L 11 AS 43/06 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 AS 268/05
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 43/06 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 199 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat der Antragsgegnerin die außergerichtlichen Kosten dieses Verfahrens zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Beklagte und Antragsteller (Ast) begehrt die Aussetzung der Vollstreckung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Würzburg (SG) vom 30.01.2006 Az: S 10 AS 268/05 im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 199 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Der Beklagte hatte der Klägerin und Antragsgegnerin (Ag) ab 01.08.2005 Unterkunftskosten in Höhe von 360,- EUR monatlich zuzüglich der anfallenden Heizkosten zugestanden. Das SG sprach der Ag mit o.g. Gerichtsbescheid vom 30.01.2006 Unterkunftskosten in Höhe von 435,- EUR monatlich zuzüglich der anfallenden Heizkosten zu. Eine Beschränkung auf einen Bewilligungszeitraum nahm das SG in seiner Tenorierung nicht vor.

Mit Schriftsatz vom 02.03.2006 legte der Ast Berufung gegen den Gerichtsbescheid ein und stellte gleichzeitig den Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung des Gerichtsbescheides während des Berufungsverfahrens. Der Ast begründete seinen Aussetzungsantrag damit, dass nur so unerwünschte Folgen einer Überzahlung an SGB II-Leistungen verhindert werden könnten. Es sei überwiegend wahrscheinlich, dass die wirtschaftliche Situation der Ag selbst bei Obsiegen im Hauptsacheverfahren dazu führen werde, dass von der Geltendmachung der Forderung abgesehen werden müsse, zumal eine Aufrechnung nach § 43 SGB II nicht möglich sein werde.

Die Ag hat sich nicht geäußert.

II.

Der Aussetzungsantrag ist zulässig.

Gemäß § 199 Abs 2 Satz 1 SGG kann, wenn ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat, der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen. Die Statthaftigkeit des Antrags setzt voraus, dass das eingelegte Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat und ein vollstreckbarer Titel i.S. des § 199 Abs 1 SGG vorliegt. Der Gerichtsbescheid nach § 105 SGG stellte einen vollstreckbaren Titel i.S. von § 199 Abs 1 Nr 1 SGG dar (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG 8.Aufl 2005 § 199 RdNr 3). Die Berufung gegen diesen Gerichtsbescheid hat keine aufschiebende Wirkung; dies ist im SGG nur der Fall, wenn es besonders angeordnet ist (vgl. Leitherer aaO RdNr 3a), also bei der Berufung nur in den Fällen des § 154 SGG. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

Der Aussetzungsantrag ist jedoch nicht begründet.

Es kann dahingestellt bleiben, wie sich die fehlende Festlegung eines Bewilligungszeitraumes gemäß § 41 Abs 1 Satz 4 SGB II im Tenor des Gerichtsbescheides durch das SG auswirkt, d.h. ob nach Ablauf des 6-monatigen Regelbewilligungszeitraums über diesen hinaus überhaupt noch aus dem Gerichtsbescheid vollstreckt werden kann; denn bei der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II handelt es sich aufgrund von § 41 Abs 1 Satz 4 SGB II um einen Verwaltungsakt mit 6-monatiger Dauerwirkung, der mit Ablauf der Bewilligungsdauer gegenstandslos wird (LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 14.06.2005 Az: L 1 B 2/05 AS ER). Im Ergebnis kommt es jedoch nicht darauf an, ob der Ast eine Vollstreckung nur die ersten 6 Monate ab dem 01.08.2005 befürchten muss oder auch über diesen Zeitraum hinaus für die Zukunft, wie es der Gerichtsbescheid nahelegt.

Denn der Antrag scheitert schon daran, dass der Ast nicht hinreichend dargelegt hat, dass ihm die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und kein überwiegendes Interesse des Klägers an der Gewährung der Leistung besteht.

Einstweiliger Rechtsschutz nach § 199 Abs 2 SGG wird nur in offenkundigen Fallgestaltungen gewährt. Dabei ist zu beachten, dass im Bereich des SGB II besondere Anforderungen an die Offenkundigkeit gestellt werden müssen (BayLSG Beschluss vom 08.02.2006 Az: L 10 AS 17/06 ER). Ein Antrag eines Leistungsträgers nach dem SGB II auf Aussetzung der Vollstreckung einer Leistung gewährenden erstinstanzlichen Entscheidung, der in der Rechtsmittelinstanz nach § 199 Abs 2 SGG gestellt wird, hat regelmäßig kaum Aussicht auf Erfolg, da den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) für extistenzsichere Leistungen hier besonderes Gewicht beikommt (vgl. BVerfG vom 25.05.2005, Breithaupt 2005, 803). Die Nachteile, die einem Leistungsträger durch die vorläufige Gewährung von Leistungen entstehen, überwiegen regelmäßig nicht die Nachteile, die einem Bedürftigen bei Versagen der existenzsichernden Leistungen entstünden.

Maßgeblich sind letztlich die konkreten Umstände des Einzelfalls, wie sie vom Ast glaubhaft vorzutragen sind (BSG SozR 3-1500 § 199 Nr 1). Dem Ast ist eine entsprechende Glaubhaftmachung hier nicht gelungen. Soweit der Ast befürchtet, dass er mögliche Überzahlungen von der Ag nicht zurückerhalten werde, stellt dies im Bereich des SGB II die übliche Gefahrenlage für einen Leistungsträger dar. Warum dem Ast jedoch besondere gravierende Nachteile entstehen sollten, wurde nicht dargelegt und ist auch angesichts eines möglichen Überzahlungsbetrages von 75,- EUR monatlich nicht ersichtlich, nachdem die grundsätzliche Bedürftigkeit der Ag vom Ast nicht in Frage gestellt wurde.

Auch hat es der Ast versäumt glaubhaft zu machen, dass tatsächlich Vollstreckungshandlungen durch die Ag im Raum stehen. Sofern der Ast die erhöhten Leistungen ohne Vollstreckungsandrohung bzw. Vollstreckungshandlung der Ag erbrächte, fehlte es sogar am Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 199 Abs 2 SGG.

Im Übrigen trägt der Ast nicht vor, dass die Entscheidung des SG offenkundig fehlerhaft sei. Denn in seinem Schriftsatz vom 03.02.2006 lässt der Ast es selbst dahingestellt, "ob die Berufung offensichtlich Aussicht auf Erfolg hat". Es sei lediglich "überwiegend wahrscheinlich", dass die Berufung im wesentlichen Umfang Erfolg haben werde. Damit hat der Ast nicht schlüssig vorgebracht, dass die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 199 Abs 2 SGG notwendige Offenkundigkeit gegeben ist.

Nach alledem konnte der Antrag auf Vollstreckungsschutz nach § 199 Abs 2 SGG keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG (BayLSG NZS 1997, 96).

Der Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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