S 9 RA 2189/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 9 RA 2189/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Das Verfahren wird ausgesetzt. 2. Dem Europäischen Gerichtshof wird folgende Frage vorgelegt: Ist die Bestimmung des Anhang VI. D. (früher C.) Deutschland Nr. 1 zur Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGV 1408/71) mit höherrangigem Europarecht, insbesondere dem Freizügigkeitsgebot - hier: dem Leistungsexportgebot des Artikel 42 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGVtr) - vereinbar, soweit er auch die Leistung der Rente aus Reichsgebiets-Beitragszeiten ausschließt?

Sachverhalt:

Streitig ist, ob die Beklagte der Klägerin auch nach deren Umzug nach Belgien Altersrente aus so genannten Reichsgebiets-Beitragszeiten zu zahlen hat. Die am XX. XXX 1923 in J./D. (deutsch: E./T.) in Sudety (Sudetenland), damals Tschechoslowakei, heute Tschechische Republik geborene Klägerin, die deutsche Staatsangehörige ist, arbeitete in der Zeit von Januar 1939 bis Mai 1946 in J. (E.). Dabei entrichtete sie für die Zeit vom 1. Januar 1939 bis 30. April 1945 Pflichtbeiträge zur deutschen Rentenversicherung, und zwar zur damaligen Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA) in Berlin, die nach der Annexion des Sudetenlandes durch das Deutsche Reich der zuständige Versicherungsträger war. Nach ihrer Ausweisung aus der damaligen Tschechoslowakei lebte die Klägerin im Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland. Mit Bescheid vom 2. November 1987 war der Klägerin Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres ab XXXX 1988 bewilligt worden. Der Rentenberechnung lagen neben Kindererziehungszeiten und freiwilligen Beiträgen die oben genannten Pflichtbeiträge für die Zeit von Januar 1939 bis April 1945 sowie Fremdrentenzeiten für die Zeit vom 5. Mai 1945 bis 13. Mai 1946 zu Grunde. In dem zuletzt genannten Zeitraum hatte die Klägerin in der damaligen Tschechoslowakei versicherungspflichtig gearbeitet. Mit Schreiben vom 13. Juli 2001 teilte die Klägerin dem Postrentenservice mit, dass sie zum 1. August 2001 zu ihrer Tochter nach Belgien übersiedeln werde. Mit Bescheid vom 22. Oktober 2001 stellte die Beklagte die Rente der Klägerin neu fest und bewilligte Regelaltersrente ab 1. Dezember 2001. Der Bescheid enthielt den Zusatz, dass der Rentenbescheid vom 2. November 1987 mit Wirkung für die Zukunft ab 1. Dezember 2001 aufgehoben werde. Die Klägerin halte sich gewöhnlich in Belgien auf. Es sei festgestellt worden, dass die Beitragszeiten von Januar 1939 bis Mai 1946 außerhalb des Gebietes der heutigen Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt worden seien. Entgeltpunkte für diese Beitragszeiten seien nicht mehr in vollem Umfang zu berücksichtigen. Die Aufhebung des Rentenbescheides für die Zukunft sei zulässig, weil sich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die beim Erlass des Rentenbescheides vorgelegen hätten, durch den Verzug nach Belgien wesentlich geändert hätten und diese Änderung für die Zukunft immer zu berücksichtigen sei. Weiter erläuterte die Beklagte (Anlage 6 zum Rentenbescheid) die Ermittlung der Entgeltpunkte. Im ersten Schritt sei eine Berechnung nach dem Recht des Sozialgesetzbuch VI (SGB VI)/ Rentenreformgesetz 1992 durchzuführen. Im zweiten Schritt werde geprüft, ob die anteilige Berechnung aus der bisher nach dem Recht des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) gezahlten Rente zu einem günstigeren Ergebnis führe. Dies sei bei der Klägerin der Fall. Die Entgeltpunkte der bisher gezahlten Rente hätten 12,9778 betragen. Die nach dem SGB VI berechnete Auslandsrente würde 3,3060 Entgeltpunkte (EP) ergeben, die so genannte "pro–rata" Berechnung ergebe 4,1305 EP. Unter Zugrundelegung der zuletzt genannten EP sei die Rente zu zahlen. Die Beklagte ermittelte einen monatlichen Bruttobetrag der Rente von 204, 50 DM (104, 56 EUR), was eine Verminderung des bisherigen Rentenbetrages um 438,03 DM (223,96 EUR) monatlich bedeutete. Mit Schriftsatz vom 28. November 2001 erhob der Bevollmächtigte der Klägerin gegen den Bescheid vom 22. Oktober 2001 Widerspruch. Er machte geltend, dass das Sudetenland in der Zeit von 1939 bis 1945 zum Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gehört habe. Mit Bescheid vom 11. März 2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte aus, dass bei der Zahlung einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung an Rentenempfänger mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland die besonderen Zahlungsvorschriften – hier § 113 SGB VI – zu berücksichtigen seien. Nach dieser Vorschrift