S 21 KR 466/00

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 21 KR 466/00
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 18. April sowie des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2000 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 25. Februar bis 23. März 2000 Krankengeld zu zahlen.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Krankengeldanspruch des Klägers wegen Nichtmeldung der Arbeitsunfähigkeit zeitweise geruht hat.

Der Kläger, der bei der Beklagten als Arbeitnehmer freiwillig versichert ist, war 1999 an Lymphdrüsenkrebs erkrankt. Nachdem die Untersuchungen abgeschlossen waren - in dieser Zeit war er krankgeschrieben - , erhielt er eine Chemo-Therapie. Anfangs ging er der Therapie neben seinem Beruf nach. Als ihm dies nicht mehr möglich war, wurde er am 24. Februar 2000 erneut krankgeschrieben. Die ihm von seiner Ärztin für den Arbeitgeber ausgehändigte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung brachte er dort auf dem Nachhauseweg vom Arztbesuch vorbei. Das ihm ebenfalls ausgehändigte Exemplar, das zur Vorlage bei der Krankenkasse bestimmt war, ging der Beklagten erst am 24. März 2000 zu - die Bescheinigung war mit dem Hinweis versehen, dass bei verspäteter Vorlage Krankengeldverlust drohe.

Durch Bescheid vom 18. April 2000 entschied die Beklagte unter Bezugnahme auf § 49 Abs. 1 Nr. 5 des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V), dass Krankengeld ab dem 24. März 2000 zustehe und der Anspruch bis zu diesem Zeitpunkt ruhe.

Der Kläger legte mit Schreiben vom 08. Mai 2000 Widerspruch ein. Er brachte vor, er habe angenommen, dass sein Arbeitgeber entsprechende Krankengeldzahlungen bei der Beklagten veranlasst habe, andererseits aber auch der Hausarzt verpflichtet sei, eine länger dauernde Krankheit der Krankenkasse zu melden. Er habe durch seine schwere Erkrankung nicht die Kraft und Ausdauer gehabt, sich um diese Dinge zu kümmern.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 2000 mit der Begründung zurück, der Einwand des Klägers, der behandelnde Arzt habe die Meldung der Arbeitsunfähigkeit vorzunehmen, müsse unbeachtet bleiben. Die gesetzliche Meldepflicht treffe nicht den Arzt, sondern falle grundsätzlich in den Verantwortungsbereich des Versicherten. Die Ausschlusswirkung bei verspäteter Meldung trete selbst dann ein, wenn ein Verschulden des Versicherten nicht gegeben sei.

Der Kläger hat mit einem am 08. August 2000 bei dem Sozialgericht (SG) eingegangenen Schriftsatz Klage erhoben. Er vertrat die Auffassung, dass die Berufung der Beklagten auf die verspätete Krankmeldung rechtsmissbräuchlich sei, und stützte sich dabei auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28. Oktober 1981 zum damals noch geltenden § 3 des Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (LFZG), in dem festgestellt worden sei, dass das Versäumnis des Vertragsarztes, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an die Krankenkasse weiterzuleiten, nicht in den Verantwortungsbereich des Versicherten, sondern der Krankenkasse gehöre und die Ruhensbestimmung deswegen nicht anzuwenden sei. In diesem Sinne habe sich ebenso das Landessozialgericht (LSG) Bremen am 17. Juni 1999 ausgesprochen. Die dagegen eingelegte Revision sei vom BSG verworfen worden. In der mündlichen Verhandlung vom 08. Februar 2000 habe es die Rechtsauffassung des LSG, die sich auf das Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall (EFZG) bezogen habe, bestätigt. Er unterliege dem EFZG, wobei hier allerdings der Anspruch auf Entgeltfortzahlung wegen Wiedererkrankung entfallen sei. Für den Hamburger Raum hätten im Hinblick auf die Äußerungen des BSG in dem Verhandlungstermin bis auf die Beklagte alle Ersatzkassen erklärt, in vergleichbaren Fällen von der Anwendung der Ruhensvorschrift Abstand zu nehmen. Zu bemängeln sei ferner, dass die Beklagte in ihrem Merkblatt "Allgemeine Hinweise zum Krankengeld" nicht noch einmal nachdrücklich auf die Folgen einer verspäteten Einreichung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufmerksam mache.

