S 19 AS 364/05

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Leipzig (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 19 AS 364/05
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit eines Leistungsberechtigten nach dem SGB II bestimmt sich im Rahmen des § 48 SGB I u.a. nach dem Geldwert des Einzelanspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Bei dieser Feststellung sind unterstellte Einnahmen aufgrund eines fiktiven Anspruchs ohne Berücksichtigung tatsächlich zur Bedarfsgemeinschaft gehörender Personen und deren Einkommens nicht einzubeziehen.
I. Die Entscheidungen der Beklagten vom 10. März 2005 über die Auszahlung von monatlich 165,59 EUR ab dem 1. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbeschei-des vom 20. Mai 2005 in der Fassung der Entscheidungen vom 13. November 2006 über die Beendigung dieser Auszahlungen mit Ablauf des 30. April 2006 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten zu er-statten.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Auszahlung bei Verletzung der Un-terhaltspflicht (Abzweigung) durch die Beklagte an den Beigeladenen.

Der 1976 geborene Kläger ist Vater des 1990 geborenen Beigeladenen. Mit dessen Mutter war der Kläger bis 1995 verheiratet. Der Beigeladene lebt bei seiner Mutter in Baden-Württemberg.

Der Kläger ist seit 2000 wieder verheiratet. Er lebt mit Ehefrau und deren im Mai 1988 geborener Tochter in Sachsen.

Vom 1. Januar 2005 bis 30. April 2006 erhielt der Kläger für sich und die mit ihm in Be-darfsgemeinschaft lebenden Personen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II). In diesen Zeiten war die Ehefrau des Klä-gers sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Deren Tochter erhielt Ausbildungsvergütung und Unterhalt von ihrem Vater. Nach den Entscheidungen der Beklagten über die Bewilli-gung der o.g. Leistungen gehörte die Ehefrau und deren Tochter zur Bedarfsgemeinschaft des Klägers. Wegen der Einzelheiten wird auf die Bescheide vom 7. Februar 2005 in der Fassung der Bescheide vom 10. März 2005 und 12. Mai 2005 (Januar bis April 2005: 724,45 EUR monatlich, Mai 2005: 557,96 EUR), 12. Mai 2005 (Juni bis November 2005: 547,41 EUR monatlich) und 27. Dezember 2005 (Dezember 2005: 560,98 EUR, Januar bis April 2006: 453,98 EUR monatlich) verwiesen.

Für den Beigeladenen bestand von September 1999 bis Juli 2006 eine Beistandschaft durch das ... (Jugendamt).

Am 7. Januar 2005 beantragte das Jugendamt bei der Beklagten, einen "angemessenen Betrag von den dortigen Leistungen abzuzweigen und zu Gunsten des unterhaltsberechtig-ten" Beigeladenen zu überweisen. Der monatliche Unterhalt betrage 284 EUR. Mit Schreiben vom 31. Januar 2005 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie beabsichtige 284 EUR monatlich an den Beigeladenen auszuzahlen. Der Kläger erhalte Gelegenheit zur Äußerung. "Gegen diesen Bescheid" könne er Widerspruch erheben. Am 16. Februar 2005 teilte der Kläger mit, zuletzt sei nur der über seinen Selbstbehalt liegende Betrag abgezogen worden. Nun-mehr könne nichts anderes gelten.

Mit Bescheid vom 10. März 2005 an das Jugendamt setzte die Beklagte den ab dem 1. Ap-ril 2005 an den Beigeladenen zu zahlenden Betrag auf 165,59 EUR monatlich fest. Der Kläger erhielt eine Mehrfertigung hiervon mit Schreiben vom selben Tag.

Dagegen erhob der Kläger am 17. März 2005 Widerspruch. Die Auszahlung sei rechtswid-rig. Die Leistungen der Beklagten seien für drei Personen und nicht nur ihn bestimmt. Die Regelleistung, die Leistungen für Mehrbedarfe sowie Unterkunft und Heizung seien kein Einkommen im unterhaltsrechtlichen Sinne.

Im Widerspruchsverfahren legte das Jugendamt auf Nachfrage der Beklagten einen Be-schluß des Amtsgerichts ... - Familiengericht vom 8. August 2001 über den vom Kläger an den Beigeladenen ab Januar 2001 zu zahlenden Unterhalt und eine eigene Verfügung vom 18. März 2005 über die "Ausschöpfung" dieses Beschlusses ab Januar 2005 (monatlich 165,59 EUR) vor. Auf den Inhalt dieser Unterlagen wird verwiesen (Blatt 66ff der Verwal-tungsakte).

