S 5 AS 565/19

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 5 AS 565/19
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
keinen
1. Der Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 18.04.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.07.2019 und der Änderungsbescheide vom 23.11.2019 und 26.03.2020 verurteilt, den Klägern höhere Leistungen nach dem SGB II unter Zugrundelegung von Kosten der Unterkunft in Höhe von EUR 615,12 im Zeitraum Mai 2019 bis Februar 2020 zu gewähren.

2. Der Beklagte hat den Klägern ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe der im Rahmen des Leistungsanspruchs nach dem Sozialgesetzbuch – Zweites Buch – (SGB II) zu berücksichtigenden Kosten der Unterkunft (KdU).

Die Kläger beziehen von dem Beklagten Leistungen nach dem SGB II, zuletzt aufgrund Bescheides vom 18.04.2019 für den Zeitraum Mai 2019 bis Februar 2020. Ihre tatsächlichen KdU der Kläger betragen EUR 615,12 (Nettokaltmiete: EUR 500,00, Nebenkosten EUR 115,12, Mietbescheinigung Bl. 96 d.A.).

Diese KdU werden von dem Beklagten nicht anerkannt, weil sie aus seiner Sicht unangemessen sind. Der Beklagte berücksichtigte daher für den Zeitraum Mai und Juni 2019 einen Bedarf für KdU in Höhe von EUR 509,92 (Nettokaltmiete: EUR 405,68, Nebenkosten EUR 104,24). Dabei beurteilt der Beklagte die Angemessenheit der Kosten seit dem 01.07.2017 nach dem in seinem Auftrag durch das Institut Wohnen und Umwelt (IWU) ermittelten Richtwerten für angemessene Kosten der Unterkunft nach SGB II und SGB XII im Landkreis Limburg-Weilburg (im Folgenden: IWU-Konzept). Aus dem IWU-Konzept ergeben sich die von dem Beklagten anerkannten KdU. Zum IWU-Konzept existiert ein Methodenbericht (vom Landkreis Limburg-Weilburg veröffentlicht unter https://www.landkreis-limburg-weilburg.de/fileadmin/landkreis/downloads/soziales/Grundsicherungsrelevanter Mietspiegel xxxx Methodenbericht.pdf, im Folgenden nur: "Methodenbericht"), der die Vorgehensweise des Beklagten bei der Erstellung des Konzeptes beschreibt.

Gegen den Bescheid vom 18.04.2019 (Bl. 443 der Verwaltungsakte [VA]) legten die Kläger am 14.05.2019 (Bl. 462 VA) aus den Gründen ihres Antrages Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 11.07.2019 (Bl. 483 VA) zurückgewiesen wurde.

Mit ihrer am 11.07.2019 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Zur Begründung tragen sie vor, dass das vom Beklagten angewandte schlüssige Konzept nicht den rechtlichen Vorgaben an die Ermittlung der Angemessenheit von Unterkunftskosten von Leistungsbeziehern entsprechen. U.a. sei auch der hierfür zu bildende Vergleichsraum vom Beklagten fehlerhaft bestimmt worden.

Die Kläger beantragen,
wie erkannt.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er verteidigt die von ihm getroffenen Entscheidungen. Die von ihm ermittelten Angemessenheitswerte seien korrekt und entsprächen sowohl im Hinblick auf die Vergleichsraumbildung als auch auf das daran zu knüpfende schlüssige Konzept den höchstrichterlichen Anforderungen.

Mit weiterem Bescheid vom 23.11.2019 (Bl. 58 d. A.) nahm der Beklagte Änderungen an der Leistungsberechnung der Kläger vor, die im vorliegenden Verfahren nicht streitgegenständlich sind. Zum 01.07.2019 schrieb der Beklagte das IWU-Konzept fort. Mit Bescheid vom 26.03.2020 (Bl. 66 d. A.) berücksichtigte der Beklagte daher KdU in Höhe von EUR 590,84 (Nettokaltmiete: EUR 496,84, Nebenkosten: EUR 94,00) rückwirkend ab Juli 2019.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt von Gerichts- und Verwaltungsakte, dabei insbesondere die gewechselten Schriftsätze. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung auf deren Protokoll ebenfalls verwiesen wird.
 
Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet, denn die Kläger haben einen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem SGB II.

Die Klage ist zulässig.

Die Kläger verfolgen ihr Begehren zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), zulässigerweise gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Ein solches Grundurteil im Höhenstreit ist auch hinsichtlich der zwischen den Beteiligten allein strittigen Höhe des anzuerkennenden Bedarfs für die Unterkunft zulässig. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Grundurteils im Höhenstreit in Abgrenzung zu einer unzulässigen Elementfeststellungsklage ist eine so umfassende Aufklärung zu Grund und Höhe des Anspruchs, dass mit Wahrscheinlichkeit von einer höheren Leistung ausgegangen werden kann, wenn der Begründung der Klage gefolgt wird. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt, weil der Beklagte den Klägern Leistungen bewilligt hat und die Kläger Anspruch auf höhere Leistungen haben, wenn ihrem Vorbringen zur Höhe des anzuerkennenden Bedarfs für die Unterkunft gefolgt wird (vgl. BSG v. 30.01.2019, B 14 AS 41/18 R, BeckRS 2019, 11194 Rn. 10, 11).

