L 9 AS 98/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AS 1755/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 98/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Geltendmachung eines Ersatzanspruchs bei sozialwidrigem Verhalten gegenüber der Geschädigten eines sog. Romance Scamming
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 8. Dezember 2017 sowie der Bescheid des Beklagten vom 25. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Mai 2017 aufgehoben.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Instanzen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist ein Erstattungsanspruch wegen sozialwidrigen Verhaltens für Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) streitig.

Die am 20.07.1958 geborene Klägerin hat nach ihren Angaben eine Ausbildung zur Bürokauffrau abgeschlossen und Fortbildungen zur Hotelfachfrau, Handelsfachwirtin und im Bereich der Datenverarbeitung absolviert. Zuletzt war sie im Jahr 2010 als Empfangskraft und von März 2014 bis März 2015 im Kundenservice eines Mietwäschebetriebs beschäftigt. Am 18.12.2014 meldete sie ein Gewerbe mit dem Gegenstand Vertrieb und Beratung von Nahrungsergänzungsmitteln an. Sie vertreibt auf Provisionsbasis Produkte der A ... Für die von ihr bewohnte 47 m² große Wohnung sind eine Kaltmiete in Höhe von 260,00 EUR, Nebenkosten in Höhe von 20,00 EUR zu zahlen.

Am 01.02.2017 stellte die Klägerin bei dem Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Sie gab an, im letzten Jahr von Erspartem gelebt zu haben und nun SGB II-Leistungen zu benötigen. Aus den dem Beklagten vorgelegten Kontoauszügen ergibt sich, dass die Klägerin von November 2016 bis Januar 2017 einen Gesamtbetrag in Höhe von 24.000,00 EUR (5.000,00 EUR am 29.11.2016, 12.000,00 EUR am 14.12.2016 und 7.000,00 EUR am 05.01.2017) auf ein Konto eines Herrn B. C. "für D. D. D." (im Folgenden M) überwiesen hatte. In den letzten drei Monaten vor Antragstellung fanden außerdem mehrere größere Einzahlungen statt, die nach den Angaben der Klägerin aus der Auflösung anderer Vermögenspositionen stammten (6.000,00 EUR am 07.11.2016, 3.500,00 EUR am 23.11.2016, 2.000,00 EUR am 28.11.2016, 2.000,00 EUR am 02.12.2016, 4.900,00 EUR am 13.12.2016, 8.000,00 EUR am 13.12.2016, 2.000,00 EUR am 31.12.2016 und 1.500,00 EUR am 05.01.2017).

Mit Bescheid vom 01.03.2017 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Die Klägerin verfüge über verwertbares Vermögen, das den Freibetrag überschreite, weshalb sie nicht hilfebedürftig sei. Zur Begründung ihres hiergegen eingelegten Widerspruchs und ihres Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Heilbronn (SG, S 15 AS 1154/17 ER) trug sie unter Abgabe einer entsprechenden eidesstattlichen Versicherung vor, keinen Zugriff auf die ins Ausland transferierten Gelder zu haben.

Nachdem er mit Bescheid vom 10.04.2017 den Bescheid vom 01.03.2017 aufgehoben hatte, gewährte der Beklagte mit Bescheid vom 25.04.2017 vorläufig Leistungen für die Zeit vom 01.02.2017 bis 31.07.2017 in Höhe von monatlich 769,35 EUR. Die vorläufige Bewilligung beruhte auf § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II.

Mit weiterem Bescheid vom 25.04.2017 stellte der Beklagte einen – nicht bezifferten – Ersatzanspruch hinsichtlich der ihr mit Bescheid vom 25.04.2017 bewilligten Leistungen gegenüber der Klägerin fest. Sie habe ihr Einkommen oder Vermögen vermindert, weil sie im Zeitraum von November 2016 bis Januar 2017 einen (Gesamt-)Betrag in Höhe von 24.000,00 EUR ins Ausland transferiert habe, ohne sich die Rückzahlung dieser Beträge z.B. in Form eines Darlehensvertrags zu sichern. Nach Aktenlage sei in jedem Fall ein "Ersatzanspruch" nach § 34 SGB II gegeben. Die Klägerin habe die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II zumindest grob fahrlässig herbeigeführt und durch ihr Verhalten die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt. Ihr hätte klar sein müssen, dass sie nach dem Transfer bzw. der Auflösung ihres Vermögens in dem erfolgten Umfang und aufgrund fehlenden regelmäßigen Einkommens Leistungen nach dem SGB II beantragen müsse. Sie sei zum Ersatz der deswegen erbrachten Geldleistungen verpflichtet. Umfang und Höhe der zu ersetzenden Leistungen würden in einem gesonderten Bescheid mitgeteilt.

