S 4 AS 1417/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Reutlingen (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 1417/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Spätestens ab dem Zeitpunkt der Neufassung des § 52 SGB X im Januar 2002 spricht alles dafür, dass Erstattungsbescheide nach § 50 Abs. 3 SGB X gleichzeitig Bescheide im Sinne des § 52 Abs. 1 S. 1 SGB X sind und damit § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X in der Tat keinen Anwendungsbereich mehr hat und aufgehoben werden könnte.
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung von Mahngebühren aufgrund einer Forderung des Jobcenters B (nachfolgend: Jobcenter). Umstritten ist, ob die Forderung des Jobcenters verjährt ist.

Die Beklagte handelt als Inkasso-Service des Jobcenters.

Mit Beschluss vom 28.01.2013 eröffnete das Amtsgericht Tübingen ein Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit des Klägers (Bl. 2 VA).

Am 11.07.2013 erließ das Jobcenter einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid (Bl. 47 Gerichtsakte). Das Jobcenter hob darin eine zuvor für Mai 2013 ergangene Leistungsbewilligung auf, da der Kläger in diesem Monat bedarfsdeckendes Einkommen erzielt hatte. Der Kläger wurde aufgefordert, Leistungen i.H.v. 1.130,78 EUR (Regelleistung und Kosten für Unterkunft und Heizung i.H.v. 798,78 EUR sowie Zuschüsse zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung i.H.v. 332,00 EUR) auf ein im Bescheid benanntes Konto der "BA-Sevice-Haus" zu überweisen. Zudem wurde der Kläger auf eine mögliche Zwangsvollstreckung hingewiesen, sollte er die Zahlungsverpflichtung trotz Mahnung nicht einhalten. Wegen Anträgen zu Zahlungsmodalitäten verwies das Jobcenter den Kläger an die Beklagte.

Am 20.07.2013 teilte der Kläger der Beklagten mit, er könne die Forderung aus dem Bescheid vom 11.07.2013 aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht begleichen (Bl. 1 VA).

Am 08.08.2013 legte der Kläger gegen den Bescheid am 11.07.2013 beim Jobcenter Widerspruch ein (Bl. 49 Gerichtsakte). Gegenstand des Widerspruchs war lediglich die Rückforderung der Zuschüsse für die Kranken- und Pflegeversicherung. Der Kläger machte geltend, die private Krankenversicherung habe die Beiträge bereits erstattet. Das Jobcenter wies den Widerspruch am 09.08.2013 zurück (Bl. 50 Gerichtsakte). Da die private Krankenversicherung aber doch Beiträge an das Jobcenter erstattete, buchte das Jobcenter am 21.08.2013 332,00 EUR aus der gegen den Kläger geltend gemachten Erstattungsforderung aus (Bl. 43 Gerichtsakte).

Im Insolvenzverfahren erklärte das Amtsgericht Tübingen am 07.03.2018 durch Beschluss die Restschuldbefreiung mit folgender Begründung: "Die Restschuldbefreiung wirkt gegen alle Insolvenzgläubiger, die zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 28.01.2013 eine Forderung gegen den Schuldner hatten; dies gilt auch für Gläubiger, die ihre Forderungen nicht angemeldet hatten" (Bl. 12 VA).

Die Beklagte forderte den Kläger mit der Mahnung vom 21.03.2019 auf, 798,78 EUR zzgl. Mahngebühren gem. § 19 Abs. 2 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) i.H.v. 5,00 EUR bis spätestens 04.04.2019 zu zahlen (Bl. 4 VA).

Hiergegen legte der Kläger mit der Begründung, die Forderung sei der Insolvenz und der Restschuldbefreiung unterfallen, Widerspruch ein (Bl. 8 VA).

Die Beklagte legte den Widerspruch als Widerspruch gegen die Festsetzung der Mahngebühren aus und wies ihn mit Widerspruchsbescheid vom 16.05.2019 zurück (Bl. 14 VA). Die Forderung des Jobcenters sei mahnbar gewesen. Sie sei erst nach der Insolvenzeröffnung entstanden. Daher sei die erteilte Restschuldbefreiung ohne Bedeutung.

Deswegen hat der Kläger am 12.06.2019 beim Sozialgericht Reutlingen Klage erhoben. Er trägt vor, die angemahnte Forderung stehe dem Jobcenter aufgrund der Restschuldbefreiung nicht mehr zu. Zudem sei sie nach § 50 Abs. 4 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) seit dem 01.10.2018 verjährt. Hierzu verweist der Kläger auf den Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 14.12.2018, Az. L 34 AS 2224/18 B-ER (in juris). Danach begründe der einfache Rückforderungsbescheid vom 11.07.2013 keine Verjährungshemmung nach § 52 SGB X. Ansonsten würde für § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X kein Anwendungsbereich verbleiben. Erst durch den Erlass eines die Verjährung hemmenden Verwaltungsaktes nach § 52 SGB X, werde den Behörden für Erstattungsansprüche eine längere Verjährungsfrist gewährt.

Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung zurückgewiesen. Der Erstattungsbescheid vom 11.07.2013 stelle einen Verwaltungsakt gemäß § 52 SGB X dar.

Wegen eines beim Bundessozialgericht zu dieser Frage anhängigen Revisionsverfahrens (B 11 AL 5/19 R) hat das Gericht am 31.10.2019 das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Der Kläger hat das Verfahren am 29.01.2020 wieder aufgerufen. Die Bundesagentur habe im Revisionsverfahren B 11 AL 5/19 R die Berufung zurückgenommen. Damit sei das angefochtene Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 27.09.2019 L 1 AL 88/17 (in juris) rechtskräftig geworden. Dem Orientierungssatz dieses Urteils sei zu entnehmen, dass die Verjährungsfrist für die durch Verwaltungsakt gemäß § 50 Abs. 3 SGB X festgestellte Erstattungsforderung gem. § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X vier Jahre betrage. Die 30-jährige Verjährungsfrist des § 52 SGB X, die zwar nach § 50 Abs. 4 S. 3 SGB X unberührt bleibe, sei nicht anwendbar. § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X beinhalte eine Sonderregelung für die Feststellung des Anspruchs durch Verwaltungsakt. Erst wenn zusätzliche Verwaltungsakte zur Durchsetzung des Anspruchs ergehen, würden diese dem § 52 SGB X unterfallen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 21.03.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.05.2019 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bleibt bei ihrer Auffassung. Entgegen der Entscheidungen der Landessozialgerichte werde ab dem Zeitpunkt der Unanfechtbarkeit eines Erstattungsbescheids die Verjährungsfrist nach § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X von der Verjährungsfrist nach § 52 Abs. 2 SGB X verdrängt.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungs- und die Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer ist gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) berechtigt, den Rechtsstreit im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.

Die form- und fristgerecht beim sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Reutlingen erhobene Klage ist zulässig.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 21.03.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.05.2019, in dem als einzige anfechtbare Regelung im Sinne des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Mahngebühr von 5,00 EUR festgesetzt wurde. Richtige Klageart ist die isolierte Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG.

Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die Mahngebühr wurde von der Beklagten zu Recht festgesetzt. Die angefochtenen Bescheide erweisen sich als rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Rechtsgrundlage der Entscheidung ist § 19 Abs. 2 VwVG. Danach wird für die Mahnung nach § 3 Abs. 3 VwVG eine Mahngebühr erhoben, die mindestens 5,00 EUR beträgt.

Die Beklagte machte als Mahngebühr den eben genannten Mindestbetrag geltend, so dass der Höhe nach keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Festsetzung der Mahngebühr aufkommen können.

Entgegen der Auffassung des Klägers lagen auch die Voraussetzungen für eine Mahnung vor.

Nach § 3 Abs. 3 VwVG soll der Schuldner vor Anordnung der Vollstreckung mit einer Zahlungsfrist von einer weiteren Woche besonders gemahnt werden. Die Voraussetzungen der Vollstreckung sind nach § 3 Abs. 2 VwVG, der Leistungsbescheid, durch den der Schuldner zur Leistung aufgefordert worden ist (a), die Fälligkeit der Leistung (b) und der Ablauf einer Frist von einer Woche seit Bekanntgabe des Leistungsbescheids oder, wenn die Leistung erst danach fällig wird, der Ablauf einer Frist von einer Woche nach Eintritt der Fälligkeit (c).

Zunächst ist festzuhalten, dass die Kammer davon überzeugt ist, dass die Beklagte aufgrund einer ordnungsgemäßen Aufgabenübertragung gemäß § 44b Abs. 4 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) als Vollstreckungsbehörde für das Jobcenter tätig wurde. Der Kläger hat keine Einwände gegen die Zuständigkeit der Beklagten erhoben. Anhaltspunkte für Zweifel an der Zuständigkeit sind für die Kammer nicht ersichtlich.

