S 83 KA 53/07 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
83
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 83 KA 53/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese jeweils selbst tragen. Der Wert des Streitgegenstands wird auf 2,5 Millionen Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über den Ausschluss des von der Antragstellerin hergestellten und in Deutschland vertriebenen Medikaments ACOMPLIA® mit dem Wirkstoff Rimonabant von der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Der Unterausschuss "Arzneimittel" des Antragsgegners beriet in seinen Sitzungen am 6. Juli 2006 und 5. Oktober 2006 die Ergänzung Anlage 8 der Richtlinien über die Versorgung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinien /AMR) um den Wirkstoff Rimonabant sowie das Fertigarzneimittel ACOMPLIA®, das diesen Wirkstoff als arzneilich wirksamen Bestandteil enthält. In seiner Sitzung am 18. Juli 2006 beschloss der Antragsgegner die Einleitung eines entsprechenden Stellungnahmeverfahrens. Am 23. August 2006 nahm der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller e.V. (VFA), am 24. August 2006 die Charité, die Deutsche Adipositas-Gesellschaft und die Gesellschaft für Phytotherapie Stellung. In seiner Sitzung am 17. Oktober 2006 beschloss der Antragsgegner, die AMR wie folgt zu ändern:

"I. Die Übersicht in der Anlage 8 über die nach Nummer 18 der Arzneimittel-Richtlinie ausgeschlossenen Fertigarzneimittel wird in der Tabelle "Abmagerungsmittel (zentral wirkend)" um den Wirkstoff "Rimonabant" sowie das Fertigarzneimittel "ACOMPLIA" ergänzt.

II. Die Änderungen treten am Tage nach ihrer Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft."

Nachdem die Beigeladene zu 10) den Beschluss nicht beanstandete, wurde er im Bundesanzeiger Nr. 8 vom 12. Januar 2007 (S. 400) veröffentlicht.

Mit am 5. Februar 2007 eingegangener Klageschrift hat die Antragstellerin gegen den Beschluss Klage erhoben. Zugleich hat sie den vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Die Antragstellerin ist der Meinung, dass die Kostenerstattung für das Präparat nach § 27 Abs. 1 SGB V zur Behandlung von krankhaftem Übergewicht aufgrund der Vorschrift des § 34 Abs. 1 S. 7-9 SGB V offensichtlich nicht versagt werden könne. Dies ergebe sich aus Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Normzweck der Vorschriften sowie ihrer verfassungskonformen Auslegung, nach der ein Ausschluss der Erstattung als unverhältnismäßig angesehen werden müsste. Auch liege in dem Ausschluss eine rechtswidrige Gleichbehandlung mit anderen, gänzlich anders wirkenden Präparaten. Das Beschlussverfahren des Antragsgegners sei ferner wegen gravierender Verfahrensfehler wie Vorabfestlegung in Bezug auf den Verfahrensausgang und Einschränkung des Stellungnahme- und Überprüfungsverfahrens als rechtsfehlerhaft anzusehen.

Die Antragstellerin beantragt, den Beschluss des Antragsgegners vom 17. Oktober 2006, veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 8 (S. 400) vom 12.01.2007 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die gleichzeitig mit dem Antrag in der Hauptsache eingereichte Feststellungsklage einstweilen auszusetzen und den Antragsgegner zu verpflichten, diese Aussetzung im Bundesanzeiger zu veröffentlichen.

Der Antragsgegner beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Er hält weder einen Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit noch einen Anordnungsanspruch im Sinne eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für gegeben. Die Tatsachen, auf welche Anordnungsgrund und -anspruch gestützt würden, habe die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht.

Die Beigeladenen, soweit sie sich geäußert haben, pflichten dem Antragsgegner bei. Der Beigeladene zu 2) vertritt insbesondere die Auffassung, dass der angegriffene Beschluss keinen regelnden Charakter habe, sondern nur deklaratorisch wiederhole, was gesetzlich unmittelbar angeordnet sei. Anträge haben die Beigeladenen nicht gestellt. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, insbesondere auf die Schriftsätze der Antragstellerin vom 2. Februar und 19. April 2007 und des Antragsgegners vom 16. März 2007 verwiesen.

