L 18 AS 1812/19

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 149 AS 2136/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 1812/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. August 2019 wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren. Im Übrigen findet keine Kostenerstattung statt. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, und zwar noch für einen Zeitraum vom 1. Juni 2016 bis 29. Februar 2017.

Der 1965 geborene, österreichische und seinerzeit alleinstehende sowie wohnungs-lose Kläger reiste seinen Angaben zufolge 1989 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er stand von Oktober bis Dezember 1991 in einem Beschäftigungsverhältnis und war von Mai 2003 bis Oktober 2004 in B gemeldet. Aufgrund Sozialhilfebezugs er-hielt er bis 31. Dezember 2004 Krankenversicherungsleistungen von der ehemaligen AOK Berlin. Im Dezember 2005 wurde er stationär in der C behandelt. Von Juni bis August 2007 bezog er Hilfe zum Lebensunterhalt vom Bezirksamt F. Von Ende Mai bis Anfang Juli 2016 war er arbeitsunfähig im Anschluss an einen Schlaganfall mit stationärer Krankenhausbehandlung; die Entlassung aus dem Krankenhaus erfolgte am 1. Juni 2016. Eine Meldung des Klägers bei der Meldebehörde erfolgte zum 20. Oktober 2016 im Wohnheim "D " in B, in das er vom Beigeladenen zugewiesen wor-den war. Für die Unterbringungen des Klägers fielen vom 20. Oktober 2016 bis 15. November 2016 tägliche Kosten in Höhe von 37,08 EUR an. Für die Zeit vom 9. bis 31. Januar 2017 wurde er diesem Wohnheim unter Zugrundelegung eines Tagessatzes von 19,10 EUR und vom 1. Februar bis 31. März 2017 unter Zugrundelegung eines Ta-gessatzes von 20 EUR zugewiesen.

Den beim Beklagten gestellten Antrag vom 2. Juni 2016 auf Gewährung von Leistun-gen zur Sicherung des Lebensunterhalts, mit dem der Kläger erklärt hatte, seit ca. 15 Jahren obdach- und mittellos zu sein und B seither nicht verlassen zu haben, lehnte jener ab (Bescheid vom 7. November 2016, Widerspruchsbescheid vom 6. Januar 2017). Der Kläger verfüge über kein Daueraufenthaltsrecht, da er sich erst seit dem 20. Oktober 2016 in Deutschland aufhalte. Ein längerer lückenloser Aufenthalt sei nicht ersichtlich.

Das Sozialgericht Berlin (SG) hat den Beklagten mit Beschluss vom 10. Februar 2017 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Kläger vom 1. Januar 2017 bis 31. Mai 2017 monatlich Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 409 EUR zu erbringen (S 149 AS 16557/16 ER). Mit einem rechtskräftigen Urteil vom 23. April 2018 hat das SG den Beklagten verurteilt, dem Kläger vom 1. März bis 30. November 2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu ge-währen (S 65 AS 7975/17).