Zur Begründung ihres hiergegen am 04.05.2017 eingelegten Widerspruchs trug die Klägerin vor, sie habe am 07.11.2016 noch über 27.900,00 EUR verfügt und seit dem 15.12.2015 von ihrem Vermögen gelebt. Sie habe die Zahlungen ins Ausland an Herrn C. B. angewiesen. Bei ihm handle es sich einen Agenten von M. Auf deren Konten habe sie keinen Zugriff. Sie habe M in einer finanziellen Notlage geholfen und ihm das Geld geliehen. Sie erwarte, wie ausgemacht, das geliehene Geld zurück. Ein schriftlicher Darlehensvertrag sei nicht abgeschlossen worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.05.2017 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Wer seit einem Jahr keine Einnahmen mehr erziele, keine Erwerbstätigkeit in Aussicht habe und dennoch sämtliche Ersparnisse ins Ausland transferiere, um dann einen Monat später einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II zu stellen, handle grob fahrlässig. Unter Zugrundelegung eines aktuellen monatlichen Bedarfs von 770,00 EUR hätte das transferierte Geld 31 Monate zur Deckung des Lebensunterhalts gereicht. Ein wichtiger Grund für ihr Verhalten sei nicht zu erkennen; da sich die Klägerin weigere, die Adressen des Darlehensnehmers oder des Kontoinhabers zu nennen, habe nicht in Erfahrung gebracht werden können, ob es sich um ein Darlehen handle und welche Rückzahlungsmodalitäten vereinbar gewesen seien.

Hiergegen hat die Klägerin am 06.06.2017 Klage beim SG erhoben und vorgetragen, sie habe das Geld dem M geliehen und es dazu auf ein Konto von Herrn C. B. überwiesen. M habe sich mit seiner Tochter in E. aufgehalten und Zahlungsprobleme gehabt. Onlinebanking sei mit seiner Hausbank, der F.-Bank, nicht möglich gewesen. Es sei vereinbart gewesen, dass M das Geld zurückzahle, wenn er nach Deutschland komme. Ein schriftlicher Vertrag existiere nicht. Zum Zeitpunkt der Überweisung sei sie davon ausgegangen, dass sie das Geld zurückerhalte. Die Reise von M nach Deutschland sei ursprünglich für Februar 2017 geplant gewesen. Diese sei nicht zustande gekommen, weil M 750,00 EUR für ein Flugticket für sich und seine Tochter gefehlt hätten. Sie und M planten, sich in Deutschland ein gemeinsames Leben aufzubauen. Er halte sich nach wie vor in E. auf. Ihr sei eine Adresse in G. bekannt. Sie gehe davon aus, dass die Post von dort nach E. weitergeleitet werde. Keinesfalls habe sie Zahlungen geleistet, um Leistungen von dem Beklagten erhalten zu können. Sie habe weder grob fahrlässig noch vorsätzlich gehandelt. Die Klägerin hat Adressen des M in G. und in E. angegeben.

Der Beklagte hat vorgetragen, der Vorgang sei noch nicht an die Staatsanwaltschaft abgegeben worden. Er warte noch immer auf eine Stellungnahme der Klägerin, woher die nicht unerheblichen Barbeträge stammten, die sie vor den Überweisungen eingezahlt habe. Im Übrigen seien die Widersprüche im Vortrag der Klägerin offensichtlich. So solle M einerseits der Klägerin in Deutschland 24.000,00 EUR zurückzahlen, scheitere andererseits aber an der Bezahlung von Flugtickets im Wert von 750,00 EUR. Es solle eine Lebensgemeinschaft geplant gewesen sein, die Adresse in E. sei aber zunächst nicht bekannt gewesen. Selbst wenn der Beklagte zu Gunsten der Klägerin davon ausgehe, dass diese von einem geschickten Heiratsschwindler hereingelegt worden sei und nicht selbst Anteil an dubiosen Geschäften habe, bleibe die grobe Fahrlässigkeit doch bestehen.

Die Klägerin hat hierzu erklärt, M am 30.08.2016 über H./I. kennengelernt zu haben. Es habe sich eine Freundschaft entwickelt. M habe berichtet, eine Firma in K. zu führen. Außerdem habe er Immobilien in L. und G ... Er habe außerdem von seiner 22 Jahre alten Tochter erzählt. M habe ihr angeboten, ihr ein Ticket für einen Flug in die USA zu zahlen, damit sie sich selbst ein Bild machen könne. Im weiteren Verlauf sei der Kontakt dann zwischen dem 05.09.2016 und dem 13.11.2016 wegen persönlicher Unstimmigkeiten abgebrochen. Am 13.11.2016 habe sie sich wieder bei M gemeldet, der berichtet habe, am 16.11.2016 zusammen mit seiner Tochter nach E. zu fliegen. Er müsse dorthin, um einen Schaden im Rahmen seiner selbstständigen Tätigkeit im Baugewerbe zu regeln, von seinen Auftraggebern sei Schadensersatz gefordert worden. Er habe den Betrag mit dem Guthaben bei der F. Bank in G. zahlen wollen. Dies sei ihm aber nicht gelungen. Er habe sie daher gefragt, ob sie ihm bei der Überweisung helfen könne. Dies habe sie tun wollen. Es habe sich um eine Überweisung in Höhe von 50.000,00 EUR gehandelt. Die Überweisung sei aber daran gescheitert, dass die G. Bank sie wegen nicht nachgewiesener Legitimierung durch M nicht habe tätigen wollen. Wenige Tage nach dem 19.11.2016 habe M ihr mitgeteilt, von seinen Auftraggebern aufgefordert worden zu sein, binnen 48 Stunden die Summe von 50.000,00 EUR zu zahlen. Er habe sie dann gebeten, insoweit zu helfen. Er brauche einen Betrag in Höhe von insgesamt 27.900,00 EUR. Den Rest habe er von Dritten erhalten. Sie habe dann das Geld auf ein Konto des Agenten des M in M. überwiesen. Im weiteren Verlauf habe M angegeben, keine finanziellen Möglichkeiten zu haben, um von E. nach Deutschland auszureisen. Sie habe auch weiterhin Kontakt zu M. Zu einer Rückzahlung sei es allerdings noch nicht gekommen. Das Vermögen habe aus einer Erbschaft nach dem Tod ihrer Mutter gestammt. Die Klägerin hat Schriftverkehr zwischen ihr und M vorgelegt.

