L 15 SO 95/19 NZB

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 50 SO 1912/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 SO 95/19 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Frage, ob für Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung gemäß den §§ 41 ff Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch ein Folgeantrag notwendig ist und es bei der Prüfung der Vorschrift des § 44 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch auf das (vollständige) Vorliegen dieses Folgeantrags ankommt, ist nicht klärungsbedürftig. Für ihre Beantwortung ergeben sich aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bereits ausreichende Anhaltspunkte.
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. März 2019 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. März 2019 ist gemäß § 145 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet. Die Berufung ist weder kraft Gesetzes zulässig noch sind Zulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 SGG gegeben.

Die fehlende Zulässigkeit der Berufung ergibt sich aus § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGG. Danach bedarf die Berufung bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 Euro nicht übersteigt und die Berufung auch nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. So liegt es hier. Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt lediglich 230,32 Euro. Diesen Betrag begehren die Kläger als weitere Zinszahlungen aus dem Nachzahlungsraum Juli 2012 bis März 2016.

Die Berufung ist auch nicht deshalb zulässig, weil das Sozialgericht sie zugelassen hätte. Das Sozialgericht hat die Berufung im Tenor ausdrücklich nicht zugelassen.

Die Berufung ist auch nicht gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen. Hiernach ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).

Keiner der genannten Zulassungsgründe liegt hier vor. Insbesondere hat die Sache keine grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzliche Bedeutung liegt vor, wenn sich eine Rechtsfrage stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung auch durch das angerufene Gericht zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit) (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Aufl. 2017, § 144 Rn. 28). Eine schon geklärte Rechtsfrage hat keine grundsätzliche Bedeutung mehr. Geklärt ist eine Rechtsfrage nicht erst, wenn dazu gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt. Es genügt vielmehr, wenn sich für die Antwort aus anderen höchstrichterlichen Entscheidungen bereits ausreichende Anhaltspunkte ergeben (Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., Stand: 26. März 2020, § 144 Rn. 32).

Die Kläger haben die Nichtzulassungsbeschwerde nicht begründet. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sie die im erstinstanzlichen Verfahren bereits angesprochene Frage, ob für Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung (GruSi) gemäß den §§ 41 ff Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) ein Folgeantrag notwendig ist und es bei der Prüfung der Vorschrift des § 44 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) auf das (vollständige) Vorliegen dieses Folgeantrags ankommt, für grundsätzlich bedeutsam halten. Diese Frage ist jedoch nicht klärungsbedürftig. Es ist bereits geklärt, dass als Leistungsantrag im Sinne des § 44 Abs. 2 SGB I regelmäßig der erste Leistungsantrag anzusehen ist, der zugleich spätere Änderungen der Leistung mitumfasst. (Nur) wenn Leistungen wiederkehrend neu zu beantragen sind, wie z.B. die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, kommt es auf den ersten für den fraglichen Zeitraum maßgeblichen Antrag an (Groth in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl., Stand: 25. Mai 2020, § 44 SGB I, Rn. 36). Entscheidend ist, ob die Behörde rechtlich nicht erst aufgrund eines Antrags tätig werden muss, sondern pflichtgemäß von Amts wegen (vgl. für eine Problematik aus der Unfallversicherung Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 24. Januar 1992, Az. 2 RU 17/91, juris Rn. 19 = SozR 3-1200 § 44 Nr. 4). Dafür, dass dies für Leistungen der GruSi der Fall ist, ergeben sich aus der Rechtsprechung des BSG ausreichende Anhaltspunkte. Das BSG hat mit Urteil vom 29. September 2009, Az. B 8 SO 13/08 R, juris Rn. 12 ff = SozR 4-3530 § 6 Nr. 1, entschieden, dass Leistungen der GruSi nach Ablauf eines Bewilligungszeitraums keinen Folgeantrag voraussetzen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass ein Hilfebedürftiger seinen ersten Antrag in der Regel stellt, ohne ihn auf einen bestimmten Zeitraum zu beschränken. Damit wirkt dieser Antrag auch nach Ablauf des Bewilligungszeitraums jedenfalls dann fort, wenn die Behörde ihn nicht für die Zeit nach Ablauf dieses Zeitraumes bereits ausdrücklich (bestandskräftig) abgelehnt hat. Dieses Ergebnis folgt auch daraus, dass § 44 SGB XII lediglich die Ermächtigung und Verpflichtung der Behörde enthält, den Grundsicherungsbescheid gemäß § 32 Abs. 2 Nr. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu befristen, damit aber nicht zugleich eine (Mitwirkungs-) Pflicht des Grundsicherungsberechtigten begründet, einen weiteren Antrag zu stellen (so auch Kirchhoff in: Hauck/Noftz, SGB, Stand Oktober 2017, § 44 SGB XII, Rn. 32). Der Gesetzgeber ist, so das BSG, nach erstmaliger Bewilligung der Grundsicherungsleistungen von weitgehend gleichbleibenden Verhältnissen ausgegangen. Da die Einkommens- und Vermögensverhältnisse bei dem Grundsicherungsberechtigten in der Regel für längere Zeit unverändert bleiben, hat der Gesetzgeber mit der Festlegung des einjährigen Bewilligungszeitraums nur den jährlichen Rentenanpassungen Rechnung tragen wollen und eine Mitwirkungspflicht des Hilfeempfängers nur bei der Meldung von Veränderungen seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse vorgesehen (BSG, Urteil vom 29. September 2009 a.a.O., juris Rn. 15). Weiter hat das BSG ausgeführt, dass auch verwaltungspraktische Gründe nicht dafür sprechen, § 41 bzw. 44 SGB XII [früher und auch größtenteils im hier interessierenden Zeitraum war das Antragserfordernis in § 41 Abs. 1 SGB XII geregelt] in der Weise auszulegen, dass jeweils ein neuer Antrag zu stellen ist. Da die Behörde die persönlichen Verhältnisse des Grundsicherungsberechtigten und damit seine Hilfebedürftigkeit kennt, müsste sie - wenn ein Folgeantrag des Hilfebedürftigen ausbleibt - die Hilfe zum Lebensunterhalt nach den §§ 27 ff SGB XII prüfen, da diese gemäß § 18 Abs. 1 SGB XII mit Bekanntwerden einsetzt. Wäre also ein Antrag erforderlich und liegt dieser nicht vor, müsste die Behörde gleichwohl tätig werden. Hieraus ergibt sich, dass ein einmal gestellter Antrag auf Grundsicherungsleistungen auch nicht aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung erneut gestellt werden muss. D.h., dass der Grundsicherungsträger nach Ablauf des Bewilligungszeitraums nicht auf einen Antrag des Grundsicherungsberechtigten warten darf, sondern von Amts wegen zu prüfen hat, ob weiterhin Grundsicherungsleistungen zu gewähren sind. Damit sind für den hier zu entscheidenden Fall die oben genannten Voraussetzungen bezüglich des Verzinsungsbeginns gemäß § 44 Abs. 2 SGB I, nämlich dass ein erneuter Antrag nicht notwendig ist, wenn die Behörde von Amts wegen zu prüfen hat, erfüllt.

