L 1 KR 32/02

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 13 KR 33/01
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 32/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 21. März 2002 abgeändert und der Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. Februar 2001 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die nachträgliche Kürzung von Krankengeld und die Beteiligung des Klägers an den Kosten bereits in Anspruch genommener Leistungen wegen Selbstverschuldens.

Der im ... 1977 geborene und bei der Beklagten versicherte Kläger ist nach eigenen Angaben ledig und kinderlos. Er hat den Beruf des Dachdeckers erlernt. Zuletzt war er als Bauwerksabdichter angestellt und hat monatlich 2.000 DM netto verdient. Nach eigenen Angaben zahlt er monatliche Raten zur Finanzierung eines Pkws. Am 07. August 1998 erlitt er als Fahrer eines Kraftfahrzeuges einen Verkehrsunfall. In der Zeit vom 07. August 1998 (Aufnahme um 5.45 Uhr) bis 18. September 1998 befand er sich in stationärer Behandlung im Krankenhaus M ... in W ... wegen eines Zustands nach Verkehrsunfall mit breitem und tiefem Decollement im Bereich des linken Oberarmes mit Durchschneidung des Musculus bizeps und Musculus trizeps brachii, Fibulaköpfchenfraktur rechtes Bein, Scapulafraktur linke Schulter, Rücken- und Rumpfkontusion mit breiten oberflächigen Decollements im Bereich des linksseitigen Rückens - viertägige Intensivbehandlung mit Gabe von 11 Transfusionseinheiten, mehrfache Operationen zur Deckung des breiten Hautdefektes im Bereich des linken Oberarmes (insgesamt 10 Operationen). Vom 10. Oktober bis 22. Oktober 1998 befand sich der Kläger wegen des Zustands nach Verkehrsunfall, Fibulaköpfchenfraktur und ausgedehnten Wunden des linken Oberarmes in stationärer Behandlung im W ...krankenhaus Bad D ...

Bis 31. Dezember 1998 war der Kläger arbeitsunfähig geschrieben. In der Zeit vom 18. September bis 15. Oktober 1998 zahlte ihm die Beklagte Krankengeld in Höhe von 1.344,56 DM sowie für den Zeitraum vom 16. Oktober bis 31. Dezember 1998 in Höhe von 4.407,75 DM (jeweils einschließlich der Beiträge zur Renten-, Pflegeversicherung und zur Bundesanstalt für Arbeit). Für den Krankentransport am 07. August 1998 entstanden der Beklagten Kosten in Höhe von 750,00 DM sowie für stationäre Behandlungen (07. August bis 18. September 1998, 15. Oktober 1998, 20. Oktober 1998 [zuletzt wohl bis 22.10.1998]) Kosten in Höhe von 24.995,04 DM.

Mit Urteil des Amtsgerichts Grimma (AG), Zweigstelle Wurzen, vom 13. Dezember 1999 (Az.: 3 Ds 154 Js 58833/98) wurde der Kläger wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen zu je 60,00 DM verurteilt. Ihm wurde nachgelassen, die Geldstrafe in monatlichen Raten von 300,00 DM zu zahlen. Die Verwaltungsbehörde wurde angewiesen, ihm vor Ablauf von 12 Monaten keine Fahrerlaubnis zu erteilen (§§ 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr. 2, 229, 230 Abs. 1 Strafgesetzbuch - StGB -, § 21 Abs. 1 Nr. 1 Straßenverkehrsgesetz, §§ 52, 69, 69a StGB).