Der Kläger wurde im Bescheid des Jobcenters vom 11.07.2013 unter Hinweis auf ansonsten einzuleitende Vollstreckungsmaßnahmen zur Zahlung von 1.130,78 EUR aufgefordert. Bei diesem Bescheid handelte es sich um einen Leistungsbescheid gemäß § 3 Abs. 2a VwVG. Dafür spricht die genaue Bezifferung des Erstattungsbetrags mit Aufschlüsselung der einzelnen Teilbeträge und die Aufforderung zur Zahlung nebst Hinweis auf eine ansonsten drohende Vollstreckung. Vom Kläger wird nicht bestritten, dass die in diesem Bescheid festgesetzte Erstattungsforderung, die sich nach der Rückzahlung von Beiträgen durch die Krankenversicherung auf 798,78 EUR reduzierte, in der Vergangenheit fällig im Sinne des § 3 Abs. 2c VwVG wurde. Er machte die Beklagte im Zusammenhang mit seinem Insolvenzverfahren lediglich auf seine mangelnde Zahlungsfähigkeit aufmerksam. Die Rechtmäßigkeit der Erstattungsforderung stellte er mit Ausnahme der Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung, die von ihm inzwischen auch nicht mehr gefordert werden, nicht in Abrede.

Die Restforderung von 798,78 EUR ist noch immer fällig und damit mahnbar.

Die vom Amtsgericht Tübingen am 07.03.2018 dem Kläger erteilte Restschuldbefreiung erfasste die Forderung des Jobcenters nicht, da sie erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstand. Das Insolvenzverfahren wurde am 28.01.2013 eröffnet. Die zur Erstattung geltend gemachten Leistungen wurden dem Kläger vom Beklagten erst im Mai 2013 ausgezahlt und im Juli 2013 zurückgefordert.

Die Erstattungsforderung aus dem Bescheid vom 11.07.2013 ist noch nicht verjährt, da für diese Forderung nicht die vierjährige Verjährungsfrist des § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X, sondern die 30-jährige Verjährungsfrist des § 52 Abs. 2 SGB X gilt.

Nach § 50 Abs. 1 SGB X sind, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Die zu erstattende Leistung ist gemäß § 50 Abs. 3 SGB X durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Die Festsetzung soll, sofern die Leistung aufgrund eines Verwaltungsakts erbracht worden ist, mit der Aufhebung des Verwaltungsakts verbunden werden. Der Erstattungsanspruch verjährt gemäß § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt nach Abs. 3 unanfechtbar geworden ist. Die Regelung des § 52 SGB X bleibt gemäß § 50 Abs. 4 S. 3 SGB X unberührt.

In § 52 Abs. 1 SGB X ist geregelt, dass ein Verwaltungsakt, der zu Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wird, die Verjährung dieses Anspruchs hemmt. Ist ein solcher Verwaltungsakt unanfechtbar geworden, beträgt die Verjährungsfrist gemäß § 52 Abs. 2 SGB X 30 Jahre.

Unstreitig und offensichtlich handelte es sich beim dem Bescheid vom 11.07.2013 um einen die zu erstattende Leistung festsetzenden Verwaltungsakte im Sinne des § 50 Abs. 3 SGB X.

Gleichzeitig handelte es sich aber auch um einen Bescheid gemäß § 52 Abs. 1 S. 1 SGB X (Verwaltungsakt zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers).

Ein Verwaltungsakt dient dann zur Durchsetzung (§ 52 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 SGB X) eines Anspruchs, wenn er die konkrete Feststellung des Anspruchs beinhaltet und den Verpflichteten (erstmals) zur Leistung auffordert. Wenn der Verwaltungsakt lediglich die konkrete Feststellung des Anspruchs beinhaltet, dient er nur zur Feststellung des Anspruchs, was jedoch ausreicht, um von einem Verwaltungsakt im Sinne des § 52 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 SGB X auszugehen (LPK-SGB X, 5. Aufl., § 52 Rn. 10f; Schütze, SGB X, 9. Aufl., § 52 Rn. 25f; Hauck/Noftz, SGB X, 05/15, § 52 Rn. 30f).

In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass § 52 Abs. 1 S. 1 SGB X keine Ermächtigungsgrundlage für den Erlass eines Verwaltungsakts schafft, sondern diese voraussetzt (Schütze, a.a.O. Rn. 24, Hauck/Noftz, a.a.O. Rn. 29; jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 52 Rn. 10).

