S 1 AS 228/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 AS 228/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 6. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Juni 2005 verurteilt, auch für die Zeit vom 30. Januar 2005 bis 3. März 2005 Arbeitslosengeld II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 30.01.2005 bis 03.03.2005. Dem Kläger war (erst) mit Bescheid der Agentur für Arbeit vom 03.03.2005 mitgeteilt worden, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld bereits zum 30.01.2005 erschöpft sei.

Der Kläger, geboren 1964, hatte seit 31.05.2003 Arbeitslosengeld bezogen. Bei der Aufnahme einer Arbeit als Kraftfahrer am 01.06.2004 betrug die Restanspruchsdauer 8 Kalendertage.

Am 11.01.2005 meldete sich der Kläger bei der Agentur für Arbeit, Dienststelle Günzburg, zum 22.01.2005 arbeitslos. Es fand am 18.01.2005 ein Besprechungstermin mit einem Mitarbeiter der Agentur für Arbeit statt. Mit Bescheid der Agentur für Arbeit vom 03.03.2005 wurde Arbeitslosengeld (nur) bis 29.01.2005 bewilligt. Mit Schreiben vom gleichen Tag wurde der Kläger auf die Antragstellung für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II) hingewiesen.

Entsprechend beantragte der Kläger sofort nach Zugang der Information am 04.03.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach SGB II. Dem Antrag wurde mit Bescheid vom 06.04.2005 ab 04.03.2005 entsprochen.

Dagegen legte der Kläger am 14.04.2005 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 08.06.2005 zurückgewiesen wurde. Zur Begründung wurde Bezug genommen auf die nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II notwendige Antragstellung.

Dagegen legte der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 04.07.2005 Klage zum Sozialgericht Augsburg ein. Beigezogen wurde die Leistungsakte der Agentur für Arbeit.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 06.09.2005 beantragte die Bevollmächtigte des Klägers, die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 06.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2005 zu verurteilen, auch für die Zeit vom 30.01.2005 bis 03.03.2005 die Leistungen zur Sicherung des Unterhalts nach SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Vertreter der Beklagten beantragte im Termin die Klageabweisung.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Klageakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist auch begründet.

Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende werden nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht (§ 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II).

Im vorliegenden Fall ist der Kläger aber über den sog. sozialrechtlichen Herstellungsanspruch so zu stellen, als wenn er den Antrag bereits am 30.01.2005 gestellt hätte.

Der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch hat folgende Voraussetzungen (vgl. Löcher, Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch in der Rechtsprechung des BSG, Die Sozialversicherung 2001, S. 85 ff):

1. Die Pflichtverletzung durch einen Sozialleistungsträger.
2. Fehlen einer die Rechtsfolge der Pflichtverletzung regelnden gesetzlichen Bestimmung.
3. Objektive Rechtswidrigkeit der Pflichtverletzung.
4. Schaden.
5. Kausalität zwischen der objektiven Pflichtverletzung und dem Schaden.
6. Möglichkeit der Folgenbeseitigung durch eine zulässige Amts- handlung des Sozialleistungsträgers.

Der vorliegende Fall entspricht der häufigen Konstellation, dass bei gebotener zeitgerechter Information der Antrag zeitgerecht gestellt worden wäre.

Die Pflicht entsteht, wenn z.B. bei einer Vorsprache zweckmäßige Gestaltungsmöglichkeiten klar zutage treten, die der Berechtigte bei verständiger Betrachtung und entsprechender Information voraussichtlich nutzen würde (Urteil BSG vom 05.08.1999, SGb 1999, 558). Von der Rechtsprechung des BSG ist dabei auch eine Einstandspflicht für objektive Pflichtverletzungen eines Mitarbeiters eines anderen Sozialleistungsträgers anerkannt. Eine Einstandspflicht besteht, wenn die Zuständigkeitsbereiche beider Stellen materiellrechtlich eng miteinander verknüpft sind. Die fehlerhaft handelnde Behörde ist dann aufgrund des bestehenden Kontaktes der aktuelle "Ansprechpartner" des Versicherten. Eine objektive Pflichtverletzung besteht, wenn erkennbar ist, dass beim Antragsteller im Hinblick auf das andere sozialrechtliche Gebiet ein dringender Beratungsbedarf besteht (Urteil BSG vom 22.10.1996, SozR 3-1200 § 14 Nr. 22). Bei den Leistungen nach SGB II handelt es sich um eine Änderung der bisher in die Zuständigkeit der Agentur für Arbeit fallenden Arbeitslosenhilfeleistungen. Wegen der Einbeziehung der Leistungen für Unterkunft und Heizung sind nur die Kommunen in den verwaltungsmäßigen Vollzug mit einbezogen worden. Die der Arbeitslosenhilfe vergleichbare Geldleistung fällt weiter in die Zuständigkeit des Bundes. Auch nach Sinn und Zweck von SGB II und SGB III muss ein nahtloser Übergang gewährleistet sein. Der Kläger hätte also bei der Vorsprache am 18.01.2005 sofort darauf hingewiesen werden müssen, dass - für die Mitarbeiter der Agentur für Arbeit leicht ersichtlich - nur noch ein Restanspruch von wenigen Tagen bestand, ab 01.01.2005 die nahtlose Anschlussleistung der Arbeitslosenhilfe entfallen ist, gesondert bei einem neuen Verwaltungsträger Antrag gestellt werden muss.

Wegen dieser objektiven Pflichtverletzung hat der Kläger glaubhaft erst am 04.03.2005 Antrag nach SGB II gestellt. Der Schaden besteht in einem Verlust des Anspruches auf Alg II. Der Schaden kann durch eine pflichtgemäße Amtshandlung beseitigt werden, nämlich dadurch dass von der Antragstellung ausgegangen wird, die bei pflichtgemäßer Beratung vorgelegen hätte (30.01.2005).

Für den Bereich des SGB III ist nach der Rechtsprechung die Anwendung des Herstellungsanspruches eingeschränkt, weil die "Verfügbarkeit" nicht rückwirkend hergestellt werden kann. Diese Einschränkung entfällt, da der Kläger sich durchgehend der Vermittlung zur Verfügung gestellt hatte und zwar bis zum 03.03.2005 der zuständigen Agentur für Arbeit.

Damit war dem Klageantrag zu entsprechen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Es war der Erfolg der Klage zu berücksichtigen.
Rechtskraft
Aus
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