Das AG hat in seinen Urteilsgründen unter anderem festgestellt: Am 07. August 1998 nach 24.00 Uhr kam der Kläger auf der Verbindungsstraße zwischen P ... und L ... in einer leichten Linkskurve nach rechts von der Fahrbahn ab. Er geriet auf den unbefestigten Randstreifen und hat anschließend die Kontrolle über das Fahrzeug verloren, so dass er nach links von der Fahrbahn abkam. Dort fuhr das Fahrzeug in einen Straßengraben und überschlug sich. Der Zeuge G. wurde dabei aus dem Fahrzeug herausgeschleudert und erlitt am rechten Oberarm ein Hämatom. Zuvor hatte sich der Kläger am 06. August 1998 etwa gegen 22.00 Uhr entschlossen, mit dem Pkw seines Vaters zu fahren, obwohl er wusste, dass er die zum Führen von Kraftfahrzeugen erforderliche Fahrerlaubnis nicht mehr hatte. Spätestens bei Fahrtantritt nach 24.00 Uhr am 07. August 1998 (zusammen mit dem Zeugen G.) stand er unter erheblichem Alkoholgenuss. Die bei ihm am 07. August 1998 um 5.43 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,68 Promille im Mittelwert. Der von ihm begangene Fahrfehler war auf die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit zurückzuführen. Er war dadurch nicht mehr in der Lage, auf die sich ihm bietende Verkehrssituation entsprechend zu reagieren und die Geschwindigkeit den Straßenverhältnissen anzupassen. Seine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit hätte der Kläger bei kritischer Selbstprüfung erkennen können und müssen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Urteils wird auf den Inhalt Bl. 41 bis 49 der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Die Berufung des Klägers gegen das strafrichterliche Urteil hat das Landgericht Leipzig (LG) mit Urteil auf die Hauptverhandlungen vom 25. April und 04. Mai 2000 verworfen (Az.: 8 Ns 154 Js 58833/98; rechtskräftig seit 12. Mai 2000). In den Entscheidungsgründen ist festgestellt, dass zum Tatzeitpunkt (2.30 Uhr) eine Blutalkoholkonzentration von 2,52 Promille bestand.

Mit Schreiben vom 03. November 2000 teilte die Beklagte dem Kläger mit, Ursache seiner Arbeitsunfähigkeit sei ein Unfallereignis gewesen. Am 06. August 1998 habe er unter Alkoholeinfluss und nicht im Besitz eines gültigen Führerscheins einen Verkehrsunfall verursacht wurde. Als Träger der gesetzlichen Krankenversicherung sei sie dazu angehalten, die zur Verfügung stehenden Mittel sparsam und wirtschaftlich einzusetzen. Dazu gehöre, dass bei einer Krankheit, die sich jemand vorsätzlich oder bei einem von ihm vorsätzlich begangenen Vergehen zugezogen habe, die Leistung ganz oder teilweise versagt oder zurückgefordert werden könne. Der Unfallhergang lasse darauf schließen, dass es sich bei der Ursache der Krankheit des Klägers um einen solchen Sachverhalt handeln könnte. Sie habe daher zu prüfen, ob sie ihn an den Kosten seiner Krankenbehandlung beteilige bzw. sie ihm das Krankengeld ganz oder teilweise versage oder zurückfordere. Bevor sie ihre Entscheidung treffe, habe der Kläger die Möglichkeit, sich zu den getroffenen Feststellungen zu äußern.

Daraufhin erwiderte der Kläger unter dem 15. November 2000, der Unfall sei nicht vorsätzlich, sondern fahrlässig verursacht worden. § 52 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sei nicht anzuwenden. § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) schließe auch die Rücknahme des Verwaltungsaktes aus.

Mit weiterem Schreiben vom 01. Dezember 2000 stellte die Beklagte fest, ausweislich des Urteils des AG vom 13. Dezember 1999 sei der Kläger wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Danach stehe nach ihrer Auffassung fest, dass er sich die Krankheit bei einem vorsätzlichen Vergehen zugezogen habe. Eine Rückforderung des Krankengeldes und der Krankenbehandlung sei danach ganz oder teilweise möglich. Sie habe dem Schreiben des Klägers vom 15. November 2000 keine näheren Angaben entnehmen können, insbesondere nicht, ob er Personen zum Unterhalt verpflichtet sei. Falls er jetzt noch Angaben machen möchte, gebe man ihm hiermit nochmals bis zum 11. November 2000 Gelegenheit.

Darauf erwiderte der Kläger unter dem 02. Dezember 2000, das Urteil müsse in seiner Gesamtheit betrachtet werden. Die Beklagte habe sich nur einen einzelnen Punkt herausgegriffen und diesen ihren eigenen Auslegungen hinzugefügt. Das Unfallgeschehen sei nach Auffassung des Gerichts die Folge der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit gewesen. Die Handlung sei hinsichtlich der Verursachung der Gefahr als auch seiner Fahruntüchtigkeit fahrlässig gewesen. § 45 SGB X treffe zu, da er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut habe und dieses Vertrauen schutzwürdig sei, da er diese Leistung bereits verbraucht habe. Aufgrund dieser Tatsache fehle es an einer rechtlichen Grundlage für die Rückforderung.

