L 2 AS 346/17

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 24 AS 1574/15
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AS 346/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 16. März 2017 und der Bescheid des Beklagten vom 9. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. März 2015 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, den Bescheid vom 11. November 2014 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 1. Dezember 2014 abzuändern und der Klägerin für den Monat Februar 2015 weitere 79,78 EUR zu gewähren.

Der Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Besuche ihres inhaftierten Lebensgefährten.

Die 1962 geborene Klägerin lebte allein in einer Wohnung in H ... Sie bezog laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Beklagten. Dieser hatte ihr zuletzt mit Bescheid vom 11. November 2014, geändert durch Änderungsbescheid vom 1. Dezember 2014, Arbeitslosengeld II für die Zeit von Dezember 2014 bis Mai 2015 bewilligt. Dieses betrug für den Monat Februar 2015 insgesamt 439,50 EUR. Dabei berücksichtigte der Beklagte als Bedarfe den Regelbedarf i.H.v. 399 EUR, einen Mehrbedarf wegen dezentraler Warmwassererzeugung i.H.v. 9,18 EUR und Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) i.H.v. 381,46 EUR sowie als bedarfsminderndes Einkommen eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung i.H.v. 380,14 EUR.

Die Klägerin unterhielt nach eigenen Angaben seit 1998 eine Beziehung zu Herrn Al. A ... Dieser befand sich seit August 2012 in Haft, zunächst in der Justizvollzugsanstalt (JVA) H., später in der JVA B., wo die Klägerin ihn regelmäßig besuchte. Im April 2014 hatte sie beim Beklagten erstmals einen – erfolglosen – Antrag auf Leistungen für die bei diesen Besuchen anfallenden Fahrkosten gestellt. Herr A. sei seit September 2013 in B. inhaftiert. Dort besuche sie ihn zweimal im Monat. Die Fahrstrecke von 250 km (Hin- und Rückfahrt) lege sie mit dem Pkw zurück. Aufgrund ihrer Einkommensverhältnisse sei es ihr aber nicht möglich, die Kosten selbst zu tragen. In der Vergangenheit habe sie keine entsprechenden Anträge gestellt, weil sie nicht gewusst habe, dass sie dafür Leistungen hätte erhalten können.

Unter dem 25. Februar 2015 beantragte die Klägerin beim Beklagten erneut Leistungen für die Fahrten zur JVA B., wo sie ihren Lebensgefährten am 5. und am 19. Februar 2015 besucht habe. Am 5. Februar seien Kosten i.H.v. 44,23 EUR angefallen, am 19. Februar solche i.H.v. 35,55 EUR. Entsprechende Tankquittungen fügte die Klägerin bei, außerdem Besuchsscheine der JVA.

Mit Bescheid vom 9. März 2015 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Die Klägerin sei in der Lage, die Kosten aus eigenen Kräften und Mitteln in vollem Umfang zu decken. Es lägen keine temporäre Bedarfsgemeinschaft und kein besonderer, unabweisbarer Bedarf nach den §§ 21, 24 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (Grundsicherung für Arbeitsuchende – SGB II) vor.

Den dagegen gerichteten Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2015 als unbegründet zurück. Der geltend gemachte Anspruch ergebe sich nicht aus § 21 Abs. 6 SGB II, weil die Fahrkosten keinen unabweisbaren Bedarf darstellten. Sie seien aus der Regelleistung zu bestreiten. Es handele sich nicht um Kosten, die durch die Wahrnehmung eines Umgangsrechts entstünden; vielmehr seien sie mit den Kosten von privaten Besuchen vergleichbar. Es liege auch kein unabweisbarer Bedarf i.S.v. § 24 SGB II vor.

