S 3 KR 3033/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Reutlingen (BWB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 KR 3033/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Fahrtkosten für eine Methadonsubstitution sind nicht von der Krankenkasse zu übernehmen. 2. Fahrtkosten für eine Methadonsubstitution können einen unabweisbaren Mehrbedarf, der nicht mehr vom Sozialhilferegelsatz gedeckt ist, darstellen.
1) Die Beigeladene wird verurteilt, dem Kläger Kosten für die Anschaffung einer Monatsfahrkarte abzüglich EUR 19,20 als unabweisbaren Mehrbedarf ab Mai 2005 zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 2) Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beigeladene.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Fahrtkosten zur Methadon-Substitution und anderen ambulanten Krankenbehandlungen.

Der am ... geborene Kläger steht in einer Methadon-Substitution. Er leidet an einer HIV-Infektion sowie an Hepatitis-C. Ferner liegt eine Beeinträchtigung an der Lendenwirbelsäule vor. Vom Versorgungsamt wurde zuletzt mit Wirkung vom 09.02.2004 ein Grad der Behinderung (GdB) von 90, jedoch kein Merkzeichen festgestellt. Der Kläger bezieht Sozialhilfe. Er erhält seit Januar 2004 Krankenbehandlung von der Beklagten gegen Kostenerstattung durch den Beigeladenen. Zuvor wurde dem Kläger Krankenhilfe vom Beigeladenen direkt gewährt. Damit im Zusammenhang wurde dem Kläger für die Durchführung der Methadon-Substitution auch eine Monatsfahrkarte vom Beigeladenen finanziert. In den Monaten Januar bis Mai 2004 wurde die Finanzierung über eine Regelsatzerhöhung fortgeführt. Ab Juni 2004 stellte der Beigeladene diese Leistung ein.

Der Kläger wohnt in einem vom Stadtzentrum einige Kilometer entfernten Vorort von ... Der Weg zwischen dem Stadtzentrum und dem Vorort weist zum Teil eine erhebliche Steigung bzw. ein Gefälle auf. Der Kläger verfügt über kein Kraftfahrzeug. Die Substitutionsbehandlung durch Dr ... (nachfolgend Dr. M.) wird im Stadtzentrum von ... durchgeführt.

Der Kläger beantragte unter Vorlage eines Attestes von Dr. M. vom 12.05.2005 bei der Beklagten die weitere Übernahme der Kosten für eine Monatsfahrkarte. Dr. M. wies darauf hin, der Kläger müsse öffentliche Verkehrsmittel benutzen, da er außerhalb von ... wohne.

Mit Bescheid vom 09.06.2004 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Generell könnten keine Fahrtkosten zur ambulanten Behandlung übernommen werden. Ausnahmen seien nur bei einer Dialysebehandlung, einer Chemotherapie sowie bei einer Schwerbehinderung mit den Merkzeichen aG, Bl oder H sowie bei einer Einstufung in die Pflegestufe II oder III der gesetzlichen Pflegeversicherung möglich. Diese Ausnahmen lägen beim Kläger nicht vor.

Hiergegen richtete sich der Widerspruch des Klägers vom 01.07.2004. Er trug vor, wegen seiner Erkrankungen und der Substitutionsbehandlung täglich zum Arzt oder in die Apotheke zu müssen. Es gäbe keinen Arzt in seiner Nähe. Er sei in seiner Mobilität extrem eingeschränkt, auch wegen einer Hüfterkrankung. Zudem ermüde er sehr schnell.

Nach Anhörung wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.09.2004 den Widerspruch zurück. Weder die Grunderkrankung, noch die Behandlung mit Methadon beeinträchtigten den Kläger in einer Weise, die eine Beförderung zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben zwingend verlange. Schließlich solle die Methadon-Behandlung zur Teilnahme am "normalen" gesellschaftlichen Leben befähigen. Im Landkreis Bad Kreuznach würden in gleich gelagerten Fällen Fahrtkosten nach wie vor vom Sozialamt übernommen.