Mit Bescheid vom 11. Dezember 2000 forderte die Beklagte von dem Kläger einen Betrag in Höhe von 10.000,00 DM zurück. Der Kläger habe sich die Krankheit bei einem vorsätzlichen Vergehen zugezogen. Aus § 52 SGB V ergebe sich, dass die Leistungen der Krankenkasse beschränkt werden könnten bzw. zurückgefordert werden könnten, wenn sich Versicherte eine Krankheit bei einem von ihnen begangenen Verbrechen oder vorsätzlichen Vergehen zugezogen haben. Es sei nicht erforderlich, dass sich der Vorsatz auf die Zuziehung der Krankheit selbst erstrecke. Auch unterliege die Rückforderung von Leistungen nicht den einschränkenden Bedingungen des § 50 SGB X in Verbindung mit § 45 SGB X. Sie habe sich bei ihrer Entscheidung unter Abwägung der Umstände des Einzelfalles mit dem wohlverstandenen Interesse der Versichertengemeinschaft daran zu orientieren, ob und in welchem Umfang die Leistungsrückforderung dem Versicherten oder die uneingeschränkte Leistungserbringung der Krankenkasse zuzumuten sei. Dabei sei insbesondere die Höhe der Aufwendungen der Krankenkasse, die finanzielle Leistungsfähigkeit des Versicherten und seine Unterhaltsverpflichtungen zu berücksichtigen. Ihr seien Kosten in ganz erheblicher Höhe entstanden (30.152,79 DM). Zur Höhe des Einkommens des Klägers und zu gegebenenfalls bestehenden Unterhaltsverpflichtungen lägen ihr keine Angaben vor. Dem Urteil des AG sei jedoch zu entnehmen, dass er Kindern gegenüber nicht zum Unterhalt verpflichtet sei und dass er als Bauwerksabdichter ein Nettogehalt von etwa 2.000,00 DM monatlich erziele. Sie berücksichtige ebenfalls, dass er bereits eine Geldstrafe in monatlichen Raten von 300,00 DM (insgesamt 7.200,00 DM) zu zahlen habe. Sie sei nach Abwägung aller entscheidungserheblichen Tatsachen zu dem Ergebnis gekommen, dass es dem Kläger zuzumuten sei, einen Betrag in Höhe von einem Drittel der insgesamt entstandenen Kosten zurückzufordern. Sie fordere ihn daher auf, einen Betrag in Höhe von 10.000,00 DM innerhalb von einem Monat nach Erhalt dieses Schreibens, spätestens jedoch bis zum 31. Januar 2001 an sie zu zahlen. Sollte dem Kläger die Begleichung dieses Betrages in einer Summe nicht möglich sein, biete sie ihm an, eine angemessene Zahlungsvereinbarung zu treffen.

Dagegen legte der Kläger am 05. Januar 2001 Widerspruch ein, der ohne Erfolg blieb (Widerspruchsbescheid vom 06. Februar 2001).

Hiergegen hat sich die am 27. Februar 2001 beim Sozialgericht Leipzig (SG) erhobene Klage gerichtet, die das SG durch Urteil auf mündliche Verhandlung vom 21. März 2002 abgewiesen hat. Der Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. Februar 2001 sei rechtmäßig. Rechtsgrundlage für die teilweise Rückforderung des Krankengeldes sowie für die Beteiligung des Klägers an den Kosten für die Krankenbehandlung sei § 52 SGB V. Der Kläger habe sich seine Erkrankung bei dem Unfall am 07. August 1998 zugezogen. An diesem Unfall habe das Fahren ohne Fahrerlaubnis wesentlich mitgewirkt. Die Strafgerichte hätten festgestellt, dass der Kläger sich des Fahrens ohne Fahrerlaubnis vorsätzlich schuldig gemacht habe. Entgegen der Ansicht des Klägers müsse die Beklagte die Leistungsbewilligung nicht entsprechend den §§ 45 oder 48 SGB X zurücknehmen oder aufheben. § 52 SGB V sei im Verhältnis zu dem allgemein für die Erstattung von Leistungen geltenden § 50 Abs. 1 SGB X die speziellere Norm. Die Leistungsbeschränkung entfalle nicht schon dann, wenn bei dem Versicherten geminderte Schuldfähigkeit vorliege. Dieser Gesichtspunkt sei allerdings bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen. Zu seinen finanziellen Verhältnissen bzw. Unterhaltsverpflichtungen habe der Kläger auch nach Aufforderung keine Angaben gemacht. Die Beklagte habe sich daher auf die Ausführungen in den strafgerichtlichen Urteilen stützen dürfen. Dabei habe sie auch berücksichtigt, dass der Kläger bereits zu einer Geldstrafe von insgesamt 7.200,00 DM verurteilt worden sei. Der Umstand, dass der Kläger zum Tatzeitpunkt wegen Alkoholeinflusses vermindert schuldfähig gewesen sei, sei ohne Belang, weil die verminderte Schuldfähigkeit gerade auf der hohen Blutalkoholkonzentration beruht habe.

