L 2 AS 202/20 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 26 AS 556/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AS 202/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 20. April 2020 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu tragen.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens streitig, ob der Antragsteller im Zeitraum vom 6. April bis zum 31. August 2020 einen Anspruch auf vorläufige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) hat.

Der 1970 geborene Antragsteller ist ungarischer Staatsbürger und reiste wahrscheinlich im Juni 2016 (nach eigenen Angaben im August 2016 – gemeldet am 1. August 2016) in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er bewohnt eine 34,66 qm große Mietwohnung, für die er 173 EUR Grundmiete, 54 EUR Betriebskostenvorauszahlung und 42 EUR Heiz- und Warmwasserkostenvorauszahlung aufzubringen hat. Aktuell sind Mietrückstände aufgelaufen. Nennenswertes Vermögen des Antragstellers ist nicht bekannt.

Der Antragsteller war als Maler bei der C. GmbH wie folgt abhängig beschäftigt:
- 15. Juni bis 5. Dezember 2016
- 3. bis 28. April 2017
- 14. April bis 31. Dezember 2018 (8 Monate, 17 Tage)
- 1. April bis 20. August 2019 (4 Monate, 19 Tage).

Aus dem letzten Arbeitsverhältnis erzielte der Antragsteller bei einer Arbeitszeit von 35 Stunden pro Woche im Monat Juli ein Entgelt i.H.v. 1.109,20 EUR und im Monat August 2019 i.H.v. 1.113,86 EUR netto. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund der Probezeitkündigung des Arbeitgebers vom 5. August 2019. Die Bundesagentur für Arbeit stellte mit Schreiben vom 4. Dezember 2019 den unfreiwilligen Verlust des Arbeitsplatzes fest. Hintergrund war die durch einen Privatunfall am 4. August 2019 entstandene Arbeitsunfähigkeit des Antragstellers. Die A. bewilligte ihm Krankengeld bis zum 8. Oktober 2019. Seit dem 12. Dezember 2019 ist er nach Auskunft der Krankenkasse gegenüber dem Antragsgegner vom selben Tag wieder arbeitsfähig.

Am 13. August 2019 stellte der Antragsteller bei dem Antragsgegner einen Leistungsantrag. Hierauf bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 9. Dezember 2019 vorläufig Leistungen für den Zeitraum vom 1. August 2019 bis zum 31. Januar 2020, die er mit Bescheid vom 1. April 2020 endgültig festsetzte.

Auf seinen Weiterbewilligungsantrag vom 11. Februar 2020 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller mit Bescheid vom 4. März 2020 Leistungen für den Zeitraum vom 1. bis 20. Februar 2020. Die Befristung begründete er mit dem Ende des Arbeitnehmerstatus und des Aufenthalts ausschließlich zur Arbeitsuche in der Folgezeit.

Am 20. März 2020 stellte der Antragsteller erneut einen Weiterbewilligungsantrag. Mit Bescheid vom 25. März 2020 lehnte der Antragsgegner diesen Antrag für den Zeitraum vom 1. März bis zum 31. August 2020 ab und führte zur Begründung aus, der Antragsteller halte sich allein zum Zweck der Arbeitsuche in Deutschland auf.

Hinsichtlich der Ablehnung ab dem 21. Februar 2020 (Bescheid vom 4. März 2020) erhob der Antragsteller am 20. März 2020 Widerspruch, den der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 25. März 2020 als unbegründet zurückwies. Hiergegen erhob der Antragsteller vor dem Sozialgericht Halle (SG) am 6. April 2020 Klage (S 26 AS 557/20).

Gegen den Ablehnungsbescheid vom 25. März 2020 erhob der Antragsteller am 2. April 2020 Widerspruch und berief sich auf ein Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 3 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern – Freizügigkeitsgesetz/EU – (FreizügG/EU). Diesen Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 3. April 2020 als unbegründet zurück. Hiergegen hat der Antragsteller am 8. April 2020 ebenfalls Klage vor dem SG erhoben (S ...).

