L 14 AS 1187/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 55 AS 4609/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 AS 1187/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. August 2005 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

Die Kläger begehren von der Beklagten die Übernahme der Miete für ein von ihnen genutztes Atelier.

Die beiden 1955 bzw. 1956 geborenen, zusammen in einer von der Klägerin zu 1) gemieteten Wohnung lebenden Kläger sind seit mehr als 20 Jahren als bildende Künstler selbständig tätig. Für ihre künstlerische Arbeit nutzen sie gemeinsam ein ihnen von einer als "Treuhänder Berlins" auftretenden Gesellschaft untervermietetes Atelier, für das von ihnen ein monatlicher Mietzins in Höhe von 265,87 EUR zu zahlen ist.

Die Beklagte bewilligte den Klägern mit Bescheid vom 23. März 2005 (geändert durch Bescheid vom 20. April 2005) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (einschließlich eines Mehrbedarfs für kostenaufwendige Ernährung für die Klägerin zu 1)) sowie für Unterkunft und Heizung. Den Widerspruch vom 13. April 2005, mit dem die Kläger an die beantragte Übernahme der Aufwendungen für die Miete des Ateliers (sowie Leistungen für kostenaufwendige Ernährung des Klägers zu 2)) erinnerten, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2005 zurück.

Zur Begründung ihrer am 15. Juni 2005 erhobenen, auf die Übernahme der Aufwendungen für die Miete des Ateliers gerichteten Klage haben die Kläger vorgetragen, dass sie ihre künstlerische Tätigkeit zum Einkommenserwerb ausübten; sie seien damit täglich mehr als acht Stunden beschäftigt. Aus diesem Grund verstünden sie sich auch nicht als arbeitslos. In der Vergangenheit hätten sie von den dadurch erzielten Einnahmen bzw. Ersparnissen leben können. Derzeit würden sie jedoch keine – bzw. keine ausreichenden – Einkünfte erzielen. Insbesondere gelinge es ihnen angesichts der allgemeinen wirtschaftlichen Lage nicht, Kunstwerke zu einem ihrer Reputation angemessenen Preis zu verkaufen. Über nennenswertes Vermögen verfügten sie nicht (mehr). Sie seien für die weitere Ausübung ihres Berufs auf die Nutzung des Ateliers, in dem auch die von ihnen geschaffenen Kunstwerke lagerten, angewiesen.

Durch Urteil vom 24. August 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Für das Begehren der Kläger gebe es keine Rechtsgrundlage. Aus § 22 Abs. 1 des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB II) folge ein solcher Anspruch nicht, da es sich bei dem Atelier nicht um die Wohnung der Kläger handele. Einem Anspruch auf Überbrückungsgeld nach § 57 des Dritten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB III) stehe entgegen, dass diese Bestimmung von der Verweisung in § 16 SGB II ausgeschlossen sei. Auch könnten die Kläger nicht die Gewährung von Einstiegsgeld nach § 29 Abs. 1 Satz 1 SGB II verlangen, da die Kläger nicht eine Erwerbstätigkeit im Sinne diese Bestimmung aufnehmen, sondern eine bereits seit mehr als 20 Jahren ausgeübte fortsetzen wollten; zudem sei nicht ersichtlich, dass diese Leistung zur Eingliederung der Kläger in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich sei. Schließlich sei § 29 SGB II auch unter Beachtung der durch Artikel 5 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) geschützten Kunstfreiheit nicht entsprechend anzuwenden.

Gegen das ihnen am 6. September 2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 23. September 2005 eingelegte Berufung der Kläger, die ihr Begehren weiterverfolgen.

Sie beantragen nach ihrem schriftlichen Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. August 2005 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 23. März 2005 in der Fassung des Bescheids vom 20. April 2005 und des Widerspruchsbescheids vom 12. Mai 2005 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für das von ihnen gemietete Atelier für die Zeit vom 17. Februar bis 31. August 2005 zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

die sie für unbegründet hält.

Der Senat hat die Beteiligten auf die Möglichkeit hingewiesen, die Berufung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zurückzuweisen, und ihnen Gelegenheit gegeben, sich dazu zu äußern.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die von der Beklagten vorgelegte Leistungsakte (), die Gegenstand der Beratung des Senats gewesen ist, verwiesen.

-

Der Senat weist die angesichts der Höhe der begehrten Leistung statthafte (§§ 143, 144 Abs. 1

Satz 1 Nr. 1 SGG) und auch im Übrigen zulässige (§ 151 Abs. 1 SGG) Berufung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss zurück, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Satz 1 SGG).