Der Beklagte hat hierzu vorgetragen, auch wenn man zugunsten der Klägerin davon ausgehe, dass diese einem Betrüger aufgesessen sei, sei ihr Verhalten doch grob fahrlässig. In den Medien und auch von der Polizei gebe es eindeutige Warnhinweise zum sog. "Romance Scamming". Schon eine kurze Recherche im Internet hätte der Klägerin die Augen darüber geöffnet, dass hier nach Drehbuch vorgegangen worden sei.

Das aufgrund einer Anzeige des Beklagten eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin ist durch die Staatsanwaltschaft Heilbronn mit Verfügung vom 05.10.2017 gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt worden. Anhaltspunkte für eine strafbare Handlung der Klägerin seien nicht ersichtlich. Eine allenfalls in Betracht kommende Strafbarkeit der Klägerin wegen Betrugs wäre mangels Vorliegen einer Täuschungshandlung der Klägerin nicht gegeben. Es möge zwar für den Durchschnittsbürger nicht verständlich sein, dass die Klägerin einer Person 24.000,00 EUR zinslos zur Verfügung stellte, ohne sich vorher eine Sicherheit zu verschaffen. Allein daraus lasse sich aber eine Täuschungsabsicht nicht entnehmen. Vielmehr dürfte die Klägerin selbst Opfer einer Straftat geworden sein.

Mit Urteil vom 08.12.2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Beklagte mache zu Recht einen Erstattungsanspruch geltend. Es sei insbesondere nicht zu beanstanden, dass die Ersatzpflicht nur dem Grunde nach festgestellt und kein konkreter Forderungsbetrag benannt worden sei. Der Bescheid sei auch in materieller Hinsicht nicht zu beanstanden. Durch das Wegüberweisen des Geldes habe die Klägerin in ihrer Person auch die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II herbeigeführt. Der überwiesene Betrag liege weit über dem bei der Klägerin zu berücksichtigenden Schonvermögen in Höhe von 9.450,00 EUR. Hätte die Klägerin das Geld behalten, hätte sie noch viele Monate davon leben können, ohne auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen zu sein. Das Verhalten der Klägerin sei auch als grob fahrlässig zu qualifizieren. Bereits vor der ersten Überweisung hätten erhebliche Anhaltspunkte dafür bestanden, dass der/die Empfänger des Geldes in betrügerischer Absicht handelten. So habe die Klägerin angegeben, den Kontakt im Vorfeld der Überweisungen zwischenzeitlich eingestellt zu haben, da M auf ihren Wunsch, ihn sehen zu wollen, "sehr komisch" reagiert habe. Die Klägerin habe bereits vor der Überweisung den begründeten Verdacht geschöpft, dass es bei ihrem Kontakt zu M nicht mit rechten Dingen zugehe. Zusätzlich hätte es sie alarmieren müssen, dass ein Mensch, dessen Identität sie nicht sicher kenne und zu dem sie (unter Außerachtlassung der zweimonatigen Kommunikationsunterbrechung) bis dahin effektiv insgesamt nur ca. zwei Wochen in Kontakt gestanden habe, sie in seine Geschäfte einbeziehen wolle. Ein solches Verhalten sei von einer redlichen Person nicht zu erwarten. Dies gelte umso mehr vor dem Hintergrund der Verweigerung eines Videokontaktes und der offensichtlichen Unstimmigkeiten in der von M vorgebrachten Geschichte. Der Klägerin hätten sich u.a. folgende Fragen aufdrängen müssen: Wieso kann M angeblich mangels funktionierender Internetverbindung nicht auf seine Konten zugreifen, aber dennoch gleichzeitig über internetbasierte Dienste mit der Klägerin kommunizieren? Wieso konnte M nicht einfach zurück in die USA fliegen und die Angelegenheit von dort klären? Wie könne es sein, dass ein angeblich international tätiger Geschäftsmann mit Immobilien im Ausland über einen längeren Zeitraum keinen Zugriff auf sein eigenes Geld hat? Wieso hat er niemanden in seinem Unternehmen um Hilfe gebeten? Wie sollte M auf das nach M. überwiesene Geld zugreifen können, wenn er doch angeblich keine Bankgeschäfte in E. tätigen konnte? Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin sich, wie sie vortrage, diese Fragen nicht gestellt habe, da es immerhin um ihre materielle Existenzgrundlage gegangen sei. Es hätte erwartet werden können, dass die Klägerin sich mit den genannten Fragen vertiefter auseinandersetze. Spätestens nach der ersten Überweisung hätte sich die Klägerin zudem fragen müssen, was M die weitere Überweisung noch nutzen würde, wenn er doch angeblich den Gesamtbetrag unbedingt innerhalb von 48 Stunden begleichen musste. Im Übrigen hätte der Klägerin im Hinblick auf ihre langjährige Lebenserfahrung, die auch familiäre Konflikte mit ihrem Sohn umfasse, und angesichts der sehr kurzen Online-Bekanntschaft zudem der ausgesprochen emotionale Inhalt der Mitteilungen von M verdächtig erscheinen müssen. Das Außerachtlassen aller genannten Indizien stelle eine besonders schwere Verletzung der erforderlichen Sorgfalt dar. Die Klägerin habe auch keinen objektiv vorliegenden wichtigen Grund für ihr Verhalten gehabt. Ihr Verhalten lasse sich nicht durch vernünftige, objektiv nachvollziehbare Erwägungen erklären. Auch sei das Verhalten der Klägerin als sozialwidrig anzusehen. Die Klägerin habe durch das Überweisen ihres gesamten Vermögens ihre Existenzgrundlage selbst unmittelbar beeinträchtigt. Sie hätte die Möglichkeit gehabt, anders zu handeln und ihr Verhalten sei dieser Möglichkeit zuwider gelaufen. Das Weggeben des eigenen existenzsichernden Vermögens sei nach den Wertungen des SGB II zu missbilligen. Weitere Ermittlungen in Form des Versuchs, M zu befragen, seien nicht angezeigt. Dieser habe inzwischen sein Profilbild geändert und gebe sich nunmehr als schwarze Person aus, während er gegenüber der Klägerin noch als weiße Person aufgetreten sei. Auch dies belege sein betrügerisches Verhalten, weshalb es ausgesprochen unwahrscheinlich sei, dass er gegenüber der Klägerin seine tatsächliche Identität offenbart habe oder über die der Klägerin angegebenen Adressen erreichbar wäre.

