L 4 AY 7/20 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 11 AY 5/20 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 AY 7/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG ist nicht anwendbar, wenn die maßgebliche Gewährung des Schutzes durch einen anderen Staat solange zurückliegt, dass danach die Voraussetzungen des § 2 AsylbLG verwirklicht wurden.

2. Zu den maßgeblichen Kriterien für die Auslegung eines Leistungsbescheides nach dem AsylbLG als Dauerverwaltungsakt.
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 16. März 2020 dahingehend abgeändert, dass die einstweilige Anordnung auf den Zeitraum bis einschließlich 31. März 2020 befristet wird.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Beschwerde zu erstatten.

Gründe:

Die am 2. April 2020 am Sozialgericht Kassel eingegangene Beschwerde des Antragsgegners zum Hessischen Landessozialgericht, mit der er sinngemäß beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 16. März 2020 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen,

ist zulässig.

Die Beschwerde ist nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, da das Sozialgericht den Antragsgegner zur Leistung in Höhe der Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ab 3. März 2020 über das Ende des Monats hinaus bis zur erstinstanzlichen Hauptsacheentscheidung bzw. bis zur Aufenthaltsbeendigung verpflichtet hat.

Sie ist auch teilweise begründet.

Der Antrag der Antragstellerin, einer 1983 geborenen somalischen Staatsangehörigen, auf Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG im Wege der einstweiligen Anordnung ist zwar zulässig. Zutreffend ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass ein Antrag nach § 86b Abs. 2 SGG statthaft ist und der Antragstellerin insoweit ein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite steht. Ist ein Überprüfungsverfahren nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) noch nicht bestandskräftig abgeschlossen, so ist trotz fortbestehender Bestandskraft des dem Verfahren zugrunde liegenden Verwaltungsakts ein regelungsfähiges Rechtsverhältnis gegeben, da nicht auszuschließen ist, dass das Ergebnis des Verfahrens nach § 44 SGB X die Aufhebung und Änderung dieses Verwaltungsaktes ist (vgl. Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 29. August 2016 – L 8 AS 675/16 B ER –, juris Rn. 20; Burkiczak, jurisPK-SGG, § 86b Rn. 340; Hölzer, info also 2010, 99 (102 f.)).

Gegen die Ablehnung der Änderung des Bescheides vom 8. Oktober 2019 mit Bescheid vom 30. Januar 2020, eingegangen bei der Bevollmächtigten am 3. Februar 2020, legte die Antragstellerin am 3. März 2020 fristgerecht Widerspruch ein.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist aber nur teilweise begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 und 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist damit, dass der Antragsteller einen materiell-rechtlichen Leistungsanspruch in der Hauptsache hat (Anordnungsanspruch) und es ihm nicht zuzumuten ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund). Nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sind der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund glaubhaft zu machen.

Diese Anforderungen sind im Lichte der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) zu konkretisieren (zum Folgenden: BVerfG, Beschluss vom 6. August 2014 – 1 BvR 1453/12 –, juris, Rn. 10 m.w.N.). Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen. Ist eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich - etwa weil es dafür weiterer, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu verwirklichender tatsächlicher Aufklärungsmaßnahmen bedürfte -, ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes dann auf der Grundlage einer Folgenabwägung erfolgt. Übernimmt das einstweilige Rechtsschutzverfahren allerdings vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens und droht eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung der Beteiligten, müssen die Gerichte bei den Anforderungen an die Glaubhaftmachung zur Begründung von Leistungen zur Existenzsicherung in den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG Rechnung tragen. Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung haben sich am Rechtsschutzziel zu orientieren, das mit dem jeweiligen Rechtsschutzbegehren verfolgt wird.

Dieser Anordnungsanspruch ergibt sich allerdings entgegen der Rechtsauffassung des Sozialgerichts noch nicht aus der früheren Bewilligung vom 12. März 2019 (Bl. 184 der Verwaltungsakte), die nach Auffassung des Sozialgerichts als unbefristeter Verwaltungsakt am Maßstab der §§ 45 ff. SGB X durch den Bescheid vom 26. März 2019 und die später ergangenen Bescheide nicht wirksam abgeändert worden sein soll.