Ob der Bescheid als "Leistungsbescheid", "Festsetzungsbescheid" oder "Feststellungsbescheid" bezeichnet wird, ist nicht maßgeblich. Es kommt nur auf den Regelungsinhalt des Bescheids an (Hauck/Noftz, a.a.O. Rn. 33). Das Bundessozialgericht hält für die Annahme eines Verwaltungsakts gemäß § 52 Abs. 1 SGB X eine eindeutige Bezeichnung der Forderung für ausreichend. Schon allein damit werde klargestellt, dass aus einer bestimmten Forderung vollstreckt werden soll (BSG, Urteil vom 07.10.2004, B 11 AL 43/03 R, in juris Rn. 23). Nicht erforderlich sei hingegen, dass die Behörde besondere Vollstreckungsmaßnahmen ergreift oder eine Leistungsklage erhebt - es reicht vielmehr aus, dass die Behörde den zur Realisierung ihres Anspruchs vorgesehenen Verwaltungsakt erlässt (BSG, Urteil vom 06.09.2006, B 6 KA 40/05 R, in juris Rn. 16). Die Kammer schließt sich dieser Rechtsprechung an.

Anknüpfend daran ist der Zweck des § 52 SGB X, den Sozialleistungsträgern einen einfachen Weg zu eröffnen, den Eintritt der Verjährung ihrerseits bestehender Ansprüche zu verhindern. Sie sollen nicht genötigt sein, noch nicht gebotene Vollstreckungsmaßnahmen einzuleiten oder den Klageweg zu beschreiten, sondern können sich durch den Erlass eines Verwaltungsakts einen Titel beschaffen, aus dem dann 30 Jahre vollstreckt werden kann. In der Begründung zum Entwurf des SGB X wird auf den entsprechenden § 53 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) verwiesen, der eingeführt wurde, um angesichts der nicht zweifelsfreien Anwendbarkeit der zivilrechtlichen Verjährungsregelung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) auf öffentlich-rechtliche Sachverhalte, die - nach damaliger Diktion - Unterbrechungswirkung des Erlasses eines Verwaltungsakts hinsichtlich der Verjährung des Anspruchs und die Verjährung des Anspruchs erst 30 Jahre nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts über den Anspruch durch eine allgemeine Regelung klarzustellen (mit Bezugnahme auf die Gesetzesbegründungen: Hauck/Noftz, a.a.O., Rn. 7).

Als Bescheid im Sinne des § 52 Abs. 1 S.1 SGB X kommen u.a. Verwaltungsakte zur Geltendmachung von Erstattungsansprüchen gemäß § 50 SGB X in Betracht (jurisPK-SGB X, a.a.O. Rn. 18).

Unter Beachtung dieser Kriterien bestehen für die Kammer keine Zweifel daran, dass es sich bei dem Bescheid vom 11.07.2013 nicht nur um einen Bescheid gemäß § 50 Abs. 3 SGB X, sondern zugleich um einen Bescheid gemäß § 52 Abs. 1 SGB X handelte.

Die Erstattungsforderung wurde klar beziffert, der Kläger wurde zur Zahlung aufgefordert und eine Zwangsvollstreckung wurde angedroht. Es handelte sich mithin im Sinne des § 52 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 SGB X um einen Bescheid "zur Durchsetzung" des Anspruchs des Jobcenters, zumindest aber "zur Feststellung" des Anspruchs (Alt. 2). Der Kläger wusste, dass er zahlen musste. Deswegen wandte er sich damals zeitnah an die Beklagte. Das Jobcenter wollte und durfte sich mit dem Bescheid auf einfache Art einen Titel für 30 Jahre besorgen. Dies war im angesichts des damals laufenden Insolvenzverfahrens auch konkret sinnvoll.

Soweit abweichend hierzu von den Landessozialgerichten Rheinland-Pfalz (Urteil vom 27.09.2018, L 1 AL 88/17, in juris Rn. 9, 21), Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 14.12.2018, L 34 AS 2224/18 B, in juris Rn. 17) und Baden-Württemberg (Urteil vom 26.06.2020, L 8 AL 3185/19, in juris Rn. 32) vertreten wird, bei Erstattungsbescheiden gemäß § 50 Abs. 3 SGB X müssten für die Eröffnung des Anwendungsbereichs des § 52 SGB X zusätzliche Verwaltungsakte ergehen, überzeugt dies die Kammer nicht. Auch nicht in Kenntnis der zitierten Kommentarliteratur, die diese Auffassung teilt.

Die Landessozialgerichte begründen ihre Auffassung mit dem nicht von der Hand zu weisenden Spannungsverhältnis zwischen § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X und § 52 Abs. 2 SGB X, das - so die Landessozialgerichte - dahingehend zu lösen sei, dass es sich bei § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X schon aus Gründen des Wortlauts und der Systematik um die speziellere Vorschrift für Bescheide gemäß § 50 Abs. 3 SGB X handle. Würde man Bescheide gemäß § 50 Abs. 3 SGB X zugleich als Bescheide gemäß § 52 Abs. 1 SGB X ansehen, verbliebe für die vierjährige Verjährungsfrist des § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X kein Anwendungsbereich. Dies sei vom Gesetzgeber nicht gewollt, ein Redaktionsversehen sei auszuschließen. Vielmehr habe der Gesetzgeber den Behörden über die Verweisung in § 50 Abs. 4 S. 3 SGB X die Möglichkeit eingeräumt, sich selbständig zu einer längeren Verjährungsfrist zu verhelfen, indem sie einen die Verjährung hemmenden Verwaltungsakt im Sinne des § 52 Abs. 1 SGB X erlassen.