Mit Bescheid vom 20. Mai 2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Beschluss vom 8. August 2001 in der Fassung der Verfügung vom 18. März 2005 sei für sie verbind-lich. Damit sei der dem Kläger verbleibende Selbstbehalt unter Berücksichtigung der ab Januar 2005 bestehenden Einkommensverhältnisse festgelegt worden. Die Bindungswir-kung entfalle im Rahmen einer Ermessensentscheidung nur bei Änderung der Einkom-mensverhältnisse von wenigstens 10 %. Daran fehle es.

Dagegen richtet sich die Klage vom 20. Juni 2005.

Mit Schreiben vom 13. November 2006 teilte die Beklagte dem Jugendamt mit, die Zah-lung sei mit Ablauf des 30. April 2006 eingestellt worden. Der Kläger erhielt eine Mehrfer-tigung hiervon mit Schreiben vom selben Tag. Mit Bescheid vom 16. November 2006 an das Jugendamt hob die Beklagte "die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ... mit Wirkung zum 1.5.06" auf.

Die Beiladung erfolgte mit Beschluss vom 14. Februar 2007.

Der Kläger trägt vor, 2004 habe er monatlich 284 EUR an den Beigeladenen als Unterhalt ge-zahlt. Von Januar bis März 2005 seien keine Zahlungen erfolgt. Seit Mai 2006 sei er wie-der beschäftigt und zahle 165 EUR. Des weiteren ist er der Auffassung, von den Leistungen der Beklagten habe ihm nur ein Betrag in Höhe von 541,23 EUR zugestanden. Dieser Betrag liege unter seinem Selbstbehalt. Den auszuzahlenden Betrag habe die Beklagte in eigener Zuständigkeit zu ermitteln.

Der Kläger stellt den Antrag aus dem Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 20. Juni 2005 (Blatt 3f der Gerichtsakte).

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Abzweigung sei von April 2005 bis April 2006 in Höhe von insgesamt 2.152,22 EUR er-folgt. Der Unterhaltstitel sei für sie verbindlich. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klä-gers seien berücksichtigt worden. Dies ergebe sich aus der Festsetzung von 165,59 EUR statt der beabsichtigten 284 EUR monatlich.

II. Die zulässige Klage ist begründet. Die Bescheide vom 10. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2005 sind rechtswidrig und aufzuheben.

1. Das Jugendamt vertrat im streitgegenständlichen Zeitraum den Beigeladenen als Bei-stand, vgl. § 55 Abs. 1, 2 Satz 1 und 3 SGB Achtes Buch in Verbindung mit (iVm) § 1712 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Die Vertretung durch dessen sorgeberechtigten Elternteil (Mutter) ist ausgeschlossen, vgl. § 71 Abs. 6 Sozialgerichtsge-setz (SGG) iVm § 53a Zivilprozeßordnung. Dies gilt entsprechend für die Zeit nach Been-digung dieser Beistandschaft. Denn seit dem ist o.g. Rechtsanwalt Beistand des Beigelade-nen.

2. Gegenstand des Verfahrens im Sinne des § 95 SGG sind die Bescheide vom 10. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2005.

a) Das Schreiben vom 10. März 2005 an den Kläger ist ein (eigenständiger und belasten-der) Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 SGB Zehntes Buch (X). Denn darin teilte sie ihm eine einseitig getroffene Regelung mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen mit (" ... von den zustehenden Leistungen sind ab 01.04.05 monatlich 165,59 EUR ["EUR" hand-schriftlich zumindest in der Verwaltungsakte ergänzt] einzubehalten und an den o.g. An-tragsteller / die o.g. Antragstellerin auszuzahlen." Als Antragsteller wurde der Beigeladene benannt.