Der Bewilligungsbescheid vom 12. März 2019 wurde vom Antragsgegner wirksam bis Ablauf des 31. August 2019 befristet, so dass er für den streitgegenständlichen Zeitraum ab 3. März 2020 keine Wirkung mehr entfaltet.

Ob und in welchem Umfang eine Leistungsbewilligung einen Dauerverwaltungsakt darstellt, ist durch Auslegung am Maßstab des objektiven Empfängerhorizonts zu ermitteln (vgl. zum objektiven Empfängerhorizont BSG, Urteil vom 27. Mai 2014 – B 8 SO 26/12 R –, juris Rn. 16). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der der Senat folgt, kann der objektive Regelungsgehalt eines Bescheids im Bereich des AsylbLG zeitlich auf einen Monat beschränkt sein, wenn die Bewilligung z.B. "ab dem 1. Juli 2003" bewilligt, die Bewilligung aber auf den Monat beschränkt mit dem folgenden Zusatz versehen ist: "Werden aufgrund gleich gebliebener Verhältnisse Leistungen für künftige Zeiträume durch Überweisung bewilligt, entsprechen die Berechnung und Festsetzung der Einzelansprüche denen des vorliegenden Bescheides" (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R, Rn. 11; mit der die Rechtsauffassung aus BSG, Urteil vom 8. Februar 2007 – B 9b AY 1/06 R – teilweise aufgegeben wurde). Die Bewilligung für die Folgemonate erfolgt dann monatsweise nicht schriftlich, sondern nach § 33 Abs. 2 SGB X auf andere Weise jeweils konkludent durch Überweisung (BSG a.a.O.). Der erkennende Senat hat zudem bereits entschieden, dass eine Formulierung wie "Die festgesetzte Hilfe wird grundsätzlich für einen Monat bewilligt. Zahlungen, die dieser Bewilligung folgen, stellen eine Neubewilligung dar", für eine monatsweise Bewilligung spricht (Beschluss vom 21. September 2018 – L 4 AY 10/18 B ER). Bei einer solchen Vorgehensweise ist in prozessualer Hinsicht zu beachten, dass die Bewilligungsbescheide, die vor Erlass des Widerspruchsbescheids über den ersten Bescheid ergehen und Folgezeiträume betreffen, in entsprechender Anwendung des § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens werden (BSG, Urteil vom 9. Dezember 2016 – B 8 SO 14/15 R –, juris Rn. 11). Demgegenüber ist die Bezeichnung eines Bescheides als "Änderungsbescheid" ein Umstand, der für einen Dauerverwaltungsakt sprechen kann (Senatsbeschlüsse vom 18. Juni 2019, – L 4 SO 107/19 B ER –, vom 23. März 2017 – L 4 SO 36/17 B ER und L 4 SO 37/17 B ER –). Die Formulierung "bis auf weiteres" ohne eine weitere einschränkende Formulierung spricht auch dann für einen Dauerverwaltungsakt, wenn lediglich eine Berechnung oder eine Bezifferung für einen bestimmten Leistungsmonat genannt wird.

Unter Anwendung dieser Grundsätze war der Bewilligungsbescheid vom 12. März 2019 zwar ein Dauerverwaltungsakt, der indes bis zum 31. August 2019 befristet war. Auf Seite 1 des Bescheides (Bl. 184 der Verwaltungsakte) findet sich nach der Bezifferung des Anspruchs für den Monat April 2019 und der Aufhebung bisheriger Bescheide im Fettdruck unter "Wichtige Hinweise" die Formulierung: "Aufgrund der Vorlage ihrer verlängerten Aufenthaltsgestattung, gültig bis 31.08.2019 wurden ihre Leistungen bis 31.08.2019 befristet. Damit ihre Leistungen über den 31.08.2019 hinaus gewährt werden können, empfehlen wir ihnen, uns rechtzeitig ihren verlängerten Ausweis vorzulegen". Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ergibt sich aus dem letzten Satz unmissverständlich, dass die Gewährung von Leistungen ab September 2019 einer neuen Verwaltungsentscheidung vorbehalten sein sollte und gerade nicht unter der aufschiebenden Bedingung einer fortgesetzten Gestattung u.ä. bewilligt wurde. Es kann allerdings auch nicht der Auffassung des Antragsgegners gefolgt werden, dass seine Allgemeinen Hinweise, die dem Bescheid als Anlage beigefügt werden, wonach die Leistungen nur für einen Monat gewährt werden, einer Auslegung als Dauerverwaltungsakt entgegenstehen soll. In der Anlage findet sich eine Vielzahl von Hinweisen, die nicht auf jede Leistungsbewilligung zutreffen. Am objektiven Empfängerhorizont handelt es sich – wie auch in der Überschrift so bezeichnet – um allgemeine Hinweise, die eine ausdrückliche abweichende Regelung im Detail, nämlich hier auf Seite 1 des Bescheides, von vornherein nicht relativieren können. Von Bedeutung für die Auslegung können dies allgemeinen Hinweise in einer Anlage zum Bescheid allenfalls dann sein, wenn keine anderen besonderen Anhaltspunkte zur Ermittlung der Bewilligungsdauer zur Verfügung stehen.