Die Entscheidung des Sozialgerichts weicht auch nicht von einer Entscheidung des Obergerichts oder eines Obersten Gerichts ab. Dies ist auch nicht deshalb der Fall, weil das Sozialgericht angenommen hat, dass die Kläger verpflichtet gewesen wären, dem Beklagten mitzuteilen, dass ihre Wohnung noch nicht geräumt sei. Darin liegt nicht die Abweichung von einer Entscheidung eines Obergerichts oder Obersten Gerichts, denn das Sozialgericht hat keine abweichenden abstrakten Rechtssätze aufgestellt und der Rechtsprechung entgegengestellt. Vorliegend dürfte es sich vielmehr um eine unrichtige Rechtsanwendung im Einzelfall handeln.

Dafür, dass eine Verpflichtung der Kläger bestanden hätte, dem Beklagten mitzuteilen, dass ihre Wohnung noch nicht geräumt sei, gibt es keine Anhaltspunkte. Nach der Rechtsprechung des BSG liegt ein "vollständiger" Leistungsantrag im Sinne des § 44 Abs. 2 Halbsatz 1 SGB I dann vor, wenn der zuständige Leistungsträger durch ihn in die Lage versetzt wird, den geltend gemachten Anspruch nach Grund und Höhe zu überprüfen, d.h. die von Amts wegen durchzuführende (§ 20 SGB X) Ermittlung des Sachverhalts zügig aufzunehmen und die ggf. noch erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zu treffen und die begehrte Leistung zu bewilligen. Es reicht dabei aus, wenn der Antrag alle Angaben enthält, die der Antragsteller zur Bearbeitung seines Antrags angeben muss. Hat ein Leistungsträger Antragsvordrucke (§ 17 Abs. 1 Nr. 3 SGB I) herausgegeben, liegt ein vollständiger Leistungsantrag spätestens vor, sobald der Antragsteller den Vordruck für den Antrag vollständig ausgefüllt und auch die als beizubringend bezeichneten Unterlagen (§ 60 Abs. 1 Nr. 3 SGB I) eingereicht hat (BSG, Urteil vom 26. April 2007, Az. B 4 R 21/06 R, juris Rn 21 = SozR 4-1200 § 44 Nr. 2; Rolfs in: Hauck/Noftz, SGB, Stand Juni 2018, § 44 SGB I, Rn. 26; Groth, a.a.O., § 44 Rn. 32ff). Alle benötigten Informationen hatten die Kläger bereits in ihrem Erstantrag gegeben. Der Beklagte hatte auch in dem hier streitigen Zeitraum Leistungen der GruSi bewilligt, nur eben unter Berücksichtigung der seines Erachtens angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) statt der tatsächlich anfallenden Kosten, z.B. auf den Antrag der Kläger vom 19. November 2013 mit Bescheid vom 9. Dezember 2013. Das bedeutet, dass dem Beklagten alle notwendigen Informationen vorlagen. Keinesfalls hätten die Kläger dem Beklagten jeweils mitteilen müssen, dass ihre Wohnung noch nicht geräumt war. Dies gehörte nach dem oben Gesagten nicht zu ihren Verpflichtungen im Sinne der Vorlage eines vollständigen Leistungsantrages. Sie wären im Rahmen ihrer Mitteilungspflichten gemäß den §§ 60 ff SGB I verpflichtet gewesen, mitzuteilen, wenn eine Räumung erfolgt wäre. Die Mitteilung, dass eine Änderung der angegebenen Verhältnisse nicht stattgefunden hat, gehörte jedoch nicht zu ihren Obliegenheiten.

Damit dürfte von einer falschen Rechtsanwendung durch das Sozialgericht auszugehen sein. Ob die vom Sozialgericht getroffene Entscheidung zutreffend ist, ist im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde jedoch nicht zu entscheiden.

Die Kläger haben schließlich keinen der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegenden Verfahrensmangel im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG geltend gemacht, auf dem die Entscheidung des Sozialgerichts beruhen könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden. Nach § 145 Abs. 4 Satz 4 SGG wird das Urteil des Sozialgerichts mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Landessozialgericht rechtskräftig.
Rechtskraft
Aus
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