Gegen das ihr am 20.12.2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 08.01.2018 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, der Bescheid sei bereits in formeller Hinsicht rechtswidrig. Es sei zu beanstanden, dass die Ersatzpflicht nur dem Grunde nach festgestellt und kein konkreter Forderungsbetrag benannt worden sei. Darüber hinaus sei der Bescheid auch materiell rechtswidrig. Ihr Verhalten sei jedenfalls nicht als grob fahrlässig zu qualifizieren. Sie habe zwischenzeitlich den Kontakt abgebrochen, weil sie enttäuscht gewesen sei, keineswegs habe sie den Verdacht geschöpft, dass M hier betrügerisch vorgehe. Es sei auch richtig, dass es sie hätte alarmieren müssen, dass ein Mensch, dessen Identität sie nicht sicher kenne, sie in Geldgeschäfte einbeziehen wollte. Sie habe sich aber eine Beziehung mit ihm erhofft. Es habe sich für sie bereits in einem frühen Stadium des Kennenlernens ein Vertrauensverhältnis zu M herausgebildet, so dass sie sich im weiteren Verlauf im Rahmen dieser Beziehung veranlasst gesehen habe, M finanziell auch mit größeren Geldsummen zu helfen. Sie sei während sämtlicher Überweisungen immer davon ausgegangen, dass M ihr das Geld wieder zurückzahle. Sie habe M vertraut und dies nicht blind, sondern im Rahmen einer Beziehung, die nicht zwingendermaßen in einem persönlichen Kontakt, sondern lediglich im Rahmen von Telefonaten oder E-Mail-Verkehr geführt werden könne. Die durch das SG aufgeworfenen Fragen habe sie sich nur deshalb nicht gestellt, da sie darauf vertraut habe, dass M ihr das Geld wieder zurückzahle. Soweit das SG auf ihre langjährige Lebenserfahrung verweise, sei dies nicht nachvollziehbar. Aus bestehenden sozialen Konflikten könne nicht der Rückschluss gezogen werden, dass ihr ein betrügerisches Vorgehen des M hätte auffallen müssen. Sie habe sich durch den ausgesprochen emotionalen Inhalt der Mitteilungen des M offensichtlich angesprochen gefühlt. Dass sie einem Betrüger aufgesessen sei, sei nicht ihr Verschulden, jedenfalls habe sie nicht grob fahrlässig gehandelt. M habe sie getäuscht. In verfahrensrechtlicher Hinsicht sei zu rügen, dass das SG nicht zumindest versucht habe, M zu befragen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 8. Dezember 2017 und den Bescheid des Beklagten vom 25. April 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Mai 2017 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf das Urteil des SG und die streitgegenständlichen Bescheide. Da es in der Mehrzahl der Fälle im Laufe des Bewilligungsabschnitts zu Änderungen in der Bewilligung gekommen sei, mache der Beklagte zunächst grundsätzlich zunächst den Erstattungsanspruch ohne einen bezifferten Betrag geltend. Nach Ablauf des Bewilligungsabschnitts werde dann unter Bezug auf den bereits dem Grunde nach erklärten Erstattungsanspruch der Anspruch für den abgelaufenen Zeitraum beziffert. Das sei auch bei der Klägerin so. Die Widerspruchsverfahren gegen spätere Bescheide seien insoweit ruhend gestellt worden. Auch wenn die Klägerin Opfer einer Straftat geworden sei, schließe das eine grobe Fahrlässigkeit nicht aus. Die Klägerin habe im Laufe der Angelegenheit mehrmals Zweifel gehabt und dennoch ohne entsprechende Recherchen fast ihr komplettes Vermögen an eine ihr unbekannte Person überwiesen.

