L 14 B 763/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 61 AS 3247/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 B 763/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juli 2006 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die 1954 geborene Antragstellerin ist seit 1994 nebenberuflich und jedenfalls seit April 2004 "im Hauptberuf" als bildende Künstlerin selbständig tätig.

Sie bezog bis Ende 2004 Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in Höhe von zuletzt 891,72 Euro monatlich sowie zusätzlich (offenbar ab April 2004) Hilfe zum Aufbau der Lebensgrundlage nach § 30 BSHG (offenbar in Höhe von 500 Euro monatlich als Darlehen). (Positive) Einkünfte aufgrund ihrer selbständigen Tätigkeit (durch den Verkauf von Bildern oder andere) erzielte sie in den Jahren 2004 und 2005 nicht.

Mit Bescheid vom 8. Dezember 2004 bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II) in Höhe von 851,64 Euro monatlich, darunter Leistungen für Unterkunft und Heizung für die von der Antragstellerin auch als Atelier genutzte, 75 qm große Wohnung in Höhe von 506,64 Euro monatlich. Mit Bescheid vom 7. Juni 2005 bewilligte die Antragsgegnerin Leistungen für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2005 in derselben Höhe und mit Bescheid vom 6. Dezember 2005 für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 20006 in Höhe von nunmehr 854,64 Euro monatlich.

Am 12. April 2004 schlossen die Antragstellerin und die Antragsgegnerin eine Eingliederungsvereinbarung, die die Zahlung eines für sechs Monate befristeten, nicht rückzahlbaren Zuschusses zum Arbeitslosengeld II gemäß § 29 Abs. 1 des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB II) (Einstiegsgeld) in Höhe von 172,50 Euro monatlich vorsah. Dieser Zuschuss solle die Antragstellerin bei der Überwindung ihrer derzeitigen Hilfebedürftigkeit durch den Aufbau einer tragfähigen selbständigen Tätigkeit unterstützen. Es werde davon ausgegangen, dass bis zur Tragfähigkeit zwölf Monate benötigt würden. Die erwarteten durchschnittlichen monatlichen Einnahmen in Höhe von 915 Euro würden bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II berücksichtigt. Vier Wochen vor Ablauf des Bewilligungszeitraums werde geprüft, ob die Voraussetzungen der Hilfebedürftigkeit weiterhin vorlägen und ob die Förderung verlängert werde.

Mit Bescheid vom 14. April 2005 bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin für die Zeit vom 15. April bis 14. Oktober 2005 Einstiegsgeld in Höhe von 172,50 Euro monatlich.

Den am 26. September 2005 bei ihr eingegangenen Antrag der Antragstellerin, ihr über den 14. Oktober 2005 hinaus Einstiegsgeld zu gewähren, lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 10. November 2005 ab. Gegen diese Entscheidung erhob die Antragstellerin nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid vom 9. März 2006) am 11. April 2006 Klage, die noch anhängig ist.

Den am 11. Mai 2006 beim Sozialgericht gestellten Antrag der Antragstellerin, die Antragsgegnerin durch eine einstweilige Anordnung zu verpflichten, ihr weiterhin Einstiegsgeld in Höhe von 172 Euro monatlich zu zahlen, hat das Sozialgericht durch Beschluss vom 26. Juli 2006 abgewiesen. Der von der Antragstellerin gegen den ihr am 2. August 2006 zugestellten Beschluss am 30. August 2006 beim Landessozialgericht eingelegten Beschwerde hat das Sozialgericht nicht abgeholfen.

-

Die fristgerecht (§ 173 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]) und auch zulässigerweise beim Landessozialgericht (§ 173 Satz 2 SGG) eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist nicht begründet.

Für die Zeit vor Anbringung des Antrags beim Sozialgericht scheidet der Erlass einer einstweiligen Anordnung ohnehin aus den vom Sozialgericht angestellten Erwägungen, auf die der Senat entsprechend § 153 Abs. 2 SGG verweist, aus. Aber auch für die Zeit danach ist die von der Antragstellerin begehrte Anordnung nicht zu erlassen.

Der Senat lässt hierbei dahingestellt, ob – wie offenbar das Sozialgericht unter Hinweis auf eine im Schrifttum geäußerte Auffassung (dort allerdings mit dem Zusatz "idR") meint – eine einstweilige Anordnung bei einer im Ermessen der Behörde stehenden Entscheidung nur bei einer "Ermessensreduzierung auf Null" ergehen darf oder ob zumindest bei einer fehlerhaften Ermessensausübung die Behörde durch eine einstweilige Anordnung zu einer erneuten Entscheidung zu verpflichten ist (vgl. dazu näher Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren [2005], Rdnr. 322 ff. m.w.Nw.). Gleichfalls unentschieden kann bleiben, ob überhaupt die gesetzlichen Voraussetzungen für die (im Ermessen der Antragsgegnerin stehende) Erbringung eines Einstiegsgeldes vorliegen bzw. bei dessen Bewilligung im April 2005 vorlagen. Dagegen spricht jedenfalls, dass die Antragstellerin 2005 keine selbständige Erwerbstätigkeit aufgenommen ("Aufnahme"), sondern – lediglich – eine bereits zuvor begonnene fortgeführt hat. Deshalb ist auch zumindest fraglich, ob sie "arbeitslos" (i.S.d. § 16 des Dritten Buchs des Sozialgesetzbuchs [SGB III]) war, d.h. u.a. eine versicherungspflichtige Beschäftigung gesucht und dabei den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung gestanden und sich arbeitslos gemeldet hatte (vgl. zu diesen Voraussetzungen bereits Beschluss des Senats vom 22. November 2005 – L 14 AS 1187/05 –, Revision anhängig beim BSG – B 11b AS 3/05 R –).