Auf die hier gegenständliche Klage hat das SG nach Beiladung des Sozialhilfeträgers den Beklagten unter entsprechender Aufhebung des angefochtenen Bescheides ver-urteilt, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 1. Juni bis 31. Dezember 2016 in Höhe der Regelleistung von 404 EUR monatlich und vom 1. Ja-nuar bis 29. Februar 2017 in Höhe von 409 EUR monatlich, sowie Kosten für Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 20. Oktober 2016 bis 15. November 2016 in Höhe von 37,08 EUR täglich, vom 9. bis 31. Januar 2017 in Höhe von 19,10 EUR täglich und für Feb-ruar 2017 in Höhe von 20 EUR täglich zu gewähren (Urteil vom 27. August 2019). Der Kläger sei anspruchsberechtigt, insbesondere hilfebedürftig, und habe im streitigen Zeitraum seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt. Er sei zwar als ausländischer Arbeitsuchender grundsätzlich von Leistungen ausgeschlossen. Für die Zeit ab 29. Dezember 2016 habe er jedoch seinen gewöhnlichen Aufenthalt be-reits länger als fünf Jahre im Bundesgebiet, ohne dass der Verlust seines Freizügig-keitsrechts festgestellt worden wäre. Für die Zeit davor könne er sich auf das Gleich-behandlungsgebot des bilateralen Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege vom 17. Januar 1966 (DÖFA) berufen. Das SG folge den entsprechenden Ausfüh-rungen des Landessozialgerichts (LSG) Mecklenburg-Vorpommern im Beschluss vom 7. März 2012 (L 8 AS 489/10 ER). Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Mit seiner Berufung vom 30. September 2019 macht der Beklagte geltend, seine Leistungsverpflichtung ergebe sich weder aus dem DÖFA, wie aus dem zutreffenden Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 16. August 2013 – L 5 AS 2112/13 B ER – folge noch aus einer Aufenthaltsverfestigung. Für das Erreichen des fünfjähri-gen gewöhnlichen Aufenthalts reiche die einmalige Anmeldung des Klägers in Berlin im Jahr 2003 angesichts der bereits im Oktober 2004 erfolgten Abmeldung nicht aus. Im Hinblick auf die bestehende Meldepflicht müsse die Anmeldung des Klägers viel-mehr durchgehend bestehen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. August 2019 aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Er macht geltend, das DÖFA finde vor-rangig Anwendung. Bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II handele es sich um Fürsorgeleistungen im Sinne des Abkommens. Die Erwerbsfähigkeit stelle sich nicht als inhaltliches Kriterium dieser Leistung dar, son-dern diene der Systemabgrenzung zwischen SGB II und SGB XII; der Charakter als steuerfinanzierte Fürsorgeleistung bei Hilfebedürftigkeit werde hierdurch nicht verän-dert. Der Vorbehalt, den die Bundesregierung am 19. Dezember 2011 für das SGB II zum Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA) erklärt habe, betreffe nur jenes Ab-kommen. Österreich sei nicht Vertragsstaat des EFA.

Die Beteiligten haben sich mit einer schriftlichen Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen sowie auch im Übrigen auf die Gerichtsakte und die Leis-tungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens sind noch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – SGB II – für die Zeit vom 1. Juni 2016 bis zum 29. Februar 2017, soweit der Beklagte hierzu mit dem nur von ihm angefochtenen Urteil unter Aufhebung seines Bescheides vom 7. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Januar 2017 verurteilt wor-den ist. Der Kläger verfolgt dieses Begehren für den noch gegenständlichen Zeit-raum ab Beginn des Antragsmonats (vgl. § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II) mit der statthaf-ten kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGB). Im Üb-rigen hat das Urteil Rechtskraft erlangt (vgl. § 141 Abs. 1 SGG).

Die Zulässigkeit der Klage wird nicht dadurch berührt, dass der Kläger in Ausführung des entsprechenden sozialgerichtlichen Beschlusses einstweiligen Rechtsschutzver-fahren – S 149 16557/16 ER – bereits für die Zeit ab Januar 2017 Regelbedarfsleis-tungen erhalten hat (vgl. BSG, Urteil vom 13. Juli 2017 – B 4 AS 17/16 R – juris Rn. 12).

Das Urteil des SG ist, soweit es mit der Berufung angefochten worden ist, nicht zu beanstanden. Das SG hat den Beklagten zu Recht und mit zutreffenden Gründen verurteilt, dem Kläger vom 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2016 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe des Regelsatzes von monatlich 404 EUR und vom 1. Januar 2017 bis 29. Februar 2017 in Höhe von monatlich 409 EUR zuzüglich der tatsächlich angefallenen Kosten für Unterkunft und Heizung vom 20. Oktober 2016 bis 15. November 2016 in Höhe von 37,08 EUR täglich, vom 9. Januar 2017 bis 31. Ja-nuar 2017 in Höhe von 19,10 EUR täglich und für Februar 2017 in Höhe von 20 EUR täglich zu gewähren. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 7. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Januar 2017 ist insoweit rechtswid-rig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Der Kläger erfüllte im noch streitigen Zeitraum die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II (i.d.F. der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011 (BGBl. I S. 850 ff.). Er hatte das 15. Lebensjahr vollendet, die Altersgrenze des § 7a SGB II dagegen noch nicht, war mangels ausreichender Mittel hilfebedürftig und hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit ist, soweit – wie hier – kein Feststellungsverfahren (vgl. § 44a SGB II) eingeleitet worden ist, bereits aus rechtlichen Gründen anzunehmen (stRspr. vgl. BSG, Urteil vom 5. August 2015 – B 4 AS 9/15 R – juris Rn. 14 m.w.N.).