Die Berichterstatterin hat am 26.09.2018 einen Termin zur Erörterung des Sachverhalts durchgeführt; insoweit wird auf die Niederschrift (Bl. 29/24 der Senatsakte) Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 19.10.2020 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben dem Urteil des SG vom 08.12.2017 der Bescheid vom 25.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.05.2017, gegen den sich die Klägerin statthaft mit der reinen Anfechtungsklage wendet (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG, vgl. u.a. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 08.02.2017 - B 14 AS 3/16 R -, Juris).

Die Berufung ist auch begründet; die Voraussetzungen für den durch den Beklagten durch einen Grundlagenbescheid geltend gemachten Erstattungsanspruch liegen nicht vor.

Rechtsgrundlage des Grundlagenbescheids ist § 34 Abs. 1 SGB II, hier in der ab dem 01.08.2016 geltenden Fassung vom 26.07.2016 (BGBl I 1824). Danach ist, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, zum Ersatz der deswegen erbrachten Geld- oder Sachleistungen verpflichtet. Als Herbeiführung gilt auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. Der Ersatzanspruch umfasst auch die geleisteten Beiträge zur Sozialversicherung. Von der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs ist abzusehen, soweit sie eine Härte bedeuten würde.

Zwar war der Beklagte zum Erlass eines sog. Grundlagenbescheides grundsätzlich ermächtigt, jedoch stützen die vorliegenden Umstände den gesteigerten Verschuldensvorwurf eines sozialwidrigen Verhaltens der Klägerin als Voraussetzung für die Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs nach § 34 SGB II nicht.

Die Leistungsträger nach dem SGB II sind nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 29.08.2019 - B 14 AS 49/18 R -, Juris), der sich der Senat anschließt, ermächtigt, vor der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs bei sozialwidrigem Verhalten eine isolierte Feststellung zur Sozialwidrigkeit des Verhaltens zu treffen. Der Umstand, dass eine solche Möglichkeit im Wortlaut des § 34 SGB II nicht ausdrücklich vorgesehen ist, steht der Trennung von Grundlagen- und Leistungsbescheid nicht entgegen. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass gestufte Verwaltungsentscheidungen auch ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung zulässig sein können, wenn sich dies aus dem normativen Kontext ergibt. Ist die Unterscheidung nicht implizit bereits im materiellen Recht angelegt, lässt sich die Rechtsprechung insbesondere davon leiten, ob eine isolierte Vorabentscheidung dem Bedürfnis von Leistungsberechtigten und Behörde gleichermaßen entspricht (vgl. etwa BSG, Urteil vom 09.12.2016 - B 8 SO 8/15 R -; verneinend dagegen BSG, Urteil vom 17.12.1997 - 11 RAr 103/96 -, Juris). Von einem solchen Bedürfnis ist der Beklagte hier im Ergebnis zutreffend ausgegangen und hat sich deshalb zu Recht als befugt angesehen, vor Erlass des Leistungsbescheids vorab gesondert durch Grundlagenbescheid über die Sozialwidrigkeit des der Klägerin vorgehaltenen Verhaltens zu entscheiden. Dafür spricht nicht nur das beiderseitige Interesse an einer zügigen Klärung des Vorwurfs des sozialwidrigen Verhaltens und nicht zuletzt das Interesse, Betroffene durch die Warnfunktion eines solchen Bescheids frühzeitig auf die künftige Ersatzpflicht nach § 34 SGB II aufmerksam zu machen. Vor allem ist nur durch eine solche gleichsam "vor die Klammer" gezogene einheitliche Bewertung das Risiko zu vermeiden, dass bei zeitlich gestaffelten Leistungsbescheiden in nachfolgenden gerichtlichen Verfahren unterschiedliche Spruchkörper zu jeweils unterschiedlichen Bewertungen des maßgebenden Verhaltens gelangen, wenn darüber in jedem Leistungsbescheid gesondert zu entscheiden wäre; das liegt ebenfalls nicht im Interesse der Beteiligten. Grundsätzlich kann der Beklagte die geeignete Handlungsform zur Durchsetzung eines Ersatzanspruchs nach pflichtgemäßem Ermessen wählen. Allerdings ermächtigt das nicht dazu, vorab abschließend Ersatzpflichten dem Grunde nach zu begründen, wie der Beklagte meint und die Überschrift des Grundlagenbescheids verstanden werden könnte ("Bescheid über die Ersatzpflicht der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II"); das ist nach der tatbestandlichen Ausgestaltung des Ersatzanspruchs ausgeschlossen. Voraussetzung dem Grunde nach ist hiernach neben dem sozialwidrigen Verhalten selbst die Ursächlichkeit des Verhaltens für den Leistungsbezug, weil der Ersatzanspruch nur besteht, soweit durch das sozialwidrige Verhalten Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II "herbeigeführt, erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert" worden ist und überwiegende konkurrierende Ursachen für den Leistungsbezug nicht bestehen. Schließlich ist von der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs abzusehen, soweit sie eine Härte bedeuten würde (§ 34 Abs. 1 Satz 6 SGB II).

