert und welche Mechanismen und Praktiken des Dienstherrn bzw. der von ihm eingesetzten Mitglie-der der Gerichtsleitungen eine Rolle spielen könnten (SG Karlsruhe, Gerichtsbescheid vom 14. April 2020 – S 12 SB 3113/19 –, Rn. 117 ff., juris). An den maßgeblichen Verhältnissen hat sich – soweit ersichtlich – in den letzten fünf Wochen nichts Grund-legendes geändert hat, weshalb hier aus Platzgründen von einer wörtlichen Wiederho-lung abgesehen wird.

Ergänzend zu den dortigen Ausführungen sind zunächst etwaige Motive an einer sol-chen dienstlichen Benachteiligung seitens der hieran potentiell beteiligten Organe des Beklagten festzustellen:

Erstens haben der Dienstherr des Kammervorsitzenden, das Personalreferat dessen Justizministeriums und die von diesem ausgewählte und ernannte Gerichtsleitung ein objektives Interesse an der künftigen Aufgabe der im Gerichtsbescheid vom 14.04.2020 aufrecht erhaltenen Rechtsprechung des Kammervorsitzenden. Ihr Anse-hen würde möglicherweise erheblich beeinträchtigt, falls der Kammervorsitzende die nachweislich rechts- und verfassungswidrige Ausstattung und Arbeitsweise der Ver-sorgungsverwaltung des Beklagten, deren langjähriges Verschweigen und Dulden durch die gesamte Landessozialgerichtsbarkeit des Beklagten und deren mutmaßliche Mitverursachung durch das womöglich schlichtweg krude Beurteilungs- und Beförde-rungswesen der Justizverwaltung des Beklagten weiterhin in seinen Entscheidungen thematisierte und entsprechende Entscheidungen fortlaufend veröffentlichte. Die ernstliche Möglichkeit, dass sich für die genannten Stellen Nachteile zeitigen könnten, ist nicht mehr von der Hand zu weisen. Die vom Kammervorsitzenden seit dem Urteil vom 29.09.2019 im Verfahren S 12 SB 877/19 vertretenen Rechtsauffassung ist in der einschlägigen juristischen Literatur bereits im Vordringen befindlich. Dass sie sich letztlich auch innerhalb der Landesrichterschaft durchsetzen könnte, erscheint gerade wegen der sie kassierenden Rechtsprechung des 6. Senats vom 23.01.2020 im Ver-fahren L 6 SB 3637/19 überwiegend wahrscheinlich. Denn ausweislich der berufungs-gerichtlichen Entscheidungsbegründung fehlen an allen Ecken und Enden sachliche und rechtliche Argumente gegen die tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Schlussfolgerungen des Kammervorsitzenden. Augenscheinlich sind die Nachweise für das seit Jahr(zehnt)en bestehende systematische Ermittlungsdefizit in Angelegen-heiten des Schwerbehindertenrechts nur mithilfe obergerichtlicher Willkür abzutun und der Gebrauch von der eben hierfür gesetzlich vorgesehenen Reaktionsmöglichkeit der Zurückverweisung an die Versorgungsverwaltung nur im Wege kollektiver Rechtsbeu-gung berufungsgerichtlich als unrichtig zu brandmarken um die erste sozialgerichtliche Instanz auf der alt hergebrachten Linie zu halten. Das sich angesichts all dessen die zuvor langjährige Gleichschaltung des Umgangs der zuständigen Richterschaft auf diese Weise vielleicht aber nicht mehr wiederherstellen lassen wird, müssen nunmehr die Verantwortungsträger innerhalb der Justizverwaltung ihrerseits für eben diesen Fall befürchten, auch selbst persönlich für den vorliegenden Justizskandal zur Ver-antwortung gezogen zu werden. Dies gilt selbst für den höchstwahrscheinlichen Fall, dass sich zeigen sollte, dass sie die Gleichschaltung der Justiz im Schwerbehinder-tenrecht gerade niemals absichtlich herbeigeführt haben. Zu missbilligen wäre es nämlich auch, wenn der Dienstherr, seine Justizverwaltung und dessen Gerichtslei-tung die teilweise Gleichschaltung der Landessozialgerichtsbarkeit nur bloß billigend in Kauf genommen hätten als Kollateralschaden einer niemals aufgearbeiteten national-sozialistischen Vorbelastung der Landesversorgungsverwaltung des Beklagten und deren personeller Verstrickungen mit der aus ihr selbst institutionell hervorgegange-nen Landessozialgerichtsbarkeit des Beklagten.

Zweitens bedeutete die Hinderung des weiteren Vordringens der ständigen Zurück-verweisungspraxis des Kammervorsitzenden bzw. die Wiederherstellung der bis zum 29.07.2019 bestehenden Gleichschaltung der Ermessensausübung der zuständigen Richterschaft für den hier beklagten Dienstherrn in Angelegenheiten des Schwerbe-hindertenrechts einen enormen fiskalischen (Kollateral-) Nutzen. Falls die zuständigen Richter des Beklagten weiterhin bzw. erneut geschlossen die massenhafte Rechtswid-rigkeit der Verwaltungsakte des Beklagten über die im Bundesland Baden-Württemberg beantragten Feststellungen nach § 152 SGB IX stillschweigend duldeten (anstatt sie systematisch wegen des behördlichen Ermittlungsdefizits aufzuheben) und die außergerichtlich unterlassenen Amtsermittlungen weiterhin in nachfolgenden Gerichtsverfahren nachholten (anstatt den Beklagten zur Nachholung der fehlenden Ermittlungen im Wege der Zurückverweisung gemäß § 131 Abs. 5 SGG zu verpflich-ten) fielen nämlich zu Lasten der Staatskasse des Beklagten weiterhin lediglich in 2,9 Prozent der (bundeslandesweit jährlich in mindestens fünfstelliger – wenn nicht sogar sechsstelliger – Anzahl versorgungsamtlicher) Antragsverfahren nennenswerte Ermitt-lungskosten für die Staatskasse des Beklagten an, in denen die Betroffenen die Sozi-algerichtsbarkeit anrufen [vgl. Thomann/Losch/Nieder, Begutachtung im Schwerbe-hindertenrecht (2012), S. 147]. Der landesweite Kostenaufwand für die nicht selten zur Bemessung des zutreffenden Grades der Behinderung zwingend erforderlichen sozialmedizinischen Ermittlungen in Gestalt ambulanter Untersuchungen durch sozi-almedizinisch spezialisierte Ärzte wäre hingegen unter Berücksichtigung aller landes-weiten Antragsverfahren im Schwerbehindertenrecht um ein Vielfaches höher, falls die zuständigen Richter der Landessozialgerichtsbarkeit derartige Streitsachen wegen des seit Jahren bestehenden und hier allgemein bekannten systematischen Ausstat-tungs- und Ermittlungsdefizits regelmäßig gemäß § 131 Abs. 5 SGG zur nachträgli-chen ambulanten Begutachtung an die nach §§ 20 ff. SGB X hierfür originär zuständi-gen Versorgungsverwaltungen zurückverwiesen und die Versorgungsverwaltung infol-gedessen ausreichend ausgestattet würde. Die im jeweiligen Einzelfall zwar volkswirt-schaftliche unsinnige Verlagerung des sozialmedizinischen Ermittlungsaufwandes von einem hierfür außergerichtlich einzurichtenden Versorgungsärztlichen Dienst auf ein hierfür nicht ausgestattetes Sozialgericht rechnet sich bei isolierter Betrachtung zwar offenkundig unter ökonomischen Gesichtspunkten für den Beklagten nicht. In den üb-rigen 97,1 Prozent jener schwerbehindertenrechtlichen Verfahren, in denen Menschen mit Behinderung nach Abschluss ihrer teilweise erfolglosen Verwaltungs- und Wider-spruchsverfahren die nervlichen, zeitlichen und finanziellen Risiken eines sozialge-richtlichen Verfahrens aber gar nicht erst in Kauf nehmen, würden infolge der weiteren Gleichschaltung der landesweiten Rechtsprechung zu § 131 Abs. 5 SGG jedoch mas-siv Staatsausgaben in jährlich zweistelliger Millionenhöhe weiterhin eingespart. Die Einsparungen durch das systematische Ermittlungsdefizit in diesen 97,1 Prozent der Antragsverfahren im Schwerbehindertenrecht würden deutlich die Mehrausgaben in den 2,9 Prozent der Fälle übersteigen, in denen an den Sozialgerichten für die Begut-achtungen durch externe (und im Vergleich zu amtsärztlichen Verwaltungsgutachtern teurere) Sachverständige relativ hohe Kosten anfallen (vgl. Sozialgericht Karlsruhe, Urteil, 29.07.2019, S 12 SB 877/19).