Bereits am 6. April 2020 hat der Antragsteller beim SG um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und zur Begründung ausgeführt, es bestehe ein Freizügigkeitsrecht aus § 2 Abs. 3 Nr. 1 und 2 FreizügG/EU. Er verfüge über kein Einkommen und sein Girokonto sei aufgrund einer Pfändung der A. blockiert. Der Antragsgegner hat erwidert, der Antragsteller habe keine einjährige Beschäftigung von nicht nur untergeordneter Bedeutung ausgeübt, sondern letztmalig nur vom 1. April bis zum 20. August 2019 gearbeitet. Zu den früheren Beschäftigungen könne kein Zusammenhang hergestellt werden, da mehrere Monate zwischen ihnen gelegen hätten. Eine Berufung auf § 2 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FreizügG/EU scheide aus, weil der Antragsteller nur bis zum 20. August 2019 tatsächlich Arbeitnehmer gewesen sei. Hieran habe sich lediglich eine fiktive und vom Gesetz angenommene Arbeitnehmereigenschaft angeschlossen. Außerdem sei der Antragsteller wieder arbeitsfähig.

Das SG hat mit Beschluss vom 20. April 2020 den Antragsgegner verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum vom 6. April bis zum 31. August 2020 zu gewähren. Dabei hat es dem Antragsgegner nachgelassen, die Leistungen zur Deckung des Bedarfs für Unterkunft und Heizung unmittelbar an den Vermieter des Antragstellers zu zahlen. Das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 13. Juli 2017 – B 4 AS 17/16 R –, SozR 4-4200 § 7 Nr 54) habe entschieden, dass § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 FreizügG/EU keine ununterbrochene Tätigkeit von mehr als einem Jahr voraussetze. Für den vorliegenden Fall könne man der Entscheidung nicht entnehmen, dass die Unterbrechung schädlich sei. Zwar habe das BSG erwogen, dass eine Tätigkeitsdauer von mehr als einem Jahr nicht erreicht werde, wenn bei Unterbrechungen es eher zufällig zu dieser Dauer gekommen sei. Dies sei im vorliegenden Fall jedoch gerade nicht anzunehmen. Die Kammer halte die Unterbrechung für drei Monate vielmehr für unschädlich. Nicht relevant sei, aus welchen Gründen das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2018 geendet habe, da es für die Unfreiwilligkeit nur auf das letzte Arbeitsverhältnis vor der Arbeitslosigkeit ankomme. Könne sich der Antragsteller demnach auf das Freizügigkeitsrecht berufen könne dahinstehen, ob dieses auf die Dauer von insgesamt zwei Jahren zeitlich begrenzt sei, was in der Literatur vertreten werde. Denn zwei Jahre würden während des streitigen Zeitraums nicht verstrichen sein.

Der Antragsgegner hat gegen den ihm am 27. April 2020 zugestellten Beschluss am 15. Mai 2020 Beschwerde erhoben und zur Begründung vorgetragen, nach der Rechtsprechung des BSG sei lediglich eine Unterbrechung von ca. zwei Wochen unschädlich. Wenn wie hier mehr als zwei Monate zwischen den Beschäftigungsverhältnissen lägen, sei die Tatbestandsvoraussetzung des Freizügigkeitsrechts nicht erfüllt. Von lediglich kurzfristigen Unterbrechungen könne vorliegend nicht die Rede sein.

Der Antragsgegner beantragt,

den Beschluss des SG vom 20. April 2020 aufzuheben und den Antrag insge- samt abzulehnen.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er erwidert, es sei zu berücksichtigen, dass die letzten, wie auch die vormaligen Arbeitsverhältnisse ausschließlich mit demselben Arbeitgeber bestanden hätten. Unrichtig sei die Auffassung, nach welcher nur Unterbrechungen von bis zu zwei Wochen unschädlich sein sollten. Das BSG habe diese Frage ausdrücklich offengelassen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts-und Verwaltungsakten verwiesen, die Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung gewesen sind.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des SG hat keinen Erfolg.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen. Denn in der Hauptsache bedürfte die Berufung keiner Zulassung, weil der Wert des Beschwerdegegenstands den Betrag von 750,00 EUR übersteigt, §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Der Antragsgegner wendet sich gegen die Verpflichtung zur vorläufigen Zahlung von SGB II-Leistungen für die Zeit vom 6. April bis zum 31. August 2020.

Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Der angefochtene Beschluss des SG ist nicht zu beanstanden. Die einstweilige Anordnung ist zu Recht ergangen.

1.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 und 4 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die §§ 920, 921, 923, 926, 928, 929 Abs. 1 und 3, die §§ 930 bis 932, 938, 939 und 945 Zivilprozessordnung (ZPO) gelten entsprechend. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO stets die Glaubhaftmachung des Vorliegens eines Anordnungsanspruchs (eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) und eines Anordnungsgrunds (der Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile).