Der Kläger hatte zur Überzeugung des Senats (jedenfalls) seit seiner erstmaligen Anmeldung in B im Mai 2003 – mithin mehr als ein Jahrzehnt vor der gegenständli-chen Antragstellung beim Beklagten – seinen gewöhnlichen und nicht nur vorüber-gehenden Aufenthalt im Inland begründet. Dies schließt der Senat – wie bereits das SG – aus der Vielzahl an glaubwürdigen Bescheinigungen und schriftlicher Erklärun-gen mit ihm bekannter Personen sowie insbesondere auch belegten Krankenhaus-aufenthalten (zB 2006), dem zwischenzeitlichen Bezug von Sozialleistungen (für 2007) und schließlich der Ausstellung des Reisepasses durch die Österreichische Botschaft in B im März 2015, woraus sich für den Senat als Gesamtbild zweifellos ergibt, dass sich der Kläger seither ununterbrochen und überwiegend wohnungslos in B aufhielt. Angesichts der in jener Zeit durchgehend bestehenden Mittellosigkeit ist insbesondere ein Verlassen des Inlands ins Ausland auch nicht plausibel. Hierfür bestehen schließlich keinerlei konkrete Anhaltspunkte, so dass sich der Senat zu weiteren Ermittlungen insofern ins Blaue hinein nicht gedrängt sah (vgl. § 103 SGG).