b) Der den Beigeladenen begünstigende Bescheid vom 10. März 2005 an das Jugendamt ist ebenso Gegenstand des Verfahrens. Dies ergibt sich tatsächlich aus der Beifügung als An-lage zum o.g. Schreiben. Nichts anderes gilt nach dem Gesetz. Denn eine sog. Abzwei-gungsentscheidung ist ein untrennbarer Verwaltungsakt mit Drittwirkung (teilweise auch Doppelwirkung genannt), vgl. allgemein zur Unterscheidung zB Engelmann in: von Wulf-fen, SGB X, Kommentar, 5. Auflage 2005, § 31 Rn 46f und Wiesner, aaO, § 44 Rn 7 so-wie konkret (unter abweichender Fachsprache) Seewald in: Kasseler Kommentar Sozial-versicherungsrecht, Band 1, Stand November 2006, § 48 Rn 24. Die technisch bedingt ge-wesene Aufspaltung (formentsprechender Bescheid einerseits und formloses Schreiben andererseits) ändert daran nichts.

c) Der sog. Änderungsbescheid vom 10. März 2005 (Blatt 77 der Verwaltungsakte) ist e-benso Gegenstand des Verfahrens. Er enthält allerdings keine eigenständige Regelungen. Hinsichtlich des Bewilligungsbescheides vom 7. Februar 2005 für Januar bis Mai 2005 wiederholt er dessen Regelungsgehalt. Die mitgeteilten Änderungen ("Abzweigung an das Jugendamt ...") geben nur den Inhalt (genauer: das Ergebnis) der unter 1. a) und b) genann-ten Entscheidungen wieder, ohne die Bewilligung zu ändern. Hierfür wäre die Änderung des Zahlbetrages ("Höhe der monatlich zustehenden Leistungen") erforderlich gewesen. Angesichts dessen sind Erörterungen über dessen Wirksamkeit wegen evtl. Fehlens einer Bekanntgabe (§ 39 Abs. 1 SGB X) entbehrlich.

3. Gültige gesetzliche Ermächtigung für die Abzweigungsentscheidung der Beklagten ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB Erstes Buch (I). Danach können laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, in angemessener Höhe an den Ehegatten oder die Kinder des Leistungsberechtigten ausgezahlt werden, wenn er ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt.

a) Die o.g. Entscheidungen sind bestimmt genug (§ 33 Abs. 1 SGB X) und entsprechen (abgesehen von der technisch bedingten Trennung) den formellen Anforderungen nach § 33 Abs. 2ff SGB X. Die fehlende Rechtsbehelfsbelehrung im Schreiben vom 10. März 2005 steht der Wirksamkeit dieses Verwaltungsaktes nicht entgegen. Weitere Erörterungen hierzu sind nicht entscheidungserheblich. Nichts anderes gilt für die Rechtsbehelfsbeleh-rung im Anhörungsschreiben vom 31. Januar 2005. Hierfür gab und gibt es keinen Rechts-grund. Von einer Aufhebung wurde abgesehen.

b) Die (Tatbestands-) Voraussetzungen der o.g. gesetzlichen Ermächtigung für einen Ein-griff der Beklagte in Rechte des Klägers sind nicht gegeben. Denn der Kläger verletzte seine gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber dem Beigeladenen nicht.

Die von der Beklagten von Januar (April) 2005 bis April 2006 erbrachten Leistungen wa-ren laufende Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB I, vgl. §§ 11 Satz 1, 19a Nr. 2 SGB I, 1 Abs. 2 Nr. 2, 4 Abs. 1 Nr. 2, 19ff SGB II.

Nach § 1601 BGB sind Verwandte in gerader Linie verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. Unterhaltsberechtigt ist gemäß § 1602 Abs. 1 BGB nur, wer außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (Bedürftigkeit). Für minderjährige Kinder gilt weiterhin § 1602 Abs. 2 BGB. Unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Ver-pflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unter-halt zu gewähren, vgl. § 1603 Abs. 1 BGB (Leistungsfähigkeit). Befinden sich Eltern in dieser Lage, so sind sie ihren minderjährigen unverheirateten Kindern gegenüber verpflich-tet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden (§ 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB). Diese Verpflichtung tritt nicht ein, wenn ein anderer unter-haltspflichtiger Verwandter vorhanden ist; sie tritt auch nicht ein gegenüber einem Kind, dessen Unterhalt aus dem Stamm seines Vermögens bestritten werden kann (§ 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB).

Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit müssen zeitgleich zusammenfallen. Nur wenn und solange während der Zeit des Unterhaltsbedarfs der Unterhaltspflichtige leistungsfähig ist, entsteht ein Unterhaltsanspruch. Für die Dauer der Leistungsunfähigkeit kann somit kein Unterhaltsanspruch entstehen. Vgl. zum Vorstehenden zB Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Urteil vom 7. Juni 2005 - 1 BvR 1508/96 (Rn 2, 41).