Daher kann sich ein Anordnungsanspruch allein aus § 2 AsylbLG herleiten, der Gegenstand eines regelungsfähigen Rechtsverhältnisses vom Tag der Antragstellung am 3. März 2020 bis Ende März 2020 ist, da die als Dauerverwaltungsakt für den Zeitraum 1. Oktober 2019 bis 31. März 2020 auszulegende Leistungseinschränkung und –bewilligung mit Bescheid vom 8. Oktober 2019 (Bl. 219 der Verwaltungsakte) Gegenstand eines noch nicht bestandskräftig abgeschlossenen Überprüfungsverfahrens ist.

Offenbleiben kann, ob der eingangs genannte Maßstab bei einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 SGB X wieder zu verschärfen ist (vgl. die zur Zulässigkeit genannten Nachweise). Denn der Senat ist am Maßstab der Prüftiefe des Hauptsacheverfahrens vom Bestehen eines Anordnungsanspruchs für den Monat März 2020 überzeugt.

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch nach § 2 AsylbLG. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG in der seit 1. Januar 2020 geltenden Fassung sind abweichend von den §§ 3 und 4 sowie 6 bis 7 das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch und Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 18 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.

§ 2 AsylbLG ist anwendbar. Der Anwendung steht für den hier streitgegenständlichen Zeitraum nicht § 1 Abs. 4 AsylbLG entgegen, da die Antragstellerin jedenfalls bis 29. April 2020 in Besitz einer Aufenthaltsgestattung war, wie aus einer Kopie in den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners hervorgeht. Sie gehört daher zum Personenkreis des § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG, der nicht dem Anspruchsausschluss des § 1 Abs. 4 AsylbLG unterfällt.

Die am 8. April 2014 in die Bundesrepublik Deutschland eingereiste Antragstellerin hält sich unstreitig seit mehr als 18 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet auf, insoweit verweist der Senat auf die den beigezogenen Verwaltungsvorgängen zu entnehmenden Ermittlungen des Antragsgegners, die zur früheren, o.g. Leistungsbewilligung nach § 2 AsylbLG geführt haben.

Sie hat die Dauer ihres Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst.