Der Kläger war nicht von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufgrund von § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II (i.d.F. der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011 (BGBl. I S. 850 ff.) ausgeschlossen. Hiernach sind von den benannten Leistungen ausge-nommen insbesondere Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland noch aufgrund des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts (Nr. 1) und Auslän-der, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt (Nr. 2). So liegt es zwar grundsätzlich im Falle des Klägers. Indes erhalten nach § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländi-scher Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I 3155, nachfolgend: Gesetz vom 22. Dezember 2016) mit Wirkung vom 29. Dezember 2016 abweichend von Satz 2 Nummer 2 Aus-länderinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie – wie der Kläger – seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben, es sei denn, der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU – welches hier nicht der Fall ist – wurde festgestellt. Nach der Gesetzesbegründung, ist von einem längeren, verfestigten Aufenthalt in Deutschland nach Ablauf eines gewöhnlichen Aufenthalts von mindestens fünf Jahren ab Meldung bei der Meldebehörde auszugehen. Weiter heißt es, durch die verpflichtende Meldung bei der Meldebehörde dokumentierten die Betroffenen ihre Verbindung zu Deutschland, die Voraussetzung für eine Aufenthaltsverfestigung in Deutschland (vgl. BT-Drs. 18/10211 S. 14). Dementsprechend regelt § 7 Abs. 1 Satz 5 SGB II (Gesetz vom 22. Dezember 2016), dass die Frist nach Satz 4 mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde beginnt. Die erstmalige Anmeldung des Klägers im Inland erfolgte zum 14. Mai 2003. Dass für den Lauf der Fünfjahresfrist eine durchgehende Meldung erforderlich ist, hat dagegen keinen Niederschlag im Gesetzestext gefunden und ist, anders als der Beklagte geltend macht, auch nicht nach Sinn und Zweck dieses Gesetzes in Verbindung mit der bundeseinheitlich geltenden Meldepflicht anzunehmen. Zwar regelt § 17 Bundesmeldegesetz (BMG), dass derjenige, der eine Wohnung bezieht, sich innerhalb von zwei Wochen nach dem Einzug bei der Meldebehörde anzumelden hat (Absatz 1) und dass derjenige, der aus einer Wohnung auszieht und keine neue Wohnung im Inland bezieht, sich innerhalb von zwei Wochen nach dem Auszug bei der Meldebehörde abzumelden hat (Absatz 2 Satz 1). Dieser Verpflichtung ist der Kläger seinerzeit mit der Anmeldung am 14. Mai 2003 bzw. seiner Abmeldung zum 26. Oktober 2004 nachgekommen. Eine Abmeldung ins Ausland ist zwischenzeitlich bis zum Ende des Streitzeitraums nicht erfolgt (vgl. 23 Abs. 7 BMG). Der Kläger, der unbestritten vorträgt, jedenfalls bis Juni 2016 wohnungslos gewesen zu sein, woran zu zweifeln der Senat keinen Anlass sieht, hatte indes aufgrund der Obdachlosigkeit weder die Pflicht, sich zu melden, noch eine entsprechende Möglichkeit. Denn die Meldepflicht besteht, wie ausgeführt, nur im Falle des Bezugs einer Wohnung (vgl. § 17 BMG) im Sinne von § 20 BMG, die seitens des Klägers offensichtlich bis zur Zuweisung ins Wohnheim nicht vorhanden war. Wer eine Wohnung dagegen nicht tatsächlich in Anspruch nimmt, sondern sie nur zum Schein begründet oder aufrecht erhält, erfüllt im Übrigen den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit gem. § 54 Abs. 2 Nr. 1 BMG. Als eine solche Scheinwohnung müsste mithin auch eine sog. meldefähige Anschrift für wohnungslo-se Personen qualifiziert werden, die nicht von vornherein den Status der Wohnungs-losigkeit erkennen lassen soll (vgl. Süßmuth in Bundesmeldegesetz, 2014 § 17 Rn. 13). Schließlich hat der Gesetzgeber – welches ebenfalls gegen die vom Beklagten intendierte Voraussetzung einer durchgehenden Meldung spricht – selbst Ausnah-men vom Lauf der Frist geregelt, zu denen eine Unterbrechung der Meldung nicht gehört. Nach § 7 Abs. 1 Satz 6 SGB II (Gesetz vom 22. Dezember 2016) werden Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Mithin ist eine durchgehen-de Anmeldung keine Voraussetzung für die Begründung einer mindestens fünfjähri-gen Aufenthaltsverfestigung, sondern nur das Vorliegen eines entsprechenden min-destens fünfjährigen gewöhnlichen Aufenthalts nach erstmaliger Anmeldung im In-land. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Diese Definition gilt für alle Sozialleistungsbereiche des Sozialgesetzbuchs, soweit sich nicht aus seinen besonderen Teilen etwas anderes ergibt (§ 37 SGB I), welches für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht der Fall ist. Im Übrigen ist der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, die der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt, in erster Linie nach den objektiv gegebenen tatsächlichen Verhältnissen im streitigen Zeitraum zu beurteilen. Entscheidend ist danach, ob der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland ist. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist. Mit einem Abstellen auf den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse im Gebiet der Bundesrepublik soll – maßgeblich im Sinne einer Missbrauchsabwehr – ausgeschlossen werden, dass ein Wohnsitz zur Erlangung von Sozialleistungen im Wesentlichen nur formal begründet, dieser jedoch tatsächlich weder genutzt noch beibehalten werden soll (vgl. BSG, Urteil vom 20. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R – juris Rn. 18 f. m.w.N.). Hierfür bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung es der Vereinheitlichung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts zuwiderliefe, wenn dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmende Tatbestandsmerkmale im Sinne von rechtlichen Erfordernissen zum Aufenthaltsstatus – hier das Erfordernis einer ununterbrochenen melderechtlichen Anmeldung – aufgestellt würde und damit einzelnen Personengruppen – wie etwa Obdachlosen – der Zugang zu existenzsichernden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts versperrt wird (vgl. BSG, a.a.O. Rn. 19).