würden die persönlichen Entgeltpunkte von (Renten-)berechtigten aus EP für Bundesgebiets-Beitragszeiten ermittelt. Dies seien Beitragszeiten, für die Beiträge nach Bundesrecht nach dem 8. Mai 1945 gezahlt worden seien und diesen im 5. Kapitel des SGB VI gleichgestellte Beitragszeiten. Die von der Klägerin in der Zeit von Januar 1939 bis April 1945 für eine Beschäftigung im Sudetenland zurückgelegten Beitragszeiten seien damit nicht nach dem nach dem 8. Mai 1945 geltenden Bundesrecht gezahlt worden. § 271 SGB VI regele, welche vor dem 9. Mai 1945 entrichteten Beiträge als Bundesgebiets-Beitragszeiten im Sinne des § 113 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI anzusehen seien. Hiernach seien Bundesgebiets-Beitragszeiten auch Zeiten, für die nach den vor dem 9. Mai 1945 geltenden Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge für eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit im Inland gezahlt worden seien. Unter dem Begriff "im Inland" sei nicht der jeweilige Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze, sondern allein das Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland zu verstehen. Damit seien Pflichtbeiträge, die zwar nach den Reichsversicherungsgesetzen für eine Beschäftigung oder Tätigkeit im Gebiet des damaligen Deutschen Reichs, aber außerhalb des Gebietes der heutigen Bundesrepublik Deutschland geleistet worden seien, keine Bundesgebietsbeiträge. Pflichtbeiträge seien im Inland entrichtet, wenn sie auf einer Beitragsleistung für eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit in diesem Gebiet beruhten. Die von der Klägerin von Januar 1939 bis April 1945 nach den deutschen reichsgesetzlichen Vorschriften entrichteten Beiträge seien jedoch – in Anwendung des § 271 SGB VI – keine Bundesgebiets-Beitragszeiten, da das Sudetenland nicht auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland liege. Mit der am 23. März 2002 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung hat ihr Bevollmächtigter erneut vorgetragen, dass das Sudentenland in der Zeit von 1939 bis 1945 zum Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gehört habe. Nach Hinweis der Vorsitzenden, dass dies zu keinem Zeitpunkt der Fall gewesen sei, hat der Bevollmächtigte der Klägerin vorgetragen, dass die Klägerin im Wesentlichen nicht verstehe, weshalb über Jahre hinweg ihr die Rente auch unter Berücksichtigung der Zeiten für 1939 bis 1945 gewährt worden sei und alleine wegen des Verzuges aus der Bundesrepublik Deutschland nach Belgien eine Neubescheidung erfolgt sei. Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Bescheid der Beklagten vom 22. Oktober 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. März 2002 insoweit aufzuheben, als die Rente auch ohne Berücksich- tigung der Zeit vom 1. Januar 1939 bis 30. April 1945 neu festgestellt wurde. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie bezieht sich auf ihren Widerspruchsbescheid. Das Gericht hat bei der Beklagten angefragt, zu welcher Versicherungsanstalt die Pflichtbeiträge der Klägerin in der Zeit von 1939 bis 1945 gezahlt worden seien. Mit Schriftsatz vom 27. Juni 2002 hat die Beklagte mitgeteilt, dass die Klägerin Beiträge zur RfA entrichtet habe. Die Versicherungskarten seien zwischenzeitlich vernichtet. Auf weitere Anfrage des Gerichts, und zwar dahingehend, ob sich im Hinblick darauf, dass das Gebiet, in dem die Klägerin in der Zeit von Januar 1939 bis April 1945 (richtig müsste es heißen: Mai 1946) gearbeitet hat, ab 1. Mai 2004 zum Gebiet der Europäischen Union gehört, die Entscheidung der Beklagten auch über diesen Zeitpunkt hinaus aufrecht erhalten werde, hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 18. Juni 2004 mitgeteilt, dass sich daraus keine Änderung ergebe. Nach Anhang VI C, Deutschland Nr. 1 zur VO(EWG) Nr. 1408/71 könne aus den Entgeltpunkten für so genannte Reichsgebiets-Beitragszeiten und Zeiten nach dem Fremdrentengesetz keine Leistung in einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union (EU) gezahlt werden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der eingereichten Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt verwiesen. Die Akten der Beklagten die Klägerin betreffend haben dem Gericht vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Gründe:

Das Gericht legt dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die im Tenor genannte Rechtsfrage zur Anwendung des Gemeinschaftsrechts gem. Art. 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGVtr) zur Vorabentscheidung vor, da sie im vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserheblich ist.