Letzteres ist der Fall, den Klägern steht ein höherer Bedarf für KdU zu. Die Klage ist daher begründet. Soweit der Beklagte mit den angegriffenen Bescheiden – wobei die Bescheide vom 23.11.2019 und 26.03.2020 nach § 96 SGG Gegenstand des vorliegenden Verfahrens wurden – nur geringere Bedarfe anerkannt hat, sind sie rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten.

Rechtsgrundlage dieses Anspruchs gegen den Beklagten für Mai 2019 bis Februar 2020 ist § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II. Demnach werden die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.

Bei dem entscheidenden gesetzlichen Tatbestandsmerkmal "Angemessenheit" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Auslegung durch das Gericht nachzuprüfen ist (BSG v. 30.1.2019, B 14 AS 41/18 R, BeckRS 2019, 11194).

Die Ermittlung des angemessenen Umfangs der Aufwendungen für die Unterkunft hat nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (instruktiv BSG v. 30.01.2019, B 14 AS 41/18 R, BeckRS 2019, 11194) in zwei größeren Schritten zu erfolgen: Zunächst sind die abstrakt angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft, bestehend aus Nettokaltmiete und kalten Betriebskosten (= Bruttokaltmiete), zu ermitteln; dann ist die konkrete (= subjektive) Angemessenheit dieser Aufwendungen im Vergleich mit den tatsächlichen Aufwendungen, insbesondere auch im Hinblick auf die Zumutbarkeit der notwendigen Einsparungen, einschließlich eines Umzugs, zu prüfen. Die Ermittlung der abstrakt angemessenen Aufwendungen hat unter Anwendung der Produkttheorie ("Wohnungsgröße in Quadratmeter multipliziert mit dem Quadratmeterpreis") in einem mehrstufigen Verfahren zu erfolgen: (1) Bestimmung der (abstrakt) angemessenen Wohnungsgröße für die leistungsberechtigte(n) Person(en), (2) Bestimmung des angemessenen Wohnungsstandards, (3) Ermittlung der aufzuwendenden Nettokaltmiete für eine nach Größe und Wohnungsstandard angemessene Wohnung in dem maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum nach einem schlüssigen Konzept, (4) Einbeziehung der angemessenen kalten Betriebskosten.

Mithin setzt damit die Ermittlung der aufzuwendenden Nettokaltmiete für eine nach Größe und Wohnungsstandard angemessene Wohnung die Bildung eines örtlichen Vergleichsraum voraus, in dem die Angemessenheit der Aufwendungen nach einem schlüssigen Konzept bestimmt werden kann. Vergleichsraumbildung und Erstellung des Konzepts sind nicht voneinander zu trennen (BSG v. 30.01.2019, B 14 AS 41/18 R, BeckRS 2019, 11194, Rn. 39).

Diesem Ansatz entsprechend heißt es auf Seite 15 des Methodenberichts:

"Alle der Festlegung der Angemessenheitsgrenzen zugrunde liegenden Datenerhebungen und –auswertungen sind jeweils vergleichsraumspezifische (es sind also eigentlich fünf "schlüssige Konzepte" mit gleicher Methodik) und umfassen jeweils den gesamten Vergleichsraum".

Dementsprechend hat der Beklagte seinen Zuständigkeitsbereich, den Landkreis Limburg-Weilburg, in fünf Vergleichsräume aufgeteilt. Der Wohnort der Kläger, A-Stadt, liegt dabei im Vergleichsraum "Mittelbereich Weilburg".

Zur Überzeugung der Kammer hält aber der streitgegenständlich von dem Beklagten gebildete Vergleichsraum Mittelbereich Weilburg rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Denn der Beklagte ist bei der Vergleichsraumbildung bereits von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen (I.). Auch die im Verfahren nachgereichten Begründungen des Beklagten rechtfertigen es nicht, vom Mittelbereich Weilburg als einem zulässigen Vergleichsraum auszugehen (II.). Der Beklagte kann daher nicht unter Berufung auf das von ihm verwendete schlüssige Konzept die Angemessenheit der KdU der Kläger verneinen. Dies führt zu einem höheren Leistungsanspruch der Kläger (III.).