§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB I setzt die Verletzung einer konkreten Pflicht zur Unterhaltszah-lung voraus. Eine lediglich abstrakte, nur an das Bestehen der Ehe oder an das Verwandt-schaftsverhältnis anknüpfende Unterhaltsverpflichtung genügt nicht. (Auch) Diese (Tatbe-stands-) Voraussetzung ist vom Leistungsträger (§ 12 Satz 1 SGB I) festzustellen und vom Gericht uneingeschränkt nachprüfbar. Vgl. zum Vorstehenden zB Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 7. Oktober 2004 - B 11 AL 13/04 R mwN (Rn 18).

Der Beigeladene war zwar in den streitigen Zeiten bedürftig im Sinne des § 1602 BGB. Dies ergibt sich aus dem o.g. Beschluss vom 8. August 2001. Die Art der Unterhaltsgewäh-rung bestimmt sich nach § 1612a BGB. Beim Kläger bestand jedoch trotz der ("gesteiger-ten") Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB keine Leistungsfähigkeit. Denn auch insoweit ist die unterhaltsrechtliche Grenze ein bestimmter Selbstbehalt, vgl. hierzu BSG, aaO, Rn 17 und Urteil vom 29. August 2002 - B 11 AL 95/01 R (Rn 14ff).

Dieser notwendige Selbstbehalt des Klägers kann als "unterste Grenze der Inanspruchnah-me" aufgrund der unterschiedlichen Wohnsitze des Beigeladenen und Klägers (sog. Ost - West - Fall) in Anlehnung an die sog. Unterhaltsleitlinien des Oberlandesgerichts (OLG) Dresden bestimmt werden. Danach galt bis Juni 2005 für Nichterwerbstätige grundsätzlich ein notwendiger Selbstbehalt von 650 EUR monatlich. Seit Juli 2005 beträgt dieser Selbstbe-halt 710 EUR monatlich. Auf die Ziffern 21.2 und 25 der o.g. Leitlinien wird verwiesen.

Die "verfügbaren Mittel" (§ 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB) des Klägers überschritten in den streitigen Zeiten diesen Selbstbehalt nicht. Nichts anderes gilt bei Anpassung (Reduzie-rung) des Selbstbehaltes.

Tatsächliche Anhaltspunkte für die Berücksichtigung unterstellter (fiktiver) Einnahmen aufgrund einer Verletzung der gesteigerten Erwerbsobliegenheit (vgl. hierzu zB BVerfG, Beschluss vom 14. Dezember 2006 - 1 BvR 2236/06 - Rn 13 unter Verweis auf den Be-schluß vom 29. Dezember 2005 - 1 BvR 2076/03 sowie OLG Brandenburg, Urteil vom 17. März 2005 - 9 UF 148/04) bestehen nicht. Dies ergibt sich zB aus der Erklärung der Be-klagten vom 7. April 2005 an das Jugendamt (Blatt 110 der Verwaltungsakte). Somit be-darf es keiner Entscheidung, ob eine danach angenommene Leistungsfähigkeit im Rahmen des § 48 SGB I zu berücksichtigen ist, vgl. hierzu zB Klinkhammer, Änderungen im Un-terhaltsrecht nach "Hartz IV", FamRZ 2004, 1909, 1913 (unter C., I.).

Die Beklagte hat den auszuzahlenden Betrag von 165,59 EUR unter Berücksichtigung anderer, aber dennoch fiktiver Einnahmen des Klägers bestimmt. Denn er würde "ohne Anrechnung der Ehefrau bzw. des Kindes erhalten": 298 EUR "Regelentgelt" + 184,59 EUR "Miete (1/3)" + 358 EUR "Alg II Zuschlag" = 840,59 EUR, abzüglich 675 EUR Selbstbehalt = 165,59 EUR Abzwei-gungsbetrag (Blatt 50 der Verwaltungsakte). Das Jugendamt ist dem mit Verfügung vom 18. März 2005 gefolgt.

Dies ist mit dem geltenden Recht nicht vereinbar. Denn der Kläger hatte in den o.g. Zeiten keinen derartigen Leistungsanspruch. Dies ergibt sich selbst aus den o.g. und für den Klä-ger und die Beklagte bindenden (§ 77 SGG) Bewilligungsbescheiden der Beklagten.