Ob in jenem Sinne eine Kausalbeziehung zwischen dem sozialwidrigen Verhalten einerseits und dem Leistungsbezug andererseits besteht, lässt sich nicht vorab einheitlich beurteilen, sondern nur zeitabschnittsweise mit Blick auf die für diesen Zeitraum jeweils konkreten Ursachen der Hilfebedürftigkeit und muss deshalb der Geltendmachung des Ersatzanspruchs vorbehalten bleiben. Tauglicher Gegenstand einer – "vor die Klammer gezogenen" - Grundlagenentscheidung nach § 34 SGB II kann deshalb nur die Bewertung des jeweils im Streit stehenden Verhaltens mit dem Ziel sein, für nachfolgende Heranziehungsentscheidungen verbindlich dessen Sozialwidrigkeit festzustellen.

Dass § 34 SGB II hiernach nur Raum lässt für eine isolierte Entscheidung - als feststellenden Verwaltungsakt - zur Sozialwidrigkeit des für den Ersatzanspruch maßgeblichen Verhaltens, steht ihrer Zulässigkeit nicht entgegen. Ob ein Sozialleistungsträger ausnahmsweise ermächtigt ist, mit Bindungswirkung für den Adressaten eine Elementenfeststellung ausschließlich zu einem einzelnen Tatbestandsmerkmal zu treffen, ist durch Auslegung des jeweiligen Normzusammenhangs zu ermitteln (verneint etwa für die bloße Elementenfeststellung einer abhängigen Beschäftigung, grundlegend BSG, Urteil vom 11.03.2009 - B 12 R 11/07 R -, Juris) und demgemäß hier zu bejahen (vgl. dazu zuletzt ausführlich und m.w.N. BSG, Urteile vom 29.08.2019 - B 14 AS 50/18 R -, und - B 14 AS 49/18 R -, Juris).

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 34 SGB II sind allerdings nicht erfüllt; das Verhalten der Klägerin ist nicht als sozialwidrig im Sinne des § 34 Abs. 1 SGB II anzusehen.

Ersatzansprüche nach § 34 SGB II wegen der Herbeiführung, der Erhöhung, dem Aufrechterhalten oder nicht Verringern von Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II bestehen - mindestens seit Ergänzung der amtlichen Überschrift der Vorschrift durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011 (BGBl I 453) - nur "bei sozialwidrigem Verhalten". Mit dieser Wendung (vgl. ebenso BT-Drucks 17/3404 S 113) ist Bezug genommen auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu der bei der Einführung von SGB II und SGB XII in unterschiedlicher Weise aufgegriffenen Regelung des § 92a Bundessozialhilfegesetz (BSHG), nach der die Ersatzpflicht wegen der Herbeiführung der Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfe auf einen "engen deliktsähnlichen Ausnahmetatbestand" beschränkt war (st. Rspr.; vgl. zuletzt nur BVerwG, Urteil vom 10.04.2003 - 5 C 4.02 -, Juris, m.w.N.); dem entspricht auch das Verständnis des BSG von § 34 SGB II (BSG, Urteile vom 02.11.2012 - B 4 AS 39/12 R -, vom 16.04.2013 - B 14 AS 55/12 R -, Juris).