Unterstellt man zugunsten der Antragstellerin, dass diese Voraussetzungen erfüllt waren, so erscheint die Entscheidung der Antragsgegnerin, der Antragstellerin über dem 14. Oktober 2005 hinaus kein Einstiegsgeld zu gewähren, ermessensfehlerfrei. Auch insoweit schließt sich der Senat den Erwägungen des Sozialgerichts an. Entscheidend ist, dass sich die auf die Einschätzung des von der Antragstellerin beauftragten "Büros für Managementberatung" gestützte Erwartung, die Antragstellerin werde innerhalb höchstens eines Jahres (ab Beginn der Förderung) Einkünfte aus ihrer selbständigen Tätigkeit als bildende Künstlerin erzielen können, die sie von Leistungen der Antragsgegnerin unabhängig machen würden, als fehlerhaft erwiesen hat und sowohl im Oktober 2005 wie auch jetzt damit nicht zu rechnen ist. Tatsächlich hat die Antragstellerin 2005 kein einziges Bild verkaufen (oder andere Einnahmen erzielen) können, sondern lediglich – erst – im März 2006 zwei Bilder verkauft, was nicht einmal ansatzweise ausreicht, um aus den daraus erzielten Einnahmen ihren Lebensunterhalt zu sichern. Es ist auch nicht zu erwarten, dass sich diese Sachlage angesichts des – worauf die Antragstellerin selbst hinweist – "ganz besonders konjunkturabhängigen" Kunstmarktes zumindest in den nächsten sechs Monaten (und nur bis April 2007 käme eine Gewährung von Einstiegsgeld überhaupt noch in Frage) entscheidend ändern würde.

Zudem erbringt die Antragsgegnerin dadurch, dass sie jedenfalls bislang Leistungen für eine Wohnung gewährt, die die Antragstellerin zugleich als Atelier nutzt, bereits Leistungen, die über die zur "bloßen" Sicherung des Lebensunterhalts (einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung) hinausgehen, obwohl eine Rechtsgrundlage für die Übernahme der Kosten eines Ateliers eines selbständig tätigen Künstlers oder einer teilweise als Atelier genutzten, im Übrigen aber unangemessenen Wohnung im Zweiten Buch des Sozialge-setzbuchs nicht ersichtlich ist (Beschluss des Senats vom 22. November 2005 – L 14 AS 1187/05 –).

Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht die in der Eingliederungsvereinbarung vom 12. April 2005 niedergelegte Annahme, dass bis zu einer tragfähigen selbständigen Tätigkeit der Antragstellerin zwölf Monate (ab April 2005) benötigt würden. Denn dieser Annahme lag wiederum die Erwartung zugrunde, dass die Antragstellerin durchschnittlich monatliche Einnahmen in Höhe von 915 Euro erzielen würde, die sich – wie erwogen – nicht einmal ansatzweise erfüllt hat und von der unter Berücksichtigung der im Oktober 2005 vorliegenden Umstände auch nicht anzunehmen war, dass sie sich bis zum April 2006 erfüllen würde.

Nicht nur die Antragstellerin mag bedauern, dass das "für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" verabschiedete Zweite Buch des Sozialgesetzbuchs kein "Künstlerförderungsprogramm" ist und insbesondere die Erbringung von Einstiegsgeld ausschließlich von zu erwartenden wirtschaftlichen Ergebnissen abhängt (die hier – wie erwogen – nicht bzw. in nicht ausreichendem Maß zu erwarten waren und sind), und nicht von künstlerischen.

Aus Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes folgt nichts anderes. Der sich aus dem Grundgesetz ergebenden Verpflichtung, das sozio-kulturelle Existenzminimum der Antragstellerin zu sichern, wird durch die ihr gewährten Leistungen (Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie Leistungen für Unterkunft und Heizung) noch hinreichend genügt.

Eine mündliche Verhandlung, um der Antragstellerin Gelegenheit zu geben, ihre persönliche Situation als Künstlerin und ihre Position auf dem Kunstmarkt darzustellen, hält der Senat nicht für erforderlich, da es für seine Entscheidung nicht darauf, sondern ausschließlich auf die insbesondere durch das Zweite Buch des Sozialgesetzbuchs und das Grundgesetz bestimmten rechtlichen Gegebenheiten ankommt, die der Senat zugrunde zu legen hat und nicht ändern kann. Im Übrigen hat die Antragstellerin ihre persönliche Situation als Künstlerin und ihre Position auf dem Kunstmarkt durch ihren Verfahrensbevollmächtigen eingehend schriftlich geschildert; dies hat der Senat auch zur Kenntnis genommen.

Die Entscheidung über die Kostenerstattung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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