I. Der Beklagte geht bei der Vergleichsraumbildung von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab aus.

Der Vergleichsraum ist ausgehend von der zuvor angeführten Rechtsprechung (BSG v. 30.01.2019, B 14 AS 41/18 R, BeckRS 2019, 11194) ein ausgehend vom Wohnort der leistungsberechtigten Person bestimmter ausreichend großer Raum der Wohnbebauung, der aufgrund räumlicher Nähe, Infrastruktur und insbesondere verkehrstechnischer Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bildet. Im Vergleichsraum ist einer leistungsberechtigten Person ein Umzug zur Kostensenkung grundsätzlich zumutbar und ein nicht erforderlicher Umzug nach § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II führt zu einer Deckelung der Aufwendungen auf die bisherigen.

Nach der auch für schlüssige Konzepte im Rahmen des § 22 Abs 1 SGB II entsprechend anzuwendenden gesetzgeberischen Vorgabe in § 22b Abs 1 Satz 4 SGB II bildet das Zuständigkeitsgebiet eines Jobcenters zunächst einen Vergleichsraum, der indes aufgrund der örtlichen Gegebenheiten in mehrere Vergleichsräume zu unterteilen sein kann, für die jeweils eigene Angemessenheitswerte bestimmt werden können. Als solche örtlichen Gegebenheiten kommen weniger unterschiedliche Landschaften, sondern eher räumliche Orientierungen, wie Tagespendelbereiche für Berufstätige oder die Nähe zu Ballungsräumen, sowie aus der Datenerhebung ersichtliche, deutliche Unterschiede im Mietpreisniveau in Betracht (BSG v. 30.01.2019, B 14 AS 41/18 R, BeckRS 2019, 11194).

Der Vergleichsraum hat auch Steuerungswirkungen auf den örtlichen Wohnungsmarkt, wie das BSG in der eben genannten Entscheidung weiter ausgeführt hat (Rn. 35):

"Bei unterschiedlichen Angemessenheitswerten für die Nettokaltmiete je nach Wohnungsmarkttyp könnte, weil bei einer Kostensenkungsaufforderung ein Umzug innerhalb des Vergleichsraums zulässig ist, eine solche zu einem Umzug von einem Wohnungsmarkttyp mit niedrigeren Angemessenheitswerten in einen solchen mit höheren und damit letztlich zu einer Erhöhung der Aufwendungen führen. Die in § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II angeordnete Deckelung der Aufwendungen nach einem nicht erforderlichen Umzug innerhalb eines Vergleichsraums auf die bisherigen würde eine soziale Segregation bewirken, wenn sie auf den Umzug von einem "preiswerten" in einen "teuren" Wohnungsmarkttyp Anwendung fände, und sie würde ins Leere laufen, wenn aus einem "teuren" Wohnungsmarkttyp in einen "preiswerten" umgezogen wird. Dies zeigt, dass der Vergleichsraum die mit dessen Festlegung (auch) verfolgten Steuerungswirkungen auf dem örtlichen Wohnungsmarkt verliert, wenn in ihm kein einheitlicher abstrakter Angemessenheitswert bestimmt ist."

Zur Überzeugung der Kammer hat der Beklagte diese Vorgaben nicht hinreichend beachtet.

Der streitgegenständliche Vergleichsraum – der Mittelbereich Weilburg – besteht aus den Gemeinden Weilburg, Mengerskirchen, Merenberg, Löhnberg, Weinbach und Weilmünster.

Im Methodenbericht sind folgende Gründe für die Betrachtung des Mittelbereichs Weilburg als Vergleichsraum nachzulesen (S. 13 ff.): Zunächst wird auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (zum damaligen Stand, insbesondere die Entscheidung zur Stadt Berlin v. 19.10.2010, B 14 AS 2/10 R) und die dort entwickelten Kriterien Bezug genommen. Als Maßgeblich wird die in dieser Entscheidung zugrunde gelegte Pendelzeit von 1,5 Stunden angesehen. Dies führe zu eher großen Vergleichsräumen, die sich beispielsweise an den Verflechtungsbereichen bzw. den Mittelbereichen der Regionalplanung orientieren können. Zur Eignung der Mittelbereiche – einem Begriff aus der Raumplanung – wird verwiesen auf den (ebenfalls vom IWU erstellten) Forschungsbericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Ermittlung existenzsichernder Bedarfe für die Kosten der Unterkunft und Heizung (2017, veröffentlicht vom BMAS, online abrufbar als "Forschungsbericht 478"). Dort (S. 157 f.) heißt es u.a.:

"Operationalisierungsprobleme
Der Ansatz des BSG ist deshalb schwer zu realisieren, weil der infrastrukturelle Zusammenhang nicht zu klar abgrenzbaren Gebieten führt. So mag die Pendeldistanz A – B ebenso zumutbar sein wie die Distanz B – C, nicht aber die Pendeldistanz A – C. Die Diskussion, ob nun eher A oder eher C aus infrastrukturellen Gründen gemeinsam mit B zu einem Vergleichsraum zusammenzufassen wäre, führt nicht zu einem Ziel. Nach Ansicht der Autoren kann die abstrakte Ebene nur gewährleisten, dass innerhalb einer Zone gleicher Angemessenheitsgrenzen in der Regel ein Umzug zumutbar ist. Eine Einzelfallprüfung ist ohnehin notwendig (wegen besonderer örtlicher Bindungen wie bspw. Schulbesuch, Pflege von Angehörigen o.ä.). Insofern kann die Einzelfallprüfung auch auf mögliche zumutbare Räume außerhalb des Bereichs gleicher Angemessenheitsgrenzen oder unzumutbare Teilräume innerhalb des Bereichs gleicher Angemessenheitsgrenzen erweitert werden.