Am 29 April 2015 hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Halle Klage erhoben und einen Anspruch auf weitere 79,78 EUR für den Monat Februar 2015 geltend gemacht. Sie unterhalte zu Herrn A. eine feste, eheähnliche Beziehung. Vor seinem Haftantritt hätten sie gemeinsam den Alltag verbracht, seien zusammen einkaufen gegangen und hätten gemeinsame Unternehmungen getätigt, wie es bei Paaren üblich sei. Sie hätten zwar in getrennten Wohnungen geschlafen. Diese hätten aber seit 2010 sehr nahe beieinander gelegen. Das getrennte Wohnen rechtfertige es nicht, ihre Beziehung als bloße Freundschaft anzusehen. Sie kümmere sich z.B. um die Behördenangelegenheiten des Herrn A., habe sein altes Mietverhältnis abgewickelt, die Einlagerung seines Mobiliars organisiert, sich später um neuen Wohnraum bemüht, seinen Zahlungsverkehr über ihr Konto erledigt und sich auch sonst um seine Angelegenheiten gekümmert. Vor seinem Haftantritt habe Herr A. ihr eine Generalvollmacht ausgestellt. Während eines Krankenhausaufenthalts im Herbst 2015 habe sie ihn nicht nur besucht, sondern auch mit der Stationsärztin seinen Gesundheitszustand und die weitere Behandlung besprochen. Auch den anschließenden Reha-Aufenthalt habe sie vorbereitet. Sie stehe zudem im ständigen Kontakt mit dem Psychologen und den Sozialarbeitern der JVA bezüglich des Langzeitbesuchs und des begleiteten Ausgangs des Herrn A ... Für den begleiteten Ausgang habe sie alle Kosten und die Verantwortung für den reibungslosen Ablauf übernommen. Sie selbst befinde sich aufgrund einer schweren Depression in ärztlicher Behandlung, und die Besuche bei ihrem Lebensgefährten trügen zu ihrer Genesung bei. Insoweit hat sie auf ein Attest des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. T. Ar. vom 14. April 2015 verwiesen.

Mit Urteil vom 16. März 2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen des § 24 SGB II lägen nicht vor, weil es der Klägerin um Leistungen nicht bloß für einen einmaligen Bedarf, sondern für regelmäßig wiederkehrende Besuche gehe. Näher liege deshalb ein Anspruch aus § 21 Abs. 6 SGB II. Auch dessen Voraussetzungen lägen aber nicht vor. Insoweit hat das SG darauf abgestellt, dass die Situation bei Lebensgefährten, die an verschiedenen Orten wohnten, nicht mit derjenigen eines Elternteils und eines von ihm getrennt lebenden Kindes zu vergleichen sei. Dem Gericht sei zwar bewusst, dass ein Aufrechterhalten der Beziehung, welche dem Anschein nach durchaus stabil sei, für beide Beteiligte von hoher Bedeutung sei. Es sei aber kein derart verstärkter grundrechtlicher Schutz gegeben, wie dies in den Fällen des Umgangsrechts mit eigenen Kindern der Fall sei. Deshalb vermöge das Gericht dem nachvollziehbaren Anspruch der Klägerin kein ausreichendes Gewicht beizumessen. Ergänzend hat das SG darauf hingewiesen, dass in den gesetzlichen Bestimmungen über den Strafvollzug zwar der Resozialisierungsgedanke betont werde, dass die zunehmende Zentralisierung der Unterbringung von Strafgefangenen dem aber nicht förderlich sei. Strafgefangene, deren Angehörige nur über beschränkte finanzielle Mittel verfügten, seien durch das Fehlen von finanziellen Unterstützungsleistungen bezüglich der Haftbesuche durchaus benachteiligt. Im Rahmen der SGB II-Leistungen lasse sich dieses Problem aber nicht lösen. Das SG hat die Berufung zugelassen. Das Urteil ist der Klägerin am 12. April 2017 zugestellt worden.

Mit ihrer am 8. Mai 2017 erhobenen Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie ist der Auffassung, dass bei ihr ein Sonderbedarf im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vorliege. Sie führe mit Herrn A. eine eheähnliche Gemeinschaft, die durch ein Einstands- und Verantwortungsgefühl geprägt sei. Sie kümmere sich um sämtliche Angelegenheiten des Herrn A ... Beispielhaft verweist sie auf die Beantragung von Wohngeld, die Regelung sämtlicher Mietangelegenheiten, die Korrespondenz mit dem Jobcenter, den Kontakt zur Krankenkasse und die Verwaltung seiner Finanzen. Zudem nutze sie jede Gelegenheit, Zeit mit ihm zu verbringen. Das getrennte Wohnen stehe der Annahme einer eheähnlichen Beziehung nicht entgegen. Vielmehr liege hier die Lebensform einer bilokalen Partnerschaft vor. Die beiden Partner lebten zwar in getrennten Haushalten; diese lägen sich aber unmittelbar gegenüber. Beide bekennen sich offen zu ihrer Paarbeziehung und würden in der Öffentlichkeit ohne Zweifel als Paar wahrgenommen. Bis zur Inhaftierung des Herrn A. hätten sie eine paarentsprechende Sexualität gepflegt. Weiter verweist die Klägerin darauf, dass nach Rechtsprechung des BVerfG soziale Kontakte wichtig seien, um das Resozialisierungsziel des Strafvollzugs zu erreichen.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des SG Halle vom 16. März 2017 zur Geschäftsnummer S 24 AS 1574/15 den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 9. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2015 zu verpflichten, ihr für Besuche bei ihrem Lebensgefährten in der JVA B. im Februar 2015 zusätzliche Leistungen in Höhe von 79,78 EUR, zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

