L 14 AL 4/20

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 84 AL 1210/19
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 AL 4/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Für den Erlass von Widerspruchsbescheiden ist auch bei einer Aufgabenübertragung nach § 44 b Abs 4 SGB II das Jobcenter zuständig.
2. Erstattungsforderungen nach § 328 Abs 3 SGB III verjähren nach 30 Jahren.
3. Da das SGG - anders als die ZPO (§§ 732, 766, 767, 768, 771 - 774) - für die Verwaltungsvollstreckung keine spezifisch auf das Vollstreckungsrecht ausgerichteten Klagearten bereit hält, muss Rechtsschutz anhand des allgemeinen prozessualen Instrumentariums des SGG im Rahmen seiner allgemeinen Verfahrensgrundsätze gewährt werden.
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. Dezember 2019 geändert. Die Widerspruchsbescheide vom 12. September 2019 werden aufgehoben. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1/10 zu tragen. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger wenden sich gegen Maßnahmen, die die beklagte Bundesagentur für Arbeit – jeweils durch die Agenturen für Arbeit Bochum oder Recklinghausen – im Rahmen des Forderungseinzugs im Auftrag des beigeladenen Jobcenters vorgenommen hat.

Der Beigeladene setzte gegen die nicht ehelich zusammenlebenden Kläger im Rahmen von Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden (im Folgenden vereinfachend: Erstattungsbescheide) diverse (Rückzahlungs-)Forderungen fest, bezüglich deren Zahlung die Beklagte – mit Ausnahme des Schreibens vom 24. Mai 2019 ausschließlich den Kläger erinnerte bzw. mahnte. Die Einzelheiten stellen sich nach den Zahlungserinnerungen (E) bzw. der Mahnung (M) der Beklagten wie folgt dar:

Bescheiddatum Betroffener Zeitraum ursprüngliche Rückforderung in EUR noch offener Betrag in EUR (incl. Mahngebühren) Datum der Erinnerung / Mahnung 9.8.17 1.2.-31.7.12 2.045,11 1.373,70 5.3.19 (E) 10./12.8.10 1.-31.7.10 59,48 64,48 14.5.19 (M) 22.12.10 1.-31.12.10 9.8.17 1.2.-31.7.12 3.777,77 2.303,45 24.5.19 (E) 26.5.17 1.-28.2.17 26.5.17 1.2.-31.7.14 26.5.17 1.2.-31.7.14 1.-28.2.17 1.609,05 806,67 9.7.19 (E) Bezüglich der Erstattungsforderungen für die Monate Juli und Dezember 2010, die der Beigeladene auf § 328 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) gestützt hatte, hatte die Beklagte unter dem 1. März 2011 und 14. August 2011 den Kläger gemahnt und Mahngebühren festgesetzt. Die Mahnung vom 14. Mai 2019, mit der die Beklagte gegenüber dem Kläger auch eine Mahngebühr von 5.- EUR festgesetzt hatte, "hob" sie im Laufe des Berufungsverfahrens "auf" (Schriftsatz vom 27. Oktober 2020). Den Antrag der Kläger vom 14. Juni 2019 auf Überprüfung "des Bescheides 26.05.17 und 09.08.17" wies der Beigeladene mit Bescheid vom 5. August 2019, bestätigt durch den nicht angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 2019, zurück.

Die Beklagte sah in den gegen die Zahlungserinnerungen vom 5. März 2019 und 9. Juli 2019 gerichteten Schreiben der Kläger Widersprüche, die sie mit den – nur an den Kläger gerichteten – Widerspruchsbescheiden vom 12. September 2019 (W-37501-12191/19 bzgl. des Schreibens vom 9. Juli 2019 und W-37501-12190/19 bzgl. des Schreibens vom 5. März 2019) als unzulässig verwarf.

Mit ihrer "Klage gegen das Schreiben der Agentur für Arbeit Bochum [ ] vom 12.09.2019, GZ: [ ] W-37501-12190/19 gegen die Zahlungserinnerung/Aufforderung v. 05. März 2019", der neben den beiden o.g. Widerspruchsbescheiden auch die o.g. Mahnung vom 14. Mai 2019 und die o.g. Zahlungserinnerung vom 24. Mai 2019 beigefügt waren, haben die Kläger u.a. wörtlich vorgebracht: "Die Summen variieren (2.303.-) ständig. Siehe Schreiben von JC v. 25.05.2019. Andere Schreiben liegen mir hierfür nicht vor. Es ist von zwischen 2012 – 2017 Leistungsanspruch. Keine Rückzahlungspflicht bei zu später Rückforderung SG Gießen Az: S 22 AS 629/13." Sie bezögen sich "auf die Mahnungen bzw. Aufhebung der Leistungen vom Jobcenter [ ] (teilweise Aufhebungen)", die sie dem Sozialgericht "im letzten Schreiben (vom September 2019 oder früher)" geschickt hätten. Die "Rückzahlungen" seien verjährt.

Mit Gerichtsbescheid vom 13. Dezember 2019 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Gegenstand der Klage seien die Zahlungserinnerungen vom 5. März und 9. Juli 2019 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 12. September 2019, welche die Klägerin nicht beträfen, sodass ihre Klage unzulässig sei. Die Schreiben vom 14. und 24. Mai 2019 hätten die Kläger nur zur Erläuterung der variierenden Summen eingereicht. Die Anfechtungsklage des Klägers sei unzulässig, weil die Zahlungserinnerung bzw. Mahnung keinen Verwaltungsakt i.S.v. § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) darstellten. Lege man sein Begehren als Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 Zivilprozessordnung – ZPO) aus – nur so sei zulässiger Rechtsschutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen möglich –, sei sie mangels einer Vollstreckungsanordnung und somit mangels erfolgter Einleitung der Vollstreckung unzulässig. Auch als Feststellungsklage sei die Klage unzulässig, weil gerichtlicher Rechtsschutz durch eine Vollstreckungsabwehrklage (nach Einleitung der Vollstreckung) erreicht werden könne.

Gegen diesen ihnen am 27. Dezember 2019 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung der Kläger vom 13. Januar 2020, zu deren Begründung sie vorbringen: Sie hätten immer richtige Angaben gegenüber dem Jobcenter gemacht und sich auch nicht fahrlässig verhalten. Die Jahresfrist nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X sei abgelaufen, die Forderung verjährt. Eine Rückzahlung der Beträge sei nicht gerechtfertigt. Sie seien im Besitz von Schwerbehinderten-Ausweisen. Nach ihrer Erinnerung habe die Klägerin immer gegen alle Bescheide Widerspruch eingelegt. Grundsätzlich sei eine Rückforderung von Sozialleistungen ausgeschlossen, wenn der Betroffene das Geld ausgegeben habe oder "bei zu später Rückforderung (zwischen 2012 und 2017)". Ferner berufen sie sich auf das Urteil des Sozialgerichts Dortmund zum Az.: S 35 AS 1879/14.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. Dezember 2019 und die Widerspruchsbescheide vom 12. September 2019 aufzuheben, 2. den Bescheid vom 14. Mai 2019 aufzuheben, 3. die Beklagte zu verurteilen, die Vollstreckung aus den Bescheiden vom 10./12. August und 22. Dezember 2010, 26. Mai und 9. August 2017 einzustellen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. Dezember 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Vollstreckung aus den Bescheiden vom 10./12. August und 22. Dezember 2010, 26. Mai und 9. August 2017 einzustellen.

Die Beklagte und der Beigeladene beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und trägt ergänzend vor: Sie sei ordnungsgemäß und hinreichend bestimmt mit der Einziehung der Forderung für den Beigeladenen beauftragt worden. Die Verjährungsfrist betrage 30 Jahre.

Der Beigeladene behauptet, die sich auf die Bescheide vom 26. Mai und 9. August 2017 beziehenden Forderungen in Höhe von 1.373,70 EUR und 806,67 EUR bezüglich des Klägers sowie 2.303,45 EUR bezüglich der Klägerin seien noch nicht ausgeglichen. "Klagegenstand" seien nur die Zahlungserinnerungen vom 5. März und 9. Juli 2019.