Gegen das als Einschreiben am 27. Mai 2002 zur Post gegebene Urteil richtet sich die am 19. Juni 2002 beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegte Berufung.

Der Kläger ist sinngemäß der Ansicht, die Beklagte habe bei der Ausübung des Ermessens fehlerhaft gehandelt. Im Zeitraum der Krankheit habe er weder über die finanziellen Mittel zur Bezahlung der Behandlungskosten noch über Einkommen ab der 6. Woche der Krankschreibung verfügt. Die Beklagte habe ihn zu keinem Zeitpunkt darüber informiert, dass die gezahlten Leistungen nicht verbindlich seien oder nur vorläufig gezahlt würden. Nach fast zwei Jahren sei die Rückforderung geltend gemacht worden, obwohl die Beklagte von Anfang gewusst habe oder hätte wissen können, dass er ohne Fahrerlaubnis gefahren sei. Er sei davon ausgegangen, dass die gezahlten Leistungen Bestand hätten, sonst hätte er diese nicht angenommen und Sozialhilfe beantragen können, da er nicht in der Lage gewesen sei, sich selbst zu helfen und seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 21. März 2002 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. Februar 2001 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält an ihrer Rechtsauffassung fest.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der Verwaltungsakte der Beklagte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das SG die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. Februar 2001 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in eigenen Rechten. Die Beklagte hat den Kläger zu Unrecht an den Kosten der Behandlungsmaßnahmen beteiligt und das Krankengeld teilweise für die Dauer der Erkrankung des Klägers infolge des Unfalls am 07. August 1998 zurückgefordert.

Rechtsgrundlage für die Rückforderung ist § 52 SGB V. Danach kann die Krankenkasse den Versicherten (neben der hier nicht einschlägigen Rechtsfolge der Versagung bzw. Rückforderung von Krankengeld) an den Kosten der Leistungen in angemessener Höhe beteiligen. Voraussetzung ist, dass sich der Versicherte eine Krankheit vorsätzlich oder bei einem von ihm begangenen Verbrechen oder vorsätzlichen Vergehen zugezogen hat. Die genannte Vorschrift ist eine spezielle Regelung, die in ihrem Anwendungsbereich den Allgemeinen Bestimmungen vorgeht. Das Rückforderungsrecht, das als Verwaltungsakt geltend zu machen ist und das eine vorherige Anhörung des Betroffenen erfordert, besteht mithin unabhängig davon, ob die Voraussetzungen für die Rücknahme oder für den Widerruf von begünstigenden Verwaltungsakten (vgl. §§ 45 ff. SGB X) erfüllt sind (zum Ganzen vgl. nur Peters/Schmidt, Handbuch der Krankenversicherung, § 52 SGB V Rn. 66 und 72; Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung - Kommentar, § 52 SGB V Rn. 5; KassKomm-Höfler § 52 SGB V Rn. 17; Hauck/Haines, Sozialgesetzbuch SGB V - Kommentar, § 52 Rn. 20 ff.; Schneider in Schulin, HS-KV, § 22 Rn. 564 m.w.N.).

