L 2 KN 108/06 KR

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 7 KN 233/05 KR
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 KN 108/06 KR
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 12.05.2006 geändert. Die Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 03.01., 08.02. und 15.02.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2005 verurteilt, den Kläger von Kosten für in der Zeit vom 01.01. bis 31.03.2005 selbst beschafften Leistungen der häuslichen Krankenpflege in Höhe von 1.764 Euro frei zu stellen. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten aus beiden Rechtszügen zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Freistellung von Kosten für selbst beschaffte Leistungen der häuslichen Krankenpflege.

Der 1941 geborene Kläger ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Infolge eines Verkehrsunfalls (Dezember 2000) liegt bei ihm eine komplette (hohe) Querschnittslähmung vor. Er kann nur noch den Kopf bewegen. Wegen respiratorischer Insuffizienz besteht 24 Stunden täglich maschinelle Beatmungspflicht, Urin und Stuhl werden bei Blasen- und Mastdarmlähmung künstlich abgeleitet. Insbesondere aufgrund der dauerhaften Beatmung und der Notwendigkeit wiederholten trachealen Absaugens ist als Maßnahme der Behandlungspflege eine "Rund-um-die-Uhr-Betreuung" durch eine Pflegefachkraft erforderlich (Internistin Dr. G und Pflegefachkraft M, Sozialmedizinischer Dienst (SMD) der Beklagten, (Pflege-)Gutachten und ärztliche Stellungnahme vom 4.8.2004). Die Beklagte gewährt als Pflegekasse Leistungen wegen Schwerstpflegebedürftigkeit und außerdem wegen des außergewöhnlich hohen Pflegeaufwands Leistungen nach der Härtefallregelung (§ 36 Abs 4 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI), sog. "Pflegestufe IV").

Nachdem der Kläger zunächst stationär in einer Pflegeeinrichtung untergebracht war, wird er seit dem 28. August 2004 im häuslichen Bereich durch Pflegekräfte des Pflegedienstes C (im Folgenden: Pflegedienst) gepflegt. Die Pflegekräfte arbeiten in einem 12 Stunden - Rhythmus rund um die Uhr. Die hauswirtschaftliche Versorgung wird durch die Ehefrau sicher gestellt (Gutachten Internistin Dr C1 und Pflegefachkraft T, SMD H, vom 21.12.2004).

Facharzt für Allgemeinmedizin F aus H1 verordnete für die Zeit vom 1.1. bis 31.3.2005 "24 Std. Behandlungspflege" als häusliche Krankenpflege wegen "Überwachung und Kontrolle der Atmung mit ggf. Absaugen" (Folgeverordnung vom 14.12.2004).

Die Beklagte gewährte Leistungen der Behandlungspflege für 16 Stunden täglich. Für die übrigen 8 Stunden täglich fielen Maßnahmen der Grundpflege (7 Stunden) und der hauswirtschaftlichen Versorgung (1 Stunde) an, für die die Pflegeversicherung Leistungen erbringe (Bescheide vom 3.1., 8. und 15.2.2005).

Der Kläger legte Widerspruch ein und machte geltend, Anspruch auf eine weitere Stunde Behandlungspflege zu haben, da die hauswirtschaftliche Versorgung nicht vom Pflegedienst, sondern von seiner Ehefrau erbracht werde. Er nahm die verordnete "24 Std. Behandlungspflege" in Anspruch, die Beklagte bezahlte als Krankenkasse den Pflegedienst für 16 Stunden tägliche Behandlungspflege und als Pflegekasse für Pflegeeinsätze der Grundpflege, ausgehend von einen Grundpflegebedarf von sieben Stunden täglich. Für eine weitere Stunde täglich stellte der Pflegedienst dem Kläger für "1 Std. BP tgl. bei HH durch die Mutter"(?; gemeint ist offenbar: Ehefrau) jeweils EUR 868 für Januar und März 2005 (Rechnungen vom 1.2. und 2.4.2005) und EUR 784 für Februar 2005 (Rechnung vom 02.03.2005) in Rechnung und stundete die Zahlung. Auf den Betrag von EUR 2.520,00 zahlte die Haftpflichtversicherung des Unfallschädigers entsprechend seiner Haftungsquote 30 % (= EUR 756). Die Beklagte wies den Widerspruch zurück: Eine Kostenübernahme könne nicht erfolgen, weil die hauswirtschaftliche Versorgung dem Bereich der Pflegeversicherung zuzurechnen und kein Bestandteil der verordneten Behandlungssicherungspflege sei (Widerspruchsbescheid vom 24.6.2005, abgesandt am 27.6.2005).