Die Beklagte bzw. der Beigeladene haben die zwischen ihnen geschlossene, unveröffentlichte "Zusatzverwaltungsvereinbarung nach § 44b Abs. 4 SGB II zum Angebot O.8 - Forderungseinzug - des Service Portfolios der Bundesagentur für Arbeit" (ZVV) vom 23./27. Dezember 2016, die Folgevereinbarung vom 13. Dezember 2019 / 14. Februar 2020 (ZVV II) sowie die Protokollauszüge der 26. bzw. 38. Sitzung der Trägerversammlung des Beigeladenen vom 23. November 2016 bzw. 5. Dezember 2019 übersandt. Auf deren Inhalt (Bl. 100 ff., 184 ff. der Gerichtsakte; Beiakte) wird verwiesen.

Der Berichterstatter hat die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten am 16. März 2020 erörtert. Mit Beschluss vom selben Tage wurde das Jobcenter Berlin Marzahn-Hellersdorf beigeladen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die dem Senat vorgelegen hat, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in Abwesenheit der Kläger und des Beigeladenen verhandeln und entscheiden, weil sie mit der Terminsmitteilung auf diese nach § 153 Abs. 1 in Verbindung mit (i.V.m.) § 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bestehende Möglichkeit hingewiesen wurden.

Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid ist teilweise, die angefochtenen Widerspruchsbescheide sind insgesamt aufzuheben. Im Übrigen, insbesondere soweit die Kläger die Einstellung der Vollstreckung geltend machen, bleibt die Berufung ohne Erfolg.

I. Streitgegenstand sind neben dem angefochtenen Gerichtsbescheid nicht nur die Schreiben der Beklagten an den Kläger vom 5. März und 9. Juli 2019 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 12. September 2019, sondern auch das Begehren der Kläger, die mit dem Schreiben vom 14. Mai 2019 festgesetzte Mahngebühr aufzuheben und die Vollstreckung aus den Bescheiden vom 10./12. August und 22. Dezember 2010, 26. Mai und 9. August 2017 einzustellen. Dies ergibt sich aus einer Auslegung des Klagevorbringens auf der Grundlage von § 123 SGG.

1. Nach dieser Vorschrift entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Klageanträge sind daher nach dem Meistbegünstigungsprinzip unabhängig vom Wortlaut unter Berücksichtigung des wirklichen Willens und der Auslegungsregel des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) so auszulegen, dass das klägerische Begehren möglichst weitgehend zum Tragen kommt. Die Gerichte haben sich nicht daran zu orientieren, was als Klageantrag zulässig ist, sondern was nach dem klägerischen Vorbringen begehrt wird, soweit jeder vernünftige Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Beratung anpassen würde und keine Gründe für ein anderes Verhalten vorliegen. Danach ist nicht am Wortlaut einer Erklärung zu haften, sondern der wirkliche Wille zu erforschen und zu berücksichtigen, soweit er für das Gericht und die Beteiligten erkennbar ist. Dabei muss der für das Gericht und die übrigen Beteiligten erkennbare gesamte Klagevortrag einschließlich der Verwaltungsvorgänge herangezogen werden (BSG, Urteil vom 06. April 2011 – B 4 AS 119/10 R –, juris, m.w.N.).

2. Auf dieser Grundlage berücksichtigt der Senat, dass die Klageschrift beide Kläger benennt, teilweise den Plural verwendet ("unseren Widerspruch"), von beiden Klägern unterschrieben ist, ihr an beide Kläger einzeln gerichtete Schreiben und Bescheide der Beklagten beigefügt waren und sie auf das an die Klägerin gerichtete Schreiben vom 24. Mai 2019 durch die Erwähnung des dortigen Euro-Betrags ("2.303.-”) Bezug nimmt, und folgert – abweichend von der Einschätzung des Sozialgerichts – daraus, dass beide Kläger jeweils Rechtsschutz gegen die an sie gerichteten, eingereichten Schreiben und Bescheide der Beklagten suchen, soweit dies in subjektiver und objektiver Klagehäufung (§ 56 SGG) zulässig ist.

Konkret begehrt daher der Kläger die Aufhebung der beiden Widerspruchsbescheide vom 12. September 2019 sowie die Aufhebung des Schreibens vom 14. Mai 2019; dieses stellt einen Verwaltungsakt i.S.v. § 31 SGB X dar, soweit darin eine Mahngebühr i.H.v. 5.- EUR festgesetzt wird. Beide Kläger erstreben die Aufhebung der jeweils einzeln an sie gerichteten o.g. Zahlungserinnerungen sowie die Einstellung der Vollstreckung aus den jeweils einzeln an sie gerichteten o.g. Erstattungsbescheiden vom 10./12. August und 22. Dezember 2010, 26. Mai und 9. August 2017.

Dass die Kläger sinngemäß jeweils (auch) die Einstellung der Vollstreckung begehren, entnimmt der Senat ihrem Vorbringen, dass keine Rückzahlungspflicht bestehe und die Erstattungsforderung(en) verjährt seien. Der Formulierung "bei zu später Rückforderung (zwischen 2012 und 2017)" lässt sich – entgegen der Auffassung des Beigeladenen – nicht zwangsläufig entnehmen, dass die Einstellung der Vollstreckung aus den o.g. Erstattungsbescheiden des Jahres 2010 im Berufungsverfahren nicht mehr weiterverfolgt werden soll. Denn die Kläger formulieren insgesamt eher ungenau und verwenden z.B. in ihrer Berufungsschrift nur den Singular ("Die Forderung liegt zu lange zurück"), obwohl sie die Berufung im Übrigen nicht auf eine der in den Zahlungserinnerungen vom 5. März und 9. Juli 2019 genannten Forderungen beschränken und auch nicht zu ermitteln wäre, wegen welcher einzelnen Forderung der Rechtsstreit mit der Berufung fortgeführt werden soll. Entsprechendes gilt für die Formulierung "Es ist von zwischen 2012 – 2017 Leistungsanspruch" in der Klageschrift. Denn die Kläger haben mit der Klageschrift u.a. das Schreiben der Beklagten vom 14. Mai 2019 eingereicht und sich im weiteren Klagevorbringen ausdrücklich auch auf "Mahnungen" bezogen. Das Schreiben vom 14. Mai 2019 enthält jedoch als einziges der klägerseitig eingereichten Schreiben und Bescheide der Beklagten eine Mahnung.

3. Unerheblich ist, dass das Sozialgericht infolge seiner verengten Bestimmung des Streitgegenstandes ausdrücklich nur über die Schreiben der Beklagten vom 5. März und 9. Juli 2019, beide in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 12. September 2019, entschieden hat. Denn aus dem Gesamtzusammenhang seiner Ausführungen, insbesondere seiner ebenfalls verengten Ansicht zu den Rechtsschutzmöglichkeiten der Kläger im Hinblick auf Vollstreckungsmaßnahmen der Beklagten, ergibt sich, dass es das Begehren der Kläger insgesamt für erfolglos hielt.

Die Kläger sind daher nicht auf eine Urteilsergänzung nach § 140 SGG zu verweisen. Diese kommt nicht in Betracht, wenn – wie im vorliegenden Fall – ein Gericht, z.B. infolge einer unzutreffenden Auslegung des klägerischen Begehrens, über einen Anspruch bewusst nicht entscheidet (BSG, Beschluss vom 02. April 2014 – B 3 KR 3/14 B –, und Urteil vom 26. August 1994 – 13 RJ 9/94 –, jeweils juris und m.w.N.; Schütz, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar [jurisPK] SGG, § 140 SGG (Stand: 05.04.2018), Rn. 15; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13.A., § 140 Rn. 2c m.w.N.).

II. Die Anfechtungsanträge der Kläger sind unzulässig, soweit sie sich gegen die Zahlungserinnerungen vom 5. März und 9. Juli 2019 (hierzu 1.) und gegen den Bescheid vom 14. Mai 2019 (hierzu 2.) richten, hingegen begründet, soweit sich der Kläger gegen die Widerspruchsbescheide vom 12. September 2020 wendet, denn diese sind aus formalen Gründen rechtswidrig (hierzu 3.).