Zwar hat die Beklagte, wie ihre an den Kläger gerichteten Schreiben vom 03. November 2000 und vom 01. Dezember 2000 belegen, den Kläger angehört. Auch hat sie dem Kläger einen den Erfordernissen des § 52 SGB V im Übrigen gerecht werdenden Verwaltungsakt erteilt. Indessen liegt der für die Inpflichtnahme des Klägers tatbestandlich erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen Vergehen und Schadenseintritt nicht vor.

Der Kläger hat sich die hier streitbefangene Krankheit nicht vorsätzlich zugezogen (§ 52 Alternative 1 SGB V). Anhaltspunkte hierfür sind weder ersichtlich noch hat sich die Beklagte hierauf gestützt. Vielmehr hat die Beklagte ihrer Bescheidung die 2. Alternative des § 52 SGB V zu Grunde gelegt. Danach kommt eine Beteiligung an den Kosten der Krankenbehandlung in Betracht, wenn sich der Betroffene - hier der Kläger - die Krankheit bei einem von ihm begangenen Verbrechen oder vorsätzlichen Vergehen (vgl. § 12 StGB) zugezogen hat. Zwar kommt hier jede Vorsatzform in Betracht; Eventualvorsatz genügt. Nicht erforderlich ist überdies, dass der Versicherte sich den Schaden selbst zugefügt hat; vielmehr reicht auch die Beteiligung eines Dritten - z.B. im Rahmen eines Verkehrsunfalls - aus. Indessen muss zwischen Tathandlung und Schaden Ursachenzusammenhang bestehen; die Gesundheitsschädigung muss m.a.W. kausal auf die Tathandlung zurück gehen. Daran fehlt es hier.

Das AG hat den Kläger rechtskräftig wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis verurteilt (§§ 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr. 2, 229, 230 Abs. 1 StGB, § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG, §§ 52, 69, 69a StGB). In den Gründen der amtsrichterlichen Entscheidung, die für den Senat - wie bereits zuvor für die Beklagte - i.S. der Tatbestandswirkung Entscheidungsgrundlage sind (vgl. Peters/Schmidt, § 52 SGB V Rn. 43; Krauskopf, § 52 SGB V Rn. 4; Hauck/Haines, § 52 SGB V Rn. 17), ist festgestellt, dass der Kläger ein vorsätzliches Vergehen, und zwar vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis, begangen hat, ohne dass Anhaltspunkte für Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgründe vorliegen.

Entgegen der Auffassung des SG ist es ohne Belang, ob der Kläger im Tatzeitpunkt vermindert schuldfähig war (§ 21 StGB). Dies schließt die Anwendung von § 52 SGB V nicht aus. Auch erstreckt sich der in § 52 SGB V geforderte Vorsatz auf den jeweiligen Straftatbestand, ohne dass der Versicherte in den Fällen der 2. Alternative des § 52 SGB V ersehen müsste, das die Begehung der Straftat zu einer Krankheit führen wird. Indessen fehlt es ausweislich der im amtsrichterlichen Urteil getroffenen Feststellungen am Vorsatz gerade in Bezug sowohl auf die Gefährdung des Straßenverkehrs als auch auf die Fahruntüchtigkeit, sei es in Anwendung der strafrechtlichen Äquivalenztheorie, sei es i.S. der sozialrechtlichen Theorie von der wesentlichen Bedingung (vgl.Hauck/Haines, § 52 SGB V Rn. 18). Hiernach haben von allen im Sinne der Bedingungstheorie gleichwertigen Ursachen eines Ereignisses nur diejenigen rechtliche Bedeutung, denen nach der Anschauung des praktischen Lebens die wesentliche Bedeutung für den Eintritt dieses Ereignisses zukommt (vgl. bereits BSGE 1, 150 [156]; st. Rspr.).

Dies zu Grunde legend besteht ein Ursachenzusammenhang zwischen Vorsatztat und Gesundheitsschaden nicht. "Vorsätzlich" hat der Kläger allein in Bezug auf das Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) gehandelt. Gerade dieses Vergehen mag Ursache für die strafrichterliche Verurteilung gewesen sein. Ursächlich für die Gesundheitsschädigung war es indessen nicht. Allein darauf kommt es aber gerade an.