Der Begriff des Rechtsmissbrauchs enthält eine objektive - den Missbrauchstatbestand - und eine subjektive Komponente - das Verschulden - (zum Folgenden ausf: BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R – juris Rn. 32 ff.). Diesem Tatbestandsmerkmal des § 2 AsylbLG liegt der Gedanke zu Grunde, dass niemand sich auf eine Rechtsposition berufen darf, die er selbst treuwidrig herbeigeführt hat. In objektiver Hinsicht setzt der Rechtsmissbrauch ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten voraus (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R – juris Rn. 33). Dabei genügt angesichts des Sanktionscharakters des § 2 AsylbLG nicht schon jedes irgendwie zu missbilligende Verhalten. Nur ein Verhalten, das unter jeweiliger Berücksichtigung des Einzelfalls, der besonderen Situation eines Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland und der besonderen Eigenheiten des AsylbLG unentschuldbar ist (Sozialwidrigkeit), führt zum Ausschluss von Analog-Leistungen. Die Gesetzesbegründung führt insoweit beispielhaft die Vernichtung des Passes (BT-Drucks 15/420, S 121) als typische Fallgestaltungen eines Rechtsmissbrauchs an, es sei denn, sie wären ihrerseits eine Reaktion auf oder eine vorbeugende Maßnahme gegen objektiv zu erwartendes Fehlverhalten des Staates. Nicht hinreichend ist die bloße Ausnutzung einer Verfahrensposition durch Nichtausreise. So liegt nicht in dem Nichtausreisen des Ausländers trotz (formaler) Ausreisepflicht (Duldung) ein Rechtsmissbrauch, sondern unter Umständen in den Gründen, die hierzu geführt haben. Der Aufenthaltsstatus (Duldung) ist für die Beantwortung der Frage, ob der Ausländer seinen Aufenthalt rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat, unerheblich. Hat der Ausländer diese Gründe zu vertreten, hat er also insoweit selbst Einfluss auf das Geschehen genommen, kann nur deshalb, nicht aber wegen bestehender Ausreisepflicht, ein Rechtsmissbrauch bejaht werden. Zwischen dem Verhalten des Ausländers und der Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes bedarf es nach dem Gesetzeswortlaut zwar einer kausalen Verknüpfung. Allerdings reicht grundsätzlich eine typisierende, also generell-abstrakte Betrachtungsweise hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen dem vorwerfbaren Verhalten und der Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes aus (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R – juris Rn.42), es ist also kein Kausalzusammenhang im eigentlichen Sinn erforderlich. Dies bedeutet, dass jedes von der Rechtsordnung missbilligte Verhalten, das - typisierend - der vom Gesetzgeber missbilligten Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes dienen kann, ausreichend ist, um die kausale Verbindung zu bejahen.

Ein solches Verhalten legt der Antragsgegner der Antragstellerin gar nicht zur Last; es ist auch aus den Verwaltungsakten nicht zu entnehmen. Der dem Antrag nach § 44 SGB X zugrundeliegende Bescheid vom 8. Oktober 2019 stellt allein darauf ab, dass der Antragstellerin bereits in Malta im Jahr 2013 internationaler Schutz (subsidiärer Schutz) gewährt worden sei. Weiterhin habe die Antragstellerin angegeben, dass sie zwar in Malta einen Asylantrag gestellt habe, Malta nach ihren Angaben aber vor der Entscheidung hierüber verlassen habe, während nach den Informationen des Antragsgegners die Entscheidung der maltesischen Behörden am 7. September 2013 erfolgt sei, die Einreise nach Deutschland am 8. April 2014 erfolgt sei. Weiterhin habe die Antragstellerin mitgeteilt, dass sie in Malta zu wenig finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt bekommen habe. Diesen Umständen ist kein objektiv zu missbilligendes, unentschuldbares Verhalten zu entnehmen. Die bloße Einreise trotz Schutzes in Malta und das Hiersein weisen ein solchen Unwertgehalt nicht auf. Auch ökonomische Motive der Einreise sind im Rahmen des § 2 AsylbLG nicht hinreichend. Selbst wenn die Antragstellerin unrichtige Angaben über den Erhalt der maltesischen Entscheidung über ihren Asylantrag gemacht haben sollte, was aufgrund des von der Antragsgegnerin ermittelten Sachverhalts nicht feststeht, so steht einer rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung entgegen, dass diese Aussage folgenlos für die Aufenthaltsdauer sein dürfte, denn die Antragstellerin hat wahrheitsgemäß angegeben, dass sie in Malta einen Asylantrag gestellt hat. Es ist nach dem Kenntnisstand des Senats über die asyl- und aufenthaltsrechtliche Verwaltungspraxis insbesondere nicht erkennbar, dass eine Abschiebung in einen anderen EU-Mitgliedstaat schneller durchgeführt wird als eine Überstellung nach der VO (EU) Nr. 604/2013, sollte das Bundesamt für Migration und Flüchtling zu der Fehlvorstellung gelangt sein, dass die Antragstellerin wegen eines dort noch nicht abgeschlossenen Verfahrens zu überstellen gewesen wäre.