Mit seiner am 29.7.2005 zum Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen erhobenen Klage hat der Kläger für das 1. Quartal 2005 "Kostenübernahme" für eine weitere Stunde Behandlungspflege täglich begehrt. Er habe das (Wahl-)Recht, die hauswirtschaftliche Versorgung nicht durch den Pflegedienst, sondern durch seine Ehefrau erbringen zu lassen. Diese sei aber nicht in der Lage, (gleichzeitig) Behandlungspflege zu leisten.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Änderung ihres Bescheides vom 03.01.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2005 zu verurteilen, den Kläger wegen der häuslichen Krankenpflege in der Zeit vom 01.01. bis zum 31.03.2005 freizustellen von den Forderungen der C in Höhe von jeweils 868,00 EUR für die Monate Januar und März sowie von 784,00 EUR für den Monat Februar.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat ihre Entscheidung weiter für zutreffend gehalten.

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 12.5.2006).

Zur Begründung seiner Berufung wiederholt der Kläger sein bisheriges Vorbringen. Das SG habe sich mit seiner Argumentation nicht hinreichend auseinander gesetzt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 12.5.2006 zu ändern und die Be klagte unter Abänderung der Bescheide vom 03.01., 08.02. und 15.2.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2005 zu verurteilen, ihn in Höhe von 1.764 Euro von den Kosten für in der Zeit vom 01.01. bis 31.03.2005 selbst beschafften Leistungen der häuslichen Krankenpflege frei zu stellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurück zu weisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Für die Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann entscheiden, ohne die Beklagte als Pflegekasse (vgl § 46 Abs 1 Satz 3 SGB XI) beizuladen, § 75 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG ). Soweit die Beklagte nicht nur als Trägerin der Kranken-, sondern auch als Trägerin der Pflegeversicherung vom Ausgang des Verfahrens betroffen ist, ist sie jedenfalls kein beteiligter "Dritter" iS von § 75 Abs 2 SGG, da ihre unterschiedlichen Funktionsbereiche keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzen (Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 9.6.1999, Aktenzeichen (Az) B 8 KN 1/98 P R).

Die Berufung ist begründet.

Entgegen der Auffassung des SG ist die Klage im jetzt noch streitigen Umfang zulässig und begründet. Streitig ist ausweislich des zuletzt gestellten Sachantrags nur noch die Freistellung von im streitigen Zeitraum entstandenen Kosten für häusliche Krankenpflege in Höhe von EUR 1.764. Den ursprünglich weiter reichenden Anspruch (Erstattung von EUR 2.520) hat der Kläger teilweise (in Höhe von EUR 756) fallen lassen und dadurch seine Klage insoweit - konkludent - zurück genommen (vgl Leitherer in: Meyer-Ladewig. SGG. 8. Auflage 2005, § 102 Rdnrn 4 und 7 mwN).

Die Klage ist zulässig, insbesondere fristgerecht binnen Monatsfrist (§ 87 Abs 1 Satz 1 SGG) erhoben. Denn der Widerspruchsbescheid gilt als am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post (hier also am 30.6.2005) bekannt gegeben, §§ 85 Abs 3 Satz 1 SGG, 37 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) (vgl. Leitherer. aaO. § 85 Rdnr 8).