Ein Anordnungsanspruch ist dann gegeben, wenn eine Vorausbeurteilung der Hauptsache nach summarischer Prüfung ergibt, dass das Obsiegen eines Antragstellers in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist. Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) stellt aber besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Umso gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat insofern die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen. Ist eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich – etwa weil es dafür weiterer, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu verwirklichender tatsächlicher Aufklärungsmaßnahmen bedürfte –, ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auf der Grundlage einer Folgenabwägung getroffen wird (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Kammerbeschluss vom 14. März 2019 - 1 BvR 169/19 - juris, Rn. 15, 16 m.w.N).

Der Antragsteller hat das Vorliegen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Vorliegend ist bei summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache ein Leistungsanspruch des Antragstellers nach dem SGB II für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum zumindest nicht unwahrscheinlich.

Der Antragsteller erfüllt die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II, was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist.

Der Antragsteller ist auch nicht gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Insbesondere ist nicht wahrscheinlich, dass ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2b SGB II gegeben ist, weil sich sein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Aus dem Wortlaut der Regelung ("Aufenthaltsrecht ( ) allein aus dem Zweck der Arbeitsuche") ergibt sich, dass der Leistungsausschluss von vornherein nicht eingreift, wenn sich ein Ausländer auf ein anderes Aufenthaltsrecht als das zum Zweck der Arbeitsuche berufen kann. Aus dem Aufbau der Norm ist abzuleiten, dass positiv festgestellt werden muss, dass ein Ausländer sich allein zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, denn nur dann kann auch der Leistungsausschluss festgestellt werden (BSG, Urteil vom 25. Januar 2012 – B 14 AS 138/11 R –, SozR 4-4200 § 7 Nr 28, Rn. 20).

Wie das SG zutreffend festgestellt hat, hält sich der Antragsteller nicht allein zum Zweck der Arbeitsuche in Deutschland auf.

Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU sind unter anderem Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt, die sich im Bundesgebiet als Arbeitnehmer aufhalten wollen. Der Begriff des Arbeitnehmers in § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU ist europarechtlich geprägt. Arbeitnehmer ist jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Für die Gesamtbewertung der Ausübung einer Tätigkeit als Beschäftigung und damit die Zuweisung des Arbeitnehmerstatus ist Bezug zu nehmen insbesondere auf die Arbeitszeit, den Inhalt der Tätigkeit, eine Weisungsgebundenheit, den wirtschaftlichen Wert der erbrachten Leistung, die Vergütung als Gegenleistung für die Tätigkeit, den Arbeitsvertrag und dessen Regelungen sowie die Beschäftigungsdauer. Nicht alle einzelnen dieser Merkmale müssen schon je für sich die Arbeitnehmereigenschaft zu begründen genügen; maßgeblich ist ihre Bewertung in einer Gesamtschau. Der Gesamtbewertung ist mit Rücksicht auf einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ein weites Verständnis zugrunde zu legen (BSG, Urteil vom 12. September 2018 – B 14 AS 18/17 R –, Rn. 19 - 20, juris, m.w.N.). Hieran gemessen war der Antragsteller nach seinen bisherigen Beschäftigungen und den daraus erzielten Verdiensten im Vorfeld des hier streitigen Bewilligungszeitraums Arbeitnehmer gewesen. Denn er hat für die C. GmbH als Maler gearbeitet, zuletzt 35 Stunden pro Woche. Dies ist zwischen den Beteiligten ebenfalls unstreitig.

Gemäß § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 FreizügG/EU bleibt für Arbeitnehmer das Freizügigkeitsrecht unberührt bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach mehr als einem Jahr Tätigkeit. Der Antragsteller war vom 14. April bis 31. Dezember 2018 (8 Monate, 17 Tage) und vom 1. April bis 20. August 2019 (4 Monate, 19 Tage) insgesamt mehr als ein Jahr lang tätig, bevor er arbeitslos geworden ist. Die Bundesagentur für Arbeit stellte den unfreiwilligen Verlust des Arbeitsplatzes mit Schreiben vom 4. Dezember 2019 fest. Hintergrund war die durch einen Privatunfall verursachte Arbeitsunfähigkeit des Antragstellers. Nicht relevant ist – wie das SG zutreffend angenommen hat –, aus welchen Gründen das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2018 endete, da es für die Unfreiwilligkeit nur auf das letzte Arbeitsverhältnis vor der Arbeitslosigkeit ankommt.