Ursächlich für die Verletzung des Klägers und damit auch für die anlässlich der Erkrankung entstandenen Kosten war das Unfallgeschehen vom 07. August 1998, das seinerseits auf die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Klägers zurückzuführen ist. Sowohl das AG als auch das LG stellen in den Gründen ihrer Entscheidungen übereinstimmend fest, dass der Kläger seine Gesundheitsschädigung ohne Zweifel fahrlässig, nicht aber "mit Wissen und Wollen" - und sei es i.S. einer Nebenfolge - herbeigeführt hat. Folge der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit war das Unfallgeschehen selbst. Der Kläger hat ausweislich der Entscheidungsgründe sowohl hinsichtlich der Verursachung der Gefahr als auch seiner Fahruntüchtigkeit fahrlässig gehandelt. Deshalb ist der Kläger auch wegen einer fahrlässigen Gefährdung im Straßenverkehr (§§ 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr. 2 StGB) verurteilt worden.

Nicht ursächlich im Sinne der Lehre der rechtlich wesentlichen Bedingung war hingegen das Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG), wegen der der Kläger strafrechtlich verurteilt worden ist. Insoweit - diesbezüglich - mag der Kläger mit Wissen und Wollen gehandelt haben. Hinsichtlich dieser Vorsatztat ist aber - bezogen auf die erlittene Gesundheitsschädigung - gerade kein Ursachenzusammenhang nachzuweisen. Weder die Gründe der strafrichterlichen Entscheidungen noch die sonstigen Tatumstände lassen den Schluss auf das Bestehen eines kausalen Zusammenhangs zu. Namentlich das Unfallgeschehen selbst - Abkommen von der Fahrbahn in einer leichten Linkskurve - beruht auf der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit, auf Grund derer der Kläger nicht mehr in der Lage war, auf die sich ihm bietende Verkehrssituation entsprechend zu reagieren und die Geschwindigkeit den Straßenverhältnissen anzupassen. Allein deshalb ist der Kläger wegen einer fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt worden, nicht aber wegen einer vorsätzlichen Begehung dieses Vergehens. Der Kläger hätte m.a.W. zwar erkennen können und müssen, dass er aufgrund des vorangegangenen Alkoholgenusses nicht mehr in der Lage war, ein Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr sicher zu führen. Daraus ist aber weder der Schluss zu ziehen noch von den Strafgerichten angenommen, dass der Kläger gerade hinsichtlich der Gesundheitsschädigung mit Vorsatz gehandelt hat.

Weil sich der Kläger die Schädigung daher nicht bei einem vorsätzlichen Vergehen i.S. des § 52 SGB V zugezogen hat, durfte ihn die Beklagte daher an den ihr entstandenen Kosten nicht beteiligen.

Die vorstehenden Darlegungen machen deutlich, dass der Anwendung des § 52 SGB V gerade im Blick auf die hier streitgegenständliche 2. Fallgestaltung enge Grenzen gesetzt sind. Der Senat sieht die genannte Vorschrift - wie dies gerade der vorliegende Rechtsstreit belegt - als wenig hilfreich in dem Sinne an, dass die Solidargemeinschaft der gesetzlich Krankenversicherten von solchen Kosten entlastet werden könnte, die wegen eines individuellen schuldhaften Fehlverhaltens zu ihrer Inanspruchnahme führen. Vor allem erscheint § 52 SGB V in seiner derzeitigen normativen Gestaltung als ungeeignet, weil danach die Versichertengemeinschaft bei unter Alkoholeinfluss begangenen Straßenverkehrsdelikten vor finanziellen Belastungen nicht geschützt wird, soweit diese auf Fahrlässigkeit beruhren. Obgleich solche Fälle außerhalb des "eigentlichen Versicherungsrisikos" der Solidargemeinschaft der Versicherten liegen und eine Kostentragung durch den Straftäter dringend angezeigt wäre, sieht sich der Senat nicht zu einer Korrektur im Stande. Dies betrifft eine rechtspolitische Frage, deren Behandlung gerade i.S. einer Korrektur des § 52 SGB V allein dem Gesetzgeber vorbehalten ist.

Nach alledem hatte die Berufung Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der bis zum Inkrafttreten des 6. SGGÄndG vom 17. August 2001 (BGBl. I S. 2144) zum 02. Januar 2002 geltenden Fassung (Art. 17 Abs. 1 6. SGGÄndG).

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG). -
Rechtskraft
Aus
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