Über die im Gerichtsbescheid vom 14.04.2020 bereits zur Begründung der Annahme einer Gleichschaltung aller mit diesem Rechtsgebiet befassten Richter in Baden-Württemberg benannten objektiven Anhaltspunkte und die nunmehr hier ergänzend dargelegten möglichen Motive des Dienstherrn und seiner Organe der Justizverwal-tung zur Wiederherstellung dieser Gleichschaltung hinaus spricht ferner auch, dass eine eben solche Gleichschaltung eine plausible Erklärung für den in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts anderweitig kaum erklärbaren Justizskandal besonde-ren Ausmaßes, besonderer Dauer und besonderer Tragweite darstellte. Es leuchtet schlechterdings kein vernünftiger Grund ein, aus dem sich die Richterschaft nahezu geschlossen in bester Kenntnis der bestehenden Missstände in der Landesversor-gungsverwaltung seit langem praktisch ausnahmslos gegen den Erlass der deswegen rechtlich gebotenen Zurückverweisungsentscheidungen entschlossen haben sollte.

Insofern frappiert erstens die krasse Diskrepanz zwischen ihrer – aufgrund des Feh-lens entsprechender Veröffentlichungen in den öffentlichen Datenbanken juris bzw. beck-online anzunehmenden – beinahe ausnahmslosen Zurückhaltung vom Erlass von Entscheidungen nach § 131 Abs. 5 SGG einerseits und dem gleichzeitig zahlrei-chen, aber immer nur klangheimlich im kollegialen Erfahrungs- und Meinungsaus-tausch geäußerten Zuspruch für die diesbezügliche ständige Praxis des Kammervor-sitzenden andererseits.

Zweitens erscheint es ganz und gar unwahrscheinlich, dass ohne eine Gleichschal-tung der zur diesbezüglichen Rechtsanwendungskontrolle berufenen Berufsrichter-schaft ein in qualitativer, in quantitativer und in zeitlicher Hinsicht dermaßen bedeu-tungsvoller systematischer Rechts- und Verfassungsbruch vonstattengehen könnte wie dies in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts in Baden-Württemberg der Fall ist. Die Erkenntnis, dass die Landesversorgungsverwaltung das Verfahrensrecht aus § 20 ff. SGB X und folgefehlerhaft zwangsläufig auch die individuellen materiellen Feststellungsansprüche der Menschen mit Behinderungen aus § 152 SGB IX nicht nur im Einzelfall, sondern bewusst und systematisch verletzt, drängt sich jedem mit Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts befassten Landesrichter bereits nach kurzer erstmaliger Bearbeitung dieses Sachgebiets auf. Er muss sich nämlich sodann zu der in der gesamten Landessozialgerichtsbarkeit allgemeinüblichen Praxis verhal-ten, die außergerichtlich unterlassenen sozialmedizinischen Ermittlungen nachzuholen und insbesondere ca. 100 Mal so viele sozialmedizinische Begutachtungen unter am-bulanter ärztlicher Untersuchung zu veranlassen wie die zur Amtsermittlung nicht minder verpflichtete Versorgungsverwaltung. Indessen ist ausnahmslos allen zustän-digen Landesrichtern wegen ihrer fundierten Rechtskenntnisse auch die Reaktions-möglichkeit der Zurückverweisung nach § 131 Abs. 5 SGG, die für deren Gebrauch gerade in derartigen Fällen sprechenden Erwägungen bekannt (vgl. Krö-ner/Westermeyer, Ermittlungsdefizite in Verwaltungsverfahren für Feststellungen nach § 152 SGB IX und Reaktionsmöglichkeiten der Sozialgerichte, SGb 2020, 204, 209, juris). Auch ist die unmissverständliche Gesetzesbegründung der Norm öffentlich zu-gänglich, die schlechterdings keinen ernstlichen Zweifel daran zulässt, dass sie auch für Konstellationen der vorliegenden Art geändert worden ist (vgl. Sozialgericht Karls-ruhe, 16.10.2019, S 2 SB 1734/19). Jeder einzelne in Angelegenheiten des Schwer-behindertenrechts zuständige Berufsrichter des Beklagten weiß auch um die normati-ve Kraft des Verfassungsrechts bei der Anwendung des einfachen Gesetzesrechts. Er kommt nicht umhin, bei der Entscheidung der ihm zugewiesenen Einzelfälle über die Rechtsdurchsetzung der im Einzelfall eingeklagten individuell-subjektiven Rechte hin-aus auch dem kollektiven Anspruch der Rechtsgemeinschaft gegenüber der Justiz genügen zu müssen. Jeder Richter hat in jeder Angelegenheit des Schwerbehinder-tenrechts durch seine individuelle Einzelfall-Rechtsprechung auch dem Rechtsstaats-prinzip, dem Sozialstaatsprinzip, dem Bundesstaatsprinzip und dem Demokratieprin-zip größtmögliche Geltung zu verschaffen. Das im Widerspruch hierzu kollektive Un-terlassen von Zurückverweisungsentscheidungen unter gleichzeitiger Nachholung der sozialmedizinischen Ermittlungen seitens der zuständigen Landesrichter erhält gleich-wohl ein in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts willkürliches und damit rechtsfreies, gegenüber den Landesbürgern mit Behinderungen asoziales, die Bun-desgesetzgebungskompetenz (nicht nur für das Recht der Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung, sondern auch im Bereich des Finanz-, Arbeits- und sonstigen Sozialrechts) unterlaufendes und in dieser Gestalt demokratisch so nicht legitimiertes Landesversorgungswesen aufrecht.

Der von der zuständigen Landesrichterschaft hierdurch mitverursachte systematische Verfassungsbruch ist indessen nicht nur in qualitativer Hinsicht bedeutungsvoll. Auch seine quantitative Tragweite ist enorm, weil er in Baden-Württemberg über eine Million Bürger mit einer anerkannten Schwerbehinderung in systematische Mitleidenschaft zieht, denn hier leben (ausweislich der durch das Statistische Landesamt Baden-Württemberg zuletzt veröffentlichten Einwohnerzahl von) 11.032.839 Menschen, von denen wiederum (unter Zugrundelegung der durch das Statistische Bundesamt zuletzt veröffentlichten Schwerbehindertenquote für das gesamte Bundesgebiet in Höhe von) 9,4 Prozent einen Grad der Behinderung von 50 oder mehr haben. Die zahlreichen Menschen mit einem anerkannten GdB von 20 bis 40 sind von dieser Zahl genauso wenig erfasst wie jene Menschen mit Behinderung, deren Antrag ohne ernstliche Sachaufklärung abgelehnt wurde, ohne dass sie zu den 2,9 Prozent der Menschen gehören, die hiergegen gerichtlich vorgegangen wären, um hier infolge der erstmali-gen ernstlichen Sachverhaltsaufklärung mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit von knapp 50 Prozent ganz oder teilweise gegen die Landesversorgungsverwaltung zu obsiegen.