Eine andere Auffassung hierzu würde eine tatsächliche Unterhaltsverpflichtung der Ehe-frau des Klägers für den Beigeladenen begründen. Denn deren Einkommen ist bei der Er-mittlung der Hilfebedürftigkeit des Klägers zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Dadurch vermindern sich die Geldleistungen nach § 19ff SGB II, vgl. hierzu § 19 Satz 3 SGB II (seit dem 1. August 2006: Satz 2). Da der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft nicht gedeckt war, wurde auch die Ehefrau nach § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II hilfebedürftig im Sinne des SGB II. Das Einkommen der Ehefrau sicherte nicht nur (teilweise) den eigenen, sondern auch den Lebensunterhalt des Klägers. Die Heranziehung fiktiver Einnahmen auf-grund vermeintlicher Leistungsansprüche des Klägers negiert die Ermittlung dessen Hilfe-bedürftigkeit nach dem SGB II und würde zur (teilweisen) Erfüllung des Unterhaltsanspru-ches des Beigeladenen durch das Einkommen der Ehefrau des Klägers führen. Hierfür gibt es im geltenden Recht keine gesetzliche Grundlage.

Für April 2005 wurden für den Kläger und die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen (Ehefrau und deren Tochter) insgesamt 724,45 EUR bewilligt (Bescheid vom 7. Feb-ruar 2005). Dieser Gesamtbetrag ist ebenso nicht maßgebend für die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit des Klägers.

Denn nach einhelliger Auffassung ergibt sich aus dem SGB II kein Anspruch einer nicht rechtsfähigen Bedarfsgemeinschaft, sondern bestehen unter den normierten Voraussetzun-gen Ansprüche der einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, vgl. zB BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R (Rn 12). Dieser "Einzelanspruchscharakter" gilt auch für die Feststellung der Leistungsfähigkeit im o.g. Sinne, ebenso zB Deutsches Insti-tut für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF) e.V., Stellungnahme der Ständigen Fachkon-ferenz 3 "Familienrecht und Beistandschaft, Amtsvormundschaft" vom 30. Juli 2004 - Verwerfungen zwischen Unterhaltsrecht und SGB II (Grundsicherung für Arbeitssuchen-de) [Fehler im Original], Seite 3 (unter II.) sowie Klinkhammer, aaO, 1910 (unter B., I., 2.).

Die Höhe (der Geldwert) der einzelnen Ansprüche auf Leistungen zur Sicherung des Le-bensunterhalts ergibt sich mit der gebotenen Bestimmtheit für April 2005 aus der Anlage zum Bescheid vom 7. Februar 2005 (Berechnungsbogen). Danach hatte der Kläger An-spruch auf 541,23 EUR (183,23 EUR als Leistungen für Unterkunft und Heizung + 358 EUR befriste-ter Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld) und dessen Ehefrau auf 183,22 EUR (als Leis-tungen für Unterkunft und Heizung). Für deren Tochter ergab sich danach kein eigener Leistungsanspruch.

Mit dem Betrag von 541,23 EUR überschritt der Kläger den Wert des o.g. Selbstbehaltes nicht, auch nicht vor Juli 2005. Dies gilt selbst dann, wenn der Leistungsanspruch des Klägers und o.g. Selbstbehalt jeweils um die Kosten für Unterkunft und Heizung reduziert werden. Hierfür könnte sprechen, daß im bis Juni 2005 geltenden Selbstbehalt 265 EUR für derartige Leistungen vorgesehen waren (Ziffer 21.2 der o.g. Unterhaltsleitlinie) und die tatsächli-chen Aufwendungen des Klägers insoweit nur 184,59 EUR (grds. sog. Aufteilung nach "Kopf-zahl", vgl. zB BSG, Urteil vom 23. November 2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn 28) betragen haben. Danach würde für April 2005 der Selbstbehalt 385 EUR und Leistungsanspruch des Klägers 358 EUR betragen. Eine entsprechende Berechnung bevorzugt wohl zB Streicher, Die Bedeutung des Arbeitslosengelds II für die Berechnung von Kindesunterhaltsansprüchen, FPR, 2005,438, 441 (unter III., 3. Beispiel, insb. Text unter Fn 29).