Deswegen erhob der Kläger am 21.09.2004 Klage. Er wiederholt sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. In der mündlichen Verhandlung legt er ein ärztliches Attest von Dr. M. vom 03.02.2006 vor. Darin wird ausgeführt, der Kläger müsse dreimal wöchentlich die Arztpraxis oder eine spezielle Apotheke in der Innenstadt aufsuchen. Der Kläger ergänzt, er müsse wegen der HIV- und der Hepatitis-Infektion zu weiteren Ärzten in Behandlung gehen. Unter Vorlage eines ärztlichen Attests von Dres ... vom 20.02.2006 weist er darauf hin, seit Mai 2005 sporadisch und seit Januar 2006 zudem regelmäßig in psychiatrischer Behandlung zu stehen. Insgesamt ginge es somit nicht nur um die Substitutions-Behandlung.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 09.06.2004 i.d.G. des Widerspruchsbescheids vom 07.09.2004 zur Übernahme der Fahrtkosten für die bei ihm notwendigen ambulanten Krankenbehandlungen zu verurteilen, hilfsweise die Beigeladene zu einer Übernahme der Fahrtkosten zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält an der getroffenen Entscheidung fest. Der Kläger sei aufgefordert worden, sich an das Sozialamt zu wenden. Die Beklagte weist darauf hin, auf Bundesebene sei im Gemeinsamen Bundesausschuss verhandelt worden, ob die Methadon-Substitution einen zwingenden medizinischen Grund im Sinne der Krankentransportrichtlinie (nachfolgend KT-RL) darstelle. Der zuständige Unterausschuss habe sich gegen die Aufnahme in die KT-RL ausgesprochen. Es bleibe somit dabei, dass Voraussetzung für eine Kostenübernahme sei, dass eine Fahrt im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse zwingend medizinisch notwendig sei.

Die Beiladung erfolgte mit Beschluss vom 01.05.2005. Der Beigeladene trägt vor, seit 01. Januar 2005 dürfe er keine Fahrtkosten mehr übernehmen. Die Fahrtkosten zu ambulanten Behandlungen seien im Regelsatz enthalten. Die Fahrtkosen seine zunächst als Leistung der Krankenkasse zu erbringen.

Das Gericht hat Dr. M. als sachverständigen Zeugen schriftlich befragt. In seinem Antwortschreiben vom 06.12.2004 teilt er mit, seit Mai 2004 käme der Kläger mindestens einmal wöchentlich in die Praxis, derzeit bestünde ein werktäglicher Kontakt. Die Bitte zur Fahrtkostenerstattung habe er wegen der Entfernung inklusive der starken Steigung und wegen der finanziellen Situation des Klägers gestellt. Ein Hüftschaden bestünde nicht, jedoch ein LWS-Schaden. Eine deutliche Verminderung des Gehvermögens sei gegeben, jedoch benötige der Kläger keine Gehhilfen und könne 2 km in cirka 30 Minuten gehen.

Das Gericht hat ferner die behandelnden Orthopäden Dres ... schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Mit Schreiben vom 18.04.2005 teilte Dr ... mit, es lägen keine aktuellen Befunde vor.

Das Gericht hat den Gemeinsamen Bundesausschuss um Auskunft gebeten. Mit Schreiben vom 11.02.2005 wurde mitgeteilt, man habe sich gegen eine Ergänzung der KT-RL entschieden. Diese sollten nicht aufgeweicht werden. Eine Fahrtkostenerstattung könne nicht pauschal wegen einer bestimmten Diagnose oder wegen weiter Wege zugesprochen werden. Methadonbehandlungen führten in der Regel nicht zu einer Einschränkung der Mobilität.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und weiterer Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakte, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung wurden, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht beim sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Reutlingen erhobene Klage ist zulässig. Richtige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs-/Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Klage hat, soweit sie als Anfechtungs- und Leistungsklage gegen die Beklagte gerichtet ist, keinen Erfolg. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf eine Fahrtkostenübernahme im Rahmen der Krankenbehandlung zu. Insoweit war die Klage abzuweisen.

Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) übernimmt die Krankenkasse nach näherer Maßgabe die Kosten für Fahrten einschließlich der Transporte nach § 133 (Fahrtkosten), wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sind. Nach § 60 Abs. 1 Satz 3 SGB V übernimmt die Krankenkasse Fahrtkosten zu einer ambulanten Behandlung nach näherer Maßgabe nur nach vorheriger Genehmigung in besonderen Ausnahmefällen, die der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 festgelegt hat. Diese Richtlinien hat der Gemeinsame Bundesausschuss am 22.01.2004, in Kraft ab 01. Januar 2004, verabschiedet (KT-RL). In § 8 KT-RL sind Ausnahmefälle für Krankenfahrten zur ambulanten Behandlung geregelt. § 8 Abs. 1 KT-RL gibt im Wesentlichen den Wortlaut von § 60 Abs. 1 SGB V in Teilen wieder. In § 8 Abs. 2 KT-RL wird dann genauer geregelt: Voraussetzungen für eine Verordnung und eine Genehmigung sind, - dass der Patient mit einem durch die Grunderkrankung vorgegebenen Therapieschema behandelt wird, dass eine hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum aufweist, und - dass diese Behandlung oder der zu dieser Behandlung führende Krankheitsverlauf den Patienten in einer Weise beeinträchtigt, dass eine Beförderung zur Vermeidung an Schaden an Leib und Leben unerlässlich ist. Diese Voraussetzungen sind in Anlage 2 dieser Richtlinien genannten Ausnahmefällen in der Regel erfüllt. Diese Liste ist nicht abschließend. Die Anlage 2 der KT-RL enthält folgende Ausnahmefälle gemäß § 8: - Dialysebehandlung - Onkologische Strahlentherapie - Onkologische Chemotherapie

Der Anspruch auf Übernahme von Fahrtkosten stellt eine unselbständige akzessorische Nebenleistung dar, die grundsätzlich wie die Hauptleistung, hier die ambulante Krankenbehandlung, zu behandeln ist (Höfler in Kassler Kommentar § 60 SGB V Randnr. 2). Der Kläger erhält vorliegend von der Beklagten ambulante Krankenbehandlungen gemäß §§ 27, 28 SGB V, obwohl er nicht Versicherter ist. Dies beruht auf § 264 SGB V, wonach Sozialhilfeempfängern Krankenbehandlung, gegen Erstattung der entstehenden Kosten durch den Träger der Sozialhilfe, zu gewähren ist. Soweit in § 264 SGB V ausschließlich von der Gewährung von Krankenbehandlungen die Rede ist, steht dies einer Übernahme von Fahrtkosten nicht entgegen. Zwar werden die Fahrtkosten nicht in § 27 SGB V als Bestandteil der Krankenbehandlung ausdrücklich genannt. Jedoch handelt es sich dabei - wie bereits ausgeführt - um eine unselbständige akzessorische Nebenleistung.

Ein Anspruch auf Übernahme der Fahrtkosten gegen die Beklagte besteht nicht, da weder die Methadonsubstitution noch die Behandlungen des Klägers wegen der anderen Erkrankungen die zur Verfügungstellung einer Transportmöglichkeit zwingend erfordern. Zwar wird der Kläger aufgrund der bei ihm bestehenden Grunderkrankungen in einem Therapieschema mit hoher Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum behandelt. Jedoch beeinträchtigen weder diese Behandlungen noch der zu dieser Behandlung führende Krankheitsverlauf den Kläger in einer Weise, die eine Beförderung zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben unerlässlich macht. Aus dieser in § 8 Abs. 2 KT-RL formulierten Voraussetzung und in Zusammenschau mit den in Anlage 2 genannten Regel-Ausnahmefällen ist ersichtlich, dass eine Fahrtkostenübernahme bei ambulanten Behandlungen nur dann erfolgt, wenn gesundheitlich bedingt auch die Bewältigung kürzester Strecken nicht mehr möglich ist. Dementsprechend werden als weitere Möglichkeiten für eine Fahrtkostenerstattung in § 8 Abs. 3 KT-RL die Feststellung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung, Blindheit oder Hilflosigkeit oder die Feststellung der Pflegestufen II oder III (Schwerpflegebedürftige, Schwerstpflegebedürftige) genannt. Eine derartige Beeinträchtigung liegt beim Kläger nicht vor. Die Kammer stützt sich dabei auf die sachverständige Zeugenaussage von Dr. M ... Eine Fahrtkostenerstattung sah Dr. M. allein wegen der Entfernung und der zu bewältigenden starken Steigung und wegen der finanziellen Situation als erforderlich an. Im Übrigen geht aus einer Aussage hervor, dass trotz eines LWS-Schadens Gehhilfen nicht benötigt werden und der Kläger 2 km in cirka 30 Minuten gehen kann. Die finanzielle Situation und der Wohnort des Betroffenen stellen jedoch keinen Grund dar, um eine Fahrtkostenerstattungspflicht anzunehmen. Aus der Zeugenaussage von Dr. M. geht nicht hervor, dass die Methadonsubstitution den Kläger in einer Weise beeinträchtigt, dass er "transportiert werden müsste". Würde der Kläger über die notwendigen finanziellen Mittel verfügen, käme er sicher nicht auf den Gedanken, von der Beklagten eine Fahrtkostenerstattung zu erlangen. Es bleibt bei dem Grundsatz, dass Krankenversicherte und damit auch Sozialhilfeempfänger, denen nach § 264 SGB V Leistungen der Krankenkasse gewährt werden, grundsätzlich selbst dafür verantwortlich sind, zu ambulanten Krankenbehandlungen zu gelangen (ebenfalls gegen einen Kostenerstattungsanspruch bei einer Methadonsubstitution: Hessisches Landessozialgericht 06.09.2005 L 1 KR 196/04).