Operationalisierungsmöglichkeit: Mittelbereiche der Regionalplanung
Die Räume könnten über die Wohnungsmarktregionen des BBSR operationalisiert werden, die allerdings nicht lückenlos, nicht überschneidungsfrei und auch sehr groß sind.[ ] Da die Stadt-Land-Regionen jedoch extrem groß (und damit preislich auch sehr heterogen) sind, seien jedoch die kleineren Mittelbereiche der Regionalplanung empfohlen, die im Regelfall jeweils ein Mittelzentrum und sein ländliches Umland umfassen und als Verflechtungsbereiche für die Versorgung mit Gütern des gehobenen Bedarfs (und bspw. Infrastruktureinrichtungen wie Krankenhäuser oder weiterführende Schulen) definiert sind."

Es wird sodann weiterverwiesen auf die Definition des Mittelbereichs durch das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung:

"In ihrer Abgrenzung orientieren sich die Mittelbereiche an den Entfernungen, Lagebeziehungen, Verkehrsanbindungen und traditionellen Bindungen zwischen Gemeinden und damit an dem zu erwartenden Verhalten der Bevölkerung bei der Inanspruchnahme von Infrastruktureinrichtungen der Daseinsvorsorge. Zusätzlich orientieren sie sich an den bestehenden administrativen Grenzen der Gemeindeverwaltungsverbände, Kreise oder Bundesländer."

Bereits dieser grundsätzliche Ansatz ist zur Überzeugung der Kammer nicht mit den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Einklang zu bringen. Der Ausgangspunkt, dass die Einzelfallprüfung auch auf mögliche zumutbare Räume außerhalb des Bereichs gleicher Angemessenheitsgrenzen oder unzumutbare Teilräume innerhalb des Bereichs gleicher Angemessenheitsgrenzen erweitert werden, widerspricht nämlich dem vom BSG aufgestellten Grundsatz, dass im Vergleichsraum einer leistungsberechtigten Person ein Umzug zur Kostensenkung grundsätzlich zumutbar sein muss. Soweit das Konzept demgegenüber darauf abstellt, dass ohnehin eine Einzelfallprüfung stattzufinden habe, die im Zweifel verhindere, dass von einem Leistungsberechtigten ein unzumutbarer Umzug verlangt werde, überzeugt dies nicht. Die Einzelfallprüfung ist kein geeignetes Kriterium zur Vergleichsraumbildung. Diese hat gerade abstrakt, d.h. nicht einzelfallbezogen zu erfolgen. Anderenfalls könnten beliebig große Vergleichsräume gebildet werden mit der Begründung, dass im Rahmen der Einzelfallprüfung unzumutbare Umzüge ausgeschlossen werden. Auch wenn es weiter heißt, "So mag die Pendeldistanz A – B ebenso zumutbar sein wie die Distanz B – C, nicht aber die Pendeldistanz A – C" vermag die Kammer nicht die daraus getätigte Schlussfolgerung nachzuvollziehen, demnach nach Ansicht der Autoren die abstrakte Ebene nur gewährleisten kann, dass innerhalb einer Zone gleicher Angemessenheitsgrenzen in der Regel ein Umzug zumutbar ist. Ist die Pendeldistanz A – C unzumutbar, so ist ein Umzug zwischen A – C in der Regel nicht zumutbar und A und C können auch nicht in einen Vergleichsraum zusammengefasst werden, auch dann nicht, wenn eine Einzelfallprüfung im Zweifel verhindern würde, dass von jemanden verlangt wird von A nach C umzuziehen.

Die Kammer versteht die Überlegungen der Autoren des Konzepts letztendlich so, dass es im Zweifel unschädlich sei, wenn sich im Vergleichsraum im Verhältnis zueinander unzumutbare Teilräume befinden, solange das Mietpreisniveau homogen sei. Denn die Ergebnisse (also die errechneten Angemessenheitswerte) des Konzepts werden durch die Einbeziehung "unzumutbarer" Teilbereiche dann nicht verfälscht, wenn in allen Teilbereichen ein homogenes Mietpreisniveau besteht. Dies wird bestätigt durch die weiteren Ausführungen im Methodenbericht im Hinblick auf die Aufteilung des Mittelbereichs Limburg. Dort hat der Beklagte den Mittelbereich in insgesamt 4 Vergleichsräume unterteilt: die städtischen Bereiche Limburg/Elz und Bad Camberg sowie den ländlichen Raum Nord und Süd. Diese Unterteilung wurde ausschließlich mit Unterschieden im Mietpreisniveau begründet. So sollte durch eine möglichst genaue Beschreibung des Mietenniveaus verhindert werden, dass Leistungsberechtigte vermehrt gezwungen werden, in günstigere Teile des Mittelbereichs Limburg umzuziehen. Diese Unterteilung sei indes im Mittelbereich Weilburg nicht notwendig gewesen, weil es dort ein homogenes Preisniveau vorherrsche.