Sofern die Bestimmungen im Anhang VI D. Deutschland Nr. 1 zur Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGV 1408/71) mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar sind, hätte die Beklagte die Rente der Klägerin nach dem Verzug nach Belgien zu Unrecht ohne die im Sudetenland zurückgelegten Reichsgebiets-Beitragszeiten festgestellt.

Bei den von der Klägerin an die RfA gezahlten Beiträgen handelt es sich um so genannte "Reichsgebiets-Beitragszeiten". Dies sind Beitragszeiten, für die nach den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind (§ 247 Absatz 3 Satz 1 SGB VI). Im Sudetenland war nach dem Einmarsch der Deutschen mit Wirkung ab 1. Januar 1939 die (deutsche) Reichsversicherung eingeführt worden (Verordnung vom 27. Juni 1940 über die endgültige Regelung der Reichsversicherung in den ehemaligen tschechoslowakischen, dem Deutschen Reich eingegliederten Gebieten, Reichsgesetzblatt I S. 957 in der Fassung vom 27. Februar, 4. November und 22. Dezember 1941, zitiert nach Pin, Die gesetzliche Rentenversicherung im Ausland). Die von der Klägerin in der Zeit vom 1. Januar 1939 bis 30. April 1945 entrichteten Beiträge waren damit nach den Reichsversicherungsgesetzen, hier dem Angestelltenversicherungsgesetz, entrichtet.

Nach den anzuwendenden deutschen Rechtsvorschriften können Renten, soweit sie auf Reichsgebiets-Beitragszeiten beruhen, die nicht auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt sind, nicht in das Ausland gezahlt werden. Nach deutschem Recht ergibt sich durch den Verzug nach Belgien folgende Rechtslage: Es ist eine Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen i. S. d. § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch X (SGB X) eingetreten. Nach dieser Vorschrift ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Die Änderung in den Verhältnissen ist wesentlich, weil gemäß den §§ 110 Abs. 2, 113 Abs. 1 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) eine Zahlung aus Reichsgebiets-Beitragszeiten, die nicht auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt sind, ins Ausland ausgeschlossen ist. § 110 Abs. 2 SGB VI lautet: Berechtigte, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, erhalten diese Leistungen, soweit nicht die folgenden Vorschriften über Leistungen an Berechtigte im Ausland etwas anderes bestimmen.

§ 113 Abs. 1 SGB VI lautet: Die persönlichen Entgeltpunkte von Berechtigten werden ermittelt aus 1. Entgeltpunkten für Bundesgebiets-Beitragszeiten, 2. dem Leistungszuschlag für Bundesgebiets-Beitragszeiten, 3. Zuschlägen an Entgeltpunkten aus einem durchgeführten Versorgungsausgleich oder Rentensplitting unter Ehegatten, 4. Abschlägen an Entgeltpunkten aus einem durchgeführten Versorgungsausgleich oder Rentensplitting, soweit sie auf Bundesgebiets-Beitragszeiten entfallen, 5. Zuschlägen aus Zahlungen von Beiträgen bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters oder bei Abfindung von Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung, 6. Zuschlägen an Entgeltpunkten für Arbeitsentgelt aus geringfügiger versicherungsfreier Beschäftigung, 7. zusätzlichen Entgeltpunkten für Arbeitsentgelt aus nicht gemäß einer Vereinbarung über flexible Arbeitszeitregelungen verwendeten Wertguthaben, 8. Zuschlägen an Entgeltpunkten bei Witwenrenten und Witwerrenten und 9. Zuschlägen an Entgeltpunkten aus Beiträgen nach Beginn einer Rente wegen Alters.

Bundesgebiets-Beitragszeiten sind Beitragszeiten, für die Beiträge nach Bundesrecht nach dem 8. Mai 1945 gezahlt worden sind, und die diesen im 5. Kapitel gleichgestellten Beitragszeiten.

Die von der Klägerin im Sudetenland in der Zeit vom 1. Januar 1939 bis 30. April 1945 zurückgelegten Beitragszeiten sind den Bundesgebiets-Beitragszeiten nicht gleichgestellt. Nach § 271 SGB VI sind Bundesgebiets-Beitragszeiten auch Zeiten, für die nach den vor dem 9. Mai 1945 geltenden Reichsversicherungsgesetzen

1. Pflichtbeiträge für eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit im Inland oder 2. freiwillige Beiträge für die Zeit des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland oder außerhalb des jeweiligen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze

gezahlt worden sind. Kindererziehungszeiten sind Bundesgebiets-Beitragszeiten, wenn die Erziehung des Kindes im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist.

Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht, da die Pflichtbeiträge nicht für eine Beschäftigung im Inland gezahlt worden sind, sondern im Ausland, nämlich in der (heutigen) Tschechischen Republik.

In den Genuss der Vergünstigung des § 272 SGB VI kommt die Klägerin nicht, da sie nicht vor dem 19. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland genommen hat. § 272 Absatz 1 SGB VI lautet: Die persönlichen Entgeltpunkte von Berechtigten, die die Staatsangehörigkeit eines Staates haben, in dem die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 anzuwenden ist, die vor dem 19. Mai 1950 geboren sind und vor dem 19. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland genommen haben, werden zusätzlich ermittelt aus 1. Entgeltpunkten für Beitragszeiten nach dem Fremdrentengesetz, begrenzt auf die Höhe der Entgeltpunkte für Bundesgebiets-Beitragszeiten, 2. – 4. ( ).

§ 272 Abs. 3 Satz 1 SGB VI lautet: Zu den Entgeltpunkten von Berechtigten im Sinne von Absatz 1, die auf die Höhe der Entgeltpunkte für Bundesgebiets-Beitragszeiten begrenzt zu berücksichtigen sind, gehören auch Reichsgebiets-Beitragszeiten.

Auch aus § 110 Abs. 3 SGB VI ergibt sich nichts anderes. § 110 SGB VI lautet:

1. Berechtigte, die sich nur vorübergehend im Ausland aufhalten, erhalten für diese Zeit Leistungen wie Berechtigte, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben.

2. Berechtigte, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, erhalten diese Leistungen, soweit nicht die folgenden Vorschriften über Leistungen an Berechtigte im Ausland etwas anderes bestimmen.

3. Die Vorschriften dieses Abschnitts sind nur anzuwenden, soweit nicht nach über- oder zwischenstaatlichem Recht etwas anderes bestimmt ist.

Es ist nicht nach über- oder zwischenstaatlichem Recht etwas anderes bestimmt im Sinne des Absatzes 3 des § 110 SGB VI, da sich im Anhang VI D. (früher C.) Deutschland Nr. 1 EWGV 1408/71 eine das Exportgebot des Art. 10 EWGV 1408/71 einschränkende Bestimmung findet. Nach dieser Vorschrift berührt Artikel 10 der Verordnung nicht die Rechtsvorschriften, nach denen aus Unfällen (Berufskrankheiten) und Zeiten, die außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland eingetreten bzw. zurückgelegt sind, Leistungen an Berechtigte außerhalb der Bundesrepublik Deutschland nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen gezahlt werden.

Es gilt für die Klägerin auch nicht das so genannte "Rentnerprivileg" des § 98 Abs. 2 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG). Trotzdem seit einer Rechtsänderung zum 1. Januar 2001 für eine Neufeststellung der Rente das Recht anzuwenden ist, das bei Erstfeststellung der Rente anzuwenden war (§ 300 Abs. 3 SGB VI), hat der Gesetzgeber die Anwendung des alten Rechts für den Fall ausgeschlossen, dass ein Verzug ins Ausland erfolgt (§ 317 Abs. 2 a SGB VI).

Sofern also die Bestimmung des Anhang VI. D. Deutschland Nr. 1 zum EWGV 1408/71 rechtmäßig ist, hätte die Beklagte die Neufeststellung der Rente ohne die Reichsgebiets-Beitragszeiten zu Recht vorgenommen.

Bedenken gegen die Vereinbarkeit der genannten Normen mit höherrangigem Recht ergeben sich aus dem in Artikel 42 EGVtr normierten Recht auf Freizügigkeit, hier dem Leistungsexportgebot. Zu dem hierdurch geschützten Personenkreis gehören nicht nur die Arbeitnehmer im engeren Sinn, sondern auch Rentner, d.h. ehemalige Arbeitnehmer, vorausgesetzt, sie werden durch ein gesetzliches Sozialversicherungssystem erfasst (vgl. Langer in: Fuchs (Hg.), Europäisches Sozialrecht, Art. 42 EGVtr, Randziffer(Rz) 11 mit weiteren Nachweisen; Vorlagebeschluss des Bundessozialgerichts vom 30. Januar 2002, Az.: B 5 RJ 24/00 R- Aktenzeichen des EuGH: C-156/02-, JURIS-Ausdruck S.6). Weiterhin ist es für die Anwendung der EWGV 1408/71 nicht notwendig, dass ein Wechsel von einem Mitgliedsstaat zu einem anderen aus beruflichen Gründen stattgefunden hat (Langer in Fuchs (Hg.), Europäisches Sozialrecht, Art. 42 EG Rz 13).