Die Klage ist auch begründet. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Freistellungsanspruch ist § 13 Abs 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) idF des Gesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S 2266; Satz 2 angefügt durch Gesetz vom 19.6.2001, BGBl I S 1046 mWv 1.7.2001), der lautet: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war." Diese auf die Erstattung vom Versicherten bereits gezahlter Kosten zugeschnittene Bestimmung ist bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen entsprechend anzuwenden, wenn die Verpflichtung bereits entstanden ist, der Versicherte aber noch nicht gezahlt hat. Statt einer Erstattung kann er dann die Bezahlung seiner Schuld durch den Versicherungsträger verlangen (BSGE 86, 101ff = SozR 3-2500 § 37 Nr 2; BSGE 85, 287ff = SozR 3-2500 § 33 Nr 37; BSGE 80, 181, 182 = SozR 3 - 2500 § 13 Nr. 14; stRspr). Die Beklagte ist danach verpflichtet, die Schuld des Klägers in Höhe von EUR 1764 zu bezahlen, den Kläger also von seiner Vergütungspflicht gegenüber dem Pflegedienst insoweit frei zu stellen, der in Kenntnis der Tatsache, dass die Beklagte die Leistungsgewährung insoweit abgelehnt hatte, die Leistungen erbracht und die Vergütung gestundet hat.

Die Vergütungspflicht des Klägers gegenüber dem Pflegedienst ist dadurch entstanden, dass die Beklagte zu Unrecht abgelehnt hat, dem Kläger eine weitere Stunde notwendiger häuslicher Krankenpflege als Sachleistung (§ 2 Abs 2 Satz 1 SGB V) zu gewähren, und der Kläger sich diese Leistung deshalb selbst beschafft hat. Denn (auch) auf diese weitere Stunde notwendiger häuslicher Krankenpflege hat der Kläger nach § 37 Abs 1 SGB V Anspruch. Versicherte erhalten nach dieser Vorschrift in ihrem Haushalt oder in ihrer Familie als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (sog. Behandlungssicherungspflege). Zur Behandlungspflege gehören alle Pflegemaßnahmen, die nur durch eine bestimmte Erkrankung verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern (vgl dazu BSGE 83, 254ff = SozR 3-2500 § 37 Nr 1; BSGE 82, 27 = SozR 3-3300 § 14 Nr 2 und BSG SozVers 1998, 253). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Kläger hat einen Anspruch auf (sog. qualifizierte, dh durch eine Pflegefachkraft zu leistende) Behandlungspflege rund um die Uhr, weil er zur Sicherstellung seiner Atmung 24 Stunden lang ununterbrochen beobachtet werden muss und in regelmäßigen Abständen, auch nachts, Sekretabsonderungen abgesaugt werden müssen, um die Atemwege freizuhalten. Dies ergibt sich bereits aus den Feststellungen der Beklagten und ist zwischen den Beteiligten im Grunde auch nicht streitig. Zu Recht gehen die Beteiligten dabei davon aus, dass auch die Beobachtung rund um die Uhr zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erfolgt und unschädlich ist, dass diese nicht explizit in den Richtlinien über die Verordnung von "häuslicher Krankenpflege" (im Folgenden: HKP-RL) nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 und Abs 7 SGB V vom 16.2.2000 (BAnz Nr 91 vom 13. Mai 2000) idF vom 24. März 2003 (BAnz Nr 123 vom 8. Juli 2003) genannt ist, vgl I Nr 3 HKP-RL iVm Nrn 6 und 8 der Anlage zur HKP-RL ("Verzeichnis verordnungsfähiger Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege"). Denn insoweit verstoßen die HKP-RL gegen § 37 Abs 2 SGB V und sind deshalb für die Gerichte nicht bindend (zu alledem: BSG SozR 4-2500 § 37 Nr 6 mwN; BSGE 94, 205ff = SozR 4-2500 § 37 Nr 4).