Der Antragsgegner geht vielmehr davon aus, dass § 1a Abs. 4 AsylbLG neben § 2 AsylbLG anwendbar ist oder § 2 AsylbLG verdrängt. Nach § 1a Abs. 4 Satz 1 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 1, 1a oder 5, für die in Abweichung von der Regelzuständigkeit nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31) nach einer Verteilung durch die Europäische Union ein anderer Mitgliedstaat oder ein am Verteilmechanismus teilnehmender Drittstaat, der die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 anwendet, zuständig ist, ebenfalls nur eingeschränkte Leistungen entsprechend § 1a Abs. 1 AsylbLG. Nach dem von dem Antragsgegner herangezogenen § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG gilt dies entsprechend für Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder 1a, denen bereits von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder von einem am Verteilmechanismus teilnehmenden Drittstaat im Sinne von Satz 1 (1.) internationaler Schutz oder (2.) aus anderen Gründen ein Aufenthaltsrecht gewährt worden ist, wenn der internationale Schutz oder das aus anderen Gründen gewährte Aufenthaltsrecht fortbesteht.

Bereits aus Gründen der Systematik und nach Sinn und Zweck ist diese Norm nicht neben § 2 AsylbLG anwendbar und verdrängt auch nicht § 2 AsylbLG. Zudem übersieht der Antragsgegner, dass § 1a Abs. 4 AsylbLG einer verfassungskonformen Auslegung bedarf.

Im Einzelnen:

§ 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG ist nicht anwendbar, wenn die maßgebliche Gewährung des Schutzes durch einen anderen Staat solange zurückliegt, dass danach die Voraussetzungen des § 2 AsylbLG verwirklicht wurden. Das Verhältnis von § 1a AsylbLG zu § 2 AsylbLG ist umstritten (zum Streitstand ausf. Oppermann/Filges in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 2 AsylbLG Rn. 16, 152 (Stand: 26. April 2020); SG Landshut, Beschluss vom 28. Februar 2018 - S 11 AY 66/18 ER - juris Rn. 107). Nach Auffassung des Senats kann aus der Rechtsfolgenverweisung in § 2 AsylbLG auf das SGB XII zwar nicht auf einen pauschalen Anwendungsausschluss des § 1a AsylbLG geschlossen werden, wie schon der Wortlaut des § 1a Abs. 1 AsylbLG zeigt. Allerdings muss das Verhältnis der Normen zueinander auch anhand des Zwecks des § 2 AsylbLG bestimmt werden, der wiederum durch die Novellierung zur Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11BVerfGE 132, 134 geprägt ist. Die Frist des § 2 AsylbLG wurde durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes vom 10. Dezember 2014 (BGBl. I 2014, 2187) in eine bloße Wartefrist umgewandelt und erheblich verkürzt, freilich zwischenzeitlich wieder verlängert. Hierzu wurde in der Gesetzesbegründung ausgeführt: "Nach dem Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2012 sind für die Höhe der Leistungen nach den §§ 3 ff. alle existenznotwenigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf zu bemessen. Leistungsunterschiede zwischen den Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG und Leistungsberechtigten nach dem SGB II und XII sind nur gerechtfertigt, wenn und soweit unterschiedliche Bedarfssituationen der beiden Gruppen festgestellt und begründet worden sind. Die Bedarfssituation der Leistungsberechtigten ist sowohl für die Bedarfsbemessung als auch für die Bedarfsgewährung maßgeblich. § 2 Absatz 1 legt u. a. den Zeitpunkt fest, ab dem eine Bedarfssituation vorliegt, die mit der anderer Leistungsberechtigter vergleichbar ist, weshalb Leistungen entsprechend dem SGB XII zu gewähren sind" (BT-Drs. 18/2592). Mit dieser gesetzgeberischen Zielsetzung wäre es unvereinbar, wenn für die Bedarfssituation irrelevante Umstände (die Schutzgewährung in einem anderen Staat), die zeitlich vor der Erfüllung der Wartefrist liegen, zur Unanwendbarkeit der Norm führen würden. Zudem ist nach den aufenthaltsrechtlichen Zielsetzungen, die § 1a Abs. 4 AsylbLG zugrunde liegen, keine weite Auslegung dieser Norm geboten, da die Überstellung nach der Ratio der VO (EU) Nr. 604/2013 zeitnah erfolgen soll und auch Abschiebungen in den Staat, der internationalen Schutz gewährt hat (vgl. § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG), wegen der Unzulässigkeit des hiesigen Asylantrages grundsätzlich ebenfalls zeitnah nach Einreise möglich sein dürften. Hinzukommt, dass bei fortbestehender Aufenthaltsgestattung der Personenkreis des § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG keine konkrete Perspektive der Aufenthaltsbeendigung besteht, so dass anders als z.B. bei § 1a Abs. 1 AsylbLG überhaupt kein Grund besteht, den Bezug von Leistungen nach § 2 AsylbLG wegen einer veränderten Bedarfssituation zu beenden. Der Umstand einer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland vor vielen Jahren bei bestehendem Schutz eines anderen Staates verändert die gegenwärtige Bedarfssituation nicht. Nach alledem endet die Anwendbarkeit des § 1a Abs. 4 AsylbLG jedenfalls für den Personenkreis des § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG, wenn die Voraussetzungen für Leistungen nach § 2 AsylbLG erfüllt sind.