Nach der oben ausführlich zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung ist ein homogenes Preisniveau aber nicht einzige Voraussetzung der Vergleichsraumbildung. Vielmehr verkennt der hier vom Beklagten übernommene Ansatz, dass die Vergleichsraumbildung nicht ausschließlich der Vermeidung von unzumutbaren Umzugsverlangen und sozialer Segregation dient. Ersteres ließe sich tatsächlich bereits über die Einzelfallprüfung vermeiden, ohne dass es hierfür spezieller Überlegungen zum Vergleichsraum bedürfte. Grundlage der Kriterien des Bundessozialgerichts für die Vergleichsraumbildung ist aber auch die mit § 22 SGB II bezweckte Steuerungswirkung des Vergleichsraums:

Aufgrund der Deckelung der KdU auf die bisherigen Aufwendungen im Falle eines nicht erforderlichen Umzuges im Vergleichsraum geraten Leistungsberechtigte in eine Situation, in denen im Falle eines (nicht erforderlichen) Umzugs an sich angemessene KdU nicht anerkannt werden, weil sie höher sind als die bisherigen. Das führt zu einer erheblichen Begrenzung der Möglichkeiten eines Umzugs, da vom Leistungsberechtigten wahrnehmbare Mietangebote dadurch noch weiter begrenzt werden, als durch den Angemessenheitswert im Vergleichsraum ohnehin schon. Das Gesetz will mithin erreichen, dass nicht erforderliche Umzüge innerhalb eines Vergleichsraums, die zu einer Erhöhung der KdU führen, grundsätzlich unterbleiben. Denn es ist vom Leistungsberechtigten zu erwarten, dass er seine Hilfebedürftigkeit (und damit auch seine KdU) so gering wie möglich hält. Dafür hat er ggf. auf einen nicht erforderlichen Umzug in eine größere und teurere Wohnung als seine bisherige zu verzichten, auch wenn die teurere Wohnung grundsätzlich noch angemessen wäre. Um aber die Freizügigkeit der Leistungsberechtigten nicht unverhältnismäßig zu beeinträchtigen dürfen Vergleichsräume nicht zu groß sein (vgl. hierzu BSG v. 01.06.2010, B 4 AS 60/09 R).

Auf der anderen Seite dürfen Vergleichsräume aber auch nicht zu klein sein (so im Ergebnis bei BSG v. 30.01.2019, B 14 AS 41/18 R, BeckRS 2019, 11194). Denn dann entfällt die eben geschilderte Steuerungswirkung.

Vom Vergleichsraum ist daher zu fordern, dass er diese beiden Punkte – öffentliches Interesse an der Vermeidung nicht erforderlicher, kostensteigernder Umzüge einerseits, Interesse der Leistungsberechtigten an freier Wohnortwahl andererseits – in Einklang bringt. Hierfür hat das BSG die bereits erörterten Kriterien des homogenen Lebens- und Wohnbereiches entwickelt. So kann der Leistungsberechtigte seinen Lebens- und Wohnbereich zwar einerseits frei wählen, andererseits ist er innerhalb dieses Bereiches im Hinblick auf seine Mobilität eingeschränkt.

All dies berücksichtigt die Vergleichsraumbildung durch den Beklagten nicht, denn es enthält überhaupt keine konkret auf den Mittelbereich Weilburg bezogenen Erwägungen dazu, inwieweit es sich bei ihm um einen homogenen Lebens- und Wohnbereich handelt.

Obwohl im Methodenbericht die rechtlichen Anforderungen an die Vergleichsraumbildung im Wesentlichen korrekt wiedergegeben werden, kann die Kammer nicht erkennen, inwieweit diese tatsächlich umgesetzt worden wären. Denn aus der letztlich als allein maßgebend herangezogenen Definition des Mittelbereichs durch das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung ergibt sich nicht, dass der Mittelbereich ein geeigneter örtlicher Vergleichsraum im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist. Die Festlegungen zum Mittelbereich in der Raumordnungsplanung sind rein abstrakt und lassen nicht erkennen, inwieweit es sich bei den Mittelbereichen um aufgrund räumlicher Nähe, Infrastruktur und insbesondere verkehrstechnischer Verbundenheit insgesamt betrachtet homogene Lebens- und Wohnbereiche handelt. Vielmehr legen diverse Umstände das Gegenteil nahe (dazu sogleich).