Er beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18. April sowie des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2000 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 25. Februar bis 23. März 2000 Krankengeld zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie nahm Bezug auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid und trug ergänzend vor, ihr könne kein rechtsmissbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden. Der Kläger könne aus dem o. a. Urteil des BSG nichts für sich herleiten. Zum einen sei sein Gehaltfortzahlungsanspruch, was ihm bewusst gewesen sein müsse, bereits erschöpft gewesen. Zum anderen habe ihm seine Ärztin die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mitgegeben. Er habe deshalb zwingend davon ausgehen müssen, dass ihr die eingetretene Arbeitsunfähigkeit nicht bekannt geworden sei; ein Vertrauenstatbestand habe nicht vorgelegen. Das BSG habe keineswegs die Verpflichtung des Arztes statuiert, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung direkt an die Krankenkasse weiterzureichen. Bei der Vorschrift des § 5 EFZG handele es sich im Übrigen nicht um eine spezielle Regelung zu dem im Verhältnis Versicherter - Krankenkasse stehenden § 49 SGB V, sondern um eine arbeitsrechtliche Bestimmung. Sie betreffe lediglich das Verhältnis Arbeitnehmer – Arbeitgeber - Arzt und habe keine Auswirkungen für die Krankenversicherung. Mit den Hinweisen "zur Vorlage bei der Krankenkasse" und "bei verspäteter Vorlage droht Krankengeldverlust!" sei sie ihrer Aufklärungs- und Beratungspflicht nachgekommen. Von einem Versicherten, der in einem Arbeitsverhältnis stehe, könne erwartet werden, dass er diese Hinweise dahingehend verstehe, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung so rasch wie möglich bei der Krankenkasse vorzulegen. Bei Zweifeln dürfe bei einem mündigen Versicherten vorausgesetzt werden, dass er sich mit einer Anfrage an seine Krankenkasse wende. Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb der Kläger die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur seinem Arbeitgeber und nicht auch ihr habe zuleiten können. Ein Anruf hätte ebenfalls genügt. Sie berief sich auf Entscheidungen des LSG Rheinland-Pfalz vom 27. Juli 1999 - L 5 KR 1/99 - und des SG Hamburg vom 14. März 2000 - S 22 KR 111/98 -.

Wegen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Unterlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig.

Sie ist auch begründet. Die Beklagte hat es durch den angefochtenen Bescheid vom 18. April in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2000 zu Unrecht abgelehnt, dem Kläger für die Zeit vom 25. Februar bis 23. März 2000 Krankengeld zu zahlen.

Unstreitig ist zwar, dass die Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V, wonach der Anspruch auf Krankengeld ruht, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird, falls dies nicht innerhalb einer Woche nach ihrem Beginn geschehen ist, vorhanden sind. Es ist aber anerkannt, dass sich die Kasse nicht auf die Ruhensbestimmung berufen darf, wenn sich dies als rechtsmissbräuchlich erweist und einen Verstoß gegen Treu und Glauben darstellt (vgl. BSG vom 28. Oktober 1981 – 3 RK 59/80 - in BSGE 52, S. 254 ff., 257 ff.). So liegt es hier.

Der Beklagten ist einzuräumen, dass die Fallgestaltung, die dem genannten Urteilt des BSG zu Grunde lag, mit dem zu beurteilenden Sachverhalt schon deswegen nicht vergleichbar ist, weil der Kläger nicht annehmen konnte, dass sie durch die behandelnde Vertragsärztin über die eingetretene Arbeitsunfähigkeit informiert wurde. Auch wenn dies der Fall ist, verstößt ihre Berufung auf die verspätete Meldung der Arbeitsunfähigkeit dennoch gegen Treu und Glauben, und zwar deshalb, weil die Vertragsärztin sich mit der Aushändigung der für die Krankenkasse gedachten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an den Kläger gesetzeswidrig verhalten hat und sie selber für dieses Verhalten mitverantwortlich ist.

Ebenso wie § 3 Abs. 1 S. 3 LFZG schreibt § 5 Abs. 1 S. 5 EFZG vor, dass die für den Arbeitgeber bestimmte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, falls der Arbeitnehmer Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse ist, einen Vermerk des behandelnden Arztes darüber enthalten muss, dass der Krankenkasse unverzüglich ebenfalls eine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit übersandt wird. Sowohl das LFZG als auch das EFZG legen damit dem Arzt die Verpflichtung auf, die festgestellte Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse zu melden. Dies wird vom BSG entgegen der Ansicht der Beklagten in dem o. a. Urteil ausdrücklich bestätigt (vgl. a.a.O., S. 259). Das SGB V geht im Übrigen in § 295 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 als selbstverständlich davon aus, dass es für den Vertragsarzt Übermittlungspflichten bei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen geben kann. Dabei kommt es lediglich darauf an, ob der Versicherte generell dem EFZG unterfällt, nicht dagegen, ob er tatsächlich Entgeltfortzahlung erhält. Denn es liegt auf der Hand, dass es nicht zu den Aufgaben des Arztes gehören kann zu prüfen, ob im Einzelfall ein Entgeltfortzahlungsanspruch besteht. Er muss seiner Meldepflicht nachkommen, wenn er weiß, dass sein Patient Arbeitnehmer und Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse ist - mehr wird in Ziff. 13 S. 1 der Richtlinien über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung nicht verlangt. Absehen darf er davon nur, wenn er definitive Kenntnis hat, dass die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 EFZG nicht vorliegen. Dieser Meldeverpflichtung hat die behandelnde Ärztin des Klägers nicht entsprochen.