Gegen den für Erstattungsbescheide gemäß § 50 Abs. 3 SGB X von den genannten Landessozialgerichten gesehenen Vorrang des § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X und die Notwendigkeit eines zusätzlichen Verwaltungsakts zur Eröffnung des Anwendungsbereichs des § 52 SGB X sprechen folgende Argumente:

Soweit vom Landessozialgericht Berlin-Brandenburg "irgendein auf die Durchsetzung der festgestellten Erstattungsansprüche gerichteter weitere Verwaltungsakt" verlangt wird (a.a.O.) und das Landessozialgericht Baden-Württemberg ähnlich formuliert, es müssten "zusätzliche Verwaltungsakte zur Durchsetzung des Anspruchs ergehen" (a.a.O.) steht dies im Widerspruch zu dem seit dem 01.01.2002 geltenden Wortlaut des § 52 Abs. 1 SGB X, wonach nicht nur Verwaltungsakte "zur Durchsetzung", sondern auch Verwaltungsakte "zur Feststellung" eines Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers Verwaltungsakte im Sinne des § 52 Abs. 1 SGB X sind. Darüber hinaus reicht es nach der oben beschriebenen Definition für die Annahme eines Verwaltungsakts "zur Durchsetzung" bereits aus, dass mit der Feststellung der Forderung die Aufforderung zu deren Begleichung verknüpft wird, was regelmäßig - so auch im hier streitigen Fall - bei Bescheiden gemäß § 50 Abs. 3 SGB X der Fall ist.

Die Forderung nach dem Erlass eines zusätzlichen Verwaltungsakts im Sinne des § 52 Abs. 1 SGB X wirft die Frage auf, welche Regelung im Sinne § 31 SGB X dieser zusätzliche Verwaltungsakt beinhalten und auf welcher Ermächtigungsgrundlage er ergehen soll.

Diese Frage soll am vorliegenden Fall verdeutlicht werden: das Jobcenter forderte mit dem Bescheid vom 11.07.2013 vom Kläger eine genau bezifferte Erstattung, ausdrücklich unter Hinweis auf die erwartete Überweisung dieser Erstattung und die ansonsten drohende Zwangsvollstreckung. Für die Kammer ist nicht ersichtlich, was dem in einem zusätzlichen Bescheid hinzugefügt werden könnte.

Soll die Behörde in einem zusätzlichen Bescheid dem Bürger mitteilen, sie wolle das Geld wirklich? Das würde der Bürger nicht verstehen und es zu Recht als ein sinnloses bürokratisches Agieren betrachten. Ein solcher Hinweis hätte gegenüber einer bereits geltend gemachten Zahlungsaufforderung im Bescheid gemäß § 50 Abs. 3 SGB X auch keine neue regelnde Wirkung, so dass sie nicht einmal als Verwaltungsakt anzusehen wäre.

Soll die Behörde in einem zusätzlichen Bescheid dem Bürger mitteilen, für die nach § 50 Abs. 3 SGB X bereits geltende gemachte Forderung werde die 30-jährige Verjährungsfrist des § 52 SGB X geltend gemacht? Dagegen spricht, dass hierfür als Rechtsgrundlage zwangsläufig nur § 52 SGB X in Betracht käme, diese Norm aber, wie oben dargestellt, keine Ermächtigungsgrundlage für Verwaltungsakte ist, sondern den Erlass von Verwaltungsakten auf anderen Rechtsgrundlagen voraussetzt. Zudem steht es Behörden nicht zu, Verjährungsfristen zu regeln. Diese ergeben sich aus dem Gesetz. Soweit Behörden auf Verjährungsfristen hinweisen, fehlt es also wiederum an einer Regelung im Sinne des § 31 SGB X.

Die Forderung nach einem zusätzlichen Verwaltungsakt widerspricht im Übrigen dem oben dargestellten Ziel des § 52 SGB X. Den Behörden sollte mit dieser Norm eine einfache Möglichkeit eröffnet werden, um die 30-jährige Verjährungsfrist zu bewirken. Der Erlass "eines" - und zwar eines einzigen - Verwaltungsakts soll dafür ausreichen. Die Forderung der Landessozialgerichte nach zwei Verwaltungsakten ist damit nicht in Einklang zu bringen, erst Recht nicht angesichts der dargestellten Unklarheit über den etwaigen Inhalt des zweiten Verwaltungsaktes.