II. Auch die weitere Begründung des Beklagten für die Vergleichsraumbildung im laufenden Verfahren konnte die Kammer nicht davon überzeugen, dass es sich bei dem Mittelbereich Weilburg um einen Raum der Wohnbebauung, der aufgrund räumlicher Nähe, Infrastruktur und insbesondere verkehrstechnischer Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bildet.

Die Kammer hat bereits erhebliche Zweifel daran, dass das Kriterium der räumlichen Nähe hier erfüllt ist. Dabei versteht die Kammer den Begriff so, dass damit nicht bloß eine Wegstrecke, sondern tatsächliche Erreichbarkeit gemeint ist (weshalb das BSG auch auf verkehrstechnische Verbundenheit abstellt).

Der Beklagte stellt insoweit auf die Pendelstrecken von 1,5 Stunden zum Zentrum (vgl. § 140 SGB III, BSG v. 19.10.2010, B 14 AS 2/10 R) ab. In dieser im Methodenbericht zitierten Entscheidung ging es jedoch um die Stadt Berlin. Der Mittelbereich dürfte hiermit jedoch nicht zu vergleichen sein (vgl. BSG v. 30.01.2019, B 14 AS 41/18 R: Soweit in der Rechtsprechung des BSG für Großstädte insbesondere zur Vermeidung einer sozialen Segregation das gesamte Stadtgebiet als ein Vergleichsraum angesehen wurde [ ], ist dies auf Flächenlandkreise nicht ohne Weiteres übertragbar [ ]). Auch wenn Weilburg theoretisch von allen Punkten des Mittelbereichs in unter 1,5 Stunden erreicht werden kann, ist zu berücksichtigen, dass die ÖPNV-Versorgung im ländlichen Raum in der Regel ganz erheblich schlechter ist als in einer Großstadt. Das Aufrechterhalten eines sozialen Umfeldes ist noch möglich, wenn man jederzeit – auch spontan – die Möglichkeit hat, an weiter entfernte Orte in der Stadt zu gelangen. Dies dürfte im ländlichen Raum für Personen ohne Kfz nicht gegeben sein, wo ÖPNV-Verbindungen deutlich weiter getaktet sind und zu bestimmten Tageszeiten oder an bestimmten Tagen gar nicht verfügbar sind.

Soweit der Beklagte hiergegen eingewandt hat, Weilburg sei von den umliegenden Gemeinden aus gut per ÖPNV zu erreichen, ist diese pauschale Behauptung nicht geeignet, die Kammer zu einem anderen Schluss kommen zu lassen. Die unkonkreten Angaben des Beklagten lassen nicht den Schluss einer aufgrund verkehrstechnischer Verbundenheit bestehenden räumlichen Nähe zu. Sie lassen insbesondere nicht erkennen, in welchem Umfang ÖPNV-Anbindungen tatsächlich vorhanden (d.h. getaktet) sind und inwiefern sie das gesamte Gebiet des Mittelbereichs abdecken.

Auch wenn man diesen Punkt aber im Ergebnis offenlässt, ist für die Kammer jedoch letztlich entscheidend, dass im Mittelbereich kein homogener Lebens- und Wohnbereich besteht. Im Wesentlichen folgt dies bereits aus den der Einordnung als Mittelbereich im Sinne der Regionalplanung zugrundeliegenden Erwägungen.

Der Mittelbereich Weilburg ist in seiner räumlichen Ausprägung definiert durch den Regionalplan Mittelhessen 2010, der wiederum auf den Landesentwicklungsplan 2000 (LEP 2000) verweist. Zum Mittelbereich Weilburg ist dort folgendes zu lesen (S. 34 Regionalplan Mittelhessen 2010):

"Mittelzentren haben mittelstädtischen Charakter und sollen möglichst 7.000 Einwohner im zentralen Ortsteil aufweisen. Die Kernstadt des Mittelzentrums ist auch jeweils der zentrale Ortsteil des Mittelzentrums. [ ] Biedenkopf hat knapp 7.000 Einwohner, während die Mittelzentren [ ] und Weilburg mit dem zentralen Ortsteil deutlich darunter liegen. Wegen ihrer Bedeutung im ländlichen Raum und im Verflechtungsbereich wurden sie dennoch als Mittelzentren ausgewiesen. Damit wird sowohl der Gesamteinwohnerzahl dieser Städte Rechnung getragen, als auch dem Konzept der dezentralen Konzentration.

Dem Mittelzentrum ist im LEP 2000 der Mittelbereich zugewiesen. Dieser umfasst alle Gemeinden, für die das Mittelzentrum die Versorgung über die Grundversorgung hinaus mit übernehmen soll, soweit diese nicht vom Oberzentrum abgedeckt wird."