Für den Senat ist unklar, welche rechtshindernde oder rechtsvernichtende Einwendung (oder welche Einrede) die Beklagte diesem unstreitig bestehenden Sachleistungsanspruch entgegen halten will. Die Begründung im Widerspruchsbescheid trägt ihre Entscheidung nicht. Denn es geht nicht um die Gewährung hauswirtschaftlicher Versorgung, sondern um eine Stunde Behandlungssicherungspflege. Soweit die Beklagte dem etwa einen Einwand der "unzulässigen Doppelversorgung" entgegen halten will, weil der Kläger zeitgleich Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung erhält, ergibt sich ein solcher Einwand aus dem Gesetz nicht. Aus dem Gesetz ergibt sich das Gegenteil: Der Anspruch des Klägers auf Gewährung häuslicher Krankenpflege ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil er zugleich Leistungen bei häuslicher Pflege aus der sozialen Pflegeversicherung erhält. Das Verhältnis des Anspruchs aus § 37 Abs 2 Satz 1 SGB V zu Ansprüchen aus den §§ 36 ff SGB XI ist in § 13 Abs 2 und § 34 Abs 2 Satz 1 SGB XI geregelt. Nach § 13 Abs 2 SGB XI bleiben die Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V beim Bezug von Leistungen der Pflegeversicherung unberührt; nach § 34 Abs 2 Satz 1 SGB XI kann es nur zu einem Ruhen des Anspruchs aus der sozialen Pflegeversicherung (!) kommen, wenn im Rahmen des Anspruchs auf häusliche Krankenpflege auch Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung besteht. Letzteres kommt allerdings nur bei der sog Krankenhausvermeidungspflege (§ 37 Abs 1 SGB V) in Betracht; bei der hier betroffenen Behandlungssicherungspflege (§ 37 Abs 2 Satz 1 SGB V) sind Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung nach dem Eintritt des Versicherungsfalls der Pflegebedürftigkeit nicht zulässig, § 37 Abs 2 Satz 4 SGB V (vgl BSGE 86, 101ff = SozR 3-2500 § 37 Nr 2). Soweit die Rechtsprechung einen solchen Einwand (für eine anders gelagerte Problemkonstellation) mit der Begründung zuzulassen scheint, dass während der Erbringung von Leistungen der Grundpflege die Behandlungspflege grundsätzlich in den Hintergrund trete, so dass dann nur die Leistungspflicht der Pflegekasse bestehe (so BSG SozR 4-2500 § 37 Nr 6 unter Bezugnahme auf BSGE 83, 254ff = SozR 3-2500 § 37 Nr 1), ist nicht erkennbar, welche Rechtsnorm damit zur Anwendung kommen soll. Der Einwand scheint prima facie nicht überzeugend, weil auch bei der Grundpflege parallel weiter die og Leistungen der Behandlungspflege zu erbringen sind, treten sie nun in den Hintergrund oder nicht. Die möglichst weitgehende Erledigung beider Aufgaben durch ein und dieselbe Pflegekraft entspricht zwar dem Gebot der Wirtschaftlichkeit (§§ 2 Abs 4, 12 SGB V, 4 Abs 3, 29 Abs 1 SGB XI ). Dies rechtfertigt es aber nicht ohne Weiteres, die Krankenkasse von den gesamten Kosten zu entlasten. Eine zweckmäßige und wirtschaftliche Aufgabenerfüllung im Bereich der Behandlungspflege einerseits und im Bereich der Grundpflege nebst hauswirtschaftlicher Versorgung andererseits lässt sich in Fällen wie dem vorliegenden, bei dem beide Leistungsbereiche eng verzahnt und die Leistungen wegen § 37 Abs 2 Satz 4 SGB V zwingend von verschiedenen Leistungsträgern zu erbringen sind (vgl BSGE 83, 254ff = SozR 3-2500 § 37 Nr 1 Rdnr 25), nur durch entsprechende Vereinbarungen zwischen Krankenkasse und Pflegekasse einerseits (vgl BSG aaO), und/oder Leistungsträgern und Leistungserbringern andererseits (§§ 132 a SGB V; 89 SGB XI) erreichen (vgl BSGE 86,101ff = SozR 3-2500 § 37 Nr 2 Rdnr 19). Die nach dem zuvor Gesagten grundsätzlich nebeneinander bestehenden Sachleistungsansprüche des Versicherten bleiben davon unberührt.