II.

Der zulässige Antrag ist nicht begründet. Ein Anordnungsanspruch der Antragstellerin ist nicht erkennbar.

1. Soweit der Beigeladene zu 2) die Zulässigkeit des Antrags mangels Antragsbefugnis und Statthaftigkeit des Antrags anzweifelt, ist dem nicht zu folgen. Die Antragstellerin als pharmazeutisches Unternehmen kann geltend machen, durch den angegriffenen Beschluss, der das von ihr hergestellte und vertriebene Präparat betrifft, in ihrem Grundrecht auf Berufsausübungsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG betroffen zu sein (vgl. nur BSG, Urteil v. 31. Mai 2006, -B 6 KA 13/05 R-, "Clopidogrel", zit. n. juris, Rn. 30 zu in den AMR veröffentlichten Therapiehinweisen). Unerheblich ist, ob es vorliegend um die Folgenbeseitigung eines gesetzlichen Verbots geht, wie der Beigeladene zu 2) meint. Denn welche Wirkung dem Beschluss beizumessen ist und ob das streitgegenständliche Präparat der gesetzlichen Regelung unterfällt, ist eine Frage des Anordnungsanspruchs, mithin der Begründetheit des Antrags. Dies gilt ebenso für die Frage, ob die Antragstellerin vorläufigen Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann, weil dies eine Frage des Anordnungsgrundes ist.

Statthafte Antragsart ist der gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG, weil es sich in der Hauptsache nicht um eine Anfechtungsklage – mit der Folge eines statthaften Antrags nach § 86b Abs. 1 SGG – handelt, sondern um eine Feststellungsklage (vgl. BSG a.a.O., Rn. 27). Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG – sog. Regelungsanordnung – kann das Gericht der Hauptsache zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Ein Anordnungsanspruch – die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist – sowie der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit der begehrten sofortigen Regelung – sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

2. Es besteht bereits kein Anordnungsanspruch. Dieser setzte voraus, dass die Antragstellerin ihre Rechtsposition im Hauptsacheverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit durchsetzen können wird, also den begehrten Feststellungsanspruch hat. Dazu müsste sich der angegriffene Beschluss des Beklagten als rechtswidrig erweisen, was nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung nicht der Fall ist. Der Antragsgegner hat den Beschluss in verfahrens- und materiell-rechtlich nicht zu beanstandender Weise verabschiedet. Die Einwände der Antragstellerin verfangen nicht.

a) In formeller Hinsicht ist eine rechtswidrige Vorabfestlegung des Antragsgegners nicht erkennbar, ebenso wenig eine unzureichende Auseinandersetzung mit den im Verwaltungsverfahren vorgebrachten Argumenten des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (VFA). Gem. § 92 Abs. 3a SGB V ist vor der Entscheidung über die Richtlinien zur Verordnung von Arzneimitteln nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V den für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Unternehmer und der Apotheker sowie den maßgeblichen Dachverbänden der Ärztegesellschaften der besonderen Therapieeinrichtungen auf Bundesebene Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben; die Stellungnahmen sind in die Entscheidung einzubeziehen. Das in dieser Vorschrift beschriebene Verfahren setzt denknotwendig voraus, dass der Antragsgegner nach einer Vorprüfung den entsprechenden Beschluss zu treffen gewillt ist. Mit anderen Worten kann ein Anhörungsverfahren gerade erst dann eingeleitet werden, wenn der Antragsgegner nach den ihm zur Verfügung stehenden Wissen und Informationen der Überzeugung ist, den Beschluss fassen zu können und zu wollen. In diesem Sinne ist eine Vorabfestlegung für die Einleitung des Anhörungsverfahrens sogar erforderlich. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Stellungnahmen und vorgebrachten Argumente der nach § 92 Abs. 3a SGB V Stellungnahmeberechtigten die abschließende Entscheidungsfindung nicht mehr beeinflussen könnten. Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass sich der Antragsgegner nicht mit den auf seine Anhörung hin erfolgten Stellungnahmen auseinandergesetzt hätte. Im Gegenteil hat er ausweislich der Tragenden Gründe alle eingegangenen Stellungnahmen, insbesondere die des VFA, Punkt für Punkt ausgewertet und beurteilt. Er hat auch das darin enthaltene Rechtsgutachten zur Kenntnis genommen. Auch aus Punkt 2 der Erläuterung zur streitgegenständlichen Änderung der Arzneimittelrichtlinie lässt sich eine Vorabfestlegung nicht erkennen. Vielmehr wird darin nur das Ergebnis der vorgenommenen Bewertung und Einschätzung mitgeteilt. Dass die Tragenden Gründe erst nach Bekanntmachung des Beschlusses am 23. Februar 2007 veröffentlicht worden sind, berührt die (Verfahrens-)Rechte der Antragstellerin nicht. Sie stellen die Begründung des Beschlusses dar und können daher frühestens zeitgleich oder eben nachfolgend veröffentlicht werden. Vermeintliche Fehler des Überprüfungsverfahrens nach § 94 SGB V kann die Antragstellerin nicht rügen, da sie an dem Verfahren nicht zu beteiligen ist. Im Übrigen war es ihr möglich, in dem vorliegenden Rechtsschutzverfahren auf die Tragenden Gründe einzugehen. Schließlich ist nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X die Verletzung von Verfahrens- und Formfehlern unbeachtlich, wenn – wie hier – die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird.