Es ist mithin grundlegendes Charakteristikum eines Mittelbereiches, dass Infrastruktur im Mittelzentrum gebündelt vorgehalten wird, die in dem umliegenden ländlichen Raum gerade nicht vorhanden ist. Aus Sicht der Kammer kann ein Mittelbereich daher schon aus diesem Grund nur selten einen homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden. Es stellt im Hinblick auf die Wohnsituation eines Menschen einen erheblichen Unterschied dar, ob er im Mittelzentrum selbst wohnt, oder im ländlichen Raum.

Aus diesem Grund sieht die Kammer Umzüge vom Mittelzentrum in jeden beliebigen Ort des ländlichen Raums und umgekehrt nicht als in der Regel dem Leistungsberechtigten zumutbar an.

Dabei ist sich die Kammer, wie oben bereits aufgezeigt, der Tatsache bewusst, dass das SGB II dem Leistungsberechtigten Obliegenheiten auferlegt, seine Hilfebedürftigkeit nach Möglichkeit zu verringern. Hierzu gehört die Obliegenheit die eigenen Kosten der Unterkunft so gering wie möglich zu halten. Es ist einem Leistungsberechtigten daher unter bestimmten Umständen zumutbar, seine Wohnung und damit seine unmittelbare Umgebung zugunsten einer kostengünstigeren Wohnung aufzugeben. Diese Zumutbarkeit findet aber spätestens dort ihre Grenze, wo der Leistungsberechtigte aus seinem sozialen Umfeld völlig herausgerissen wird. So heißt es bei BSG v. 19.2.02009, B 4 AS 30/08 R, BeckRS 2009, 62108 Rn. 33:

"Das BSG respektiert die Einbindung Hilfebedürftiger in ihr soziales Umfeld und billigt ihnen im Rahmen der Zumutbarkeit von Kostensenkungsmaßnahmen zu, dass von ihnen ein Umzug in einen anderen Wohnort, der mit der Aufgabe des sozialen Umfeldes verbunden wäre, regelmäßig nicht verlangt werden kann ( ). Bleibt das soziale Umfeld erhalten, sind umgekehrt Kostensenkungsmaßnahmen (zB durch einen Umzug) im Normalfall zumutbar."

Das Bundessozialgericht stellt hier darauf ab, dass ein Umzug zur Kostensenkung innerhalb des gesamten Vergleichsraums, d.h. von jedem an jeden beliebigen Ort grundsätzlich zumutbar sein muss (BSG v. 30.01.2019, B 14 AS 41/18 R, BeckRS 2019, 11194). Die Kammer stellt vorliegend nicht in Abrede, dass es viele Konstellationen geben mag, in denen ein Umzug im vom Beklagten gebildeten Vergleichsraum zumutbar ist, zum Beispiel in nahegelegene Nachbarorte oder sonst gut miteinander verbundene Siedlungen. Es wird aber auch eine Vielzahl von Fällen geben, in denen diese Zumutbarkeit nicht gegeben ist, wie etwa ein Umzug von der Kernstadt Weilburg nach Winkels (Ortsteil von Mengerskirchen mit ca. 950 Einwohnern). Dabei handelt es sich hierbei nicht um ein vereinzeltes Extrembeispiel. Vielmehr zeichnet sich der ländliche Raum dadurch aus, dass er sich teilweise aus unterschiedlichen, versprengten Siedlungen zusammensetzt. In diesen Siedlungen würde der aus A-Stadt hinziehende Leistungsberechtigte ein völlig anderes Lebensumfeld vorfinden. Ein homogener Lebens- und Wohnbereich liegt hier nicht vor, insbesondere nicht unter Einbeziehung des Mittelzentrums.

Auch unter dem bereits erörterten Gesichtspunkt der Freizügigkeit ergeben sich aus dem von dem Beklagten gebildeten Vergleichsraum Probleme. Im Falle des Beklagten erfasst § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II den gesamten Mittelbereicht Weilburg. Leistungsberechtigte sind also im gesamten, 6 Gemeineden umfassenden Raum darin eingeschränkt, nicht erforderliche Umzüge durchzuführen. Im ungünstigsten Fall kann dies dazu führen, dass Leistungsberechtigte, die derzeit in einer besonders günstigen Wohnung wohnen, faktisch vollständig an einem (nicht erforderlichen) Umzug gehindert sind. Aus Sicht der Kammer sucht die BSG-Rechtsprechung die Auswirkungen solcher Situationen dadurch zu beschränken, indem sie verlangt, dass der von der Deckelung der Aufwendungen erfasste Bereich homogen ist, d.h. es dem Leistungsberechtigten auch unter Beibehaltung des bisherigen Wohnortes möglich ist, das dort vorhandene infrastrukturelle und soziale Angebot wahrzunehmen. Diese Homogenität sieht die Kammer aber im Fall des Mittelbereiches aus den eben genannten Gründen nicht.