Letztlich kann der Senat unbeantwortet lassen, ob der vom BSG entwickelte Einwand des Zurücktretens der Behandlungspflege hinter die Grundpflege den Sachleistungsanspruch des Versicherten zum Erlöschen bringen kann. Denn auch das BSG hat ausgeführt, dass bei der Grundpflege die Behandlungspflege nur grundsätzlich in den Hintergrund trete (BSG SozR 4-2500 § 37 Nr 6). Gedacht ist dabei offenbar an Fälle der parallelen Leistungserbringung, vorliegend (wie auch im Falle von BSGE 83, 254ff = SozR 3-2500 § 37 Nr 1) etwa an die Fallgestaltung, dass bei der Erbringung von Leistungen der Grundpflege gleichzeitig auch weiter die Atmung überwacht werden und ggf. eingegriffen werden kann. Eine solche Parallelität liegt häufig nicht vor bei Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung wie Waschen oder Einkaufen, die grundsätzlich nicht am Krankenbett erbracht werden. Würden solche Leistungen vom Kläger beim ambulanten Pflegedienst abgerufen, läge nahe, dass eine zweite Pflegekraft benötigt würde, also der tägliche Gesamtpflegebedarf über 24 Stunden hinaus ginge.

Der Einwand kommt hier aber schon deshalb nicht zum Tragen, weil der Kläger entschieden hat, die Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung nicht vom Pflegedienst erbringen zu lassen (und sie dann ggf. wegen Überschreitung der Höchstbeträge selbst zu finanzieren), sondern diese Leistungen (kostensparend) von der den Haushalt ohnehin versorgenden Ehefrau erbringen lässt, die auch geeignet und in der Lage ist, die hauswirtschaftliche Versorgung sicher zu stellen. Damit hat der Kläger insoweit sein in §§ 36-38 SGB XI angelegtes Wahlrecht zwischen Sach- und Geldleistung oder einer Kombination von beidem ausgeübt. Dieses Wahlrecht trägt dem Gedanken der Eigenverantwortlichkeit und der Selbstbestimmung des Pflegebedürftigen Rechnung (Dalichau/Grüner/Müller-Alten. Pflegeversicherung. Kommentar. Stand 1.12.2006, § 37 II1; § 38 I1; Linke in: Krauskopf. Soziale [ ...] Pflegeversicherung. Stand Mai 2006, § 37 Rdnr 2). Er soll seine Pflege selbst gestalten können (Rehberg in: Hauck/Wilde. SGB XI. Kommentar. Stand Mai 2006, § 37 Rdnr 1, § 38 Rdnr 1). Dieses Recht des Pflegebedürftigen ist ein originäres, dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (vgl Art 2 Abs 1 Grundgesetz) entstammendes Recht, das in §§ 36-38 SGB XI näher ausgestaltet wird. Seine Inanspruchnahme hängt damit nicht etwa davon ab, dass ein (Rest-) Anspruch auf Pflegegeld verbleibt. Das ist nur eine mögliche Folge der Wahl. Eine weitere Folge kann - wie hier - sein, bei weitgehender Inanspruchnahme der Sachleistungen nach §§ 36 Abs 3 und 4 SGB XI eigene Kosten für selbst beschaffte Pflegeleistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung zu vermeiden. Als Folge der Entscheidung des Klägers, für die hauswirtschaftliche Versorgung nicht den Pflegedienst in Anspruch zu nehmen, tritt jedenfalls für diese eine Stunde die Behandlungspflege nicht zurück, sondern ist nebenher weiter von einer Pflegefachkraft zu erbringen (vgl auch SG Bayreuth, Beschluss vom 9.3.2005, Az S 9 KR 62/05 ER).

Bei diesem Ergebnis kann offen bleiben, ob der Anspruch für die Zeit vom 1.1.2005 bis zur Bekanntgabe des Bescheids vom 3.1.2005 außerdem aus V Nr 23 HKP-RL folgt.

Gegen die Höhe der Forderung bestehen nach Lage der Akten keine Bedenken; sie ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Der in Rechnung gestellte Stundensatz von EUR 28 entspricht offenbar dem von der Beklagten dem Pflegedienst für seine Leistungen geschuldeten. Ob dem Kläger weiter gehende Ansprüche zustehen, hat der Senat nicht zu entscheiden. Er ist an den gestellten Antrag gebunden, §§ 202 SGG, 308 Zivilprozessordnung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG; der Senat hält die vollständige Kostenerstattung durch die Beklagte trotz der teilweisen Zurücknahme der Klage für billig, weil der geltend gemachten Anspruch dem Grunde nach besteht.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs 2 SGG. Die Entscheidung steht in ihren tragenden Gründe mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Einklang.
Rechtskraft
Aus
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