b) Materiell-rechtliche Rechtsgrundlage für den angegriffenen Beschluss ist § 34 Abs. 1 S. 7-9 SGB V in der seit dem 1. Januar 2004 geltenden Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes. Danach sind von der Versorgung Arzneimittel ausgeschlossen, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht. Ausgeschlossen sind insbesondere Arzneimittel, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, der Anreizung sowie Steigerung der sexuellen Potenz, zur Raucherentwöhnung, zur Abmagerung oder zur Zügelung des Appetits, zur Regulierung des Körpergewichts oder zur Verbesserung des Haarwuchses dienen. Das Nähere regeln die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V (die AMR).

Zunächst ist festzustellen, dass der Gesetzgeber gem. § 34 Abs. 1 S. 9 SGB V dem Antragsgegner aufgegeben hat, die Abgrenzung zu Arzneimitteln, bei denen eine medizinisch notwendige diagnostische oder therapeutische Wirkung im Vordergrund steht, in den AMR zu regeln (vgl. Gesetzesbegründung in BT-Drucksache 15/1525, S. 87). Damit kommt dem angegriffenen Beschluss als Bestandteil der AMR, deren normative Eigenschaft in der Rechtsprechung des BSG geklärt ist (vgl. nur BSG a.a.O., Rn. 26 und 28), nicht nur deklaratorischer, sondern konstitutiver Charakter zu. Der Antragsgegner zeichnet mit dem Beschluss gerade nicht nur die bestehende Rechtslage nach, sondern bewirkt erstmals rechtsverbindlich den generellen Ausschluss von ACOMPLIA®/Rimonabant aus der Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist der Beschluss des Antragsgegners von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Rimonabant ist ein Arzneimittel bei dem im Sinne dieser Vorschrift die Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht. Zunächst ist das Präparat ACOMPLIA® als Arzneimittel im Sinne des § 2 AMG und damit auch im Sinne des SGB V einzustufen. Welche Art von Arzneimitteln den Tatbestand "bei dem die Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht" (sog. Life-Style-Arzneimittel) insbesondere erfüllen, hat der Gesetzgeber in § 34 Abs. 1 S. 8 SGB V selbst definiert. Danach ist ACOMPLIA®/Rimonabant als Arzneimittel zur Regulierung des Körpergewichts und zur Abmagerung und damit als Life-Style-Arzneimittel im Sinne der gesetzlichen Regelung anzusehen. Denn ausweislich seines durch die EMEA zugelassenen Anwendungsgebiets unter Bezugnahme auf Abschnitt 5.1 der Fachinformation wirkt es auf das Endocannabinoidsystem ein, das unter anderem das Körpergewicht steuert. Damit kommt ihm gewichtsregulierende Funktion zu. Die Antragstellerin weist stets selbst darauf hin, dass ihr Präparat (neben anderen Wirkungen) zur Behandlung der Adipositas und der Reduktion von Gewicht und Taillenumfang dient. Damit dient es zugleich der Abmagerung im Sinne des § 34 Abs. 1 S. 8 SGB V. Darauf, dass das Präparat aus Sicht der Antragstellerin diese Ziele aufgrund eines gänzlich neuen Wirkmechanismus’ zu erreichen sucht, kommt es nicht an. Denn der Gesetzgeber hat Life-Style-Arzneimittel nicht von der Art und Weise ihrer pharmakologisch-chemischen Einwirkung auf den Körper her, sondern ausgehend vom Ziel ihres Einsatzes (Therapieziel) definiert. Auch gibt es keinen Zweifel, dass die Gewichtsregulierung/Abmagerung bei der Anwendung von ACOMPLIA® überwiegt (vgl. § 34 Abs. 1 S. 8 SGB V). Zum einen ist das Arzneimittel allein zur Behandlung einer Adipositas zugelassen, die ausschließlich über den Body-Mass-Index, also über das Bestehen von überhöhtem Körpergewicht bezogen auf die Körpergröße, definiert ist. Eine gesonderte Zulassung für die Indikation zur Verbesserung des Lipid- und Glukosestoffwechsels oder ein ansonsten erweiterter Umfang der Indikation des Arzneimittels liegen dagegen nicht vor. Im Gegenteil sind die von der EMEA im Zulassungsverfahren zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 und zur Dyslipidämie durchgeführten Nutzen-Risiko-Bewertungen negativ ausgefallen, weshalb für diese Indikationen auch keine Zulassung erteilt worden ist.