1. Der gegen die Zahlungserinnerungen der Beklagten vom 5. März und 9. Juli 2019 gerichtete Anfechtungsantrag ist unzulässig. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts (§ 153 Abs. 2 SGG), denen nichts hinzuzufügen ist.

2. Die Erklärung der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 27. Oktober 2020, sie halte "die Mahnung vom 14. Mai 2019 nicht aufrecht und [hebe] diese Entscheidung auf" stellt nicht nur eine Prozesserklärung, sondern auch einen Verwaltungsakt i.S.v. § 31 SGB X dar. Denn darin kommt unmissverständlich ein weitergehender Regelungswille zum Ausdruck (vgl. BSG, Urteile vom 14. Februar 2013 – B 14 AS 62/12 R –, und vom 18. Mai 2011 – B 3 P 5/10 R –, jeweils juris und m.w.N.). Soweit der Kläger den Bescheid vom 14. Mai 2019 anficht, fehlt ihm nach dessen Aufhebung das für jedes Rechtsschutzbegehren erforderliche Rechtsschutzbedürfnis; insoweit ist die Klage daher unzulässig (geworden).

3. Soweit der Kläger die Widerspruchsbescheide vom 12. September 2019 anficht, ist die Klage zulässig und begründet. Diese Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen subjektiven Rechten. Denn für den Erlass dieser Widerspruchsbescheide war nicht die Beklagte, sondern der Beigeladene zuständig.

a. Gemäß § 44b Abs. 1 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bilden die Träger im Gebiet jedes kommunalen Trägers nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II zur einheitlichen Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende eine gemeinsame Einrichtung (die gemäß § 6d SGB II die Bezeichnung Jobcenter führt). Die gemeinsame Einrichtung nimmt gemäß Satz 2 dieser Vorschrift die Aufgaben der Träger nach diesem Buch wahr, wobei die Trägerschaft nach § 6, § 6a und § 6b SGB II unberührt bleibt. Die gemeinsame Einrichtung ist befugt, Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide zu erlassen (§ 44b Abs. 1 Satz 3 SGB II). Soll diese gesetzliche Wahrnehmungszuständigkeit durchbrochen werden, bedarf es einer gesetzlichen Grundlage. Das gilt selbst für den Fall, dass einer der Leistungsträger einen Teil seiner Aufgaben wahrnehmen soll, wie das BSG (Urteil vom 26. Mai 2011 – B 14 AS 54/10 R –, juris) bereits zu § 44b SGB II (in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung) entschieden hat.

Für die Rechtslage seit dem 1. Januar 2011 gilt nichts anderes (BSG, Urteil vom 14. Mai 2020 – B 14 AS 28/19 R –, juris, Rn. 29 ff.). Mit der zu diesem Zeitpunkt ergangenen Neuregelung des § 44b Abs. 4 SGB II (durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende [GrSiWEntG] vom 3. August 2010 (BGBl I, S. 1112) hat der Gesetzgeber eine erste normative Grundlage für die Ausführung einzelner Aufgaben auch durch die Träger der Leistungen nach dem SGB II geschaffen. Gemäß § 44b Abs. 4 Satz 1 SGB II kann die gemeinsame Einrichtung einzelne Aufgaben auch durch die Träger wahrnehmen lassen. Dieser Wortlaut lehnt sich eng an die Formulierung an, die der Gesetzgeber schon in § 88 Abs. 1 Satz 1 SGB X gewählt hat (BSG a.a.O.). Danach kann unter im Einzelnen genannten Voraussetzungen ein "Leistungsträger (Auftraggeber) [ ] ihm obliegende Aufgaben durch einen anderen Leistungsträger oder seinen Verband (Beauftragter) mit dessen Zustimmung wahrnehmen lassen, wenn ". Diese Aufgabenwahrnehmung bezeichnet das Gesetz – wie die amtliche Überschrift zu § 88 SGB X belegt – rechtstechnisch als "Auftrag". § 44b Abs. 4 Satz 1 SGB II ermöglicht somit die Zuweisung einzelner Aufgaben durch Auftrag (BSG a.a.O.). Mit der zum 1. August 2016 vorgenommenen Einfügung von § 44b Abs. 4 Satz 2 SGB II (durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26. Juli 2016, BGBl I, S. 1824), wonach "im Übrigen [ ] die §§ 88 bis 92 des Zehnten Buches für die gemeinsamen Einrichtungen im Aufgabenbereich dieses Buches entsprechend" gelten, wurden die normativen Vorgaben für die Aufgabenübertragung durch die Anordnung der entsprechenden Geltung von Vorschriften über die Zusammenarbeit der Leistungsträger konkretisiert (BSG, a.a.O.).

Entgegen der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung gelten daher auch für die Wahrnehmung einzelner Aufgaben der gE durch einen ihrer Träger die den Auftrag unter Leistungsträgern regelnden §§ 88 ff. SGB X. Der Senat verkennt nicht, dass der Wortlaut von § 44b Abs. 4 Satz 2 SGB II ("Im Übrigen ") und teilweise auch die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/8041, S. 58: "Die bisherige Möglichkeit der Wahrnehmung einzelner Aufgaben durch die Träger nach Satz 1 bleibt unberührt") die Deutung zulassen, das Auftragsrecht des SGB X (§§ 88 ff. SGB X) sei auf die Aufgabenwahrnehmung nach § 44b Abs. 4 Satz 1 SGB II nicht anwendbar (so Weißenberger, in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl., § 44b Rn. 29; Herbst, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK SGB II, 5.A., § 44b Rn. 118 ff.). Dieses Ergebnis berücksichtigt aber historische und systematische Überlegungen nicht hinreichend. Zum einen beabsichtigte der Gesetzgeber – wie sich aus der weiteren Gesetzesbegründung ergibt (BT-Drs. 18/8041, S. 25) – eine allgemeine Gleichstellung der gemeinsamen Einrichtungen mit anderen Leistungsträgern: Die bis dato ausgeschlossene Anwendbarkeit der § 88 bis § 92 SGB X – wie im Urteil des BSG vom 26. Mai 2011 (B 14 AS 54/10 R, juris) festgestellt – sollte durch einen ausdrücklichen gesetzlichen Verweis auf diese Vorschriften ermöglicht werden (BT-Drs. 18/8041, S. 22). Zum anderen legt in systematischer Hinsicht insbesondere die enge Anlehnung des Wortlauts von § 44b Abs. 4 Satz 1 SGB II an § 88 Abs. 1 Satz 1 SGB X nahe, dass die Auftragsregeln nach §§ 88 ff. SGB X auch für die Aufgabenwahrnehmung nach § 44b Abs. 4 Satz 1 SGB II Geltung beanspruchen. Die Gegenauffassung lässt im Übrigen nicht erkennen, welche rechtlichen Vorgaben für eine nicht an §§ 88 ff. SGB X orientierte Aufgabenwahrnehmung nach § 44b Abs. 4 Satz 1 SGB II einzuhalten wären.

Im konkreten Fall tritt hinzu, dass sich die Beklagte in allen o.g. Schreiben an die Kläger darauf berufen hat, sie sei vom Beigeladenen "mit der Wahrnehmung des Forderungseinzugs beauftragt" (Hervorhebung nur hier) worden. Dies knüpft sprachlich an §§ 88 ff. SGB X an. Das Handeln im Namen eines Auftraggebers – wie in § 89 Abs. 1 SGB X vorgesehen – ist indes ein maßgebliches Erkennungszeichen und Abgrenzungskriterium für ein Vorgehen auf der Grundlage von §§ 88 ff. SGB X (BSG, a.a.O., Rn. 31).

b. Zuständig für den Erlass von Widerspruchsbescheiden im Rahmen übertragener Aufgaben nach § 44b SGB II ist danach das beigeladene Jobcenter.