Konkreten – auf die tatsächlichen Begebenheiten im Mittelbereich Weilburg bezogenen – Vortrag, inwiefern doch von einem homogenen Lebens- und Wohnbereich auszugehen sein soll, hat der Beklagte im Verfahren nicht gemacht. Soweit der Beklagte sich in der mündlichen Verhandlung darauf berufen hat, dass der gesamte Mittelbereich Weilburg in etwa die Einwohnerzahl der Stadt Limburg erreiche, ist das für die Kammer insoweit nachvollziehbar, als dass es für den Beklagten problematisch ist, ausreichend Daten zu erheben, wenn er zu kleine bzw. nicht ausreichend einwohnerstarke Vergleichsräume bildet. Gleichwohl kann die Einwohnerzahl bei der Vergleichsraumfestlegung nur dann eine Rolle spielen, wenn es darum geht zu ermitteln, ob überhaupt ein ausreichend großer Raum der Wohnbebauung vorliegt. In diesem Zusammenhang ergeben sich aber für den Beklagten keine günstigen Schlüsse. So ist die Stadt Bad Camberg, für die der Beklagte einen eigenen Vergleichsraum angenommen hat im Hinblick auf die Einwohnerzahl (ca. 14.000) in etwa gleich groß wie die Stadt Weilburg (ca. 13.000). Auch die Weilburg umgebenden Gemeinden kommen auf eine Einwohnerzahl von ca. 26.000 und damit in etwa genauso viel wie der von dem Beklagten als eigener Vergleichsraum betrachtete ländliche Raum Nord (Hadamar et al.). Mitnichten kann also aus der Tatsache, dass der Mittelbereich Weilburg über insgesamt ca. 39.000 Einwohner verfügt, geschlussfolgert werden, dass es sich hierbei um einen einzigen Vergleichsraum handeln müsste.

Auch wenn die Mittelbereiche des Regionalplans möglicherweise sinnvolle Ansatzpunkte für die Vergleichsraumbildung sein können, entbinden sie den Beklagten nicht davon, konkrete Erwägungen dazu anzustellen, ob in ihnen die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Das ist aber im vorliegenden Fall im Wesentlichen unterblieben.

III. Nach allem ist die Kammer daher zu der Überzeugung gelangt, dass der Beklagte sich nicht auf das in seinem Auftrag ermittelte schlüssige Konzept berufen kann. Dies führt zu einem höheren Leistungsanspruch der Kläger.

Zur Umsetzung der gerichtlichen Kontrolle ist es auf eine entsprechende Klage hin zunächst Aufgabe des Gerichts, die Rechtmäßigkeit des vom beklagten Jobcenter ermittelten abstrakten Angemessenheitswerts sowohl im Hinblick auf die Festlegung des Vergleichsraums als auch die Erstellung eines schlüssigen Konzepts zu überprüfen. Ist die Ermittlung dieses abstrakten Angemessenheitswerts rechtlich zu beanstanden, ist dem Jobcenter Gelegenheit zu geben, diese Beanstandungen durch Stellungnahmen, ggf nach weiteren eigenen Ermittlungen, auszuräumen. Gelingt es dem Jobcenter im gerichtlichen Verfahren – wie vorliegend – nicht, die Bedenken des Gerichts im Hinblick auf die Vergleichsraumbildung auszuräumen, ist das Gericht nicht befugt, einen anderen Vergleichsraum zu bilden (BSG v. 30.01.2019, B 14 AS 41/18 R, BeckRS 2019, 11194). Vielmehr kann das Gericht zur Herstellung der Spruchreife, wenn ein qualifizierter Mietspiegel vorhanden ist, auf diesen zurückgreifen; andernfalls sind mangels eines in rechtlich zulässiger Weise bestimmten Angemessenheitswerts die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft dem Bedarf für die Unterkunft zugrunde zu legen, begrenzt durch die Werte nach dem WoGG plus Zuschlag von 10%. Dadurch soll den Gegebenheiten des örtlichen Wohnungsmarkts zumindest ansatzweise gemäß gesetzgeberischer Entscheidungen – wenn auch für einen anderen Personenkreis – durch eine "Angemessenheitsobergrenze" Rechnung getragen werden, die die Finanzierung extrem hoher und per se unangemessener Mieten verhindert (BSG aaO).

Da die tatsächlichen KdU der Kläger unter den Werten nach dem WoGG plus einem Sicherheitszuschlag von 10% liegen, sind sie insgesamt als angemessen anzusehen. Die Kläger haben daher einen Anspruch auf Anerkennung dieser tatsächlichen Kosten als Bedarf. Dies führt zu einem höheren Leistungsanspruch.

Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zuzulassen. Die rechtliche Frage, ob die Ermittlung des Angemessenheitswertes für die KdU im Mittelbereich Weilburg durch den Beklagten ordnungsgemäß erfolgt, ist in einer Vielzahl weiterer Verfahren von entscheidungserheblicher Bedeutung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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