Die Annahme einer vom Justizministerium und seinen Gerichtsleitungen in Angele-genheiten des Schwerbehindertenrechts in Kauf genommenen Gleichschaltung der Landessozialgerichtsbarkeit bliebe trotz alledem verschwörungstheoretischer Natur, wenn sie auf der bloßen Mutmaßung beruhte, dass allein aus dem möglicherweise zufälligen Zusammentreffen massiv fehlerhaften richterlichen, behördlichen sowie (haushalts-) gesetzgeberischen Handelns zahlreicher Einzelakteure auf die Existenz eines oder mehrerer ihren Willen lenkenden Subjekte(s) geschlussfolgert würde. Eine derartige Argumentation würde die Erkenntnisse des (gegenüber der soziologischen Systemtheorie vorzugswürdigen) methodologischen Individualismus außer Acht las-sen, demzufolge soziale Phänomene wie Institutionen, Normen, soziale Strukturen usw. ganz maßgeblich über individuelles Handeln zu erklären sind (vgl. Büschges, Abraham, Funk; Grundzüge der Soziologie, 1996, S. 85) und eben nicht mit – unter Hinweis auf Zufälligkeiten – herbeifantasierten Verschwörungstheorien über im Hin-tergrund tätige Kreise oder Personen. Eine denkfehlerfreie Begründung der Feststel-lung einer staatlich unabsichtlich veranlassten Gleichschaltung verkennt gerade nicht, dass es hierzu unbedingt eines konkreten dem Dienstherrn, dessen Justizministerium bzw. dessen Gerichtsleitungen zurechenbaren Verhaltens bedarf, welches die Schlussfolgerung trägt, dass die jahrelange Gleichschaltung seiner Richterschaft in Angelegenheit des Schwerbehindertenrechts von einem oder mehreren dieser staatli-chen Organe zumindest billigend mitgetragen wird. Zur Begründung der objektiven Begründetheit der Furcht des Kammervorsitzenden vor dienstlicher Benachteiligung kann deshalb hier nicht darauf verzichtet werden, konkrete Handlungen der Mitglieder der Justizverwaltung des Dienstherrn in ihrer Funktion als solche zu benennen, wel-che geeignet sind, die freie und unabhängige richterliche Urteilsbildung und Entschei-dungsbegründung des Kammervorsitzenden in Bezug auf das systematische Ermitt-lungsdefizit der Landesversorgungsverwaltung und die Reaktionsmöglichkeit der Zu-rückverweisung nach § 131 Abs. 5 SGG erheblich zu beeinträchtigten.

Diesem Kriterium genügt die Willkürrechtsprechung des 6. Senats des Landessozial-gerichts Baden-Württembergs vom 23.01.2020 im Verfahren L 6 SB 3637/19 gerade nicht. Zwar kommt obergerichtlicher Rechtsprechung gegenüber den Richtern erster Instanz eine Art faktischer Bindungswirkung zu, weil es eines besonderen Begrün-dungsaufwands sowie jedenfalls der Berufungszulassung bedarf, um als erstinstanzli-ches Gericht bei einem vergleichbaren Sach- und Streitstand von einer Entscheidung des eigenen Obergerichts abzuweichen (vgl. § 144 Abs. 2 Ziff. 2. Var. 1 SGG). Auch wirken an jedem Urteil eines Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg kraft Natur der Sache gleich mehrere Berufsrichter in ihren gehobenen Richterämtern (regelmäßig der Besoldungsstufen R 2 bis maximal R 6) mit, welche die Justizverwal-tung des Beklagten bzw. der Dienstherr aller hiesigen Landesrichter zuvor bewusst für diese besonders wichtigen Richterämter ausgewählt und ernannt hatte. Jedoch üben die in zweiter Instanz tätigen Berufsrichter im Rahmen ihrer Urteilsbildung und Ent-scheidungsbegründung keine Staatsgewalt justizverwaltender Natur aus. Sie befinden (jedenfalls vordergründig) über die Rechtmäßigkeit behördlichen Handelns gegenüber regelmäßig der Justiz nicht angehöriger Dritter. Sie sind damit nach Art. 97 Abs. 1 GG frei und unabhängig in ihren Urteilen und insofern vom Dienstherrn – anders als wei-sungsgebundene Beamten – in ihrer Sachentscheidung theoretisch nicht steuerbar und als Werkzeuge staatlicher Gleichschaltung verfassungskräftig ungeeignet.

Allerdings hat sich der Anfangsverdacht einer dem Dienstherrn zurechenbaren und billigend in Kauf genommenen Gleichschaltung seiner in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts tätigen Berufsrichter seit der Abfassung des Entschei-dungsentwurfs im Verfahren S 12 SB 3599/19 am 15.04.2020 und der Abfassung der Anhörung zur Zurückverweisung durch Gerichtsbescheid gleichwohl durch Akte sol-cher Urheberschaft, solcher Art und solchen Gewichts gerade auch in Bezug auf die Person des Kammervorsitzenden dermaßen verdichtet, dass seine Furcht vor dienst-licher Benachteiligung wegen seiner Rechtsauffassung nunmehr als objektiv begrün-det anzusehen ist. Die von ihm hier aktenkundig beabsichtigte Aufrechterhaltung sei-ner im Gerichtsbescheid vom 14.04.2020 im Verfahren S 12 SB 3113/19 geäußerten Rechtsauffassung im Verfahren S 12 SB 3599/19 setzte den Kammervorsitzenden einer konkreten, nachvollziehbaren und beachtlichen Gefahr aus, seitens seines Dienstherren deswegen dienstlich wesentliche Sondernachteile zu erfahren.

Eine entsprechende Prognose rechtfertigt sich nämlich unter integrativer Berücksich-tigung der bereits oben genannten sowie der nachfolgenden objektiven Anhaltspunkte aus zwei, unabhängig voneinander an und für sich jegliche Restzweifel beseitigenden Argumentationssträngen, von denen jeder jeweils allein bereits eine Selbstablehnung des Kammervorsitzenden trägt: Erstens hat der Präsident des Sozialgerichts Karlsru-he (besonders im ersten Absatz seiner) in seiner (Funktion als Dienstvorgesetzter verfassten) E-Mail vom 23.04.2020 nachdrücklich und letztlich unmissverständlich den Kammervorsitzenden vor der Zufügung einer dienstlichen Benachteiligung seitens des Justizministeriums gewarnt. Zweitens hat der Präsident in derselben E-Mail (beson-ders in deren zweiten Absatz) zugleich sämtliche Berufsrichter genudgt (d.h. zu Deutsch: in manipulativer Weise "angestoßen", "geschubst" oder "gestupst"), indem er auch ihnen die Zufügung dienstlicher Benachteiligung durch sich selbst in Aussicht gestellt hat, falls sie sich die Rechtsauffassung des Kammervorsitzenden in dessen Gerichtsbescheid vom 14.04.2020 zu eigen machen sollten. Beides – d. h. Warnung und Nudging – erfolgte, als er – der Präsident – sämtlichen Berufsrichtern des Sozial-gerichts Karlsruhe seine E-Mail an den Kammervorsitzenden vom 23.04.2020 zur Kenntnisnahme überließ und in seinen weiteren E-Mails vom nachfolgenden 24.04.2020 ergänzend die anstehende Beurteilung der Richterschaft anlässlich seines längst gerichtsbekannten Pensionsantritts im Herbst des Jahres 2020 besonders früh-zeitig im Frühling 2020 nochmal förmlich ankündigte.