aa. Gemäß § 44b Abs. 4 Satz 2 SGB II in Verbindung mit (i.V.m.) § 90 Satz 2 SGB X erlässt, wenn der Beteiligte gegen eine Entscheidung des beauftragten Leistungsträgers Widerspruch erhebt und dieser dem Widerspruch nicht abhilft, den Widerspruchsbescheid die für den Auftraggeber zuständige Widerspruchsstelle. Der Beauftragte ist hingegen zum Erlass des Widerspruchsbescheids nicht befugt (vgl. Herbst, a.a.O.; Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht (KK) / Herbst, Stand Juli 2020, § 90 SGB X, Rn. 19; Weißenberger, a.a.O., Rn. 33; Beck’scher Online-Kommentar [BeckOK] Sozialrecht / Mushoff, Stand: 1.9.2020, SGB II, § 44b Rn. 11c; Meyer-Ladewig/Keller/Leithe¬rer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13.A., § 85 Rn. 3h). § 90 SGB X ist zwingendes Recht, eine davon abweichende Regelung von Befugnissen durch Auftraggeber und Auftragnehmer wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht demnach unbeachtlich. Nachdem die Beklagte die gegen die Zahlungserinnerungen vom 5. März und 9. Juli 2019 gerichteten Schreiben der Kläger als Widersprüche i.S.v. §§ 78 ff. SGG gesehen hatte, ihnen jedoch nicht abhelfen wollte, hätte sie als beauftragter Leistungsträger nicht selbst darüber entscheiden dürfen. Für den Erlass des Widerspruchsbescheids war, so man in den gegen die Zahlungserinnerungen vom 5. März und 9. Juli 2019 gerichteten Schreiben der Kläger überhaupt Widersprüche i.S.v. §§ 78 ff SGG sieht, vielmehr der Beigeladene als Auftraggeber zuständig (vgl. auch BSG, Urteil vom 14. Mai 2020 – B 14 AS 28/19 R –, Rn. 40, juris).

bb. Die Zuständigkeit der Jobcenter nach § 44b Abs. 4 Satz 2 SGB II i.V.m. § 90 Satz 2 SGB X wird nicht durch § 85 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1, 1. Alt. SGG beseitigt. Danach ist in Angelegenheiten nach dem SGB II der zuständige Träger, der den dem Widerspruch zugrunde liegenden Verwaltungsakt erlassen hat, auch für die Entscheidung über den Widerspruch zuständig; § 44b Abs. 1 Satz 3 SGB II bleibt unberührt. Diese Bestimmung wurde durch das Siebente Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (7. SGGÄndG) vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I, 3302) aufgenommen und dient – ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/3169, S. 10) – der Klarstellung, wer über Widersprüche bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet. Eine Abweichung von der generellen Regelung in § 90 Satz 2 SGB X war somit nicht bezweckt. § 85 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2, 1. Alt. SGG verdrängt auch nicht als speziellere Regelung (lex specialis) den Anwendungsbefehl von § 90 Satz 2 SGB X durch § 44b Abs. 2 Satz 2 SGB II (a.A. SG Mannheim, Urteil vom 01. Juli 2005 – S 9 AS 722/05 –, juris; Hochheim, in: Hauck/Noftz, SGB, Stand: 08/19, § 90 SGB X Rn. 11; KK/Herbst, a.a.O., Rn. 4). Vielmehr gebührt der spezielleren Regelung in § 44b Abs. 4 Satz 2 SGB II (i.V.m. § 90 Satz 2 SGB X) für den Bereich übertragener Aufgaben der Vorrang gegenüber der für das gesamte SGB II geltenden und somit allgemeineren Regelung in § 85 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2, 1. Alt. SGG. Dieser Vorrang ergibt sich darüber hinaus auch aus dem Grundsatz, dass das jüngere Gesetz – hier: § 44b Abs. 4 Satz 2 SGB II – dem älteren – hier: § 85 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2, 1. Alt. SGG – vorgeht ("lex posterior derogat legi priori").

cc. Eine Auseinandersetzung mit dem vom Beigeladenen angeführten Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 6. August 2020 (L 19 AS 931/19, juris) erübrigt sich, da es die Anwendbarkeit der §§ 88 ff. SGB X nicht thematisiert.

dd. Auf die Frage, ob der Beigeladene den Aufgabenbereich des Forderungseinzugs bzw. der Vollstreckung überhaupt wirksam auf die Beklagte übertragen hat, kommt es daher an dieser Stelle nicht an (s. hierzu III. 4. c.).

c. Wurden die Widerspruchsbescheide vom 12. September 2019 somit von der sachlich unzuständigen Behörde erlassen, sind sie allein deshalb rechtswidrig und aufzuheben. Dies folgt aus dem Umkehrschluss zu § 42 Satz 1 SGB X, wonach die Aufhebung eines Verwaltungsaktes nicht allein wegen der Verletzung von Vorschriften u.a. über die örtliche Zuständigkeit beansprucht kann werden, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat (vgl. Schütze/ Schütze, SGB X, 9. Aufl., § 42 Rn. 5 m.w.N.).

III. Soweit die Kläger sinngemäß geltend machen, die Vollstreckung aus den o.g. Erstattungsbescheiden sei insgesamt einzustellen, ist der diesbezügliche Leistungsantrag zulässig, aber unbegründet.

1. Rechtsgrundlage für die Vollstreckung der o.g. Erstattungsbescheide des Beigeladenen ist § 40 Abs. 8 SGB II (wortgleich: Abs. 6 in der vom 1. April 2011 bis zum 31. Juli 2016 und Abs. 4 in der vom 1. Januar bis 31. März 2011 geltenden Fassung). Danach gilt für die Vollstreckung von Ansprüchen der in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirkenden Träger nach diesem Buch das VerwaltungsVollstreckungsgesetz (VwVG) des Bundes; im Übrigen gilt § 66 SGB X. Mithin richtet sich im vorliegenden Fall die Vollstreckung aus den Erstattungsbescheiden des Beigeladenen, da dieser kein zugelassener kommunaler Träger i.S.v. § 6a SGB II ist, nach dem die Vollstreckung von Geldforderungen betreffenden Ersten Abschnitt des VwVG mit dessen §§ 1 bis 4 sowie der Verweisung auf die Abgabenordnung (AO) in § 5 Abs. 1 VwVG, insbesondere in ihrem Sechsten Teil mit den §§ 249 ff (BSG, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 38/14 R –, juris). Die in § 5 VwVG genannten Vorschriften der AO nehmen die Vollstreckungsgegenklage (Vollstreckungsabwehrklage) nach § 767 ZPO nicht in Bezug, sodass – entgegen der Rechtsauffassung des Sozialgerichts – für diese im Vollstreckungsverfahren nach dem VwVG bzw. der AO weder Bedarf noch Raum ist (Becker, SGb 2018, 456 ff.; BFH, Beschluss vom 01. August 2002 – VII B 352/00 –, juris; Neumann, in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Stand: 1.12.2011, § 256 Rn. 31 m.w.N.).

2. Da das SGG – anders als die ZPO (§§ 732, 766, 767, 768, 771-774) – für die Verwaltungsvollstreckung keine spezifisch auf das Vollstreckungsrecht ausgerichteten Klagearten bereit hält, muss Rechtsschutz anhand des allgemeinen prozessualen Instrumentariums des SGG im Rahmen seiner allgemeinen Verfahrensgrundsätze gewährt werden. Der Vollstreckungsschutz des Vollstreckungsschuldners muss sich dann gegen die einzelnen Vollstreckungsmaßnahmen richten, die regelmäßig selbst Verwaltungsakte sind. Lassen sich die angegriffenen Vollstreckungsmaßnahmen nicht als Verwaltungsakt qualifizieren – etwa weil, wie im vorliegenden Fall, die Einstellung der Vollstreckung insgesamt begehrt wird –, steht die Leistungsklage in der Form der Unterlassungsklage zur Verfügung (vgl. Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. Mai 2020 – L 3 AS 1168/20 ER-B –, juris, m.w.N.; Littmann, in: Hauck/Noftz, SGB, Stand: 03/16, § 66 SGB X, Rn. 66, 68; Schenke/Baumeister, NVwZ 1993, 1 ff.).