Der einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II tragende Vorwurf der Sozialwidrigkeit ist darin begründet, dass der Betreffende - im Sinne eines objektiven Unwerturteils - in zu missbilligender Weise sich selbst oder seine unterhaltsberechtigten Angehörigen in die Lage gebracht hat, existenzsichernde Leistungen in Anspruch nehmen zu müssen (vgl. zu § 92a BSHG nur BVerwG, Urteile vom 14.01.1982 - 5 C 70.80 - und vom 10.04.2003 - 5 C 4.02 -, Juris, jeweils m.w.N.; zu § 34 SGB II BSG, Urteile vom 02.11.2012 - B 4 AS 39/12 R -, vom 16.04.2013 - B 14 AS 55/12 R -, Juris). Verwendet er etwa erzielte Einnahmen nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts und wird dadurch Hilfebedürftigkeit herbeigeführt, kann dies einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II auslösen, wenn ein anderes Ausgabeverhalten grundsicherungsrechtlich abverlangt war (BSG, Urteile vom 29.11.2012 - B 14 AS 33/12 R -, vom 16.04.2013 - B 14 AS 55/12 R -, Juris). Vergleichbar hat das BVerwG sozialwidriges Verhalten erwogen bei der Aufgabe eines bestehenden Krankenversicherungsschutzes (BVerwG, Urteil vom 23.09.1999 - 5 C 22.99 -, Juris) oder bei der Schaffung einer Lage, die trotz vorangegangener Versagung zur Leistung von Sozialhilfe zwingt (BVerwG, Urteil vom 14.01.1982 - 5 C 70.80 -, Juris). Einzubeziehen bei dieser Einordnung sind schließlich auch die im SGB II festgeschriebenen Wertmaßstäbe, in denen sich ausdrückt, welches Verhalten als dem Grundsatz der Eigenverantwortung vor Inanspruchnahme der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zuwiderlaufend angesehen wird (BSG, Urteile vom 02.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - und vom 16.04.2013 - B 14 AS 55/12 R -, Juris). Dieser einschränkenden Auslegung des § 34 SGB II schließt sich der Senat vollumfänglich an.

Die Klägerin hat ihre Hilfebedürftigkeit durch die Überweisungen an M in Höhe von 24.000,00 EUR herbeigeführt, da sie, unabhängig davon, ob man als Maßstab für den Zeitraum, für den das Vermögen ausreichen muss, als angemessenen Verbrauch den monatlichen Bedarf nach dem SGB II ansetzen kann (a.A. u.a. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 07.05.2019 - L 10 AS 632/16 -, Juris), jedenfalls ohne die Überweisungen nicht zum 01.02.2017 hilfebedürftig geworden wäre. Sie hat die Hilfebedürftigkeit auch jedenfalls grob fahrlässig herbeigeführt, da sie wusste oder hätte wissen müssen, dass das vorhandene Vermögen, von dem sie ihren Lebensunterhalt allein bestritten hat, da sie durch das seit 18.12.2014 angemeldete Gewerbe noch keine Einnahmen erzielen konnte, nach den Überweisungen nicht mehr (lange) ausreichen würde, um ihren Lebensunterhalt zu decken. Grob fahrlässig handelt nach der Legaldefinition in § 45 Abs. 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt besonders schwer verletzt, was regelmäßig anzunehmen sein wird, wenn schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt werden und das nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste. Es muss also vorhersehbar gewesen sein, dass das Verhalten Hilfebedürftigkeit herbeiführt (Grote-Seifert in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 34 (Stand: 02.09.2020) Rdnr. 52 m.w.N.). Das SG hat in diesem Zusammenhang ausführlich dargelegt, welche Fragen sich der Klägerin hätten aufdrängen müssen. Ausgehend hiervon hätten sich der Klägerin jedenfalls so erhebliche Zweifel an einer Rückzahlungsabsicht des M aufdrängen müssen, dass ihr hinsichtlich der Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit ein grob fahrlässiges Verhalten vorgeworfen werden kann.

Ausgehend von dem Vortrag der Klägerin, an dem der Senat aufgrund der konsistenten Angaben und der vorgelegten Unterlagen keinen Zweifel hat, ist ihr Verhalten gemessen an den aufgezeigten Wertmaßstäben indes nicht als sozialwidrig anzusehen. Die Klägerin hat einer Person, die sich "M" nannte, im August 2016 über H./I. kennengelernt und es hat sich aus ihrer Sicht eine Freundschaft entwickelt. "M" hat u.a. berichtet, eine Baufirma in K. zu führen. Nachdem der Kontakt zwischen dem 05.09.2016 und dem 13.11.2016 wegen persönlicher Unstimmigkeiten abgebrochen war, hat sich die Klägerin am 13.11.2016 wieder bei "M" gemeldet, der berichtet hat, am 16.11.2016 zusammen mit seiner Tochter nach E. zu fliegen. Er müsse dorthin, um einen Schaden im Rahmen seiner selbstständigen Tätigkeit im Baugewerbe zu regeln, von seinen Auftraggebern sei Schadensersatz gefordert worden. Von E. aus hat sich "M" dann wieder bei ihr gemeldet, sie um Rat hinsichtlich der Schadensabwicklung gefragt und schließlich gebeten, bei einer Überweisung von seinem Konto bei der F. Bank, G., in Höhe von 50.000,00 EUR zu helfen. Die Überweisung sei aber daran gescheitert, dass die G. Bank sie wegen nicht nachgewiesener Legitimierung durch "M" nicht habe tätigen wollen. Wenige Tage nach dem 19.11.2016 hat "M" ihr mitgeteilt, von seinen Auftraggebern aufgefordert worden zu sein, binnen 48 Stunden die Summe von 50.000,00 EUR zu zahlen. Er hat sie dann gebeten, insoweit zu helfen, als er einen Betrag in Höhe von insgesamt 27.900,00 EUR brauche. Den Rest habe er von Dritten erhalten. In der Folge hat die Klägerin dann insgesamt 24.000,00 EUR (5.000,00 EUR am 29.11.2016, 12.000,00 EUR am 14.12.2016 und 7.000,00 EUR am 05.01.2017) auf ein Konto des "Agenten" des "M" in M. überwiesen in der Erwartung, dieses von ihm zurückzuerhalten, wenn er wieder in Europa sei und sie sich ein gemeinsames Leben aufbauten.