Eine nachdrückliche Warnung eines Dienstvorgesetzten vor dienstlicher Benachteili-gung begründet regelmäßig hinreichend eine Furcht vor dienstlicher Benachteiligung seitens des mit der Warnung adressierten Dienst-Untergebenen. Dabei ist es im Hin-blick auf die furchteinflößende Wirkung einer Willensbeeinflussung wertungsmäßig unerheblich, ob anstelle eines erstmaligen Warnens vor einer von Seiten Dritter be-fürchteten Benachteiligung die Furcht nicht erstmals hervorgerufen, sondern eine noch oder vormals (fort-)bestehende Furcht lediglich wesentlich verstärkt oder auf-recht erhalten bzw. wieder wachgerüttelt wird. Es steht einer aktiven Warnung vor irgendeinem Übel wertungsmäßig deshalb in nichts nach, wenn ein Dienstvorgesetzter von seiner eigenen als entwarnend (miss-)verstandenen Beschwichtigung, wonach die Zufügung eines Übels von Seiten Dritter gerade nicht zu erwarten sei, nachträglich ausdrücklich Abstand nimmt. Eine derartige Distanzierung von der vermeintlichen Be-schwichtigung hat erst recht dann den Charakter einer nachdrücklichen Warnung, wenn im Zuge der Distanzierung auf eine zwischenzeitlich gründlichere Prüfung der Gefahrenprognose unter Bezugnahme auf die hierfür eigens studierten Unterlagen hingewiesen wird. Eine im Hinblick auf seine warnende Natur unmissverständlicher Hinweis liegt indessen insbesondere dann vor, wenn eine solche Klarstellung zudem unter ausdrücklicher Betonung ihrer "hohen Priorität" sowie in erkennbar sehr eiliger Form bzw. dem auch hieraus offenkundig werdenden besonders dringlichen Anlass erfolgt.

So liegt der Fall hier. Dem Wortlaut der E-Mail des Präsidenten des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23.04.2020 ist zu entnehmen, dass er – der Präsident – in der Dienst-besprechung vom 21.04.2020 in seinem Dienstbüro in Unkenntnis des genauen In-halts und Wortlauts des Gerichtsbescheides vom 14.04.2020 gegenüber dem Kam-mervorsitzenden keine Aussage zu den "disziplinarrechtliche(n) Konsequenzen vom Justizministerium" gemacht habe oder auch nur habe machen können. Deswegen könne er – der Präsident – ausweislich des weiteren Wortlauts seiner E-Mails vom 23.04.2020 den dort ausdrücklich in Bezug genommenen Besprechungsbericht des Kammervorsitzenden vom Vortag nicht kommentarlos stehenlassen, wonach er – der Präsident – den Kammervorsitzenden am 21.04.2020 beschwichtigt habe, dass Letz-terer ob seiner Entscheidung vom 14.04.2020 keine disziplinarrechtlichen Konsequen-zen vom Justizministerium befürchten müsse.

Bereits dieser Wortlaut begründet die Furcht des Kammervorsitzenden vor dienstli-cher Benachteiligung seitens des Justizministeriums hinreichend. An der appellativen Warnfunktion der dienstlichen E-Mail der Gerichtsleitung gegenüber dem Kammervor-sitzenden können überdies auch wegen ihrer besonders eiligen Erstellung am 23.04.2020 unmittelbar nach Dienstbeginn (um 8.28 Uhr) bzw. als quasi schnellstmög-liche Reaktion auf den erst kurz vor Dienstschluss am Vortag (um 16.54 Uhr) gefertig-ten Besprechungsbericht des Kammervorsitzenden keine ernstlichen Zweifel beste-hen. Ungeachtet dessen wäre es mit der ausnahmsweisen Markierung der E-Mail mit dem Zusatz "Priorität: Hoch", mit der förmlichen Beifügung des Amtszusatzes ("Der Präsident des Sozialgerichts"), mit der Angabe der Dienststelle ("Sozialgericht Karls-ruhe, Karl-Friedrich-Str. 13, 76133 Karlsruhe) und der – selbstredend allen Adressa-ten bereits hinreichend bekannten – Kontaktdaten ["Tel.: ( ), mailto: ( ...)"] des Präsi-denten schlechterdings unvereinbar, den warnenden Charakter der E-Mail zu vernei-nen.

Allein wegen dieser Warnung besteht aus der neutralen Sichtweise eines verständi-gen Betrachters bei vernünftiger Würdigung aller dargelegten Umstände kein ernstli-cher Zweifel daran, dass der Präsident in seiner Funktion als Dienstvorgesetzter mit seiner E-Mail vom 23.04.2020 den Kammervorsitzenden nachdrücklich von der kon-kreten, nachvollziehbaren und beachtlichen Gefahr dienstlicher Benachteiligung durch das Justizministerium des Beklagten in Kenntnis gesetzt hat. Eine andere Sichtweise lassen der Wortlaut der E-Mail, ihr Bezug zum persönlichen und schriftlichen Aus-tausch in den Tagen zuvor, die zeitlichen Umstände, der mit der E-Mail ausweislich ihrer Markierung verfolgte appellative Zweck sowie die Unterzeichnung mit dem Funk-tionszusatz "Präsident des Sozialgerichts Karlsruhe" nicht zu: Der Präsident warnte hiermit den Kammervorsitzenden nachdrücklich vor dienstlicher Benachteiligung durch das Justizministeriums des Landes Baden-Württemberg wegen der im Gerichtsbe-scheid vom 14.04.2020 im Verfahren S 12 SB 3113/19 durch den Kammervorsitzen-den vertretenen Rechtsauffassung. Bereits diese in seiner Funktion als Dienstvorge-setzter fachkundig geäußerte Warnung begründet hinreichend die subjektive Furcht des Kammervorsitzenden, wegen seiner richterlichen Urteilsbildung und Entschei-dungsbegründung im hier vorliegenden Verfahren S 12 SB 3599/19 dienstlich benach-teiligt zu werden. Folglich besteht auch die Besorgnis der Voreingenommenheit und nicht mehr hinreichend objektiven Einstellung des Kammervorsitzenden, weshalb sei-ne Selbstablehnung insgesamt begründet und er von jeder weiteren Mitwirkung am Verfahren S 12 SB 3599/19 auszuschließen ist.

Auch unabhängig von dieser Warnung ist die subjektive Furcht des Kammervorsit-zenden vor dienstlicher Benachteiligung – zweitens – auch deshalb begründet, weil der Präsident mit derselben E-Mail vom 23.04.2020 (besonders im zweiten Absatz) und seinen weiteren E-Mails vom nachfolgenden 24.04.2020 sämtliche Berufsrichter (einschließlich des Kammervorsitzenden) genudgt hat. Hier hat der Präsident die Zu-fügung dienstlicher Benachteiligung nachdrücklich durch sich selbst unmissverständ-lich in Aussicht gestellt, falls die bzw. der Berufsrichter (sich) die Rechtsauffassung des Kammervorsitzenden in dessen Gerichtsbescheid vom 14.04.2020 zu eigen ma-chen bzw. diese aufrechterhalten sollten, indem er – der Präsident – erkennbar sein Missfallen an der Entscheidungsbegründung zum Ausdruck gebracht und ergänzend auf die sofort veranlasste Beurteilung der Richterschaft wegen seines erst im Herbst des Jahres 2020 erfolgenden Pensionsantritts hingewiesen hat.