3. Der somit statthafte Antrag auf Einstellung der Vollstreckung ist auch im Übrigen zulässig.

Wegen des klägerischen Begehrens, die Vollstreckung (insgesamt) einzustellen, hat der Senat zu prüfen, ob die Vollstreckungen so wie angekündigt (noch oder überhaupt) statthaft waren. Rechtliche Grundlage dafür ist (§ 40 Abs. 8 Halbsatz 1 SGB II i.V.m. § 5 Abs. 1 VwVG und) § 257 Abs. 1 AO. Danach ist eine Vollstreckung einzustellen, sobald u.a. die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen des § 251 Abs. 1 AO weggefallen sind, also die Vollziehung ausgesetzt oder durch Einlegung eines Rechtsbehelfs gehemmt ist (Nr. 1), der Verwaltungsakt, aus dem vollstreckt wird, aufgehoben wird (Nr. 2) oder der Anspruch auf die Leistung erloschen ist (Nr. 3).

a. Allerdings erfasst keine dieser Regelungen die Verjährung. Anders als im Steuerrecht, wo gemäß § 232 AO durch die Verjährung der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis erlischt, bewirkt die Verjährung im Sozialrecht lediglich ein Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners. Dies ergibt sich aus dem Verweis auf § 214 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in § 45 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), § 25 Abs. 2 Satz 1 und § 27 Abs. 3 Satz 1 SGB IV und § 50 Abs. 4 Satz 2 und § 113 Abs. 2 SGB X. § 52 SGB X enthält zwar keine solche Verweisung, gleichwohl gilt § 214 Abs. 2 BGB auch insoweit; denn eine andere Wirkung der Verjährung ist weder dem Wortlaut noch der Gesetzesbegründung zu § 52 SGB X (BT-Drs. 14/9007, S. 21) zu entnehmen. Kann der Schuldner indes die Leistung dauerhaft verweigern, darf sie nicht vollstreckt werden. Die insoweit im Sozialrecht bestehende Regelungslücke, die Wirkung der Verjährung im Vollstreckungsverfahren geltend zu machen, ist durch eine analoge Anwendung von § 257 Abs. 1 AO zu schließen (zur Anwendung von § 258 AO ["Einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung"] im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes s. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. Dezember 2018 – L 34 AS 2224/18 B ER –, juris).

b. Die Kläger können die Einstellung der Vollstreckung auch gegenüber der Beklagten geltend machen. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass für Einstellungsentscheidungen sowohl das Hauptzollamt – als für die Durchführung der Vollstreckungen im Außenverhältnis zu den Klägern gemäß § 40 Abs. 8 Halbsatz 1 SGB II i.V.m. § 4 lit. b VwVG, § 249 Abs. 1 Satz 3 AO und § 1 Nr. 4 Finanzverwaltungsgesetz sachlich zuständige Behörde – als auch die Jobcenter zuständig sind (BSG, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 38/14 R –, juris). Dann muss erst recht auch die vom beigeladenen Jobcenter beauftragte Beklagte für solche Entscheidungen zuständig sein. Im Übrigen ist die Beklagte aber auch als mit der Vollstreckung Beauftragte verpflichtet, in jedem Stadium der Vollstreckung selbstständig auf Änderungen der Statthaftigkeit der Vollstreckung zu reagieren und ggf. deren Einstellung zu veranlassen. Insoweit muss sie prüfen, ob Erstattungsbescheide weiterhin Bestand haben (§ 5 VwVG i.V.m. § 257 Abs. 1 Nr. 2 AO) oder durch Entscheidungen des Beigeladenen bzw. von Gerichten geändert bzw. aufgehoben worden sind (BSG, Urteil vom 14. Mai 2020 – B 14 AS 28/19 R –, juris)

c. Dem geltend gemachten Anspruch der Kläger auf Einstellung der Vollstreckung lässt sich nicht entgegen gehalten, diese sei noch gar nicht eingeleitet worden.

Auch wenn die Vollstreckung gegen den Vollstreckungsschuldner durch Vollstreckungsanordnung eingeleitet wird (§ 3 Abs. 1 VwVG), vor Anordnung der Vollstreckung der Schuldner ferner mit einer Zahlungsfrist von einer weiteren Woche besonders gemahnt werden soll (§ 3 Abs. 3 VwVG) und hier für eine Vollstreckungsanordnung bzw. ein Vollstreckungsersuchen der Beklagten an das hierfür zuständige Hauptzollamt nichts ersichtlich ist, bewegt sich die Beklagte im Stadium zwischen der Beauftragung mit dem Forderungseinzug durch den Beigeladenen und der förmlichen Einleitung der Vollstreckung durch eine Vollstreckungsanordnung nicht in einem regelungs- oder gar rechtsfreien Raum. Käme man zum Ergebnis, die Vollstreckung sei, z.B. mangels Vollstreckungsanordnung, noch nicht eingeleitet worden, eine Vollstreckung dürfe aber, z.B. mangels wirksamer Aufgabenübertragung, nicht fortgeführt werden, muss der Gläubiger (hier: die Kläger) vor dem Hintergrund von Art. 19 Abs. 4 GG gleichwohl die Möglichkeit haben, den "Forderungseinzug" einstellen zu lassen bzw. dessen Rechtswidrigkeit oder die fehlende Berechtigung der Beklagten hierzu feststellen zu lassen. Ihm ist nicht zumutbar, zunächst durch Anordnungen der Beklagten veranlasste Vollstreckungsakte ergehen zu lassen und sich nachträglich gegen diese gegenüber der Vollstreckungsbehörde zur Wehr zu setzen (BSG, Urteil vom 14. Mai 2020 – B 14 AS 28/19 R –, Rn. 18).

4. Die Anträge der Kläger auf Einstellung der Vollstreckung sind indes nicht begründet, weil keiner ihrer Einwände greift. Ohne Erfolg machen sie die Rechtswidrigkeit der Erstattungsforderungen, u.a. unter Bezugnahme auf die Jahresfrist nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X, geltend (hierzu a). Die Forderungen des Beigeladenen aus den o.g. Erstattungsbescheiden sind unter keinem denkbaren Gesichtspunkt verjährt (hierzu b.). Der Beigeladene hat die Beklagte auch wirksam mit der Aufgabe der Vollstreckung beauftragt (hierzu c.).

a. Inhaltliche, d.h. materiell-rechtliche Einwände gegen die Erstattungsbescheide können im Rahmen eines auf § 258 Abs. 1 AO analog gestützten Antrags auf Einstellung der Vollstreckung nicht geltend gemacht werden (BSG, Urteil vom 14. Mai 2020, a.a.O., Rn. 34, m.w.N.). Dem steht auch die Bestandskraft der Erstattungsbescheide (§ 77 SGG) entgegen. Soweit im Vorbringen der Kläger auch ein Antrag auf Überprüfung der Erstattungsbescheide gemäß § 44 SGB X zu sehen ist, müsste hierüber zunächst der Beigeladene entscheiden.

Demnach geht der Hinweis der Kläger auf die Jahresfrist nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X – auf diese Regelung verweist auch § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X – fehl. Diese Frist betrifft nicht die Verjährung eines behördlicherseits festgestellten Erstattungsanspruchs, sondern die Frage, innerhalb welcher Frist eine Behörde eine Leistungsbewilligung mit Wirkung für die Vergangenheit aufheben darf. Wurde eine solche Entscheidung auf der Grundlage von § 45 oder § 48 SGB X getroffen – dies ist im vorliegenden Fall durch die Erstattungsbescheide geschehen –, kommt der Jahresfrist keine weitere Bedeutung mehr zu.

b. Die Forderungen aus den o.g. Erstattungsbescheiden sind nicht verjährt.

aa. Gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Die zu erstattende Leistung ist gemäß § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Dabei soll die Festsetzung, sofern die Leistung aufgrund eines Verwaltungsakts erbracht worden ist, mit der Aufhebung des Verwaltungsakts verbunden werden (§ 50 Abs. 3 Satz 2 SGB X). Gemäß § 50 Abs. 4 Satz 1 SGB X verjährt der Erstattungsanspruch in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt nach Abs. 3 unanfechtbar geworden ist. Allerdings regelt § 50 Abs. 4 Satz 3 SGB X, dass § 52 SGB X unberührt bleibt. Gemäß § 52 Abs. 2 SGB X beträgt die Verjährungsfrist 30 Jahre, wenn ein Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wird (§ 52 Abs. 1 Satz 1 SGB X), unanfechtbar geworden ist.