Gegen einen Vorrang von § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X gegenüber § 52 SGB X sprechen weiter der Wortlaut und der systematische Kontext des § 50 Abs. 4 S. 3 SGB X. Aus der Verknüpfung in einem einzigen Absatz ist zu schließen, dass sich die Regelung des § 50 Abs. 4 S. 3 SGB X "§ 52 bleibt unberührt" auf die vorangehenden Sätze 1 und 2 des gleichen Absatzes bezieht. Die Formulierung "bleibt unberührt" ist für die Kammer sprachlich so zu verstehen, dass § 52 SGB X Vorrang vor den Regelungen in § 50 Abs. 4 S. 1 und 2 SGB X hat, also Vorrang vor der 4-jährigen Verjährungsfrist (Satz 1) und Vorrang vor der Anwendung von Verjährungsregelungen des BGB (Satz 2).

Dies führt zu dem letztlich als Hauptargument der Landessozialgerichte zu sehenden Hinweis, dass § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X ohne jeden Anwendungsbereich verbleibt, wenn man einen Erstattungsbescheid nach § 50 Abs. 3 SGB X als Bescheid im Sinne des § 52 SGB X ansieht. Der Hinweis der Landessozialgerichte ist zutreffend. Nicht überzeugend ist jedoch, dass dieses Ergebnis, d.h. das Leerlaufen des § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X, unbedingt zu verhindern ist. Anders als die Landessozialgerichte geht die Kammer davon aus, dass es dem Gesetzgeber unterlaufen kann, dass eine Norm letztlich keinen Anwendungsbereich (mehr) hat. Das Leerlaufen einer Norm ist insbesondere dann hinzunehmen, wenn gesetzgeberische Motive bekannt sind, die dieses Leerlaufen mit sich bringen.

Aus der Entstehungsgeschichte und den Gesetzesbegründungen ergibt sich für die Kammer, dass das Leerlaufen des § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X vom Gesetzgeber, wenn auch wohl unbewusst, gewollt war.

Die beiden ersten Kapitel des SGB X und damit auch die §§ 50 und 52 SGB X (vormals §§ 48 und 50 SGB X) gelten seit dem 01.01.1981. In der damaligen Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 8/2034, S. 36) wurde im Hinblick auf § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X auf die schon existierenden Regelungen in §§ 44, 45 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) verwiesen ("lehnt sich an"), im Hinblick auf § 52 SGB X auf § 53 VwVfG ("entspricht"). § 45 SGB I regelte schon damals, dass Ansprüche auf Sozialleistungen in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie entstanden sind, verjähren. Die Gesetzesbegründung zu § 53 VwVfG (damals noch § 49 VwVfG; BT-Drucks. 7/910, S. 76) befasste sich mit der nicht zweifelsfrei geklärten Anwendbarkeit der Verjährungsvorschriften des BGB auf durch Verwaltungsakt festgestellte Ansprüche von Behörden. Hinsichtlich der dem § 52 Abs. 2 SGB X entsprechenden Regelungen des § 53 Abs. 2 VwVfG wurde - so die Gesetzesbegründung - vorgegeben, dass durch die Verweisung auf § 218 BGB die Verjährungsfrist des durch unanfechtbaren Verwaltungsakts festgestellten Anspruchs 30 Jahre beträgt.

Die im Januar 1981 in Kraft getretene erste Fassung des § 52 Abs. 1 S. 1 SGB X lautete sodann: "Ein Verwaltungsakt, der zur Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wird, unterbricht die Verjährung dieses Anspruchs". Abs. 2 der Vorschrift hatte folgenden Wortlaut: "Ist ein Verwaltungsakt im Sinne des Absatzes 1 unanfechtbar geworden, gilt § 218 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend".

§ 218 BGB hatte zum damaligen Zeitpunkt folgende Fassung: Ein rechtskräftig festgestellter Anspruch verjährt in dreißig Jahren, auch wenn er an sich einer kürzeren Verjährung unterliegt. Das gleiche gilt von dem Anspruch aus einem vollstreckbaren Vergleich oder einer vollstreckbaren Urkunde sowie von einem Anspruche, welcher durch die im Konkurs erfolgte Feststellung vollstreckbar geworden ist (Abs. 1). Soweit sich die Feststellung auf regelmäßig wiederkehrende, erst künftig fällig werdende Leistungen bezieht, bewendet es bei der kürzeren Verjährungsfrist (Abs. 2).