Zudem ist § 1a Abs. 4 AsylbLG eng auszulegen, so dass unabhängig von den vorgenannten Erwägungen seine Voraussetzungen ab 17. März 2020 nicht mehr vorliegen. Sofern man auf der Basis des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 –, juris Rn. Rn. 121, 123 ff., 130 f, trotz der repressiven Zielsetzung von § 1a Abs. 4 AsylbLG überhaupt von der Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung ausgeht, ist als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal erforderlich, dass dem Betroffenen die Rückkehr in das schutzgewährende Land im maßgeblichen Zeitraum aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen möglich und zumutbar ist (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 19. November 2019 – L 8 AY 26/19 B ER –, juris Rn. 17; in diese Richtung auch Bayerisches LSG, Beschluss vom 8. Juli 2019 - L 18 AY 21/19 B ER - juris Rn. 34; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11. Juni 2019 - L 8 AY 5/19 B ER - juris Rn. 33; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 14. Mai 2019 - L 7 AY 1161/19 ER-B – juris Rn. 16 ff.).

Hieran bestehen für die Möglichkeit einer Rückkehr nach Malta im März 2020 angesichts der COVID-19-Pandemie am Maßstab des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes jedenfalls für die zweite Monatshälfte durchgreifende Zweifel. Der reguläre Flug- und Fährverkehr nach Malta wurde im Laufe des März 2020 eingestellt. Eine Reise dürfte zudem wegen der ab 17. März 2020 geltenden Reisebeschränkungen für Nicht-EU-Bürger und der jeweiligen Quarantänebedingungen unmöglich gewesen sein.

Die Erfüllung der Voraussetzungen für andere Anspruchseinschränkungen, auf die sich der Antragsgegner nicht beruft und zu denen er die Antragstellerin nicht angehört hat, sind am Maßstab der Prüftiefe des Eilverfahrens nicht ersichtlich. Zur Vermeidung von Folgestreitigkeiten wird der Antragsgegner hinsichtlich § 1a Abs. 2 AsylbLG auf den Senatsbeschluss vom 31. März 2020 – L 4 AY 4/20 B ER –, juris, hingewiesen.

Die einstweilige Anordnung war wie geschehen zu begrenzen, da die Befristung der abgesenkten Bewilligung mit Bescheid vom 8. Oktober 2019 bis zum 31. März 2020 auch den Streitgegenstand des hiesigen Verfahrens begrenzt. Die Antragstellerin hat auch nicht erstinstanzlich weitere Anträge oder Widersprüche bezüglich des Leistungszeitraumes ab 1. April 2020 glaubhaft gemacht, weshalb der erstinstanzliche Antrag auch nicht als Antragshäufung ausgelegt werden kann. Da die Reichweite der früheren Bewilligungen und damit auch der Streitgegenstand des hiesigen Verfahrens der wesentliche Streitpunkt zwischen den Beteiligten war, bedurfte es insoweit keines richterlichen Hinweises.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Der Senat hat von einer Änderung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung abgesehen, da auch im Falle einer zutreffenden Entscheidung des Sozialgerichts angesichts der Formulierung des Antrages in der Antragsschrift vom 3. März 2020 erstinstanzlich die vollständige Erstattung der außergerichtlichen Kosten dem Grunde nach angemessen gewesen wäre.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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