Die dreimonatige Unterbrechung vom 1. Januar bis zum 31. März 2019 ist unschädlich. Für die Annahme, dass ein fortwirkendes Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU erst nach ununterbrochener Tätigkeit von mehr als einem Jahr vorliegt, ergeben sich aus dem Gesetzeswortlaut keine hinreichenden Anhaltspunkte (vgl. Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 7, Rn. 106). Mit der Wendung "nach mehr als einem Jahr Tätigkeit" ist nach der Rechtsprechung des BSG ein deutlich weiterer Sachverhalt erfasst, der nicht auf das Merkmal einer durchgängigen Tätigkeit eingeengt werden kann. Der Gesetzestext hebe in diesem weiteren Sinne auf einen Durchlauf von Beschäftigungsmonaten und nicht auf aneinandergereihte Kalendermonate ab (BSG, Urteil vom 13. Juli 2017 – B 4 AS 17/16 R –, SozR 4-4200 § 7 Nr 54, Rn. 24 - 30). Auch der mit § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU verfolgte Zweck, einem genügend in den Arbeitsmarkt integrierten Arbeitnehmer das Freizügigkeitsrecht bei Eintritt unfreiwilliger Arbeitslosigkeit zu erhalten, erfordere keine ununterbrochene Beschäftigungsdauer von "mehr als einem Jahr", um in der gebotenen Weise sichergestellt zu sein (a. A.: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. Mai 2015 - 12 B 312/15 - juris Rn. 20). Das BSG sieht ausgehend von der vorgenannten Zielsetzung des Gesetzes nur dann einen Anlass die Frage nach einer schädlichen Unterbrechung aufzuwerfen, wenn in Addition zahlreicher kurzfristiger oder durch längere Zeiten unterbrochener Beschäftigungsverhältnisse es nur auf längere Sicht und "eher zufällig" zu einer Tätigkeit von "mehr als einem Jahr" gekommen ist (BSG, Urteil vom 13. Juli 2017 – B 4 AS 17/16 R –, SozR 4-4200 § 7 Nr. 54, Rn. 31; vgl. auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17. Dezember 2019 – L 25 AS 1831/18 – juris Rn. 32).

Im vorliegenden Eilverfahren legt der Senat – aufgrund der o.g. Maßstäbe – diese sozialgerichtliche Rechtsprechung zugrunde. Da der Antragsteller bei demselben Arbeitgeber, einem Personalüberlassungsunternehmen, insgesamt viermal tätig gewesen ist, ließ die dreimonatige Unterbrechung zwischen den beiden letzten Beschäftigungen, die zusammen eine Tätigkeit von mehr als einem Jahr umfassten, nicht auf seine fehlende Integration in den Arbeitsmarkt schließen. Ein Arbeitsverhältnis bestand mit weiteren Unterbrechungen vom 15. Juni 2016 bis zum 20. August 2019. Von einer eher zufällig erreichten Beschäftigungszeit von mehr als einem Jahr ist vor diesem Hintergrund nicht auszugehen. Für ein solches Beschäftigungsverhältnis bei einem Personalüberlassungsunternehmen sind derartige Unterbrechungen typisch. Dementsprechend mag es an einer durchgehenden Beschäftigung deshalb gefehlt zu haben, weil die Auftragslage des Arbeitgebers diese nicht ermöglicht hat.

Ob die Fortgeltung der Arbeitnehmereigenschaft einer festen zeitlichen Grenze unterliegt, war im vorliegenden Eilverfahren nicht zu entscheiden. Dem Gesetzeswortlaut lässt sich eine Grenze nicht entnehmen. Soweit vertreten wird, dass sie nach einem Zeitraum von zwei Jahren zu ziehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 13. Juli 2017 – B 4 AS 17/16 R –, SozR 4-4200 § 7 Nr. 54, Rn. 33 m.w.N.), kann darauf hingewiesen werden, dass dieser Zeitraum bis zum 31. August 2020 (Ende der getroffenen Regelungsanordnung) noch nicht abgelaufen sein wird.

2.

Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Er verfügt über kein Einkommen oder Vermögen, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Eilbedürftigkeit besteht bereits wegen der existenzsichernden Funktion der SGB II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes.

3.

Soweit das SG dem Antragsgegner nachgelassen hat, die Leistung zur Deckung des Bedarfs für Unterkunft und Heizung unmittelbar an den Vermieter zu zahlen, war keine Prüfung geboten, da nur der Antragsgegner Beschwerde erhoben hat. Daher bleibt es bei dieser einstweiligen Regelung des SG, die in Anbetracht der aufgelaufenen Mietrückstände auch angemessen erscheint, um eine Wohnungslosigkeit des Antragstellers zu vermeiden.

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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