Nicht grundsätzlich zu beanstanden ist indessen, dass der Präsident seine warnende Klarstellung am 23.04.2020 – in sogar besonders umsichtiger Weise – per E-Mail un-ter Einbeziehung der hieran interessierten Berufsrichterschaft des Sozialgerichts be-werkstelligte. Bereits seit 17.03.2020 war zur Verlangsamung der weiteren Ausbrei-tung des Coronavirus (SARS-CoV-2) der Dienstbetrieb am Sozialgericht Karlsruhe massiv einzuschränken gewesen. Die in der Vergangenheit unter den Berufsrichtern (in der donnerstäglichen "Kaffeerunde" ebenso wie im monatlichen "Qualitätszirkel") im Dienste der Qualitätssicherung stattgehabten Fachdiskussionen über das systema-tische Ermittlungsdefizit der Landesversorgungsverwaltung und die Reaktionsmög-lichkeiten des Sozialgerichte waren infolgedessen nicht mehr in der gewohnten Form von Angesicht zu Angesicht möglich, weshalb der diesbezügliche Erfahrungs- und Gedankenaustausch zweckmäßigerweise über den gerichtsinternen E-Mail-Verteiler erfolgte.

Auch spiegeln nach der Erinnerung des Kammervorsitzenden die in der E-Mail des Präsidenten vom 23.04.2020 klarstellend widergegebenen Tatsachen den tatsächli-chen Sachverhalt in jeder Hinsicht zutreffend wieder: So waren dem Präsidenten vor der gemeinsamen Erörterung der subjektiven Furcht des Kammervorsitzenden vor dienstlicher Benachteiligung am 21.04.2020 weder der vollständige Inhalt, geschweige denn der Wortlaut des Gerichtsbescheides des Kammervorsitzenden vom 14.04.2020 "unter Rn 118 ff. und vor allem Rn. 128 ff" bekannt, da dem Präsidenten ein Entschei-dungsabdruck erst anlässlich eben dieses Gesprächs an dessen Ende überlassen wurde. Die fürsorgliche Beschwichtigung des Präsidenten gegenüber dem Kammer-vorsitzenden vom 21.04.2020 bezog sich daher denknotwendig nicht auf die befürch-teten "disziplinarrechtlichen Konsequenzen" der dem Präsidenten sodann noch unbe-kannten konkreten Entscheidungsformulierung. Alleiniger Beschwichtigungsgegen-stand waren aus Sicht des Präsidenten am 21.04.2020 vielmehr der Willkürvorwurf des Kammervorsitzenden gegenüber dem 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in dessen Urteil vom 23.01.2020 und die Divergenz des Kammervorsit-zenden hiervon unter Fortsetzung seiner ständig diskrepanten eigenen Kammerrecht-sprechung. Der Präsident hatte aufgrund des Besprechungsberichts des Kammervor-sitzenden vom 22.04.2020 im Anschluss an seine eigene erstmalige Entscheidungs-lektüre am 23.04.2020 nach alldem einen nachvollziehbaren Anlass, die sprachliche Ungenauigkeit im vorletzten Absatz des kurzen Besprechungsberichts über den dort nicht näher eingeschränkten Beschwichtigungsgegenstand vom Vortag für die Rich-terschaft aufzuklären.

Trotz alledem ist die hier maßgebliche Frage der Begründetheit der Selbstablehnung des Kammervorsitzenden auch deswegen zu bejahen, weil die weiteren Umstände der Unterrichtung seitens des Präsidenten gegenüber den ihm dienstlich untergeordneten Sozialrichter anhand seiner E-Mails vom 23.04.2020 und 24.04.2020 aus der neutra-len Sichtweise eines verständigen Betrachters bei vernünftiger Würdigung gerade nicht nur im Dienste der größtmöglichen Transparenz dem Kammervorsitzenden so-wie den weiteren Berufsrichtern hilfreiche Informationen bereitstellen sollten. Die Na-tur und der Zweck der E-Mails gingen über den einer fürsorglichen Warnung hinaus. Die E-Mails dienten nicht nur dazu, den Kammervorsitzenden und die übrigen Berufs-richter über seine Prognose zu informieren, dass die Fortsetzung bzw. Aneignung der Rechtsprechung des Kammervorsitzenden aus dessen Gerichtsbescheid vom 14.04.2020 dem Justizministerium auch seiner besonders richterdienst- und gerichts-leitungserfahrenen Einschätzung zufolge nicht behagen und infolgedessen dienstliche Benachteiligung Dritter bedeuten würden. Über diesen sachlich-informativen Charak-ter hinaus stellte eben diese Informationsübermittlung anhand der beiden E-Mails vom 23.04.2020 und 24.04.2020 zugleich auch ein die Besorgnis ihrer Befangenheit be-gründendes sog. manipulatives Nudging gegenüber allen Berufsrichtern des Sozialge-richts Karlsruhe dar.

Die Rechtsformen und Möglichkeiten der sanften Beeinflussung mittels Nudging be-schreibt Hufen wie folgt:

"In der Realität bedient sich der moderne Staat längst einer Vielfalt von Methoden di-rekter und indirekter, offener und subtiler Steuerung und Beeinflussung, um den Bürger zu einem erwünschten Verhalten zu bewegen oder von unerwünschtem Verhalten ab-zuhalten. In den Sozialwissenschaften und in der Ökonomie ist das längst erkannt und beschrieben worden. Die wohl meistgenannte Methode dieser "sanften" Steuerung ist das sog. Nudging. Der Begriff Nudging (zu Deutsch: "Anstoßen", "Schubsen" oder "Stupsen") stammt aus der Verhaltensökonomie. Gemeint ist damit eine Methode, das Verhalten des Menschen zu beeinflussen, ohne auf Gebote und Verbote zurückzugrei-fen. Entscheidend für den Begriff ist, dass Nudging auf das Unterbewusste im Men-schen zielt, um ein erwünschtes Verhalten zu erreichen. Instrumente sind das Hervor-rufen und Stärken von Ängsten oder "schlechtem Gewissen", aber auch das Verspre-chen von Belohnungen und Vorteilen einschließlich des "ich bin OK-Fühlens". In der Praxis ist zu erkennen, dass sich offene und verdeckte Beeinflussung nicht trennen lassen. Moderne Erkenntnistheorie hat längst nachgewiesen, dass auch scheinbar "neutrale" Informationen auf das Unterbewusste im Menschen und damit auf das Ent-scheidungsverhalten einwirken. Auch Informationen können also zum Thema gehören, soweit sie gezielt eingesetzt werden, um Menschen zu beeinflussen. Erkennbar wird allerdings schon hier, dass Begriff und Erscheinungsformen des Nudging nicht einheit-lich verwandt werden. Einheitlich ist nur das Ziel der Einwirkung auf das Handeln des Individuums. Nicht umsonst wird Nudging deshalb auch mit dem Begriff des "sanften Paternalismus" in Verbindung gebracht, weil es zwar ohne förmlichen Zwang aus-kommt, dabei aber nach Art und Umfang das Verhalten des Menschen in oft wirksame-rer Weise lenken kann, als dies durch förmliche Regelungen geschehen könnte. So-wohl das Inaussichtstellen von Belohnungen und Vorteilen, das Drängen zur Entschei-dung oder Stellungnahme als auch das drohende Aufzeigen negativer Folgen sind un-abhängig von der Bewertung der Ziele also dem Thema zuzuordnen. Auf den ersten Blick gehört auch die nicht auf Beeinflussung zielende bloße Information nicht zum Thema Nudging. Allerdings sind die Grenzen auch hier fließend. Neutrale Information und subtile Beeinflussung sind schwierig zu trennen. Es ist zwischen informativen, edukativen, befähigenden und manipulativen Formen des Nudging zu unterscheiden" (Hufen: Rechtsformen, Möglichkeiten und Grenzen der sanften Beeinflussung des Menschen durch den Staat, JuS 2020, 19, beck-online).