An diesem Ergebnis ändert nichts, dass es sich bei der Adipositas um eine Krankheit im Sinne des § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V handelt (BSG, Urteil v. 19. Februar 2003, B 1 KR 1/02 R, BSGE 90,289), auf deren Behandlung Versicherte grundsätzlich einen Anspruch haben. Der grundsätzliche Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln gem. § 31 SGB V ist über § 34 SGB V bzw. die AMR eingeschränkt (§ 31 Abs. 1 S. 1 SGB V). Dass die Regelungen des § 34 Abs. 1 S. 7-9 SGB V neben dem Ausschluss von Mitteln zur Behandlung der erektilen Dysfunktion allein Arzneimittel i.S.d. § 2 AMG umfassen, die nicht der Behandlung einer Krankheit dienen, trifft entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht zu. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, wonach Life-Style-Arzneimittel solche sind, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht bzw. die überwiegend der Abmagerung oder Regulierung des Körpergewichts dienen. Dies braucht aber nicht alleiniger Zweck des Präparats zu sein. Auf nichts anderes lässt auch die Gesetzesbegründung schließen, nach der die Arzneimittel nicht bzw. nicht nur zur Behandlung von Krankheiten dienen, deren Behandlung medizinisch nicht notwendig ist (BT-Drucksache 15/1525, S. 86f.). Auch spricht die Gesetzessystematik dafür, dass aufgrund § 34 Abs. 1 S. 7-9 SGB V Arzneimittel zur Behandlung von Krankheiten ausgeschlossen sind: Schließlich umfasst der Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln, der durch die Vorschriften beschränkt wird, nur Fälle, in denen eine Krankheit zu behandeln ist (§ 31 i.V.m. § 27 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB V). Dass es sich bei § 34 Abs. 1 S. 7-9 SGB V außer für den Fall der ausdrücklich benannten erektilen Dysfunktion lediglich um eine klarstellende Regelung halten sollte, ist weder aus der Gesetzesgeschichte noch der -begründung und erst recht nicht aus ihrem Sinn und Zweck erkennbar. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit der Regelung gezielt die medikamentöse Behandlung von bestimmten Krankheiten ausschließen wollte (BSG, Urteil v. 18. Juli 2006, -B 1 KR 10/05 R-, zit. n. juris, Rn. 12). Dabei hält er die Adipositas nicht für behandlungsbedürftig mit Arzneimitteln, sondern zieht die notwendige Abmagerung durch andere Behandlungsmethoden – etwa Diät, Bewegungstraining – vor (vgl. BT-Drucksache 15/1525, S. 87 zur fehlenden Notwendigkeit einer Behandlung).