bb. Bezüglich der im Jahre 2017 festgesetzten Erstattungsforderungen ist nach keiner der beiden in Frage kommenden Verjährungsfristen – vier oder 30 Jahre – Verjährung eingetreten.

cc. Auch die Erstattungsforderungen aus den Bescheiden vom 10./12. August und 22. Dezember 2010 sind nicht verjährt. Sie beruhen auf § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II (in der im Jahre 2010 geltenden Fassung) i.V.m. § 328 Abs. 3 Satz 2, Halbsatz 1 SGB III, sodass § 50 Abs. 3 und 4 SGB X nicht anwendbar sind. Für Erstattungsforderungen nach § 328 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB III hat der Senat bereits die unmittelbare Anwendung von § 52 SGB X bejaht (Beschluss vom 02. Juli 2020 – L 14 AS 553/20 B ER –, juris; ebenso LSG Berlin-Brandenburg Beschl. v. 2.9.2020 – L 29 AS 998/20 B ER, BeckRS 2020, 24522). Nach dieser Vorschrift sind, soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt wird, Überzahlungen zwingend zu erstatten. Die Vorschrift entspricht § 42 Abs. 2 Satz 2 SGB I und ist gegenüber § 50 SGB X lex specialis (Düe, in: Brand, SGB III, 8.A., § 328 Rn. 27; Winkler, in: Böttiger/Körtek/Schaumberg, Sozialgesetzbuch III, 3.A., § 328 Rn. 30; BeckOK / Kaminski, SGB III, § 328 Rn. 20). Eine direkte Anwendung von § 50 Abs. 4 SGB X scheidet daher aus.

(1) Die Erstattungsansprüche des Beigeladenen sind auch nicht in entsprechender Anwendung des § 50 Abs. 4 Satz 1 SGB X verjährt. Eine solche entsprechende Geltung ist (anders als in § 42 Abs. 2 Satz 3 SGB I) für Erstattungsansprüche nach § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III gesetzlich nicht angeordnet. Für eine entsprechende Anwendung bedürfte es daher einer zu schließenden planwidrigen gesetzlichen Regelungslücke. Diese wird für die Frage, wann der materiell-rechtliche Erstattungsanspruch im Sinne des § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III verjährt, bevor dieser durch einen Verwaltungsakt formell festgesetzt wurde, in Rechtsprechung und Literatur angenommen und durch eine analoge Anwendung des § 50 Abs. 4 SGB X geschlossen. Übereinstimmend wird insoweit angenommen, dass der Erstattungsanspruch in entsprechender Anwendung des § 50 Abs. 4 SGB X in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres verjährt, in dem der endgültige Bescheid unanfechtbar geworden ist (Düe a.a.O.; Kallert, in: Gagel, SGB III, § 328 Rn. 90; Schaumberg, in: Schlegel/Volzke, jurisPK SGB III, § 328 Rn. 129; Hengelhaupt, in: Hauck/ Noftz, SGB, Stand 08/18, § 328 SGB III Rn. 310; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 6. Juni 2019 – L 4 AS 272/17 –, juris, Rn. 49; Thüringer LSG, Urteil vom 22. März 2018 – L 9 AS 323/16 –, juris, Rn. 44; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 4. April 2017 – L 2 AS 1921/16 –, juris, Rn. 51; jeweils m.w.N.). Dem ist zuzustimmen. Das BSG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die in § 45 SGB I bestimmte Verjährungsfrist von vier Jahren Ausdruck eines allgemeinen Prinzips ist, das der Harmonisierung der Vorschriften über die Verjährung öffentlich-rechtlicher Ansprüche dient (vgl. BSG, Urteil vom 11. September 2019 – B 6 KA 13/18 R –, juris, Rn. 24 m.w.N.). Die vierjährige Verjährungsfrist ist nicht nur in § 45 SGB I für "Ansprüche auf Sozialleistungen", sondern etwa auch in den § 25 und § 27 SGB IV sowie in § 113 SGB X enthalten. Auch die Ausschlussfrist des § 44 Abs. 4 SGB X sieht für nachzuzahlende Forderungen, soweit Sondervorschriften (etwa § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II) nichts anderes bestimmen, eine Begrenzung auf vier Jahre vor. Die Verjährungsfrist von vier Jahren stellt nach allem ein allgemeines Rechtsprinzip im Sozialrecht dar (vgl. BSG a.a.O.). Dass die Verjährung von auf § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III beruhenden Erstattungsansprüchen gesetzlich nicht geregelt ist, stellt sich danach als planwidrig dar. Der Rückgriff auf eine entsprechende Anwendung des § 50 Abs. 4 SGB X als sachnächste Verjährungsregelung ist in diesem Fall geboten.

(2) Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn – wie vorliegend – ein Erstattungsbescheid nach § 328 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB III innerhalb der vierjährigen Verjährungsfrist seit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der endgültige Bescheid unanfechtbar geworden ist, ergangen ist. In diesem Fall liegt keine Regelungslücke vor, die eine entsprechende Anwendung des § 50 Abs. 4 SGB X rechtfertigt. Denn in diesem Fall besteht mit § 52 Abs. 2 SGB X eine ausdrückliche gesetzliche Regelung über die Verjährung, sodass kein Raum für eine Analogie bleibt. Es ist auch nicht geboten, die Verjährung von auf § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III gestützten Erstattungsbescheiden ebenso zu beurteilen, wie die Verjährung von Erstattungsbescheiden auf der Grundlage von § 50 Abs. 3 SGB X. Beide Regelungen weisen einen unterschiedlichen Charakter auf, sodass die Frage der Verjährung der auf ihrer Grundlage ergangenen Erstattungsbescheide nicht gleichlaufend beantwortet werden muss. § 50 SGB X regelt die Erstattung von Leistungen, die entweder zunächst aufgrund eines endgültigen, im Nachhinein aufgehobenen Verwaltungsaktes oder die zu Unrecht ohne Verwaltungsakt erbracht wurden. Die Vorschrift findet sich im Zweiten Titel des Ersten Kapitels des SGB X ("Bestandskraft des Verwaltungsaktes"). Die Vorschrift selbst ist durch den Gesetzgeber mit "Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen" überschrieben. Hingegen regelt § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III den Erstattungsanspruch nach zunächst erfolgter vorläufiger Leistungsbewilligung und knüpft damit von vornherein an einen völlig anderen Sachverhalt an: Weder wird die Bestandskraft eines Bescheides durchbrochen noch wurden Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht. Eine vorläufige Leistung begründet von vornherein keinen Vertrauensschutz, diese auch endgültig behalten zu dürfen. Die Gewährung von vorläufigen Leistungen entfaltet keine Bindungswirkung für die endgültige Leistung; eine vorläufige Leistungsbewilligung stellt gegenüber der endgültigen ein aliud dar (ständige Rechtsprechung des BSG, vergleiche z.B. Urteil vom 29. April 2015 – B 14 AS 31/14 R –, juris, Rn. 23 m.w.N.). Versteht man § 50 Abs. 4 SGB X als speziellere Vorschrift (lex specialis) zu § 52 Abs. 2 SGB X und sieht den Anwendungsbereich von § 52 Abs. 2 SGB X (nur) für zusätzlich erlassene Verwaltungsakte zur Durchsetzung des bereits bestandskräftig festgestellten Erstattungsanspruch als eröffnet an (so wohl derzeit die überwiegende Meinung, vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. Dezember 2018, a.a.O.; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. September 2018 – L 1 AL 88/17 –, juris; Baumeister, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2.A. (Stand: 25.02.2020), § 50 Rn. 126 ff.; Merten, in: Hauck/Noftz, a.a.O., § 50 SGB X Rn. 95; Schütze/Schütze, a.a.O., § 50 Rn. 33 f.; a.A. Gregarek, in: Jahn, Sozialgesetzbuch für die Praxis, § 50 SGB X Rn. 39, mit dem Eingeständnis, dass § 50 Abs. 4 SGB X dann "weitgehend ins Leere" gehe), käme ihm ein Ausnahmecharakter zum ansonsten bestehenden Grundsatz zu, dass bestandskräftige Verwaltungsakte, die zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wurden, nach dem Willen des Gesetzgebers gem. § 52 SGB X regelmäßig der 30-jährigen Verjährungsfrist unterliegen, was ebenso im Verwaltungsverfahren gemäß § 53 Verwaltungsverfahrensgesetz gilt sowie entsprechend im Bereich des Bürgerlichen Gesetzbuches [BGB] für rechtskräftig festgestellte Ansprüche (vergleiche § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB). Angesichts seines eindeutigen Wortlauts, seiner systematischen Stellung und seines geschilderten Ausnahmecharakters ist § 50 Abs. 4 SGB X auf die ausdrücklich von ihm erfassten Fälle beschränkt und im vorliegenden Fall nicht analog anwendbar (Geiger, info also 2019, 201 ff.)

c. Der Beigeladene hat die Aufgabe der Vollstreckung auch wirksam auf die Beklagte übertragen.

aa. Soll eine von der gemeinsamen Einrichtung grundsätzlich selbst wahrzunehmende Aufgabe – wie die Vollstreckung bzw. der Einzug eigener Forderungen – durch einen ihrer Träger ausgeführt werden, erfordert das einen entsprechenden Übertragungsbeschluss ihrer Trägerversammlung.