In der Rechtsprechung sei ein Mehrbedarf zwar anerkannt worden, wenn Eheleute ungewollt getrennt lebten. Die Beziehung der Klägerin zu Herrn A. falle aber nicht unter den Schutz von Art. 6 Abs. 1. Grundgesetz (GG). Es liege auch keine Partnerschaft i.S.v. § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c SGB II vor. Die Resozialisierung von Strafgefangenen könne nicht mit Mitteln des SGB II finanziert werden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter als Einzelrichter einverstanden erklärt. Der Senat hat die Prozessakte des SG und die Verwaltungsakte des Beklagten beigezogen.

Entscheidungsgründe:

1. Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter als Einzelrichter entscheiden, weil die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2, § 155 Abs. 3, 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und keine Umstände vorliegen, die gleichwohl eine Entscheidung durch den gesamten Senat gebieten.

2. Die Berufung ist aufgrund der Zulassung durch das SG statthaft (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2, Abs. 3 SGG) und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist sie form- und fristgerecht erhoben worden (§ 151 SGG).

3. Die Berufung ist auch begründet.

a) Das Begehren der Klägerin bedarf der Auslegung (§ 123 SGG). Da der geltend gemachte Anspruch auf Leistungen wegen eines Mehrbedarfs nicht isoliert eingeklagt werden kann (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 14. Februar 2013 – B 14 AS 48/12 R –, juris Rn. 9), ist ihr Anliegen so zu verstehen, dass sie für den streitbefangenen Monat Februar 2015 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung des geltend gemachten Mehrbedarfs begehrt. Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) stehen dabei erkennbar nicht im Streit und sind, da sie einen abtrennbaren Streitgegenstand bilden (vgl. BSG, Urteil vom 16. Juni 2015 – B 4 AS 44/14 R –, juris Rn. 11), nicht Gegenstand des Verfahrens. Da der Beklagte über die Leistungen u.a. für Februar 2015 bereits vor dem Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 11. November 2014 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 1. Dezember 2014 bestandskräftig entschieden hatte, ist das Begehren der Klägerin auf eine Änderung dieser Bewilligung und eine Gewährung entsprechend höherer Leistungen gerichtet.

b) Die so verstandene kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die beantragten höheren Leistungen und eine entsprechende Änderung der Bewilligung für Februar 2015.

Anspruchsgrundlage ist § 40 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 44 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt auch nach Unanfechtbarkeit mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Leistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu einem Jahr vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Der Bescheid vom 11. November 2014, geändert durch Änderungsbescheid vom 1. Dezember 2014, ist für den streitbefangenen Monat Februar 2015 insoweit unrichtig, als er keinen Mehrbedarf der Klägerin wegen der regelmäßigen Besuche bei Herrn A. berücksichtigt. Die Klägerin hat einen Anspruch auf weitere Leistungen (mindestens) in Höhe der begehrten 79,78 EUR. Dieser ergibt sich aus § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II. Danach wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht.

Bei dem im Streit stehenden Bedarf handelt es sich um einen laufenden, da die Klägerin ihren Lebensgefährten über einen längeren Zeitraum regelmäßig in der Haft besuchte. In der Verwaltungsakte des Beklagten finden sich aus den Jahren 2014 bis 2017 zahlreiche Besuchsscheine, nach denen i.d.R. zwei Besuche pro Monat stattfanden, ebenso entsprechende Tankquittungen.