Die Klage ist zulässig. Sie richtet sich zu Recht gegen die unter der Bezeichnung "Jobcenter Tempelhof-Schöneberg" auftretende, gemäß § 44 b Abs. 1 SGB II gebildete Arbeitsgemeinschaft, die ungeachtet dessen, dass sie keine volle Rechtsfähigkeit besitzt, mit eigenen Rechten ausgestattet, insbesondere berechtigt ist, zur Erfüllung ihrer Aufgaben Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide zu erlassen (§ 44 b Abs. 3 Satz 3 SGB II), und im sozialgerichtlichen Verfahren beteiligtenfähig ist (§ 70 Nr. 2 SGG; so bereits Beschluss des Senats vom 14. Juli 2005 – L 14 B 48/05 AS ER – im Anschluss an den Beschluss des LSG Berlin vom 14. Juni 2005 – L 10 B 44/05 AS ER - ).

Die Klage ist unbegründet. Den Klägern steht der von ihnen erhobene Anspruch mangels einer entsprechenden Rechtsgrundlage nicht zu. Der Senat schließt sich auch in der Begründung im Wesentlichen den Erwägungen des Sozialgerichts an.

Aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ergibt sich kein Anspruch der Kläger, da das Atelier nicht ihre Wohnung ist. Dazu wird es auch ebenso wenig dadurch, dass sich die Kläger dort "regelmäßig tagsüber und bis in die späten Abendstunden, teilweise auch über Nacht" aufhalten.

§ 57 Abs. 1 SGB III kommt als Anspruchsgrundlage ebenfalls nicht in Betracht, da diese Vorschrift von der Verweisung in § 16 SGB II ausgenommen ist. Im übrigen wird Überbrückungsgeld bei oder zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit geleistet – was hier nicht der Fall ist, da die Kläger ihre Tätigkeit seit mehr als 20 Jahren ausüben; zudem sieht § 57 SGB III (nur) die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung (in Höhe des Arbeitslosengeldes und der darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge), nicht aber die Übernahme von Aufwendungen für Betriebsmittel vor.

Ferner scheidet § 29 Abs. 1 SGB II als Anspruchsgrundlage aus, da die Kläger keine selbständige Erwerbstätigkeit (jetzt) aufgenommen haben oder aufnehmen, sondern eine solche fortsetzen wollen (dazu Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch, SGB II, K § 29 Rz. 39); zudem waren und sind sie nicht arbeitslos – und betrachten sich auch durchaus folgerichtig nicht als arbeitslos –, da sie jedenfalls keine versicherungspflichtige Beschäftigung suchen und nicht den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung stehen (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 SGB III; auch zu dieser Voraussetzung Hengelhaupt, a.a.O.).

Aus den Sätzen 1 und 2 in § 1 Abs. 1 SGB II, die lediglich den mit der Verabschiedung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt erstrebten Paradigmenwechsel programmatisch beschreiben, lassen sich konkrete Leistungsansprüche nicht herleiten – auch nicht in Verbindung mit Bestimmungen des Grundgesetzes.

Den von den Klägern als "Lücke" empfundenen Umstand, dass das Zweite Buch des Sozialgesetzbuchs die von ihnen gewünschte Rechtsfolge nicht bereithält, vermag der Senat jedenfalls nicht als von ihm schließbare "planwidrige Unvollständigkeit" anzusehen. Das "für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" verabschiedete Gesetz sieht eine Subventionierung selbständig Erwerbstätiger, deren Einkünfte aus ihrer selbständigen Tätigkeit nicht zum Erhalt der für ihre Erwerbstätigkeit erforderlichen Betriebsmittel ausreichen, nicht vor und nimmt davon auch Künstler nicht aus.

Dies mögen nicht nur die Kläger bedauern. Dem an Gesetz und Recht (Artikel 20 Abs. 3 GG) bzw. an die Gesetze (Artikel 80 der Verfassung von Berlin) gebundenen bzw. Recht und Gesetz unterworfenen (Artikel 108 Abs. 1 der Verfassung des Landes Brandenburg) Senat ist es indes – auch unter Berücksichtigung der durch Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleisteten Kunstfreiheit – verwehrt, durch "phantasievollen Umgang" mit den Vorschriften des Gesetzes darin nicht vorgesehene Ansprüche zu erfinden.

Danach kann der Senat unentschieden lassen, ob die Kläger überhaupt Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende haben. Dagegen könnte sprechen, dass sie sich selbst nicht als "arbeitslos" ansehen und augenscheinlich gar keine – andere – Arbeit suchen. Dem ist hier jedoch nicht weiter nachzugehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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