Die unterschiedlichen Formen des manipulativen Nudgings als staatliches Steue-rungsinstrument umreißt Holle so:

"Bei manipulativem Nudging handelt es sich um implizite Interventionsstrategien, die sich einer Gruppe von Anreizen bedienen, die auf den "inneren Autopiloten" unseres unbewussten, intuitiven Entscheidungssystems zielen und damit unser rationalen Ar-gumenten zugängliches, bewusst abwägendes System umgehen. Hierzu gehören das Ausnutzen unserer Vorliebe für die Beibehaltung des Status quo durch das bewusste Setzen bestimmter Voreinstellungen ("Defaults"), die Beeinflussung der Rahmenbe-dingungen einer Entscheidungssituation ("Framing") und das unterschwellige Aktivie-ren von mit einem Produkt, einer Situation oder einer Verhaltensweise verbundenen Assoziationen ("Priming"). Defaults nutzen unsere Bequemlichkeit aus. Sie beruhen auf der Einsicht, dass es im Allgemeinen weniger Aufwand ist, den bestehenden Zu-stand so zu lassen wie er ist, statt eine Änderung herbeizuführen. Konsequenterweise präferieren Menschen bei mehreren Entscheidungsoptionen in der Regel diejenige, bei der sie nichts tun müssen. Das Framing versucht die Wahrscheinlichkeit, dass der Entscheider die vom Entscheidungsarchitekten präferierte Option wählt, dadurch zu erhöhen, dass die Rahmenbedingungen der Entscheidung so ausgestaltet werden, dass sie die Wahl dieser Möglichkeit vereinfachen. Priming-Effekte beeinflussen das Verhalten, in dem sie es mit positiven Bildern, Emotionen oder sozialen Statussymbo-len wie Beliebtheit oder Attraktivität verknüpfen. In späteren vergleichbaren Entschei-dungssituationen greift das Gehirn unbewusst auf die bereits vorhandenen Assoziatio-nen zurück und sieht diese aufgrund der bestehenden Vorerfahrungen als richtig an, ohne sie noch einmal einer rationalen Prüfung zu unterziehen" (vgl. Holle: Rechtliche Rahmenbedingungen für den Einsatz des Nudging als staatliches Steuerungsinstru-ment; ZLR 2016, 596 ff., juris].

Zur verfassungsrechtlichen Problematik manipulativer Willensbeeinflussung meint wiederum Hufen:

"Öffentliche Akteure, also Staat, öffentliche Körperschaften und Medien, sind in vielfäl-tiger Weise an dieser Beeinflussung beteiligt. Damit ist Nudging also durchaus ein Thema des Verfassungs- und des Verwaltungsrechts. Aus verfassungsrechtlicher Sicht fragwürdig sind bereits die anthropologischen Grundannahmen, die hinter diesem Konzept stehen, denn sie kollidieren fundamental mit dem auf der Mündigkeit des Menschen beruhenden anthropologischen Leitbild der Verfassung, ja möglicherweise mit der Menschenwürde, die bei aller Vielfalt und Unbestimmtheit des Begriffs jeden-falls auch die Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und Individualität des Menschen schützt und dem Staat den Zugriff auf das Unterbewusste im Menschen verwehrt. Das Menschenbild des Grundgesetzes nimmt den Menschen in seiner Individualität zwi-schen den Polen Selbstbestimmung und Gemeinschaftsbezug ernst. Diese Bedenken werden auch nicht dadurch zerstreut, dass man "Nudging" ganz grundsätzlich als "mil-deres Mittel" gegenüber konkreten Geboten und Verboten sieht. Den subtilen Eingriff in das Unterbewusstsein kann man im Gegenteil als bedenklicher sehen, als dies bei ei-nem klaren und in der Zielsetzung eindeutigen Gebot oder Verbot der Fall wäre" (Hu-fen: Rechtsformen, Möglichkeiten und Grenzen der sanften Beeinflussung des Men-schen durch den Staat, JuS 2020, 19, beck-online).

Gemessen hieran sind die E-Mails des Präsidenten an den Kammervorsitzenden vom 23.04.2020 und 24.04.2020 als manipulatives Nudging der Berufsrichter am Sozialge-richt Karlsruhe im beschriebenen Sinne und als verfassungswidriger Eingriff in ihre richterliche Unabhängigkeit anzusehen.

Dem Wortlaut der E-Mail des Präsidenten des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23.04.2020 selbst ist zwar zu entnehmen, dass er nach der Lektüre des Gerichtsbe-scheides vom 14.04.2020 und insbesondere nach Kenntnisnahme der dortigen Aus-führungen unter "Rn. 118 ff und vor allem Rn. 128 ff" auf eben diese nicht eingehen wolle. Diese Aussage ist vorliegend aber mit der Einschränkung "hier" versehen. Die-ser modalitätsbezogene Vorbehalt bedeutet im Umkehrschluss, dass zu einem noch nicht näher benannten, sondern einstweilen vage gehaltenen, anderweitigen Anlass eine wertende Stellungnahme durch den Präsidenten zu den konkret bezeichneten Ausführungen erfolgen werde. Gerade diese Ausdrucksweise lässt sehr viel Raum für Interpretationen und vermag besonders gut, in unterschwelliger Form umso heftigere Furcht vor irgendeiner späteren äußerst negativen Würdigung einzuflößen. Als mani-pulatives Nudging ist eben diese Aussage unter Berücksichtigung der Gesamtum-stände auch deshalb anzusehen, weil durch sie die Rechtsauffassung des Kammer-vorsitzenden mit der in derselben E-Mail im Satz unmittelbar zuvor im Wege der War-nung in Aussicht gestellten dienstlichen Benachteiligung bzw. mit der Frage nach der diesbezüglichen Furcht fest assoziiert wird. Indessen ist die Floskel, auf etwas ganz Bestimmtes "hier" nicht eingehen zu wollen, ohnehin regelmäßig als abwertender Kommentar zum nur vorgeblich nicht Kommentierten anzusehen, wenn sie ohne eine vorherige Bitte um einen diesbezüglichen Kommentar Verwendung findet. Der Ge-brauch eben dieser Floskel kann nämlich dann regelmäßig nicht wörtlich verstanden werden, weil es der Klarstellung, auf etwas ganz Bestimmtes nicht eingehen zu wol-len, offenkundig nicht bedarf, solange mangels Nachfrage schon kein Anlass zu einem ausdrücklichen Äußerungsverzicht besteht. Im Gegensatz zu ihrem Wortlaut ist der Gebrauch dieser Floskel in Fällen des Fehlens einer vorherige Bitte um einen Kom-mentar umgekehrt regelmäßig sehr wohl als Kommentar auf das nur vorgeblich nicht Kommentierte anzusehen, und zwar als nachdrückliche Abwertung (unter gleichzeiti-ger Verweigerung einer sachlichen Begründung des eigenen Standpunktes).

Da der Präsident im vorliegenden Fall weder vom Kammervorsitzenden noch von Drit-ten vorab um einen diesbezüglichen Kommentar gebeten worden war, zielte sein un-gefragter Hinweis in der E-Mail vom 23.04.2020, auf die "Ausführungen unter Rn. 118ff. und vor allem Rn. 128 ff." "hier" nicht einzugehen, bei verständiger Würdigung aller Umstände gerade darauf ab, die eigene Missbilligung der dortigen Entschei-dungsbegründung des Gerichtsbescheides des Kammervorsitzenden vom 14.04.2020 im Verfahren S 12 SB 3113/19 zum Ausdruck zu bringen. Durch die Mitteilung dieser Missbilligung untergrub der Präsident in seiner Funktion als Gerichtsleitung die von ihm zu respektierende richterliche Unabhängigkeit zwar in unterschwelliger Form, aber mit umso intensiverer Wirkung. Die Mitteilung der eigenen Missbilligung der Entschei-dungsbegründung seitens der Gerichtsleitung war deshalb geeignet, der weiteren Ent-schließung zu Zurückverweisungen nach § 131 Abs. 5 SGG innerhalb der Berufsrich-terschaft am Sozialgericht Karlsruhe entgegenzuwirken und eine Voreingenommen-heit im Sinne einer diesbezüglichen Begünstigung der Landesversorgungsverwaltung des Dienstherrn bzw. des Beklagten herbeizuführen.