Auslöser für ihr gesetzwidriges Verhalten waren Bestimmungen im vertragsärztlichen Versorgungssystem, an deren Zustandekommen die Beklagte maßgeblich beteiligt war. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung vereinbart mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen den allgemeinen Inhalt der Gesamtverträge in Bundesmantelverträgen und als deren Bestandteil auch die Regelungen, die zur Organisation der vertragsärztlichen Versorgung notwendig sind, insbesondere Vordrucke (vgl. §§ 82 Abs. 1, 87 Abs. 1 S. 2 SGB V). § 6 des Bundesmantelvertrags - Ärzte/Ersatzkassen (EKV-Ä) sieht vor, dass Vordrucke für durch den Arzt erfolgende schriftliche Informationen als verbindliche Muster in der Vordrucksvereinbarung festgelegt werden, die Bestandteil des EKV-Ä ist (vgl. § 1 Abs. 5 EKV-Ä). Das Vordrucksmuster 1 a, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung mit den Ersatzkassen 1995 vereinbart hat, beinhaltet gegenüber der vorherigen Fassung keinen Hinweis mehr darauf, dass die Krankenkasse von der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit benachrichtigt wird (vgl. DÄ 1995, S. A-878 f.). Mit dieser Neuregelung haben die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Landesverbände der Ersatzkassen, deren Verhalten sich die Beklagte zurechnen lassen muss, zwingendes Recht nicht beachtet und damit die Vertragsärzte ihrerseits zum Gesetzesverstoß verleitet. Die Auffassung der Beklagten, dass die Vorschrift des § 5 Abs. 1 S. 5 EFZG keine Bedeutung für das Sozialversicherungs-, sondern lediglich für das Arbeitsrecht habe, ist der erkennenden Kammer unverständlich. Es ist keineswegs selten, dass in einem bestimmten Rechtsbereich getroffene Regelungen gleichzeitig Rechtsfolgen in einem anderen Rechtsbereich haben. Mit ihrer Zustimmung zu der Neuregelung - die Kammer hat es sich erspart, der jeweiligen Motivationslage der Vertragsparteien näher nachzugehen - haben die Landesverbände der Ersatzkassen darüber hinaus nicht nur die Interessen der Versicherten gröblich vernachlässigt, weil die nicht korrekte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers auslöst (vgl. Kleinsorge in Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge, EFZG, 5. Auflage 2000, § 5, Rz. 27; h.M.), sondern auch ihre eigenen Interessen vernachlässigt. Die automatische Unterrichtung der Krankenkassen soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers der Missbrauchsbekämpfung dienen, weil die Kassen dadurch in die Lage versetzt werden, eine Überprüfung im Rahmen des § 275 SGB V zu veranlassen (vgl. BT-Drucks. 12/5263, S. 14 zu § 5 und Brecht, Lohnfortzahlung für Arbeiter, 3. Auflage 1979, § 3, Rdn. 13).

Hätten sich die Vertragsparteien der Vordrucksvereinbarung gesetzmäßig verhalten, hätte die behandelnde Ärztin sicherlich ihre Mitteilungspflicht erfüllt und wäre der Kläger zu seinem vollen Krankengeldanspruch gekommen. Wenn die Meldung der Arbeitsunfähigkeit aus Gründen unterbleibt, die - wie vorliegend - dem Verantwortungsbereich des Vertragsarztes und der sonstigen zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung berufenen Einrichtungen zuzuordnen sind, so darf sich das nicht zum Nachteil des Versicherten auswirken (vgl. ebenso LSG Bremen vom 17. Juni 1999 - L 2 KR 2/99 - in E-LSG KR-159; KassKomm-Höfler, Stand: 01. Januar 2002, § 49 SGB V, RdNr. 21; Schmidt in Peters, Handb KV II, SGB V, Stand: 01. Oktober 2001, § 49, Rz. 116). Die Kammer folgt nicht dem LSG Rheinland-Pfalz, welches in seiner Begründung allein darauf abstellt, der Versicherte habe wissen müssen, dass der Arzt die Krankenkasse nicht unterrichtet habe, und somit aus Sicht der Kammer die rechtliche Beurteilung verkürzt. Das SG Hamburg befasst sich in der von der Beklagten erwähnten Entscheidung mit der erörterten Problematik ebenso nicht weiter.

Nach allem musste die Klage erfolgreich sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Rechtskraft
Aus
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