(1) § 44b Abs. 4 Satz 1 SGB II soll im Zusammenspiel mit § 44b Abs. 5 SGB II die Verlagerung von Aufgaben ermöglichen, die von einem der Grundsicherungsträger zweckmäßiger auszuführen sind als von der gemeinsamen Einrichtung selbst. Die Entscheidung über die Verlagerung von Aufgaben nach § 44b Abs. 4 SGB II obliegt innerorganisatorisch der Trägerversammlung der gemeinsamen Einrichtung nach § 44c SGB II. Hiernach ist für jede gemeinsame Einrichtung eine Trägerversammlung zu bilden (Abs. 1 Satz 1), die "über organisatorische, personalwirtschaftliche, personalrechtliche und personalvertretungsrechtliche Angelegenheiten der gemeinsamen Einrichtung" zu entscheiden hat (Abs. 2 Satz 1). Dazu rechnen nach § 44c Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB II jedenfalls ("insbesondere") die "Entscheidungen nach § 6 Abs. 1 Satz 2 und § 44b Abs. 4, ob einzelne Aufgaben durch die Träger oder durch Dritte wahrgenommen werden". Ungeachtet der Ausgestaltung der Aufgabendelegation im Einzelnen obliegt damit der Trägerversammlung jedenfalls die Entscheidung darüber, welche Aufgaben dem Grunde nach verlagert werden sollen; ob sie auch über Modalitäten der Übertragung zu entscheiden hat, bedarf hier keiner Entscheidung.

(2) Der Übertragungsbeschluss nach § 44c Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB II muss so gefasst sein, dass Art und Umfang der zu übertragenden Aufgaben ihm selbst ohne Weiteres zu entnehmen sind.

Überträgt eine gemeinsame Einrichtung gestützt auf die Öffnungsklausel des § 44b Abs. 4 SGB II Zuständigkeiten für die Wahrnehmung gesetzlich grundsätzlich ihr zugewiesener Aufgaben auf einen ihrer Träger, dann unterliegt sie dabei im Außenverhältnis zu den betroffenen Leistungsberechtigten denselben Anforderungen an die Klarheit und Bestimmtheit der Kompetenzzuordnung wie sie von Verfassungs wegen für Zuständigkeitszuweisungen durch den Gesetzgeber gelten. Denn auch wenn sich die übernommene Zuständigkeit aus Sicht des übernehmenden Trägers im Innenverhältnis zur gemeinsamen Einrichtung nur als "Serviceleistung" darstellt, werden dafür im Außenverhältnis zu den Leistungsberechtigten regelmäßig hoheitliche Befugnisse beansprucht – wie etwa für die Vorbereitung der Vollstreckung nach dem VwVG durch die Mahnung nach dessen § 3 Abs. 3 –, bei deren Zuordnung die rechtsstaatlichen Grundsätze der Normenklarheit und Widerspruchsfreiheit zu beachten sind. Macht die gemeinsame Einrichtung von der Möglichkeit der abweichenden Aufgabenwahrnehmung Gebrauch, muss sie deshalb für eine hinreichend klare Erkennbarkeit der anderweitigen Zuständigkeiten Sorge tragen; das verfehlt sie, wenn die Zuständigkeitsbestimmung eine klare Verantwortungszuordnung nicht ermöglicht.

(3) Innerorganisatorisch ist das bereits von der Trägerversammlung bei Übertragungsentscheidungen nach § 44c Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB II zu beachten. Da die Übertragungsentscheidung hiernach ausschließlich von ihr zu treffen ist und die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer der gemeinsamen Einrichtung entsprechende Beschlüsse gemäß § 44d Abs. 1 Satz 3 SGB II durch Vereinbarungen mit den übernehmenden Trägern nur "auszuführen" hat, muss sich schon aus dem Übertragungsbeschluss der Trägerversammlung in einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Weise ergeben, welche Aufgaben im Einzelnen abweichend von § 44b Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II durch einen Träger der gemeinsamen Einrichtung wahrgenommen werden sollen. Das erfordert ein Maß an Klarheit, das bei der Umsetzung durch die Geschäftsführung jedes weitere (Auswahl-)Ermessen i.S.v. § 44b Abs. 4 SGB II ("die gemeinsame Einrichtung kann einzelne Aufgaben ... wahrnehmen lassen") zu Gegenstand und Umfang der Übertragung entbehrlich macht; lässt der Übertragungsbeschluss die zu übertragende Zuständigkeit nicht ohne Weiteres erkennen, hat die Trägerversammlung eine wirksame "Entscheidung" i.S.v. § 44c Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB II nicht getroffen.

Entscheidend für die Wahrung der rechtsstaatlichen Anforderungen ist insoweit nicht, ob die mit der Beklagten geschlossene Vereinbarung ihrerseits den Grundsätzen der Normenklarheit und Widerspruchsfreiheit entspricht. Maßgebend ist vielmehr, ob die Trägerversammlung eine den Grundsätzen der Normenklarheit und Widerspruchsfreiheit genügende Entscheidung i.S.v. § 44c Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB II über die Kompetenzzuordnung im Bereich des Forderungseinzugs getroffen hat.

Sollen Zuständigkeiten einer gemeinsamen Einrichtung im Bereich des Forderungseinzugs in einer den rechtsstaatlichen Anforderungen genügenden Weise übertragen werden, muss der Übertragungsentscheidung zweifelsfrei zu entnehmen sein, ob sie nur die Überwachung und Abwicklung des Zahlungsverkehrs erfasst oder ob auch Kompetenzen nach dem VwVG zur Mahnung und Einleitung (und Überwachung) der Vollstreckung einbezogen sind und wo die Zuständigkeiten für Stundung, Niederschlagung und Erlass von Forderungen liegen. Fehlt es daran, erschwert das schon für die Betroffenen zu erkennen, von wem sie in welchem Verfahrensstadium in Anspruch genommen werden (dürfen), an wen sie sich mit Anträgen wenden können und gegen wen ggf. Rechtsmittel zu richten sind. Auch die zur Durchführung der Vollstreckung zuständigen Stellen der Finanzverwaltung müssen ohne Weiteres erkennen können, ob die Vollstreckung von einer dazu nach § 3 Abs. 4 VwVG befugten Stelle betrieben wird. Schließlich stehen Unsicherheiten über die Kompetenzzuordnung auch der wirksamen Wahrnehmung von Aufsichtsbefugnissen entgegen (BSG, Urteil vom 14. Februar 2018 – B 14 AS 12/17 R –, juris, m.w.N.).

bb. Diesen Anforderungen genügt die ZVV und der zugrunde liegende Beschluss der Trägerversammlung vom 23. November 2016. Gleiches gilt für die ZVV II und den Beschluss der Trägerversammlung vom 5. Dezember 2019.

(1) Die ZVV regelt hinreichend bestimmt, für welche konkreten Aufgaben hoheitliche Befugnisse auf die Beklagte übertragen werden.