Hinsichtlich des Streitzeitraums bis 28. Dezember 2016 findet das Gesetz vom 22. Dezember 2016 dagegen keine Anwendung, da es für die Zeit vor seinem Inkrafttre-ten am 29. Dezember 2016 keine Geltung beansprucht (vgl. BSG, Urteil vom 30. August 2017 – B 14 AS 31/16 R – juris Rn. 18). Vielmehr ist für den vom Kläger primär verfolgten Anspruch nach dem SGB II (und hilfsweise nach dem SGB XII) das in diesem Zeitraum geltende Recht anzuwenden (sog. Geltungszeitraumprinzip, vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2016 – B 14 AS 53/15 R – juris Rn. 14f.).

Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II umfasst zwar erst recht die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der EU, die keine deutsche Staatsange-hörigkeit besitzen (EU-Ausländer) und die nicht über eine materielle Freizügigkeits-berechtigung nach dem FreizügG/EU oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen (stRspr., vgl. nur BSG, Urteil vom 20. Januar 2016 – B 14 AS 25/15 R – juris Rn. 24). Auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG, das eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag, kann sich die Kläger im streitigen Zeitraum nicht berufen; eine solche hat er selbst nicht geltend gemacht, welches zwischen den Beteiligten im Übrigen nicht streitig ist. Insofern ist insbesondere weder eine Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmer oder als Selbstständiger nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 FreizügG/EU in Ermangelung einer seit 2005 in Deutschland ausgeübten Erwerbstätigkeit des Klägers bis zum Ablauf des gegenständlichen Zeitraums gegeben, noch liegen die Voraussetzungen für eine Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU nach der Nr. 3 oder 4 (Erbringer oder Empfänger von Dienstleistungen) sowie Nr. 7 (Inhaber eines Daueraufenthaltsrechts) oder als Familienangehöriger nach § 2 Abs. 2 Nr. 6, § 3 FreizügG/EU vor. Bereits aufgrund seiner geltend gemachten Hilfebedürftigkeit i.S. des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II scheidet schließlich eine Freizügig-keitsberechtigung als nicht Erwerbstätiger nach § 2 Abs. 2 Nr. 5, § 4 FreizügG/EU aus. Von den materiellen Freizügigkeitsberechtigungen nach dem FreizügG/EU zu unterscheiden ist die generelle Freizügigkeitsvermutung für EU-Ausländer, wegen der der Aufenthalt eines EU-Ausländers zumindest solange als rechtmäßig angese-hen werden muss, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts festgestellt und damit die Ausreisepflicht begründet hat. Diese generelle Freizügigkeitsvermutung allein eröffnet weder einen Zugang zu Leistungen nach dem SGB II noch steht sie dem Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II entgegen (vgl. BSG zuletzt mit vom 21. März 2019 – B 14 AS 31/18 R – juris Rn. 17 m.w.N.).