Diese Würdigung folgt überdies auch aus dem unmittelbaren zeitlichen Zusammen-hang mit den weiteren E-Mails des Präsidenten vom Folgetag, wonach er bereits sehr frühzeitig (im fünften Monat vor seinem Dienstende im Oktober 2020) mit der dienstli-chen Anlass-Beurteilung eines Teils der ihm untergebenen Richterschaft (sofort) be-ginne. Eben diese weiteren E-Mails waren geeignet, die – mittels der Verwendung des Einschubs "hier" im zweiten Absatz seiner E-Mail vom 23.04.2020 noch in Bezug auf die Modalitäten der künftigen Würdigung der missbilligten Ausführungen im Gerichts-bescheid vom 14.04.2020 "unter Rn 118 ff. und vor allem Rn. 128 ff" belassene – Un-klarheit zu beseitigen. Indessen bestand für alle Berufsrichter am Sozialgericht Karls-ruhe Anlass zur Annahme, dass sich der Präsident durch eben jene Ausführungen in den von ihm – dem Präsidenten – selbst ausdrücklich in Bezug genommenen Rand-nummern persönlich angegriffen fühlte und es bei der Beurteilung ihrer jeweiligen rich-terlichen Eignung, Fähigkeit und Leistung eine erhebliche Rolle spielen würde, falls sie sich diese Ausführungen zu eigen machen (bzw. im Fall des Kammervorsitzenden an ihnen festhalten) sollten. Diese Schlussfolgerung lag für die Berufsrichter am Sozial-gericht Karlsruhe schon deswegen nahe, weil der Urheber der vom Präsidenten miss-billigten Ausführungen im Gerichtsbescheid vom 14.04.2020 "unter Rn 118 ff. und vor allem Rn. 128 ff" am Sozialgericht Karlsruhe tätig ist und vorstellbar wäre, dass sich die Ausführungen des Urhebers auf eben solche Werdegänge, Strukturen, Praktiken und Mechanismen beziehen könnten, die er aus der eigenen Anschauung während der gemeinsamen Amtszeit am Sozialgericht Karlsruhe kennt, an dem der derzeitige Präsident bereits seit 30.01.2006 die Gerichtsleitung ununterbrochen inne hat.

Infolge all dessen kommt es für die Frage der Besorgnis der Befangenheit des Kam-mervorsitzenden hier gar nicht mehr darauf an, aus welchen einzelnen Motiven der Präsident des Sozialgerichts Karlsruhe die von ihm monierten Ausführungen missbil-ligte und die ihm untergeordneten Berufsrichter kollektiv nudgte. Es kann dahinstehen, ob der Präsident sich tatsächlich nur über den womöglich trügerischen Anschein är-gerte, er persönlich und seine Beurteilungspraxis würden durch die Entscheidungs-gründe im Gerichtsbescheid vom 14.04.2020 indirekt angeprangert. Für die Begrün-detheit der vorliegenden Selbstablehnung ist nicht mehr entscheidungserheblich, ob sich der Präsident überdies gerade auch wegen seines individuellen (vor-)beruflichen Werdeganges und wegen dienstlicher Vorgänge am Sozialgericht Karlsruhe während seiner hiesigen Amtszeit veranlasst sah, "seine Truppe" nicht nur vor der Benachteili-gung durch das Justizministerium zu warnen, sondern ihr zugleich eine unvorteilhafte Beurteilung in Aussicht zu stellen, falls sie sich die Ausführungen des Kammervorsit-zenden in dessen Gerichtsbescheid vom 14.04.2020 aneignen (bzw. diese aufrecht-erhalten) sollten. Es braucht mithin nicht entschieden werden, ob über derartige Um-stände in diesem Beschluss im Verfahren S 12 SB 3599/19 überhaupt Beweis erho-ben werden darf. Hiergegen spricht nicht nur das verfassungskräftige Allgemeine Per-sönlichkeitsgrundrecht des Präsidenten aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG selbst. Zu beachten wären auch schwer wiegende Kollateraleingriffe in das Grund-recht auf Achtung der informationellen Selbstbestimmung der durch den Präsidenten seit 2006 beurteilten Kollegen, die auch unter teils maßgeblicher Zugrundelegung sei-ner Beurteilungen und Beurteilungsbeiträge vielleicht entweder inzwischen teilweise frühzeitig aus dem Richterdienst ausgeschieden sind oder möglicherweise an (ande-ren) Sozialgerichten des Landes Baden-Württemberg, am Verwaltungsgericht Karls-ruhe, am Landessozialgericht in Stuttgart, am Verwaltungsgerichtshof in Mannheim, am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig bzw. am Bundesverfassungsgericht in Karls-ruhe ihren Dienst für denselben Dienstherrn oder die Bundesrepublik Deutschland versehen (vgl. die Angaben im Handbuch der Justiz, jährlich herausgeben vom Deut-schen Richterbund e.V.). Ein dem Präsidenten bzw. diesen Dritten gegenüber massi-ver Grundrechtseingriff dürfte nicht zu rechtfertigen sein, soweit er – wie hier – für die konkrete Entscheidungsfindung nicht erforderlich und mithin unverhältnismäßig wäre, weshalb von der Verwertung entsprechender Erkenntnisse ausdrücklich Abstand ge-nommen und unmissverständlich klargestellt wird, dass weder dieser Beschluss (ebenso wenig wie der Gerichtsbescheid vom 14.04.2020) auf irgendwelchen diesbe-züglichen Erkenntnissen beruht.

Der nach alldem für das Verfahren S 12 SB 3599/19 rechtlich zwingend gebotenen Selbstablehnung und -ausschließung steht hier schließlich nicht entgegen, dass durch sie und die zeit- und inhaltsgleichen Beschlüsse in nahezu allen anderen derzeit vor der 12. Kammer anhängigen Parallelverfahren der Landesversorgungsverwaltung des Landes Baden-Württemberg die von dem Kammervorsitzenden befürchtete unabsicht-liche Gleichschaltung der Sozialgerichtsbarkeit in Angelegenheiten des Schwerbehin-dertenrechts in Baden-Württemberg wiederhergestellt würde. Aufgrund seines jahre-langen persönlichen Gedanken- und Erfahrungsaustauschs mit vielen Richtern und Gerichtsleitungen kann der Kammervorsitzende mit an Sicherheit grenzender Wahr-scheinlichkeit darauf vertrauen, dass ihrer zahlreiche aus dem nunmehr gegebenem Anlass nach und nach den Mut aufbringen werden, sich vom Erbe der nationalsozia-listischen Vorbelastung der Sozialgerichtsbarkeit Baden-Württembergs in Angelegen-heiten des Schwerbehindertenrechts selbst zu befreien, obwohl sie sich aufgrund des massiven äußeren Anpassungsdrucks (sowie der Aufrechterhaltung ihres richterlichen Selbstbildes dienender individueller intrapsychischer Vorgänge) bislang weiterhin ge-zwungen wähnten, im Wege ihres Unterlassens die Wahrheit stillschweigend zu leug-nen und auch persönlich Schuld auf sich zu nehmen, um im fehlverstandenen Inte-resse der Allgemeinheit den Anschein einer auch diesbezüglich rechtsstaatlichen Ver-fasstheit ebenso aufrechtzuhalten wie die kollektive und individuelle Selbstlüge, einen zumindest irgendwie vertretbaren Umgang mit dem systematischen Ermittlungsdefizit des Beklagten und dessen Konsequenzen für die Menschen mit Behinderung gefun-den zu haben, deren justizielle Diskriminierung mit der Befreiung vom Nationalsozia-lismus 1945 leider noch lange nicht geendet hat; die Richterkollegen werden sich selbst ihre Fehlbarkeit nach und nach eingestehen können und dürfen, weil es nun Mal kein richtiges Leben im falschen gibt (vgl. Adorno: Asyl für Obdachlose, Minima Moralia Nr. 18, in: Gesammelte Schriften 4, S. 43).

