L 16 RA 161/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 9 RA 6089/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 RA 161/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 07. Sep- tember 2004 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist die Versicherungspflicht der Klägerin in der gesetzlichen Rentenversicherung.

Die am 1958 geborene Klägerin ist selbständige Physiotherapeutin. Gemeinsam mit einem Kollegen betreibt sie die physiotherapeutische Praxis "V " als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR; Praxisvertrag vom 01. Oktober 2002). Seit dem 01. Februar 2003 beschäftigt die GbR eine Arbeitnehmerin als Bürokraft für die Anmeldung in Teilzeittätigkeit zu einem monatlichen Bruttoentgelt von 420,- EUR.

Auf den im Januar 2003 gestellten Antrag auf Beitragszahlung für eine Pflichtversicherung kraft Gesetzes als selbständig Tätige stellte die Beklagte mit Bescheid vom 09. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Oktober 2003 fest, dass die Klägerin ab 01. Oktober 2002 – dem Beginn ihrer Physiotherapeutentätigkeit – nach § 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) versicherungspflichtig sei. Auch eine Beendigung der Versicherungspflicht vom Zeitpunkt der Beschäftigung der Arbeitnehmerin an komme nicht in Betracht.

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die auf Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise auf Verurteilung der Beklagten zur Befreiung der Klägerin von der Versicherungspflicht für die Zeit vom 01. Oktober 2002 bis 30. September 2005 gerichtete Klage mit Urteil vom 07. September 2004 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Die Klägerin sei als selbständige Physiotherapeutin nach § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI versicherungspflichtig (Verweis auf BSG, Urteil vom 11. November 2003 – B 12 RA 2/03 R – nicht veröffentlicht). Die Versicherungspflicht der Klägerin entfalle auch nicht für die Zeit ab 01. Februar 2003, da die Klägerin im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit keine versicherungspflichtigen Arbeitnehmer im Sinne des § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI beschäftige. Unabhängig davon, ob die Klägerin selbst oder die GbR als Arbeitgeberin anzusehen seien, könne vorliegend nur dann eine Versicherungsfreiheit bejaht werden, wenn die Arbeitnehmerin mehr als 800,- EUR monatlich verdienen würde bzw. wenn 2 Arbeitnehmer mit mehr als 400,- EUR monatlich beschäftigt würden. Diese Auslegung ergebe sich aus der Zwecksetzung der vorliegend anwendbaren Normen. Denn der in § 2 Nr. 1 bis 6 und Nr. 9 SGB VI genannte Kreis von Selbständigen sei allein auf seine Arbeitskraft angewiesen, solange er keinen Arbeitnehmer beschäftige. Er sei damit regelmäßig nicht in der Lage, so erhebliche Verdienste zu erzielen, dass er sich außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung angemessen absichern könne. Hieran ändere sich nichts Wesentliches, wenn – wie vorliegend – in geringfügigem Umfang Hilfskräfte gleich welcher Qualifikation beschäftigt würden. Der Gesetzgeber habe mit der Regelung, dass ein versicherungspflichtiger Arbeitnehmer beschäftigt werden müsse, praktisch eine Vermutung dahingehend aufgestellt, dass, wer einen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftige, wirtschaftlich in der Lage sei, sich anders als in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Alter abzusichern. Da auf die Klägerin nur ein Anteil von 210,- EUR von der Bruttogehaltssumme für die beschäftige Arbeitnehmerin entfalle, sei diese Vermutung bei ihr nicht erfüllt, so dass weiterhin Versicherungspflicht bestehe. Auch der Hilfsantrag sei nicht begründet, weil eine Befreiungsmöglichkeit für die Klägerin nicht bestehe.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter; auf ihren Schriftsatz vom 20. Dezember 2004 wird Bezug genommen.

Sie beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 07. September 2004 und den Bescheid der Beklagten vom 09. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Oktober 2003 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

Die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Das Gericht hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung durch Beschluss zurückweisen können, weil es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die Berufung der Klägerin, mit der sie (nur) noch ihre erstinstanzlich im Hauptantrag geltend gemachte und statthafte isolierte Anfechtungsklage weiter verfolgt, ist nicht begründet. Die Klägerin unterliegt für die Zeit ab 01. Oktober 2002 als selbständige Physiotherapeutin der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und hat Beiträge in gesetzlich vorgesehener Höhe zu entrichten.