(a) Nach § 1 Abs. 1 der ZVV bzw. ZVV II gestaltete sie das Zusammenwirken der gemeinsamen Einrichtung (gE) mit der zuständigen Dienststelle der Beklagten bei der Übertragung des Forderungseinzugs als Leistung nach § 44b Abs. 4 SGB II von der gE auf die zuständige Dienststelle der Beklagten nach Maßgabe der folgenden Regelungen. Die Beklagte führt den Forderungseinzug im Auftrag und im Namen der gE durch. Die im Service Portfolio beschriebene Aufgabenerledigung ist Bestandteil dieser Vereinbarung (§ 1 Abs. 2 Sätze 1 und 3 ZVV bzw. ZVV II). Maßnahmen des Forderungseinzugs werden erst ergriffen, wenn eine Forderung zahlungsgestört ist (§ 1 Abs. 5 Satz 1 ZVV). Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 ZVV bzw. ZVV II kann die Dienststelle der Beklagten - Mahnungen, die im Namen der gE ergehen, durch den Regionalen Inkasso-Service der Beklagten erlassen (nur nach der ZVV II schließt dies auch die Festsetzung von Mahngebühren ein), - Stundungs- und Erlassbescheide, die im Namen der gE ergehen, nach Zustimmung durch den kommunalen Entscheidungsträger durch den Inkasso-Service der Beklagten erlassen, - Vergleiche nach § 58 Bundeshaushaltsordnung bzw. § 58 Landeshaushaltsordnung nach Zustimmung durch den kommunalen Entscheidungsträger im Namen der gE abschließen, - als Vollstreckungsanordnungsbehörde das zuständige Hauptzollamt mit der Vollstreckung beauftragen. Ferner erlässt die Dienststelle der Beklagten Widerspruchsbescheide durch die Rechtsbehelfsstelle des Operativen Service der Beklagten und übernimmt die Vertretung im Klageverfahren im Namen der gE (§ 2 Abs. 2 Satz 3 ZVV).

Die o.g. Aufgaben wurden gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 ZVV bzw. ZVV II für die Dauer von drei Jahren bis zum 31. Dezember 2019 bzw. 31. Dezember 2022 auf die zuständige Dienststelle der Beklagten übertragen.

Die die Gültigkeit der ZVV nach deren § 15 bedingende "Verwaltungsvereinbarung zur Erbringung von Service-Leistungen, einschließlich der Serviceleistung ,O.8 Forderungseinzug‘ aus dem Service Portfolio der BA" wurde am 4. Januar 2017 geschlossen. Auch die die Gültigkeit der ZVV II nach deren § 12 bedingende "Verwaltungsvereinbarung zur Übernahme von Serviceleistungen" wurde geschlossen.

(b) Angesichts dessen bestehen aus Sicht des Senats keine Zweifel, dass die Beklagte bzw. ihre zuständige Dienststelle zumindest für die im hiesigen Rechtsstreit tangierten hoheitlichen Befugnisse wie Zahlungserinnerungen, Mahnungen, Festsetzung von Mahngebühren und Anordnung der Vollstreckung hinreichend legitimiert ist.

(2) Dass die Beklagte bzw. ihre zuständige Dienststelle in diesem Umfang vom Beigeladenen beauftragt wurde, ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Beschluss der Trägerversammlung des Beigeladenen vom 23. November 2016 bzw. vom 5. Dezember 2019.

(a) Die vorab an die Teilnehmer versandte Beschlussvorlage Nr. 383/2016 für die Sitzung der Trägerversammlung am 23. November 2016 sah als TOP 3b folgenden Beschlussentwurf vor:

"Die Trägerversammlung beschließt, dass die Wahrnehmung der Aufgaben des Forderungseinzugs entsprechend den Regelungen des beigefügten Entwurfs der ,Zusatzverwaltungsvereinbarung nach § 44b Abs. 4 SGB II zum Angebot O.8 – Forderungseinzug des Service Portfolios der Bundesagentur für Arbeit‘ (Anlage 1) erfolgen soll und stimmt einer Unterzeichnung dieser Vereinbarung einschließlich der ebenfalls erforderlichen Generalvollmacht (Anlage 2) durch die Geschäftsführer zu. [ ] Die Trägerversammlung stimmt auch zu, dass die Bundesagentur für Arbeit ermächtigt wird, Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide im Namen des Jobcenters zu erlassen, soweit dies für die auftragsgemäße Wahrnehmung der Aufgaben des Forderungseinzugs erforderlich ist."

Ausweislich des Protokolls zur o.g. Sitzung der Trägerversammlung wurde diese Vorlage einstimmig beschlossen. Mängel bei der Beschlussfassung sind nicht ersichtlich. Unerheblich ist aus Sicht des Senats, dass die im Einzelnen zu übertragenden Aufgaben und Befugnisse nicht der Beschlussvorlage an sich, sondern einer von ihr in Bezug genommenen Anlage mit dem Entwurf der beabsichtigten ZVV zu entnehmen sind. Diese bei Sitzungen aller Art gebräuchliche Verfahrensweise dient der Übersichtlichkeit der Beschlussvorlage und ist nicht zu beanstanden.

(b) Die vorab an die Teilnehmer versandte Beschlussvorlage Nr. 549/2019 für die Sitzung der Trägerversammlung am 5. Dezember 2019 sah als TOP 3 folgenden Beschlussentwurf vor:

"Die Trägerversammlung beschließt die Übertragung von Aufgaben und der dafür erforderlichen hoheitlichen Befugnisse auf die BA durch die Geschäftsführerin des Jobcenters Berlin Marzahn-Hellersdorf. Die Übertragung der Aufgaben und die Annahme von Serviceangeboten der BA erfolgt so, wie im Gesamtkatalog der BA für die gE beschrieben und in der Serviceleistungsmatrix (Anlage ‚Wahl der Serviceleistungen‘ zur ,Rahmenvereinbarung‘) dargestellt.

Art, Umfang und Dauer der Übertragung der einzelnen hoheitlichen Befugnisse und Aufgaben bestimmen sich nach der Anlage ,Übertragung hoheitliche Aufgaben / Befugnisse‘ zu diesem Beschluss.

Die Trägerversammlung beauftragt die Geschäftsführerin der gE Jobcenter Berlin Marzahn-Hellersdorf, die hierfür erforderlichen Verwaltungsvereinbarungen mit der BA abzuschließen: - Verwaltungsvereinbarung zwischen BA und gE zur Abnahme und Annahme von Serviceangeboten und -aufgaben (,Rahmenvereinbarung‘) - Anlage ,Wahl der Serviceleistungen‘ (Serviceleistung Matrix) - Anlage ,Datenschutz‘ [ ] - Zusatzvereinbarung zum Angebot Forderungseinzug gE inkl. Generalvollmacht [ ]"

Ausweislich des Protokolls zur o.g. Sitzung der Trägerversammlung wurde diese Vorlage mit der Änderung, dass die Verwaltungsvereinbarungen mit der BA für den Zeitraum 2020 bis 2022 abzuschließen seien, einstimmig beschlossen. Mängel bei der Beschlussfassung sind nicht ersichtlich.

cc. Offen bleiben kann, ob der Beigeladene die Aufgabenübertragung gemäß § 44b Abs. 4 Satz 2 SGB II i.V.m. § 88 Abs. 4 SGB X in der für seine amtlichen Veröffentlichungen vorgeschriebenen Weise bekannt gemacht hat. Erfolgt eine solche Bekanntmachung nicht, wird hierdurch nicht die Wirksamkeit der Auftragserteilung berührt (BT-Drs. 9/95, S. 19; BSG, Urteil vom 05. September 2006 – B 2 U 8/05 R –, juris; Hochheim, in: Hauck/Noftz, a.a.O., § 88 SGB X, Rn. 25 m.w.N.; Breitkreuz, in: Diering/Tim¬me/Stähler, Sozialgesetzbuch X, 5.A., § 88 Rn. 22; KK/Mutschler, Stand Juli 2020, SGB X, § 88 Rn. 47). Im Unterschied zu einer Norm bleibt die unterlassene Bekanntmachung der Aufträge ohne Auswirkungen (Schütze/Engelmann, a.a.O., § 88 Rn. 34).

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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