Soweit vom Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen im Beschluss vom 12.08.2004 (L 4 KR 212/04 ER) ein Fahrtkostenerstattungsanspruch bei einer Substitutionstherapie angenommen wurde, folgt dem die Kammer nicht. In dieser Entscheidung wurde die Möglichkeit gesehen, dass es für die Frage der Übernahme von Fahrtkosten darauf ankommen könne, ob eine Erforderlichkeit der Übernahme der Kosten für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel besteht, um dem Betroffenen überhaupt die Inanspruchnahme einer ärztlichen Behandlung zu ermöglichen. Nur auf diese Weise könnten beim Versicherten Schäden an Leib und Leben vermieden werden. Allerdings wurde unter Hinweis auf eine nicht abschließend vorzunehmende Klärung im Eilverfahren offen gelassen, ob nicht doch die Beförderung selbst medizinisch indiziert sein müsse. Letzteres ist nach der hier vertretenen Auffassung (siehe oben) der Fall. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Kosten für Fahrten sind zu übernehmen, wenn sie (die Fahrten - Formulierung in der Mehrzahl) im Zusammenhang mit einer (Formulierung in der Einzahl) Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sind (Formulierung in der Mehrzahl). Die Voraussetzung der "zwingenden medizinischen Gründe" bezieht sich damit ganz klar auf die Fahrten und nicht auf die Leistung der Krankenkasse. Auch vom Sinn und Zweck her ist diese Auslegung zwingend. Der Gesetzgeber wollte in § 60 SGB V eine Begrenzung der Übernahme von Fahrtkosten vornehmen. Insbesondere bei ambulanten Behandlungen sollen im Regelfall keine Fahrtkosten übernommen werden. Da aber ambulante Behandlungen stets auf "Leib und Leben" des Versicherten bezogen sind, ließen sich, würde man der Argumentation des LSG Niedersachsen-Bremen folgen, keine Fälle denken, in denen eine Fahrtkostenübernahme ausscheiden würde.

Ein Anspruch gegenüber der Beklagten besteht mithin nicht.

Allerdings hat der Kläger gegenüber dem Beigeladenen einen Anspruch auf Berücksichtigung eines Mehrbedarfs in dem im Tenor beschriebenen Umfang.

Nach § 28 Abs. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) wird der gesamte Bedarf des notwendigen Lebensunterhalts außerhalb von Einrichtungen mit Ausnahme von Leistungen für Unterkunft und Heizung und der Sonderbedarfe nach den §§ 30 bis 34 nach Regelsätzen erbracht.

Im Eckregelsatz von EUR 345,00 sind unter der laufenden Nr. 6 Kosten für "Verkehr" in Höhe von EUR 19,20 mit berücksichtigt worden. Mit diesem Betrag werden pauschalierend alle Ausgaben des Sozialhilfeempfängers, die im Zusammenhang mit Ortswechseln, sei es durch Auto, Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder sonstiges entstehen, abgegolten. Dazu gehören grundsätzlich auch die Fahrten zu ambulanten Krankenbehandlungen. Die Regelungen über Sonderbedarfe nach den §§ 30 bis 34 SGB XII sind nicht einschlägig.