Das Verhalten der Klägerin ist gemessen an den aufgezeigten Wertmaßstäben nicht als sozialwidrig anzusehen. Dem Begriff "sozialwidrig" wohnt ein Unwerturteil inne. Zieht man zur näheren Präzisierung dieses Begriffs die Sanktionstatbestände heran (so BSG, Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 55/12 R -, Juris), ist festzustellen, dass der Gesetzgeber gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 1 SGB II gerade nur das absichtliche Herbeiführen der Hilfebedürftigkeit als sanktionsbedürftig und damit sozialwidrig erachtet hat. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass § 34 SGB II eine Ausnahme zu dem anerkannten Grundsatz ist, dass die staatliche Pflicht zur Leistungserbringung und damit die Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums unabhängig von den Gründen der Hilfebedürftigkeit besteht (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), u.a. Urteile vom 05.11.2019 - 1 BvL 7/16 - und vom 05.06.1973 - 1 BvR 536/72 -, Juris). Es obliegt daher grundsätzlich gerade nicht den staatlichen Stellen, die zur Erfüllung der genannten Pflicht berufen sind, zu prüfen, ob die Hilfebedürftigkeit nachvollziehbar entstanden ist. Im Ergebnis kann ein Erstattungsanspruch wegen sozialwidrigen Verhaltens daher nur in absoluten Ausnahmefällen mit der Ausgabe des Vermögens begründet werden. Insbesondere verbietet es sich – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes –, dass der Staat möglicherweise noch in moralisierender Weise bewertet, welche Ausgaben billigenswert sind und welche nicht. Insoweit kommt es nicht maßgeblich darauf an, wofür das Geld ausgegeben wurde und ob dies nachvollziehbar, naiv, moralisch achtenswert oder zu missbilligen ist. Die Grenze ist vielmehr erst da zu ziehen, wo Vermögen kausal zum Zwecke der Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit verschwendet wird (so auch LSG Mecklenburg-Vorpommern, a.a.O., unter Hinweis auf § 31 Abs. 2 Nr. 1 SGB II). Anhaltspunkte hierfür liegen nicht vor. Ohne dass der Senat eine strafrechtliche Bewertung des "M" oder vielmehr der mutmaßlich dahinter stehenden Organisation vornimmt, dürfte die Klägerin, wie auch die Staatsanwaltschaft Heilbronn mit Einstellungsverfügung vom 05.10.2017 gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) ausgeführt hat, selbst Opfer einer Straftat geworden sein. Das SG hat sehr ausführlich dargelegt, dass und aus welchen Gründen die Klägerin hätte misstrauisch werden müssen. Auch der Beklagte hat sein Unverständnis darüber geäußert, dass die Klägerin keine Internetrecherche vorgenommen hat, wodurch sie unschwer hätte erkennen können, dass es sich um drehbuchartiges Vorgehen im Sinne eines sog. Romance Scamming handelte. Gerade der Umstand, dass er ein drehbuchartiges Vorgehen erkennen kann, zeigt allerdings, dass nicht die Klägerin allein auf das Vorgehen "hereingefallen" ist. Es mag, wie die Staatsanwaltschaft Heilbronn ausführt, für den Durchschnittsbürger nicht nachvollziehbar sein, wie man einer Person 24.000,00 EUR zinslos zur Verfügung stellen kann, ohne sich vorher eine Sicherheit zu verschaffen. Die Klägerin hat überzeugend dargelegt, wie und aus welchen Beweggründen sie die Beträge an Herrn "B. C." überwiesen hat. Es mag naiv und unbedacht gewesen sein, aber ein sozialwidriges Verhalten vermag der Senat im Handeln der Klägerin nicht zu erkennen. Sie ging davon aus, dass sie die Beträge von "M" nach dessen vermeintlicher Rückkehr aus E. zurückerhalten werde. Dass diese Erwartung äußerst unrealistisch war und die Klägerin mehr als einen Anlass gehabt hätte, an den Einlassungen des M zu zweifeln, ist auch für den Senat offenkundig. Charakteristisch für Betrugsopfer dürfte aber sein, dass deren Verhalten für Außenstehende und im Nachhinein objektiv nicht nachvollziehbar ist. Das Verhalten ist deswegen aber nicht als sozialwidrig anzusehen.

Das angefochtene Urteil des SG vom 08.12.2017 sowie der Bescheid vom 25.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.05.2017 waren daher aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor. Der Senat hat unter Anwendung der Rechtsprechung des BSG eine Entscheidung im Einzelfall getroffen. Weitergehender, über den Einzelfall hinausgehender Klärungsbedarf ist nicht erkennbar.
Rechtskraft
Aus
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