Mit Wirkung zum 01.01.2002 wurde § 52 SGB X neu gefasst. § 52 Abs. 1 S. 1 SGB X lautet seither: "Ein Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder zur Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wird, unterbricht die Verjährung dieses Anspruchs". Neu eingefügt wurde also die Formulierung "zur Feststellung". In Abs. 2 der Vorschrift wurde die Bezugnahme auf das BGB nicht mehr beibehalten. Die Vorschrift bekam den ebenfalls bis heute gültigen Wortlaut: "Ist ein Verwaltungsakt im Sinne des Absatzes1 unanfechtbar geworden, beträgt die Verjährungsfrist 30 Jahre." In der Gesetzesbegründung zu beiden Änderungen ist ausgeführt, die bisherige Rechtslage werde im Wesentlichen beibehalten (BT-Drucks. 14/9007, S. 40). In der Kommentarliteratur wird die Neufassung des § 52 Abs. 1 S. 1 SGB X vor dem Hintergrund eines Streits bzw. von Zweifeln gesehen, ob bereits nach dem früheren Wortlaut des § 52 Abs. 1 S. 1 SGB X Feststellungsbescheide, die lediglich die Leistungspflicht feststellen, die verjährungsrechtlichen Folgen des § 52 SGB X auslösen können. Die Neufassung wird insoweit als Klarstellung (Schütze, a.a.O., Rn 25), Obsolet-Werden der Diskussion (LPK-SGB X, a.a.O., Rn. 11) und Ausräumung von Zweifeln (Hauck/Noftz, a.a.O., Rn. 30) bezeichnet.

Unter Berücksichtigung dieser Entstehungsgeschichte spricht für die Kammer spätestens ab dem Zeitpunkt der Neufassung des § 52 SGB X im Januar 2002 alles dafür, dass Erstattungsbescheide nach § 50 Abs. 3 SGB X gleichzeitig Bescheide im Sinne des § 52 Abs. 1 S. 1 SGB X sind und damit § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X in der Tat keinen Anwendungsbereich mehr hat und aufgehoben werden könnte.

Schon die Gesetzesbegründung zu der bis 31.12.2001 gültigen Fassung des § 52 SGB X und zu § 50 SGB X (BT-Drucks. 8/2034, S. 36) sowie der frühere Wortlaut des § 52 SGB X lassen diese Auslegung zu. Die Begründungen der §§ 50 und 52 SGB X erfolgten damals jeweils sehr knapp untere Bezugnahme auf die gesetzlichen Regelungen in § 45 SGB I und § 53 VwVfG (s.o.). Dass die darin geregelten Verjährungsfristen von vier bzw. 30 Jahren in einem Spannungsverhältnis standen, wurde nicht thematisiert. Auf den ersten Blick gibt die Gesetzesbegründung damit keine Anhaltspunkte für ein Rangverhältnis zwischen den beiden Verjährungsfristen. Bei genauere Betrachtung ist jedoch zu beachten, dass die Bezugnahme auf § 45 SGB I mit der Formulierung "lehnt sich an" schwächer ausfällt als die Bezugnahme auf § 53 VwVfG mit "entspricht". Dies rechtfertigt die Heranziehung der Gesetzesbegründung zu § 53 VwVfG. Dieser Begründung ist mit ausreichender Klarheit zu entnehmen, dass für unanfechtbare Verwaltungsakte, die einen Anspruch eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers feststellen (!), die 30-jährige Verjährungsfrist gelten soll (BT-Drucks. 7/910, S. 76). Diese Begründung passt genau auf Bescheide gemäß § 50 Abs. 3 SGB X. Mit der auch in § 52 Abs. 2 SGB X a.F. erfolgten Bezugnahme auf § 218 BGB stellte der Gesetzgeber den unanfechtbar gewordenen Verwaltungsakt über den Anspruch eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers einem rechtskräftig festgestellten Anspruch, einem vollstreckbaren Vergleich oder einer vollstreckbaren Urkunde gleich und zwar auch dann, wenn der Anspruch - wie in § 218 BGB damals formuliert - an sich einer kürzeren Verjährung unterliegt. Bereits hieraus schließt die Kammer, dass der Gesetzgeber bereits ab dem Jahr 1981 die 30-jährige Verjährungsfrist für unanfechtbar gewordene Erstattungsbescheide wollte. Er begründete diesen Wunsch ausdrücklich mit der Vermeidung sachlich nicht gebotener Vollstreckungsmaßnahmen oder Leistungsklagen bei kürzeren Verjährungsfristen (BT-Drucks. 7/910, S. 76). Diese klar formulierte Zielsetzung wertet die Kammer gewichtiger, als die gleichzeitig in § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X in Anlehnung an § 45 SGB I formulierte Verjährungsfrist von vier Jahren. Diese Regelung lief schon damals ins Leere.