Allerdings ist gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 Alternative 2 SGB XII eine abweichende Festlegung der Bedarfe vorgesehen, wenn im Einzelfall ein Bedarf unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Dies ist beim Kläger der Fall. Aus der Formulierung "im Einzelfall" ist nicht zu schließen, dass es sich um einen einmaligen Fall handeln muss. Es ist daher unschädlich, wenn weitere Fälle mit vergleichbaren Situationen denkbar sind (Roscher in LPK-SGB XII § 28 Randnr. 16). Die Kammer ist aufgrund der eingeholten sachverständigen Zeugenaussage von Dr. M. und dem zuletzt vorgelegten Attest von Dr. M. vom Februar 2006 sowie aufgrund der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung der Überzeugung, dass der Kläger mindestens dreimal wöchentlich einen Arzt aufsuchen muss. Soweit bei Ermittlung des Regelsatzes davon ausgegangen wurde, Fahrten zu ambulanten Krankenbehandlungen seien mit inbegriffen, wurde mit Sicherheit nicht an eine derart enge Behandlungsfrequenz gedacht. Diese Behandlungshäufigkeit weicht von den unter Sozialhilfebeziehern zu erwartenden Behandlungsfrequenzen erheblich nach oben ab. Zwischen den Beteiligten ist dabei unstreitig, dass vom Kläger nicht erwartet werden kann, die Ärzte zu Fuß aufzusuchen und dass es auch nicht möglich ist, die ärztlichen Behandlungen wohnortnäher durchzuführen. Der Kläger ist auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Angesichts der Häufigkeit der Behandlungen erweist sich als die preisgünstigste Alternative der Kauf einer Monatsfahrkarte, die nach den derzeitigen Tarifen im Stadtverkehr ... EUR 32,50 kostet. Auf diese Monatsfahrkarte ist der Kläger angewiesen, um weiterhin ärztliche Behandlungen in Anspruch nehmen zu können. Dieses Angewiesensein ist unabweisbar. Die Kosten der Monatsfahrkarte überschreiten den Regelsatzanteil für Verkehr in Höhe von EUR 19,20 erheblich. Der Beigeladene war daher zur Erstattung der Differenz zwischen den aktuellen Kosten einer Monatsfahrkarte und dem Regelsatzanteil zu verurteilen.

Der Beigeladene konnte in entsprechender Anwendung des § 75 Abs. 5 SGG verurteilt werden (so auch SG Stuttgart 29.09.2005 S 21 SO 5122/05 ER). Eine direkte Anwendung scheidet aus, da der Beigeladene kein Versicherungsträger im Sinne des § 75 Abs. 5 SGG ist. Die entsprechende Anwendung ist geboten, weil infolge der Zuständigkeit der Sozialgerichte ab dem 01.01.2005 für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialhilfe eine planwidrige Regelungslücke in § 75 Abs. 5 SGG entstanden ist. Eine Regelungslücke ist entstanden, weil auch im Verhältnis zwischen Sozialhilfeträgern und Versicherungsträgern die Situation auftreten kann, dass der Kläger nicht erkennen kann, wer nach dem geltenden Recht tatsächlich für die begehrte Leistung zuständig ist. Damit besteht die Gefahr zweier widersprechender Entscheidungen durch verschiedene Spruchkörper des Gerichts. Gerade dies soll durch § 75 Abs. 5 SGG vermieden werden. Diese Regelungslücke ist auch planwidrig. Die Kammer ist der Überzeugung, dass der Gesetzgeber bei Verlagerung der Zuständigkeit für Sozialhilfestreitigkeiten zu den Sozialgerichten übersehen hat, § 75 Abs. 5 SGG dementsprechend zu ergänzen. Im vorliegenden Fall war eine besondere Nähe der Leistungen nach dem Krankenversicherungsrecht und dem Sozialhilferecht insbesondere deswegen gegeben, weil ohnehin der Sozialhilfeträger bei einer Verurteilung der Beklagten letztendlich die Kosten hätte tragen müssen. Diese Verflechtung macht umso deutlicher, dass im Sinne der Verwaltungseffizienz und der Prozessökonomie eine Verurteilung der Beigeladenen hier möglich sein muss. Nicht nur Versicherte sollen vor Nachteilen des gegliederten Sozialversicherungssystems geschützt werden. Dieser Schutz muss nunmehr auch Sozialhilfeempfänger, die zwischenzeitlich zum Teil in der Sozialversicherungssystem eingegliedert werden, mit umfassen.

Die Verurteilung konnte freilich erst ab dem Monat der Beiladung erfolgen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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