Es handelt sich dabei auch um einen im Einzelfall unabweisbaren besonderen Bedarf. Dem steht nicht entgegen, dass Aufwendungen zur Kontaktpflege grundsätzlich aus dem Regelbedarf nach § 20 SGB II zu bestreiten sind (vgl. dazu BSG, Urteil vom 28. November 2018 – B 14 AS 48/17 R –, juris Rn. 14). Der aufgrund der Rechtsprechung des BVerfG zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) in das SGB II eingeführte zusätzliche Anspruch auf einen Härtefallmehrbedarf soll u.a. Sondersituationen Rechnung tragen, in denen ein Bedarf seiner Art oder Höhe nach von der zur Ermittlung des Regelbedarfs herangezogenen Statistik nicht aussagekräftig erfasst wird und sich der Regelbedarf deshalb als unzureichend erweist (vgl. BSG, Urteil vom 8. Mai 2019 – B 14 AS 13/18 R –, juris Rn. 17 mit Verweis auf BVerfG, Urteil vom 9.2.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. –, BVerfGE 125, 175, 253 ff.). So liegt es hier.

Die Fahrkosten der Klägerin zum Besuch ihres Partners in der JVA stellen dem Grunde nach einen berücksichtigungsfähigen Bedarf dar. Der aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG resultierende Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums umfasst auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 223). Eine besondere Bedarfslage i.S.v. § 21 Abs. 6 SGB II kann deshalb u.a. dann in Betracht kommen, wenn es um den Besuch eines nahen Angehörigen in einer dem Einfluss des zu Besuchenden entzogenen außergewöhnlichen Situation geht, in der dem Leistungsberechtigten gemessen am personalen Sicherungszweck des verfassungsrechtlich zu gewährleistenden Existenzminimums unter Berücksichtigung der Intensität der konkreten verwandtschaftlichen Beziehung sowie aller weiterer Umstände des Einzelfalls ein Verzicht auf die Begegnung mit einem nahen Angehörigen i.S.v. Art. 6 GG nicht zugemutet werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 28. November 2018, a.a.O., Rn. 19).

Aber auch enge persönliche Bindungen außerhalb des Schutzbereichs von Art. 6 GG können mit Blick auf das verfassungsrechtlich zu gewährleistende Existenzminimum von Bedeutung sein, wenn sie als tatsächlich gelebte Beziehung von besonderer Nähe, wechselseitiger Verantwortlichkeit füreinander sowie Rücksichtnahme- und Beistandsbereitschaft geprägt sind und deshalb für die individuelle personale Existenz herausgehobene Bedeutung haben. Das ergibt sich schon daraus, dass verfassungsrechtliche Grundlage des Anspruchs nicht Art. 6 GG ist, sondern das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, das u.a. die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen schützt. Solche existieren zwar insbesondere, aber nicht ausschließlich innerhalb von Ehe und Familie. Außerhalb des Schutzbereichs von Art. 6 GG bedürfen die Feststellung einer solchen Beziehung und die Annahme der Unzumutbarkeit des Besuchsverzichts allerdings regelmäßig einer vertieften Begründung und einer besonders eingehenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls.

Vorliegend bestehen keine Zweifel, dass zwischen der Klägerin und Herrn A. eine für die Existenzsicherung der Klägerin relevante, besonders enge persönliche Nähe- und Paarbeziehung bestand, die nicht nur von großer emotionaler Verbundenheit, sondern auch von einer erheblichen Beistandsbereitschaft und einer tatsächlichen gelebten Verantwortungsübernahme geprägt war. Dem steht nicht entgegen, dass die beiden auch vor der Inhaftierung des Herrn A. nicht zusammen in einer Wohnung gelebt haben. Ein solches Zusammenleben ist zwar typischer Ausdruck, aber nicht notwendige Voraussetzung einer engen Paarbeziehung. Das besondere Näheverhältnis zwischen der Klägerin und Herrn A. wird schon dadurch dokumentiert, dass die Klägerin in dem von ihr vorgelegten Vollzugsplan der JVA B. für Herrn A. vom 23. April 2014 als dessen erste und einzige Bezugsperson aufgeführt war. Der Leiter der JVA B. hat dem SG zudem eine Erklärung der Klägerin vom 17. Dezember 2015 übermittelt, mit der diese sich u.a. verpflichtet hatte, Herrn A. während eines Ausgangs oder Urlaubs aufzunehmen und für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Auch die Klägerin dargelegten weiteren Umstände (Unterstützung bei Behörden- und Vertragsangelegenheiten, Auflösung der alten und Besorgen einer neuen Wohnung, Abwicklung von Zahlungen, Kontakte zu Ärzten, Psychologen und Sozialarbeitern, Innehaben einer Generalvollmacht) sprechen für ein von einem starken Verantwortungsgefühl geprägtes eheähnliches Näheverhältnis, das jedenfalls weit über eine bloße Freundschaft hinausgeht.