Eine (weitere) Reduzierung des Selbstbehaltes scheidet nach Auffassung der Kammer aus. Denn die Höhe der Regelleistung hat für den Kläger und dessen Ehefrau jeweils nur 90 vom Hundert (§ 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II in der bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassung) betragen. Die "Kostenersparnis bei gemeinschaftlicher Haushaltsführung" ist somit bereits berücksichtigt, vgl. hierzu Ziffer 21.5.1 der o.g. Unterhaltsleitlinien.

Nichts anderes gilt für die darin weiterhin benannte Möglichkeit, den Selbstbehalt zu un-terschreiten, "wenn der eigene Unterhalt des Pflichtigen ganz oder teilweise durch seinen Ehegatten gedeckt ist". Denn dann wäre bei der erwerbstätigen Ehefrau ein Freibetrag von 530 EUR (ab Juli 2005: 600 EUR) zu berücksichtigen (gewesen), vgl. Ziffer 22.1, aaO. Das SGB II weicht hiervon ab. Danach ermittelte die Beklagte für die Ehefrau des Klägers für April 2005 einen Freibetrag bei Erwerbstätigkeit nach § 30 SGB II in Höhe von 153,78 EUR und berücksichtigte nach § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II deren Einkommen in Höhe von 299,36 EUR beim Kläger. Unter Berücksichtigung des o.g. unterhaltsrechtlichen Freibetrages könnten diese 299,36 EUR nicht berücksichtigt werden und war der Unterhalt des Klägers durch das Arbeitsentgelt seiner Ehefrau nicht gedeckt.

Somit bestand im April 2005 keine Leistungsfähigkeit des Klägers. Für die übrigen Mona-te (Mai 2005 bis April 2006) gilt nichts anderes. Denn der jeweilige Leistungsanspruch des Klägers verringerte und Selbstbehalt erhöhte sich.

Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob und wenn, inwieweit bestimmte Leistungen nach dem SGB II, hier zur Sicherung des Lebensunterhalts und insbesondere nach § 24 SGB II, als unterhaltsrechtliches Einkommen zu berücksichtigen sind. Auf die Ausführungen in der Literatur wird hierzu verwiesen, vgl. zB Brudermüller in: Palandt, BGB, Kommentar, 66. Auflage 2007, § 1361 Rn 24 und Diederichsen, ebd., Einf. vor § 1601 Rn 42; DIJuF, aaO, 2f (unter II.); Gerhardt, Die neuen Süddeutschen Leitlinien (SüdL), Stand 1.7.2005, NJW-Spezial 2005, 295, 296; Klinkhammer, aaO, 1913f (unter C. I., 1.ff) sowie Schmidt, SGB II - Überblick und Auswirkungen auf das Unterhaltsrecht, FuR 2005, 290, 295f (unter III. 1.); Streicher, aaO, 440f (unter III., 3.).

Kein anderes Ergebnis ergibt sich schließlich unter Würdigung der Rechtswidrigkeit der o.g. Bewilligungsbescheide. Die (damals minderjährige) Tochter der Ehefrau gehörte zwar kraft Gesetzes nicht zur Bedarfsgemeinschaft des Klägers. Denn ihr Lebensunterhalt war durch eigenes Einkommen (Ausbildungsvergütung, Kindergeld und Unterhalt) gesichert, vgl. hierzu insb. §§ 7 Abs. 3 Nr. 4, 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II (jeweils in der bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassung). Die jeweiligen Leistungsansprüche der verbleibenden Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (Kläger und Ehefrau) veränderten sich jedoch nicht entschei-dungserheblich. Daher wird von weiteren Ausführungen (Berechnungen) hierzu abgese-hen.

Die (Tatbestands-) Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 Satz 1 SGB I sind somit nicht gegeben. Daher scheidet eine (erneute) Ermessensentscheidung der Beklagten über den Antrag des Jugendamtes aus, vgl. zur Ermessensentscheidung zB BSG, Urteil vom 7. Ok-tober 2004, aaO (Rn 18) und 29. August 2002, aaO (Rn 18) sowie Landessozialgericht Mecklenburg - Vorpommern, Beschluss vom 27. September 2005 - L 2 B 71/03, jeweils mwN.

Durch Aufhebung der Bescheide vom 10. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 20. Mai 2005 erledigen sich die Aufhebungsentscheidungen vom 13. No-vember 2006 auf andere Weise (§ 39 Abs. 2 SGB X). Dies wurde deklaratorisch klarge-stellt. Die unterbliebene Aufnahme des (sprachlich teilweise unzutreffenden) Bescheides vom 16. November 2006 schadet folglich nicht.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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