Es könnte hier insbesondere ein Verstoß gegen Art. 10 Abs. 1 EWGV 1408/71, der den Koordinierungsauftrag des Art 42 lit b) EGVtr einlösen soll, vorliegen. Nach Art 10 Abs. 1 Satz 1 EWGV 1408/71 dürfen die Geldleistungen bei Invalidität, Alter oder für die Hinterbliebenen, die Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten und die Sterbegelder , auf die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedsstaaten Anspruch erworben worden ist, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, nicht deshalb gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, weil der Berechtigte im Gebiet eines anderen Mitgliedsstaats als des Staates wohnt, in dessen Gebiet der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat.

Der Ausschluss der Zahlung der Rente in andere Mitgliedsstaaten, der durch die Vorschrift des Anhang VI, D. Deutschland Nr. 1 EWGV 1408/71 bewirkt wird, wird nach Auffassung der Kammer nicht dadurch gerechtfertigt, dass die Zahlung der Rente aus Reichsgebiets-Beitragszeiten nicht in den sachlichen Geltungsbereich der EWGV 1408/71 fällt. Der sachliche Geltungsbereich ist in Art. 4 EWGV 1408/71 festgelegt. Diese Vorschrift lautet:

1) Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die folgende Leistungsarten betreffen: a) –b) ( ) c) Leistungen bei Alter d) –h) ( ) 2) Diese Verordnung gilt für die allgemeinen und die besonderen, die auf Beiträgen beruhenden und die beitragsfreien Systeme der sozialen Sicherheit sowie für die Systeme, nach denen die Arbeitgeber, einschließlich der Reeder, zu Leistungen gemäß Absatz 1 verpflichtet sind. 2 a) Diese Verordnung gilt auch für beitragsunabhängige Sonderleistungen, die unter andere als die in Absatz 1 erfassten oder die nach Absatz 4 ausgeschlossenen Rechtsvorschriften oder Systeme fallen, sofern sie a) entweder in Versicherungsfällen, die den in Absatz 1 Buchstaben a) bis h) aufgeführten Zweigen entsprechen, ersatzweise, ergänzend oder zusätzlich gewährt werden b) oder allein zum besonderen Schutz der Behinderten bestimmt sind. 2 b) Diese Verordnung gilt nicht für die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates betreffend die in Anhang II Teil III genannten beitragsunabhängigen Sonderleistungen, deren Geltung auf einen Teil des Gebietes dieses Mitgliedstaates beschränkt ist. 3) ( ) (4) Diese Verordnung ist weder auf die Sozialhilfe noch auf Leistungssysteme für Opfer des Krieges und seiner Folgen anzuwenden.

Nach Auffassung der Kammer fällt die Rente, auch wenn in ihr im Ausland zurückgelegte Reichsgebiets-Beitragszeiten zu berücksichtigen sind, unter das System der Leistungen bei Alter und an Hinterbliebene im Sinne des Art. 4 Abs. 1 c und d EWGV 1408/71 (so auch Vorlagebeschluss des Bundessozialgerichts vom 30. Januar 2002, Az.: B 5 RJ 24/00 R, Jurisauszug Seite 6, 7, das allerdings nicht zwischen Fremdrentenzeiten - nach dem Fremderentengesetz - und Reichsgebiets-Beitragszeiten differenziert, obwohl auch dort Reichsgebiets-Beitragszeiten in Streit gewesen sein dürften). Dies ergibt sich schon daraus, dass die Bundesrepublik Deutschland in ihrer Erklärung gemäß Art. 5 EWGV 1408/71 (All. Nr. C 210 vom 5. September 2003) unter I. 3. a) das Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch vom 18. Dezember 1989 als Rechtsvorschriften und Systeme im Sinne des Art. 4 Abs. 1 EWGV Nr. 1408/71 benannt hat. Die Berücksichtigung der Reichsgebiets-Beitragszeiten bei der Rentenberechnung ergibt sich jedoch aus einer Vorschrift dieses Gesetzes, nämlich aus dem oben bereits zitierten § 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI, nach dem Beitragszeiten auch Zeiten sind, für die nach den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Hat ein Mitgliedsstaat in einer Erklärung gemäß Art. 5 EWGV 1408/71 eine Rechtsvorschrift genannt, so folgt daraus zwingend, dass die in der Rechtsvorschrift angesprochenen Leistungen solche der sozialen Sicherheit im Sinne der EWGV 1408/71 sind. Die Mitgliedsstaaten müssen sich dann an ihren Erklärungen festhalten lassen (Fuchs in: Fuchs (Hg.), Europäisches Sozialrecht, Art. 5 EWGV 1408/71, Rz 2 mit weiteren Nachweisen).

Selbst wenn man jedoch die Erklärung nach Art. 5 nicht als bindend ansehen und nach dem tatsächlichen Wesen der Leistungen fragen wollte, so wären die Rentenzahlungen aus Reichsgebiets-Beitragszeiten nach Überzeugung der Kammer jedenfalls keine beitragsunabhängigen Sonderleistungen im Sinne des Artikel 4 Abs. 2 a EWGV 1408/71, die nicht –bzw. nur in den Ausnahmefällen des Art. 4 Abs. 2a EWGV 1408/71 – in den Geltungsbereich der genannten Verordnung fallen. Der Grund für die Zahlung der Rente aus Reichsgebiets-Beitragszeiten (solange sich der Berechtigte in der Bundesrepublik Deutschland aufhält) liegt gerade in der Tatsache, dass früher Beiträge zu einem (deutschen) System der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wurden. Aus diesem Grund wurden die Reichsgebiets-Beitragszeiten auch bereits mit dem Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz (FANG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I S. 93) aus dem Fremdrentenrecht herausgenommen und in die allgemeinen Regelungen, nämlich die Reichsversicherungsordnung (RVO- § 1250-) und das AVG (§ 27) übernommen (vgl. Kommentar zum Recht der Gesetzlichen Rentenversicherung, herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, Anhang Band 1, Vorbemerkung vor § 1 FRG, Rz. 2.13) und befinden sich auch jetzt in den allgemeinen Regelungen, nämlich dem SGB VI.

Es handelt sich auch deshalb nicht um "beitragsunabhängige Sonderleistungen", weil sie wie die Renten, die auf im Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland zurückgelegten Zeiten beruhen, finanziert werden. Es gilt das Umlageverfahren (§ 153 SGB VI), d.h. die zur Zeit aktiv berufstätigen Versicherten zahlen aus ihren Beiträgen die Renten für diejenigen, die früher Beiträge entrichtet haben. Das bedeutet auch gleichzeitig, dass Leistungen an die Klägerin aus Reichsgebiets-Beitragszeiten nicht etwa entschädigungsrechtlichen Charakter hätten, etwa weil die frühere RfA untergegangen ist. Es kommt nicht darauf an, welches Kapital ein Versicherungsträger früher einmal gesammelt hat und ob dieses eventuell kriegsbedingt verloren gegangen ist. Auch werden die Leistungen, die sich aus Reichsgebiets-Beitragszeiten, die nicht auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt wurden, ergeben, nicht etwa aus dem Bundeszuschuss (§ 213 SGB VI) finanziert. Dieser gilt zwar als Abgeltung für so genannte "versicherungsfremde Leistungen", wobei außerordentlich umstritten ist, welche Leistungen zu diesen zählen (vgl. Sitte, Alternative Finanzierung der sozialen Sicherung, Soziale Sicherheit 1998, Seite 134, 135; Rolfs, Das Versicherungsprinzip im Sozialversicherungsrecht, München 2000, S.195 ff); regelmäßig werden dabei jedoch nur solche Zeiten genannt (vgl. z. B. Kommentar zur gesetzlichen Rentenversicherung, herausgegeben von Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, § 213, Rz. 4.1, S.17 Mitte), die nicht auf Beiträgen beruhen, wie z. B. die Ersatzzeiten (§ 250 SGB VI), die u. a. als rentenversicherungsrechtlich relevant berücksichtigt werden, weil –kriegsbedingt- gerade keine Beiträge gezahlt werden konnten. Reichsgebiets-Beitragszeiten fallen auch nicht unter § 291 b SGB VI, nach dem der Bund den Trägern der Rentenversicherung die Aufwendungen für Leistungen nach dem Fremdrentenrecht erstattet, da sie, wie oben erläutert, nicht im Fremdrentengesetz (FRG) geregelt sind.