Die Aufrechterhaltung dieses für die Klägerin wesentlichen persönlichen Näheverhältnisses erforderte regelmäßige Besuchskontakte. Im Hinblick auf die Besuchshäufigkeit ist angesichts der konkreten Umstände des Einzelfalls davon auszugehen, dass zwei Besuche pro Monat noch dem durch Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG geschützten Bereich zuzuordnen sind. Während der Strafhaft besteht zwar die Möglichkeit, Kontakt durch Briefe und Telefonate zu pflegen. Angesichts der konkreten Beziehungssituation, der engen räumlichen Nähe in der Zeit bis zur unfreiwilligen Trennung, der psychischen Beeinträchtigung der Klägerin, der mit überschaubarem Zeitaufwand zu bewältigenden Entfernung zwischen ihrem Wohnort und dem Haftort sowie der Höhe der anfallenden Kosten lassen sich bis zu zwei Besuche pro Monat aber noch dem Bereich der Existenzsicherung zuordnen.

Die dadurch angefallenen Fahrkosten stellen auch einen besonderen Bedarf dar, weil es nicht um die im Regelbedarf berücksichtigten üblichen Fahrten im Alltag geht, sondern um eine spezielle Situation, die darüber hinaus zusätzliche Fahrten erforderte (vgl. auch BSG, Urteil vom 4. Juni 2014 – B 14 AS 30/13 R –, juris Rn. 20 (für Fahrten im Rahmen des Umgangsrechts)). Insoweit ist zu berücksichtigen, dass im Jahr 2015 im Regelbedarf nur ein Betrag von 25,12 EUR für Verkehr (Abteilung 07) berücksichtigt war. Auch unter Einbeziehung weiterer kommunikationsrelevanter Verbrauchsgruppen (v.a. Nachrichtenübermittlung: 35,24 EUR (Abteilung 08)) geht der vorliegende Bedarf der Klägerin deutlich über einen durchschnittlichen hinaus.

Dieser besondere Bedarf war auch unabweisbar. Dies ist nach § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II der Fall, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Eine Möglichkeit zur Bedarfsdeckung durch Zuwendungen Dritter ist nicht ersichtlich. Angesichts der Höhe der angefallenen Fahrkosten scheidet auch ein grundsätzlich zumutbarer interner Ausgleich aus, also die Deckung eines überdurchschnittlichen Bedarfs in einem Bereich durch unterdurchschnittliche Ausgaben in einem anderen Bereich (vgl. dazu BSG, Urteil vom 28. November 2018, a.a.O., Rn. 15; BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2014 – 1 BvL 10/12 u.a. –, BVerfGE 137, 34, 91 ff.).

Die Höhe der von der Klägerin geltend gemachten Fahrkosten ist nicht zu beanstanden. Im Rahmen des § 21 Abs. 6 SGB II kann grundsätzlich jedenfalls die Kilometerpauschale von 0,20 EUR nach § 5 Abs. 1 Bundesreisekostengesetz (BRKG) berücksichtigt werden (vgl. BSG, Urteil vom 4. Juni 2014, a.a.O., Rn. 28; Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19. Januar 2017 – L 6 AS 1920/16 –, juris Rn. 24 ff.). Legt man die von der Klägerin zutreffend angegebene Entfernung von ca. 125 km zugrunde, ergibt sich bei zwei Hin- und Rückfahrten pro Monat ein Betrag von 100 EUR. Dahinter bleibt der geltend gemachte Betrag von 79,78 EUR, über den der Senat nicht hinausgehen darf (§ 123 SGG), zurück.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

5. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved