L 4 B 33/06 SB

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Mainz (RPF)
Aktenzeichen
S 7 SB 245/04 Mz
Datum
-
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 4 B 33/06 SB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Der generelle Ausschluss eines Rechtsanwalts von der Untersuchung eines Klägers durch einen vom Gericht bestellten ärztlichen Sachverständigen ist mit den Grundsätzen der Parteiöffentlichkeit der Beweisaufnahme und des fairen Verfahrens unvereinbar, wenn der Kläger die Anwesenheit seines Anwalts oder einer anderen Vertrauensperson wünscht.
Das Gesuch des Klägers, den Vorsitzenden der 7. Kammer des Sozialgerichts Mainz wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird zurückgewiesen.

Gründe:

Eine Besorgnis der Befangenheit gegenüber dem Vorsitzenden der 7. Kam-mer des Sozialgerichts Mainz liegt nicht vor. Nach § 42 Absatz 1 Zivilproze-ßordnung (ZPO), der gemäß § 60 Absatz 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden ist, ist die Befangenheit eines Richters dann zu besorgen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Es muß allerdings ein objektiv vernünftiger Grund gegeben sein, der den Beteiligten auch von seinem Standpunkt aus befürchten lassen kann, der Richter werde nicht unparteiisch sachlich entscheiden. Eine rein subjekti-ve, unvernünftige Vorstellung ist unerheblich. Die Ablehnungsgründe sind glaubhaft zu machen, sofern sie nicht offenkundig sind (§ 44 Absatz 2 ZPO).

Vorliegend sind objektive Anhaltspunkte, die ein Mißtrauen hinsichtlich der Unparteilichkeit des Vorsitzenden der 7. Kammer des Sozialgerichts Mainz begründen könnten, aus der maßgeblichen Sicht eines Außenstehenden und Dritten nicht erkennbar.

Entgegen der Vermutung des Klägers sind Absprachen zwischen dem Vor-sitzenden der 7. Kammer des Sozialgerichts Mainz und dem von diesem be-stellten Sachverständigen Dr. D über die Untersuchung des Klägers nicht belegt. Der angelehnte Richter hat vielmehr in seiner dienstlichen Erklärung vom 14.02.2006 ausgeführt, dass es solche Absprachen nicht gebe. Das Nichtbestehen evtl. Absprachen, die über die gebotenen schriftlichen Hinwei-se des Gerichts an den Sachverständigen zur Durchführung der Begutachtung (§§ 202 SGG; 404 a ZPO) hinausgehen, war aus objektiver Sicht eines Außenstehenden schon daraus zu erkennen, dass der Sachverständige in seinem ersten Telefax vom 01.12.2005 beim Gericht ausdrücklich danach gefragt hat, wie er sich auf den Wunsch des Prozessbevollmächtigten zur Anwesenheit bei der Untersuchung des Klägers verhalten solle.

Über den Ablehnungsantrag des Klägers gegenüber dem Sachverständigen Dr. D vom 08.12.2005 hat das Sozialgericht aufgrund der Ablehnung des Vorsitzenden der 7. Kammer des Sozialgerichts Mainz noch nicht entscheiden können, woraus keine Besorgnis der Befangenheit folgen kann.

Auch das Hinweisschreiben des Vorsitzenden der 7. Kammer des Sozialge-richts Mainz vom 08.12.2005 begründet keine Besorgnis der Befangenheit. Freilich dürfte die dortige Aussage, es bestehe kein Anwesenheitsrecht des Anwalts des Klägers bei der Untersuchung durch den Sachverständigen, in dieser Allgemeinheit nicht überzeugen, da sie nicht ausreichend die Grundsätze der Parteiöffentlichkeit sowie eines fairen und effektiven Rechtsschut-zes (vgl. BSG, Urteil vom 31. Juli 2002 - B 4 RA 28/02 R) berücksichtigen.

Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst das Recht des vor Gericht stehenden Bürgers darauf, vor Erlass einer Entscheidung mit seiner Auffassung zur Sach- und Rechtslage gehört zu werden; er erschöpft sich darin aber nicht. Vielmehr beinhaltet er eine Reihe von einfachrechtlich geregelten prozessualen Grundsätzen. Dazu zählen die Normen über das Beweisverfahren im SGG und der über § 202 SGG anwendbaren Zivilprozessordnung (ZPO), die insbesondere den Grundsatz der Parteiöffentlichkeit der Beweisaufnahme umfassen. So ist es nach § 357 Abs. 1 ZPO der Partei gestattet, einer Zeugenvernehmung beizuwohnen. Dieses Anwesenheits- und Fra-gerecht bei der Zeugenbeweisaufnahme ist eines der wichtigsten Parteirech-te und ein direkter Anwendungsfall des Art. 103 Abs. 1 GG ( BVerwG, NJW 1980, 900 ; OLG Hamm, MDR 1986, 766 ; OLG Schleswig, NJW 1991, 303, 304). Die Bestimmung des § 357 ZPO ist nach § 402 ZPO für den Sachverständigenbeweis entsprechend anzuwenden. Hiervon kann nach der Rechtsprechung in bestimmten Fallkonstellationen eine Ausnahme zu machen sein, etwa in Sorgerechtssachen (z.B. OLG Stuttgart, MDR 2003, 172). Eine ähnliche Ausnahme mag bei einer körperlichen Untersuchung einer Partei bzw. eines Beteiligten im sozialgerichtlichen Verfahren unter dem Gesichts-punkt des Grundrechts der Würde des Menschen (Art. 1 GG) gelten (so OLG München, NJW-RR 1991, 896). Dennoch hat der Sachverständige auch in diesen Fällen den Grundsatz des fairen Verfahrens zu beachten.

Eine körperliche Untersuchung durch einen ärztlichen Sachverständigen ist generell ein starker Eingriff in die persönlichkeitsgebundene Intimsphäre, in den die zu untersuchende Partei stillschweigend oder ausdrücklich einwilligt. Will sie nicht untersucht werden, so sieht das Prozessrecht keinen Zwang vor, vielmehr beurteilen sich die Folgen –auch im sozialgerichtlichen Verfahren– gegebenenfalls nach der Beweislast oder den Regeln über eine Be-weisvereitelung. Bei einer solchen Untersuchung muss der zu Untersuchen-de, wenn er eingewilligt hat, zudem dulden, dass die für den Beweisgegenstand maßgeblichen Umstände vom untersuchenden Gutachter und Arzt ent-gegen dem sonst geltenden Arztgeheimnis im Gutachten oder bei der Anhö-rung des Gutachters offenbart werden. Diese Duldungspflicht geht aufgrund des Schutzes der Intimsphäre und der Menschenwürde des zu Untersuchen-den nicht so weit, dass während und bei der Untersuchung außer dem ärztli-chen Sachverständigen und eventuell dessen Hilfspersonal Dritte anwesend sind und dadurch die Intimsphäre des zu Untersuchenden berührt wird. Vor diesem Hintergrund erweist sich der Ausschluss der Parteiöffentlichkeit von der ärztlichen Untersuchung durch den Sachverständigen als Schutzmaßnahme zugunsten des zu Untersuchenden, und nicht als prozessuales Instrument des Sachverständigen, Dritte hiervon auszuschließen. Der Grundsatz des Anspruchs auf ein faires Verfahren verpflichtet den Richter, wie den Sachverständigen, vielmehr zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfah-rensbeteiligten in ihrer konkreten Situation (vgl. BSG, Beschluss vom 9. April 2003, Az.: B 5 RJ 140/02 B). Deshalb dürfte ein genereller Ausschluss von Vertrauenspersonen des zu Untersuchenden, seien es der Ehepartner oder auch der Anwalt, weder dem Grundsatz der Parteiöffentlichkeit noch gar dem des fairen Verfahrens entsprechen. Denn angesichts der tief in die Persön-lichkeit und Menschenwürde des zu Untersuchenden eingreifende Beweis-aufnahme durch einen ärztlichen Sachverständigen kann –selbst aus unsachlichen Gründen– seine Begleitung durch eine Vertrauensperson bei der Untersuchung gerechtfertigt sein. Dann mag zwar der Sachverständige die Untersuchung ablehnen, wenn er hierfür sachliche Argumente hat. Wenn er sie aber nicht durchführen will, weil in Anwesenheit einer Vertrauensperson des zu Untersuchenden nicht das "notwendige Vertrauensverhältnis" herge-stellt werden könne und eine "ordnungsgemäße Begutachtung" so nicht möglich sei, wie der vom Sozialgericht bestellte Sachverständige ohne weite-re überzeugende sachliche Begründung in den Telefaxen vom 01.12.2005 mitgeteilt hat, dürfte das Misstrauens des zu Untersuchenden in die Objektivität des Sachverständigen nachvollziehbar und der Sachverständige damit ausgeschlossen sein.

Dieser Beschluss ist nicht mit weiterer Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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