Nach Auffassung der Kammer handelt es sich bei Leistungen aus reichsgebietsrechtlichen Zeiten auch nicht um Leistungen aus einem "Leistungssystem für Opfer des Krieges und seiner Folgen" i. S. d. Art. 4 Abs. 4 EWGV 1408/71, auf die diese Verordnung nicht anzuwenden ist. Der EuGH hat zwar in den Rechtssachen 79/76 (Fossi, Slg. 1977, 667= SozR 6050 Art 3 EWG-V 1408/71 Nr. 2) und 144/78 (Tinelli, Slg. 1979, 757 = SozR 6050 Allg EWG-V 1408/71) entschieden, dass Leistungen dann nicht als dem Bereich der sozialen Sicherheit zugehörig anzusehen sind, wenn "die seinerzeit zuständigen Versicherungsträger, bei denen die von der betreffenden Vorschrift erfassten Personen versichert waren, nicht mehr bestehen oder sich außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland befinden, da ferner die in Rede stehenden deutschen Rechtsvorschriften bestimmte Härtefälle mildern sollen, die durch die Ereignisse im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Herrschaft und dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind, da schließlich die Zahlung der streitigen Leistungen an die eigenen Staatsangehörigen Ermessenssache ist, wenn diese im Ausland wohnen". Im Rahmen dieses Rechtsstreits hatte die Bundesregierung eine Stellungnahme abgegeben, die betont hatte, dass die Fremdrentengesetzgebung bezweckt habe, die Flüchtlinge und Vertriebenen, die mit ihrer Arbeit zum Wiederaufbau in der Bundesrepublik Deutschland beigetragen hätten, nach den mit der nationalsozialistischen Herrschaft und dem Zweiten Weltkrieg zusammenhängenden Ereignissen wiedereinzugliedern (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Februar 1979, Az. 144/78, Tinelli, SozR Allg EWGV 1408/71 Nr. 1, S.3). Die Kammer hat starke Bedenken bezüglich des dort gefundenen Ergebnisses und der gegebenen Begründung. Zunächst handelt es sich hier, wie oben bereits aufgezeigt, nicht um einen Fremdrentenfall; es ist nach Auffassung der Kammer zu differenzieren zwischen Fremdrentenzeiten, die auf der Berücksichtigung von Beitragszeiten in einem fremden, d.h. nichtdeutschen System zurückgelegt wurden und Reichsgebiets-Beitragszeiten, bei denen Beiträge an einen deutschen Träger entrichtet wurden. Zweifellos handelte es sich bei der Einverleibung des Sudetengebietes durch das Deutsche Reich um einen aggressiven, von vornherein in verbrecherischer Absicht vorgenommenen widerrechtlichen Akt, dies ändert jedoch nichts an der historischen Tatsache, dass während der in Rede stehenden Zeit im Sudetenland die deutschen Vorschriften zur Rentenversicherung galten und die Klägerin in dieses System einzahlen musste und eingezahlt hat. Das Argument, dass der seinerzeit zuständige Versicherungsträger, bei dem die von der betreffenden Vorschrift erfassten Personen versichert waren, nicht mehr besteht, kann kein Argument für die Annahme einer Kriegfolgeleistung sein. Die RfA ist zwar nicht mehr existent, sie hatte ihren Sitz jedoch in Berlin, also auf dem Gebiet der jetzigen Bundesrepublik Deutschland, und ihr Vermögen (z. B. die Grundstücke und Verwaltungsgebäude) ist in das Eigentum der jetzigen Beklagten, also der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (ab 1. Oktober 2005: Deutsche Rentenversicherung Bund) übergegangen. Die RfA ist aber nicht nur für diejenigen Versicherten untergegangen, die in den ehemaligen Ostgebieten lebten, sondern auch für diejenigen, die bei ihr versichert waren und im Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland lebten. Der zuletzt genannte Personenkreis kann aber in ein EU–Land verziehen, ohne dass seine Rente gekürzt wird. Dass es sich bei Zahlungen aus Reichsgebiets-Beitragszeiten, wie sie die Klägerin zurückgelegt hat, nicht um eine Leistung für Opfer des Krieges und seiner Folgen handeln sollte und handelt zeigt auch die Tatsache, dass Zeiten, die nicht in einem von Deutschland annektierten Gebiet, sondern in einem Gebiet zurückgelegt wurden, das zum Gebiet des Deutschen Reiches in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 gehörte (z. B. Schlesien, Pommern), genauso behandelt werden wie die Zeiten, die in einem annektierten Gebiet zurückgelegt wurden. Dächte man nämlich bezüglich solcher Zeiten den Krieg hinweg, müssten aus ihnen selbstverständlich auch Leistungen aus der Rentenversicherung gezahlt werden, d.h. ihre Anerkennung als Beitragszeiten beruht nicht auf der Tatsache, dass der Krieg stattgefunden hat, sondern eben darauf, dass Beiträge gezahlt wurden.