Da insgesamt die gesetzlichen Voraussetzungen einer Selbstablehnung vorliegen, ist das diesbezügliche Entschließungsermessen des Kammervorsitzenden für das Ver-fahren S 12 SB 3599/19 auf Null reduziert (vgl. Flint in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 60 SGG, Rn. 111 1).

Jedoch hat der Kammervorsitzende von seinem Auswahlermessen dahingehend Ge-brauch zu machen, als dass er sich entweder (nur selbst ablehnen und anschließend) durch einen anderen Kammervorsitzenden des Sozialgerichts Karlsruhe von der wei-teren Mitwirkung am Verfahren S 12 SB 3599/19 ausschließen lassen oder sich (so-wohl selbst ablehnen als auch) zugleich selbst ausschließen kann. Indessen entschei-det nämlich zwar über die Ablehnung einer Gerichtsperson grundsätzlich das Gericht, dem der abgelehnte Richter angehört, ohne eine Mitwirkung des abgelehnten Richters (§ 45 Abs. 1 ZPO). Jedoch lässt § 45 Abs. 2 Satz 2 ZPO hiervon eine Ausnahme zu, da es einer Entscheidung eines anderen Richters nicht bedarf, wenn sich der abge-lehnte Richter selbst für befangen hält (Flint in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 60 SGG, Rn. 137), so auch hier.

In der juristischen Literatur wird insofern die Rechtsauffassung vertreten, die Möglich-keit zur ausnahmsweisen Selbstausschließung vom weiteren Verfahren sei restriktiv zu handhaben. Es heißt, es habe seinen guten Sinn, dass der Richter nicht in eigener Sache entscheide. Dies gelte auch, wenn sich der Richter selbst ablehne. Statt sich durch Beschluss selbst für befangen zu erklären, sei es vorzugswürdig, das Für-Begründet-Halten des Ablehnungsgesuchs in der dienstlichen Äußerung zum Aus-druck zu bringen und einen Richterkollegen entscheiden zu lassen (Flint in: Schle-gel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 60 SGG, Stand: 04.05.2020, Rn. 137). Diese Literaturansicht vermag aber nicht zu überzeugen. Es leuchtet nicht ein, aus welchen Gründen ein die Besorgnis seiner Befangenheit selbst anerkennender Richter nicht auch zugleich über seine Ausschließung selbst entscheiden sollte. Es erscheint be-reits wertungswidersprüchlich, dass ein sich selbst für befangen haltender Richter ei-nerseits zur Selbstablehnung verpflichtet sein, andererseits aber den Rechtsreflex hieraus – die Selbstausschließung – nicht zweckmäßiger Weise selbst veranlassen sollte. Eine diesbezügliche Befassung eines anderen Richterkollegen wäre bloße Förmelei und auch prozessökonomisch kaum vertretbar.

Richtig betrachtet entspricht es im Fall einer begründeten Selbstablehnung regelmä-ßig dem in Art. 97 Abs. 1 GG verankerten Bild des freien und unabhängigen Richters, die Last einer derartigen Gewissensanspannung nicht auf Richterkollegen abzuwäl-zen. Dem Berufsrichter ist es alsdann vielmehr zuzumuten, seine Gewissensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG selbst zu beanspruchen, hiernach von der Möglichkeit der Selbstausschließung in eigenverantwortlicher Weise Gebrauch zu machen und nur die nachfolgende Sachentscheidung unvoreingenommenen Richterkollegen zu überlas-sen. Diese richterliche Eigenverantwortlichkeit zählt zu den tragenden Säulen der frei-heitlich-demokratischen Grundordnung. Sie ist Richterprivileg und Richterpflicht zu-gleich. Geradezu verfassungsfrevelhaft handelt, wer als Richter auf eine eigene Ur-teilsbildung und Gewissensanspannung verzichtet, wer sich einer vermeintlich vor-herrschenden Meinung, einer Rechtsprechung höherer Gerichtsinstanzen, den Vorlie-ben oder Bedenken der eigenen Gerichtsleitung oder richterlicher Kollegen unterord-net und vor der ureigenen Aufgabe, entweder ein unabhängiges und freies Urteil zu fällen oder sich selbst vom Gerichtsprozess auszuschließen, klangheimlich kapituliert. Ohne richterliche Eigenverantwortlichkeit sind die Richtertugenden der Wahrheitslie-be, der Gerechtigkeitsgier und des Verfassungspatriotismus undenkbar. Ohne Eigen-verantwortlichkeit versteckt sich in der Richterrobe nicht mehr als ein Duckmäuser. Nur eigenverantwortliche Richter überwachen effektiv die Einhaltung von Recht und Gesetz durch Gesetzgeber und Verwaltung. Sie erfüllen ihren Verfassungsauftrag, gleichwürdige dritte Staatsgewalt zu sein, und lassen sich weder vom goldenen Zügel des Haushaltsgesetzgebers ausbremsen noch von der Dienstaufsicht der Justizver-waltung im eigenen Hause der Gerechtigkeit knechten. Nur eigenverantwortlich den-kende und handelnde Richter bagatellisieren ihren öffentlichen Schwur nicht als eigen-tümlichen Anachronismus und üben das ihnen anvertraute Amt getreu dem Grundge-setz für die Bundesrepublik Deutschland, getreu ihrer Landesverfassung und getreu dem Gesetz aus. Sie urteilen nur nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person und dienen nur der Wahrheit und nur der Gerechtigkeit (, so wahr ihnen Gott helfe). Eben diese Eigenverantwortlichkeit unterscheidet den mittelmäßigen Bü-rokraten vom guten Richter: Der eine liefert sich freiwillig der Banalität des Bösen im Arendtschen Sinne aus (vgl. Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Ba-nalität des Bösen, 1961) und verwerkzeuglicht sich selbst, der andere widmet sich freien Herzens den radikalen Ideen universeller Subjektivität und unveräußerlicher Menschenwürde.

II. Da nach allgemeiner Rechtsauffassung niemand die Gerichte unnütz in Anspruch nehmen darf, und, weil sich der Kammervorsitzende bereits für das weitere Verfahren S 12 SB 3599/19 selbst abgelehnt und auch von der weiteren Mitwirkung hieran selbst ausgeschlossen hat, besteht offensichtlich kein Rechtschutzbedürfnis an dem auf die Ablehnung und Ausschließung des Kammervorsitzenden im Verfahren S 12 SB 3599/19 gerichteten und deswegen offensichtlich unzulässigen Ablehnungsgesuch des Beklagten vom 29.04.2020.

IV. Die Entscheidungen über die Selbstablehnung und die Selbstausschließung erge-hen gemäß § 193 Abs. 1 Satz 1 und 3 SGG ohne Kostengrundentscheidung, da durch sie das Klageverfahren S 12 SB 3599/19 noch nicht beendet wird.

V. Beschlüsse über die Ablehnung und Ausschließung von Gerichtspersonen sind nach § 172 Abs. 2 SGG nicht anfechtbar, weil § 60 Abs. 1 SGG gerade nur auf §§ 41 bis 46 Abs. 1 ZPO und gerade nicht auch auf die Regelungen zur sofortigen Be-schwerde nach § 46 Abs. 2 ZPO verweist.
Rechtskraft
Aus
Saved