Der Leistungsausschluss ist nach herrschender Rechtsprechung mit EU- und Verfas-sungsrecht vereinbar (vgl. etwa BSG, Urteil vom 30. August 2017 – B 14 AS 31/16 R – juris Rn. 27 ff. m.w.N.). Der Kläger kann sich jedoch – wie vom SG ausgeführt – als österreichischer Staatsangehöriger auf das – vor Beitritt Österreichs zur Europäi-schen Union und seither fortgeltenden (vgl. Art. 351 des Vertrages über die Arbeits-weise der Europäischen Union in der Fassung des am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon [AEUV] – ehem. Art. 307 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft [EGV]) – DÖFA berufen mit der Folge, dass der Leistungsausschluss für ihn nicht anzuwenden ist. Nach Art. 2 Abs. 1 DÖFA wird Staatsangehörigen der einen Vertragspartei, die sich im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei aufhalten, Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege in gleicher Weise, in gleichem Umfang und unter den gleichen Bedingungen wie den Staatsangehörigen des Aufenthaltsstaates gewährt. Nach entsprechender Ratifikation am 28. Dezember 1968 (BGBl. II 1969 S. 1) handelt es sich um unmittelbar geltendes Bundesrecht, dessen Anwendbarkeit im konkreten Fall kein jüngeres und deshalb gegebenenfalls vorrangig anzuwendendes Recht entgegensteht (vgl. zum vergleichbaren Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens – EFA – BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 23/10 R – juris Rn. 21 ff., 23 ff. m.w.N., zu dessen Unterzeichnerstaaten Österreich nicht gehört; wie hier: LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 7. März 2012 – L 8 B 489/10 ER – juris Rn. 30 ff.; SG München, Urteil vom 10. Februar 2017 – S 46 AS 204/15 - juris; a.A. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. August 2013 – L 5 AS 2112/13 B ER – juris Rn. 11 ff.). Völkervertragsrecht wird gemäß Art. 59 Abs. 2 GG im Range von Bundesgesetzen umgesetzt mit der Folge, dass deutsche Gerichte das DÖFA (wie das EFA) wie andere Bundesgesetze anzuwenden haben, und zwar ohne dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland entsteht (vgl. BVerfGE 111, 307 ff. zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)). Dem aus Art. 23 Abs. 1 Grundgesetz und der Präambel folgenden Verfassungsauftrag ist insofern der Grundsatz der Völkerrechts- und Europarechtsfreundlichkeit zu entnehmen (vgl. BVerfG, "Lissabon-Vertrag", Urteil vom 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 u.a. – juris Rn. 219 ff.). Darüber hinaus folgt aus dem einfachen (Sozial-)Recht in § 30 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I), dass Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts unberührt bleiben; die Vorschrift gilt als allge-meiner Rechtsgrundsatz (vgl. BSG, Urteil vom 13. Dezember 2000 – B 14 KG 1/00 – juris Rn. 18 m.w.N.). Schließlich ist Art. 1 DÖFA im Hinblick auf den persönlichen Anwendungsbereich spezieller, weil sich die Vorschrift gerade nicht, wie § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, an alle Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, richtet, sondern nur an Staatsangehörige der beiden Ver-tragsstaaten. Es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will. Ein Vorbehalt, wie ihn die Bundesregierung für das SGB II zum EFA am 19. De-zember 2011 erklärt hat (vgl. BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 43/15 R – juris Rn. 18), ist zum DÖFA ebenso wenig erklärt worden wie die Kündigung dieses Abkommens (vgl. Art. 17 DÖFA). Schließlich ist mit Art. 3 DÖFA ein ggf. entstehen-der Konflikt durch den Bezug von Fürsorgeleistungen bereits dahingehend geregelt, dass Fürsorgeleistungen eines Staates im Hoheitsgebiet des anderen bei der Fest-setzung von Art und Maß der Fürsorge sowie bei der Gewährung von Leistungen aus der Sozialversicherung außer Betracht zu bleiben haben, es sei denn, sie beeinflussen die wirtschaftliche Lage des Hilfsbedürftigen so günstig, dass daneben Fürsorge des Aufenthaltsstaates ungerechtfertigt wäre.