Der EuGH hat auch in seiner späteren Rechtsprechung (vgl. die zusammenfassende Übersicht bei Fuchs in: Fuchs(Hg.) Europäisches Sozialrecht, Art. 4 EWGV 1408/71, Rz 40 folgende) stärker auf den Zweck der Bestimmung abgestellt. Tut man dies auch bezogen auf den vorliegenden Fall, kommt man nach Auffassung der Kammer zu dem Ergebnis, dass es sich bei Zahlung der Rente aus Reichsgebiets-Beitragszeiten nicht um eine Leistung aus einem Leistungssystem für Opfer des Krieges handelt.

Das Gericht kann auch keine sonstige Rechtfertigung für die Einschränkung des Leistungsexportgebotes durch Anhang VI. D. Deutschland Nr. 1 erkennen. Der EuGH hat zwar schon solche Einschränkungen zugelassen (vgl. z.B Urteil vom 2. Mai 1990, Rs. C- 293/88 Winter-Lutzins, Slg. 1990 I-1623 = SozR 3-6050 Art 10 Nr 1). Die Kammer versteht dieses Urteil so, dass eine einschränkende Wohnortklausel dann zulässig sein kann, wenn ein Bezug der Leistung nur zum gewährenden Land besteht, der bei Wegzug entfällt (dort das Wohnen in den Niederlanden als einzige Voraussetzung der Leistung). Dies ist vorliegend nicht ersichtlich. Voraussetzung für die Leistung aus Reichsgebiets-Beitragszeiten ist, wie oben bereits mehrfach angesprochen, die Zahlung von Beiträgen. Dies hat nicht nur einen Bezug zu Deutschland, bzw. nicht stärker, als die jetzige Beitragszahlung zur gesetzlichen Rentenversicherung. Der häufiger erwähnte "Eingliederungsgedanke" (vgl. z.B die oben bereits erwähnte Stellungnahme der Bundesregierung in der Rechtssache Tinelli, Az. 144/78, Slg. 1979, 757= SozR Allg EWG-V 1408/71 Nr. 1) ist für die Kammer kein Rechtfertigungsgrund für die Einschränkung des Leistungsexportgebotes. Es ist für die Kammer nicht nachvollziehbar, warum mit einer Eingliederung in die bundesrepublikanische Gesellschaft nicht immer auch gleichzeitig eine Eingliederung in die EU-Gemeinschaft verbunden sein soll, da schließlich auch eine Unionsstaatsbürgerschaft besteht (Art. 17 des Vertrages über die Europäische Gemeinschaft vom 7. Februar 1992 in der Fassung vom 2. Oktober 1997) und der Grundgedanke aller Regelungen der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft die Vorantreibung der europäischen Integration und die Schaffung der Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker ist (vgl. die Präambeln zu dem Vertrag über die Europäische Union und den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, beide in der Fassung vom 2. Oktober 1997). Erst Recht erscheint eine solche Begründung unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Gebiet, auf dem die in Rede stehenden Beschäftigungen von der Klägerin zurückgelegt wurden, nämlich ein Teil des Staatsgebiets der Tschechischen Republik, seit dem 1. Mai 2004 zur Europäischen Union und zur Europäischen Gemeinschaft gehört, nicht schlüssig.

Der Klage ist auch nicht schon deshalb stattzugeben, weil vor Erlass des angefochtenen Bescheides keine Anhörung, die nach § 24 SGB X vorgeschrieben ist, wenn in Rechte eines Beteiligten eingegriffen werden soll, vorgenommen wurde. Nach Auffassung der Kammer ist der Mangel der Anhörung geheilt, so dass er unbeachtlich ist (§ 41 Absatz 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 42 Satz 2 SGB X). Die Beklagte hat der Klägerin in dem angefochtenen Bescheid die entscheidungserheblichen Tatsachen benannt. Sie bzw. ihr Bevollmächtigter hatten im Widerspruchsverfahren die Möglichkeit, sich zu diesen Tatsachen zu äußern. Die Beklagte hat sich im Widerspruchsbescheid mit den Einlassungen des Klägerbevollmächtigten auch erkennbar auseinandergesetzt. Unter diesen Umständen liegt eine wirksame Nachholung der Anhörung vor (vergleiche zu den Voraussetzungen einer wirksamen Nachholung das Urteil des Bundessozialgerichtes vom 31. Oktober 2002, Az. B 4 RA 43/01 R, JURIS-Ausdruck Seite 3). Nach alldem ist die im Tenor unter 2. formulierte Frage entscheidungserheblich.

Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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