Ein Restanwendungsbereich wäre dem § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X bis 31.12.2001 verblieben, wenn man bis zur Neuformulierung des § 52 Abs. 1 SGB X ab Januar 2002 unterstellt (zur diesbezüglichen Unsicherheit s.o.), dass reine Feststellungsbescheide nicht "zur Durchsetzung" eines Anspruchs im Sinne dieser Norm ergingen. Mit der Einfügung der Alternative "zur Feststellung" in § 52 Abs. 1 SGB X entfiel dieser unterstellte Restanwendungsbereich. Nach dem In-Kraft-Treten der Neuformulierung gibt es für die Kammer keine Zweifel mehr, dass auch reine Feststellungsbescheide zur 30-jährigen Verjährungsfrist führen. Die Gesetzesänderung zum 01.01.2002 zeigt nochmals deutlich, dass der Gesetzgeber den Behörden unter einfachen Voraussetzungen einen sehr lange wirksamen Titel zur Vollstreckung ihrer Forderungen verschaffen wollte. Dass die in § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X geregelte kürzere Verjährungsfrist ausgehebelt wird, tritt hinter diesem klar erkennbaren Wunsch zurück. Darüber, ob sich der Gesetzgeber der Aushebelung des § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X bewusst war, kann die Kammer nur spekulieren. Der Wunsch nach der langen Verjährungsfrist ist aber eindeutig. Dass die lange Verjährungsfrist andere Fristen verdrängt, war im Übrigen in § 218 BGB, auf den die heutige Fassung des § 52 Abs. 2 SGB X inhaltlich zurückgeht, ausdrücklich geregelt.

Soweit in den Entscheidungen der Landessozialgerichte (s.o.) von einem unmöglichen Redaktionsversehen des Gesetzgebers ausgegangen und damit der Vorrang des § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X vor dem § 52 SGB X begründet wird, schließt sich dem die Kammer bereits aus den dargestellten Argumenten nicht an. Ergänzend ist zu bedenken, dass im Sozialrecht anders als im BGB die Verjährungsvorschriften nicht an einer Stelle konzentriert, sondern auf die verschiedenen Gesetzbücher verteilt sind. Die Verjährungsregelungen des Sozialrechts unterscheiden sich in mancherlei Hinsicht. Das Fehlen einer geschlossenen Regelung des Verjährungsrechts bringt es mit sich, dass zum Teil Regelungslücken zu Tage treten, die durch begründete Analogien zum BGB oder zu vorhandenen sozialrechtlichen Verjährungsregelungen zu schließen sind (Hauck/Noftz, a.a.O., § 52 Rn. 3-5). Das Verjährungsrecht des Sozialgesetzbuchs ist mithin nicht aus einem Guss, lückenhaft und verstreut geregelt. Für Ansprüche der Leistungsträger gegen Bürger wollte der Gesetzgeber aber mit der Einführung des § 52 SGB X Klarheit schaffen (Hauck/Noftz, s. eben, Rn. 10). Dass ihm dabei hinsichtlich § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X ein "Redaktionsversehen" unterlief, hält die Kammer aufgrund der dargestellten Eigenschaften des Verjährungsrechts des Sozialrechts für sehr gut möglich.

Der Auffassung, die Beklagte habe durch ihr prozessuales Verhalten im Revisionsverfahren B 11 AL 5/19 R akzeptiert, dass Bescheide nach § 50 Abs. 3 SGB X nur eine vierjährige Verjährungsfrist mit sich bringen und müsse sich nun generell daran halten (Geiger, info also 2020, 29), ist zu widersprechen. Die Kammer kennt die genauen Gründe für das prozessuale Verhalten der Beklagten im Verfahren B 11 AL 5/19 R nicht. Spekulationen darüber sind unnötig, denn selbst wenn die Beklagte in dem beim Bundessozialgericht anhängigen Verfahren hinsichtlich der hier streitigen Rechtsfrage der Verjährung im Sinne des dortigen Klägers nachgegeben hätte: dies wäre falsch gewesen und einen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht gibt es nicht (BSG, Urteil vom 29.01.2008, B 7/7a AL 6/06 R, in juris Rn. 16).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Berufung ist schon im Hinblick auf die gegebene Abweichung zur Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26.06.2020 (L 8 AL 3185/19, a.a.O.) gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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