Nach § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI sind versicherungspflichtig selbständig tätige Pflegepersonen, die in der Kranken-, Wochen-, Säuglings- oder Kinderpflege tätig sind und im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit keinen versicherungspflichtigen Arbeitsnehmer beschäftigen. Die Klägerin gehört zu diesem Personenkreis, weil sie ab 01. Oktober 2002 als selbständige Physiotherapeutin in der Krankenpflege tätig ist, ihre Patienten überwiegend auf ärztliche Verordnung behandelt und in diesem Zusammenhang keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt. Die Versicherungspflicht für selbständige Physiotherapeuten begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2003 – B 12 RA 2/03 R – nicht veröffentlicht – unter Verweis auf BSG SozR 3 – 2600 § 2 Nr. 5 S. 31 ff.). Auch das Fehlen einer Befreiungsmöglichkeit, wie sie etwa in § 6 Abs. 1a SGB VI für Versicherungspflichtige nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI vorgesehen ist, ändert hieran nichts. Denn die Versicherungspflicht für in der Krankenpflege tätige Pflegepersonen galt bereits nach § 2 Abs. 1 Nr. 6 des bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG).

Die Versicherungspflicht der Klägerin entfällt auch nicht für die Zeit ab 01. Februar 2003 durch die Beschäftigung einer Arbeitnehmerin mit einem regelmäßigen monatlichen Bruttoentgelt von 420,- EUR. Ungeachtet dessen, ob die Klägerin selbst oder aber die Praxisgemeinschaft in Gestalt der GbR als Arbeitgeberin der seit 01. Februar 2003 beschäftigten Arbeitnehmerin Eva Flemming anzusehen ist, ist diese Arbeitnehmerin nicht als versicherungspflichtige Arbeitnehmerin im Sinne von § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI anzusehen. Zwar bestand und besteht für diese Arbeitnehmerin keine Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung, weil ihr monatliches Bruttogehalt die Geringfügigkeitsgrenze des § 8 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) von 400,- EUR monatlich regelmäßig übersteigt. Die Vorschrift des § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI geht aber davon aus, dass die dort genannten Selbständigen, solange sie keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, im Wesentlichen allein auf ihre Arbeitskraft angewiesen sind und deshalb nicht in der Lage sind, so erhebliche Verdienste zu erzielen, dass sie sich außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung angemessen absichern können. Hieran ändert sich nach der gesetzgeberischen Wertung erst dann etwas, wenn ein versicherungspflichtiger Arbeitnehmer beschäftigt wird, weil dann die praktische Vermutung dahin geht, dass derjenige, der einen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt, wirtschaftlich in der Lage ist, sich anders als in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Alter abzusichern. Da auf die Klägerin als Mitgesellschafterin der GbR nur ein Gehaltsanteil von 210,- EUR für die beschäftigte Arbeitnehmerin entfällt, bleibt es in ihrem Fall bei der gesetzlichen Vermutung, dass eine geringfügige Beschäftigung von Hilfskräften an dem Absicherungsbedürfnis in der gesetzlichen Rentenversicherung nichts ändert (vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 30. Januar 1997 – 12 RK 31/96 = SozR 3 – 2600 § 2 Nr. 2). Um Übrigen ist hierbei auch wertend zu berücksichtigen, dass die beschäftigte Arbeitnehmerin regelmäßig ein Entgelt innerhalb der Gleitzone des § 20 Abs. 2 SGB IV erzielt und damit als geringfügig Beschäftigte nur einen reduzierten Beitragsanteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen hat. Letztlich kommt es somit – wie unter der Geltung des § 2 Abs. 1 Nr. 6 AVG – nicht entscheidend darauf an, ob bei der beschäftigten Arbeitnehmerin tatsächlich Versicherungspflicht oder Versicherungsfreiheit besteht, sondern ob deren Beschäftigung nach zeitlicher Dauer und Höhe des gezahlten Entgelts nur einen geringen Umfang hat und somit das Unternehmen der Klägerin und ihres Mitgesellschafters weder in qualitativer noch in quantitativer Hinsicht in nennenswertem Umfange beeinflussen konnte und kann (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 09. Dezember 1982 – 12 RK 21/82 = SozR 2400 § 2 Nr. 22). Dies ist vorliegend der Fall, so dass auch für die Zeit ab 01. Februar 2003 von einer weiteren sozialen Absicherungsbedürftigkeit der Klägerin in der gesetzlichen Rentenversicherung auszugehen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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