Der Ausschluss bestimmter Arzneimittel aus der Versorgung ist auch verfassungsgemäß, da aus Art. 2 Abs. 1 und 2 GG kein Anspruch auf Versorgung mit allen erdenklichen Leistungen und Medikamenten abgeleitet werden kann (vgl. z.B. BSG, a.a.O., Rn. 13 mit zahlreichen Hinweisen zur Rechtsprechung des BVerfG). Da selbst bei schweren Erkrankungen regelmäßig keine Leistungsausweitung durch grundrechtsorientierte Auslegung geboten ist (BSG a.a.O.), führt auch die Berücksichtigung des Beschlusses des BVerfG vom 6. Dezember 2005, -1 BvR 347/98- weder zu einer restriktiveren Auslegung des § 34 Abs. 1 S. 7-9 SGB V noch zu einem Anspruch der Versicherten aus Art. 2 Abs. 2 GG selbst. In der Erkrankung an Adipositas ist keine notstandsähnliche Extremsituation zu sehen, die mit einer regelmäßig tödlichen Erkrankung auf eine Stufe gestellt werden kann. Der Ausschluss von ACOMPLIA® als Life-Style-Arzneimittel ist daher nicht als unverhältnismäßig zu bewerten, sondern findet seine Berechtigung in dem überragenden öffentlichen Interesse am Erhalt der Leistungsfähigkeit der GKV und der andererseits bestehenden Begrenztheit ihrer finanziellen Mittel. Im Übrigen ist zweifelhaft, ob sich die Antragstellerin im Rahmen ihres Rechts aus Art. 12 Abs. 1 GG überhaupt auf das allein den Versicherten zur Seite stehende Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit berufen kann.

Schließlich verletzt der Beschluss des Antragsgegners die Antragstellerin nicht in ihrem Recht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG. Sofern sie geltend macht, dass eine Vergleichbarkeit mit den bisherigen in Anlage 8 der AMR ausgeschlossenen Arzneimitteln nicht vorliege, ist dem entgegen zu halten, dass es auf den unterschiedlichen Wirkmechanismus der Arzneimittel nicht ankommt, weil diese Kriterien für die Einstufung als Life-Style-Mittel keine Rolle spielen. Ebenso wenig verfängt der Vergleich mit den Beschlüssen des Antragsgegners zu Haarwuchsmitteln. Zum einen ist zweifelhaft, ob die Beschlüsse zu Haarwuchsmitteln und diejenigen zu Mitteln zur Gewichtsreduktion vergleichbare Sachverhalte i.S.d. Art. 3 Abs. 1 GG darstellen. Jedenfalls kann die Antragstellerin für sich nichts daraus herleiten, dass der Antragsgegner – aus Sicht der Kammer unzutreffenderweise – ein Mittel von der Liste der Anlage 8 zu den AMR mit der Begründung streicht, es diene ausschließlich zur Behandlung von Krankheiten. Ein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht steht ihr nicht zu.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO.

4. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 4 GKG. Danach ist der Streitwert nach der sich aus dem Antrag der Antragstellerin für sie ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Abzustellen ist dabei ihr wirtschaftliches Interesse an der erstrebten Entscheidung und ihren Auswirkungen. Die Antragstellerin macht einen Schaden von rund 230 Millionen Euro bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens geltend, worin ihr wirtschaftliches Interesse an der begehrten einstweiligen Anordnung zu sehen ist. Aufgrund von § 52 Abs. 4 GKG, der trotz des fehlendes Verweises in § 53 Abs. 3 GKG im Wege eines Erst-Recht-Schlusses auch auf das Verfahren nach § 86b SGG zu erstrecken ist, ist der Streitwert auf den im Tenor ersichtlichen Betrag zu beschränken.
Rechtskraft
Aus
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