L 20 B 2/05 SO ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 12 SO 31/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 B 2/05 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
SGB XII §§ 67, 68; VO § 4 ABs. 2 (Erhaltung der Unterkunft, Haft, Abrenzung zu Mietschulden)

Zur Erhaltung einer Unterkunft während einer Inhaftierung können Leistungen nach § 68 Abs. 1 S. 1 SGB XII i.V.m. § 4 Abs. 2 der dazu erlassenen Verordung erbracht werden.

§ 4 Abs. 2 VO ist eine Rechtsfolgenverweisung, keine Rechtsgrundverweisung. Die Kosten für die Erhaltung der Wohnung sind keine Mietschulden i.S. des § 34 SGB XII.

LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30.06.2005 L 20 B 2/05 SO ER
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 02.05.2005 geändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin die Kosten der Unterkunft für die Wohnung G-Straße 00, N für die Monate Mai bis einschließlich August 2005 in Höhe von 265,87 EUR zuzüglich Nebenkosten in Höhe von 67,- EUR monatlich vorläufig zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin trägt die Antragsgegnerin in beiden Rechtszügen zu 2/3, zu 1/3 trägt die Antragsstellerin ihre Kosten selbst.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht mit Beschluss vom 03.06.2005 nicht abgeholfen hat, ist nur aus den im Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.

Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass ihr für die Monate Mai bis August 2005 ein Anordnungsanspruch (§ 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG) auf vorläufige Übernahme von Unterkunftskosten nach §§ 67,68 Sozialgesetzbuch XII - Sozialhilfe i.V. mit § 4 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (VO) zusteht.

Klarzustellen ist, dass die Antragstellerin keine Mietschulden nach § 34 Abs. 1 SGB XII geltend macht, sondern eine Wohnungshilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach §§ 67,68 SGB XII beantragt hat. Sie befindet sich seit dem 02.12.2004 in Haft, nachdem die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen worden war. Ein Anspruch auf Übernahme von Kosten für eine während der Haft vorgehaltene Wohnung ergibt sich nicht aus § 34 Abs. 1 SGB XII. Schon unter der Geltung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) sind derartige Kosten nicht als Mietschulden nach § 15a BSHG, der dem jetzigen § 34 Abs. 1 BSHG entspricht (vgl. hierzu Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2005, § 34 Rn. 1; Birk, Sozialgesetzbuch XII, Lehr- und Praxiskommentar, 7. Aufl. 2005, § 34 Rn. 1), sondern als Hilfe zur Überwindung sozialer Schwierigkeiten nach § 72 BSHG angesehen worden (vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 13.12.1979, Az.: VI S. 77,79; Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 18.05.1998, Az.: 2 S 33/98; Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 06.01.2000, Az.: 4 Bs 413/99 mit weiteren Nachweisen zum Meinungstand).

Eine entsprechende Hilfe nach § 34 Abs. 1 SGB XII setzt voraus, dass mit ihr die Unterkunft für eine nicht nur vorübergehende Zeit erhalten werden kann. Leistungen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten in Form von Unterkunftskosten sind zeitlich beschränkt auf die Zeit der Inhaftierung, worauf wegen der Dauer noch einzugehen sein wird.

§ 67 Abs. 1 S. 1 SGB XII erfasst Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind. Derartige besondere Lebensverhältnisse bestehen nach der in § 1 Abs. 2 VO genannten Typik bei Personen, die aus einer geschlossenen Einrichtung entlassen werden. Das ist bei der Entlassung aus der Haft der Fall.

Nach dem Ende der Haft droht dem Betreffenden Obdachlosigkeit, wenn er nicht in seine Wohnung zurückkehren kann. Insofern ist die Hilfe nach § 67 SGB XII nicht nur nachgehend, sondern auch präventiv, weil sie schon während der Haftzeit erforderlich wird.