Die Voraussetzungen des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 2 Abs. 1 DÖFA liegen vor. Gemäß Art. 1 Nr. 4 DÖFA sind "Fürsorge" alle gesetzlich begründeten Geld-, Sach-, Beratungs-, Betreuungs- und sonstigen Hilfeleistungen aus öffentlichen Mit-teln zur Deckung und Sicherung des Lebensbedarfs für Personen, die keine anderen Voraussetzungen als die der Hilfsbedürftigkeit zu erfüllen haben. So liegt es bei dem steuerfinanzierten (und nachrangigen) Alg II nach §§ 20 ff. SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2007 – B 14/11b AS 5/07 R – juris Rn. 35). Es handelt sich um eine gesetzlich begründete Geldleistung aus öffentlichen Mitteln zur Deckung und Siche-rung des existentiellen Lebensbedarfs von Hilfebedürftigen. Jene haben im Sinne des Abkommens keine anderen Voraussetzungen als diejenige der "Hilfsbedürftigkeit" zu erfüllen. Insbesondere ist keine andere Voraussetzung diejenige der Er-werbsfähigkeit i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II, mit der maßgeblich die Abgren-zung zur (ebenfalls steuerfinanzierten und nachrangigen) Sozialhilfe nach dem Zwölf-ten Buch Sozialgesetzbuch – SGB XII – erfolgt (vgl. § 5 Abs. 2 SGB II, § 21 SGB XII) und die ihrerseits zweifellos unter "Fürsorge" im Sinne des Abkommens zu subsumieren sein dürfte, ohne dass etwa die besondere Voraussetzung der dauerhaften vollen Erwerbsminderung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (vgl. §§ 19 Abs. 2, 41 Abs. 1 SGB XII) eine die Gleichbehandlung nach dem DÖFA ausschließende "andere Voraussetzung" sein dürfte. Sozialhilfe und Grundsicherung für Arbeitsuchende unterscheiden sich zwar nach ihrem Adressatenkreis. Das SGB II, insbesondere mit der Regelung des Alg II, verliert dadurch aber nicht seinen Charakter als Fürsorgegesetz. Dementsprechend ist höchstrichterlich in ständiger Rechtsprechung ausgeführt worden, dass es sich bei der Regelleistung nach dem SGB II um "Fürsorge" im Sinne von Art. 1 EFA handle. Denn auch nach jenem Abkommen meint "Fürsorge" jede Fürsorge, die jeder der Vertragschließenden nach den in dem jeweiligen Teile seines Gebietes geltenden Rechtsvorschriften gewährt und wonach Personen ohne ausreichende Mittel die Mittel für ihren Lebensbedarf sowie die Betreuung erhalten, die ihre Lage erfordert. Die Regelleistung nach § 20 SGB II als Bestandteil der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach diesem Gesetz stelle ein solches, im Falle der Bedürftigkeit gewährtes "Mittel für den Lebensbedarf" dar (vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2007 – B 14/11b AS 5/07 R – a.a.O.: "steuerfinanzierte Fürsorgeleistung"; Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 23/10 R – a.a.O. Rn. 32 f.; vgl. auch BT-Drucks. 15/1516 S. 56: "nachrangige Fürsorgeleistung). Zwar wird im Anhang I zum DÖFA (Liste der die Rechtsgebiete der Fürsorge und der Jugendwohlfahrtspflege regelnden gesetzlichen Rechtsvorschriften der beiden Vertragsparteien) noch das bereits zum 31. Dezember 2004 außer Kraft getretene Bundessozialhilfegesetz (BSHG) vom 30. Juni 1961 (BGBl. I S. 815) genannt. Indes ist die Fürsorgegesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Außerkrafttreten des BSHG zum 1. Januar 2005 nicht auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII (i.d.R. i.V.m. § 42 Satz 1 SGB XII) beschränkt, sondern wird darüber hinaus mit dem SGB II, und zwar anders als ebenfalls bis 31. Dezember 2004 aufgrund der Arbeitslosenhilfe als Lohnersatzleistung (vgl. zuletzt § 195 SGB III), als ein – ebenfalls – bedarfsabhängiges Leistungssystem gewährleistet (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 23/10 R – a.a.O. Rn. 33 m.w.N.). Im Übrigen folgt aus Art. 13 Abs. 1 Satz 2 DÖFA, dass neu in Kraft tretende gesetzliche Rechtsvorschriften, die in Anhang I aufgeführt wären, wenn sie beim Inkrafttreten des Abkommens bereits gegolten hätten, der anderen Vertragspartei unter Bezugnahme auf Anhang I mitzuteilen sind. Hiervon geht der Senat auch vorliegend aus. Die Aufzählung der Fürsorgesetze in der Anlage I ist in diesem Sinne nicht konstitutiv (vgl. zum EFA Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 23/10 R – a.a.O. Rn. 34).

Der Bedarf des alleinstehenden Klägers setzt sich, wie vom SG zutreffend ausgeführt worden ist, zusammen aus dem in den Monaten Juni bis Dezember 2016 bzw. Januar und Februar 2017 jeweils geltenden Regelbedarfen und den für die jeweilige Unterbringungen nachgewiesenen Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe für die Zeiträume 20. Oktober 2016 bis 15. November 2016, 9. Januar 2017 bis 31. Januar 2018 und 1. bis 29. Februar 2017 angefallener Tagessätze. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug (vgl. § 153 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG lie-gen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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