Da die Antragstellerin zum Personenkreis des § 67 SGB XII gehört, stellt sich die Frage einer möglichen Anwendung des Sozialgesetzbuches - Zweites Buch - (SGB II) nicht, weil es sich hier um Leistungen des Achten Kapitels - Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten - SGB XII handelt, für die es im SGB II keine entsprechenden gesetzlichen Grundlagen gibt. Als Hilfeleistung bestimmt § 68 Abs. 1 Satz 1 SGB XII insbesondere Maßnahmen zur Erhaltung einer Wohnung. Hierzu ergänzt der auf der Grundlage des § 69 SGB XII erlassene § 4 Abs. 2 VO, dass - soweit erforderlich - Maßnahmen auch sonstige Leistungen zur Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung nach dem dritten Kapitel des SGB XII, insbesondere § 34 SGB XII umfassen. Diese Vorschrift ist als Rechtsfolgenverweisung und nicht als Rechtsgrundverweisung zu verstehen. Der Hinweis in § 4 Abs. 2 VO darauf, dass die Hilfe auch sonstige Leistungen zur Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung nach dem Dritten Kapitel des SGB XII, insbesondere nach § 34 umfasst, ist zum Einen missverständlich und wäre als Rechtsgrundverweisung über-flüssig. Da der Träger der Sozialhilfe gehalten ist, den Hilfebedarf des Leistungsberechtigten insgesamt zu ermitteln (Gesamtfallgrundsatz) (s. dazu auch Rothkegel, Sozialhilferecht, 2005, Teil II Kapitel 4 Rn. 5) und dementsprechend ein Gesamtplan zu erstellen ist (§ 2 Abs. 3 VO), sind Hilfen vor allem nach § 34 SGB XII im Fall von Mietschulden oder Schulden für Strom-, Gas- und Wasserlieferungen ohnehin in Betracht zu ziehen. Leistungen des Trägers der Sozialhilfe im Hinblick auf Miet- oder Energieschulden bleiben Hilfen nach § 34 SGB XII. Sie sind deshalb nicht den Leistungen nach § 68 SGB XII zuzuordnen (vgl. Grube/Wahrendorf, a.a.O., § 68 Rn. 12). Daraus folgt, dass die Vorschrift des § 4 Abs. 2 VO nicht als Rechtsgrundverweisung zu verstehen ist.

Da eine Unterkunft während einer Inhaftierung nur vorübergehend dem Berechtigten erhalten werden soll, kann sich die Frage stellen, für welchen Zeitraum die Leistungen zu erbringen sind. Ob hier nur ein Zeitraum von bis zu 6 Monaten angemessen ist (vgl. dazu z.B. OVG Lüneburg, Beschluss vom 04.12.2000, Az.: 4 M 3681/00 Neue Juristische Wochenschrift 2001, 1155), musste vom Senat nicht entschieden werden. Der Anspruch der Antragstellerin ist auf die Zeit bis einschließlich August 2005 beschränkt und damit von kurzer Dauer. Sie hat nach der vorgelegten Bescheinigung der Justizvollzugsanstalt C begründete Aussichten, zum 13.08.2005 frühzeitig aus der Haft entlassen zu werden.

Neben dem glaubhaft gemachten Anordnungsanspruch setzt das einstweilige Anordnungsverfahren auch einen Anordnungsgrund voraus, d.h. die vorläufige Regelung muss zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Hier kann nicht unbeachtet bleiben, dass es der Antragstellerin mit Hilfe ihrer Mutter und einer Freundin möglich war, die Mietkosten bis einschließlich April aufzubringen. Umstände, die darauf hindeuten könnten, dass die Rückzahlung dieser als Darlehen bereit gestellten Gelder jetzt fällig wird, sind von der Antragstellerin nicht geltend gemacht worden. Insoweit ist die Beschwerde zurückzuweisen, weil es für die Monate März und April an einem Anordnungsgrund fehlt.

Hingegen hat der Senat für die Monate Mai bis August einen Anordnungsgrund angenommen, weil für diesen Zeitraum Unterkunftskosten geschuldet werden.

Bei der Kostenentscheidung nach § 193 SGG, der hier entsprechend heranzuziehen ist, hat der Senat berücksichtigt, dass die Antragstellerin für den Zeitraum von 6 Monaten mit der Miete für zwei Monate unterliegt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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