L 16 AL 567/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 15 AL 648/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 AL 567/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 31. Mai 2006 aufgehoben. Die Bescheide der Beklagten vom 17. August 2005 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 19. Oktober 2005 werden aufgehoben. Die Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers im gesamten Verfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit des Eintritts von Sperrzeiten vom 22. Februar 2005 bis 14. März 2005 und vom 12. April 2005 bis 15. August 2005, die damit verbundene Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) für die genannten Zeiträume sowie die von der Beklagten geltend gemachte Erstattungsforderung von insgesamt 2.815,92 EUR überzahlten Alg nebst 905,54 EUR von ihr gezahlter Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung (KV/PV).

Der am 1973 geborene Kläger war zuletzt ausweislich der vorliegenden Arbeitsbescheinigung als "Krankenhausverhandler" der Direktion T der A O (A) für das Land B vom 01. Mai 2002 bis 30. Juni 2004 befristet versicherungspflichtig beschäftigt. Auf seine Arbeitslosmeldung vom 18. Juni 2004 bewilligte ihm die Beklagte Alg für die Zeit ab 10. Juli 2004 (vom 01. Juli 2004 bis 09. Juli 2004 Ruhen des Anspruches wegen Urlaubsabgeltung) für 360 Tage (Bescheid vom 13. Juli 2004).

Mit Schreiben vom 17. Februar, 07. April und 12. April 2005 bot die Beklagte dem Kläger Beschäftigungen als Geschäftsstellenleiter bei der Arbeitsgemeinschaft von Krankenkassenverbänden und Kassenärztlicher Vereinigung S, als Sachbearbeiter beim B f U, N und R und als Teamleiter L A und S bei der K D an. Die in Rede stehenden Arbeitgeber teilten der Beklagten am 29. April 2005, 10. Mai 2005 und 26. Mai 2005 mit, dass sich der Kläger nicht gemeldet bzw. nicht beworben habe. Nach Anhörungen des Klägers, in deren Verlauf er mitteilte, sich auf dem Postweg bei allen drei potenziellen Arbeitgebern beworben zu haben, stellte die Beklagte die Zahlung von Alg zum 01. Juni 2005 ein. Mit (drei) Bescheiden vom 17. August 2005 stellte sie den Eintritt von Sperrzeiten vom 22. Februar 2005 bis 14. März 2005 (drei Wochen), vom 12. April 2005 bis 23. Mai 2005 (sechs Wochen) und vom 24. Mai 2005 bis 15. August 2005 (12 Wochen) fest und hob die Bewilligung von Alg für diese Zeiträume, in denen der Alg-Anspruch ruhe, nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) auf. Ferner forderte sie die Erstattung des für die Zeit vom 22. Februar 2005 bis 14. März 2005 und vom 12. April 2005 bis zum 31. Mai 2005 gezahlten Alg in einer Gesamthöhe von 2.815,92 EUR sowie der für diese Zeiten gezahlten Beiträge zur KV/PV in Höhe von 905,54 EUR. Der Kläger habe trotz Belehrung über die Rechtsfolgen keinen Kontakt zu den Arbeitgebern aufgenommen und dadurch das Zustandekommen von Beschäftigungsverhältnissen verhindert. Der Alg-Anspruch mindere sich aufgrund der festgesetzten Sperrzeiten um 21, 42 bzw. 84 Tage, so dass der Alg-Anspruch erschöpft sei und der Kläger nach Ablauf der Sperrzeiten kein Alg mehr erhalte. Die Widersprüche des Klägers blieben erfolglos (Widerspruchsbescheide vom 19. Oktober 2005).

Das Sozialgericht (SG) Potsdam hat die hiergegen gerichteten Klage(n) nach vorheriger Verbindung (S 15 AL 648/05, S 15 AL 649/05 und S 15 AL 650/05) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen – S 15 AL 648/05 – mit Urteil vom 31. Mai 2006 unter Bezugnahme auf die Ausführungen der Beklagten in den angefochtenen Widerspruchsbescheiden abgewiesen.

Mit der Berufung begehrt der Kläger (nur) noch eine Aufhebung der angefochtenen Sperrzeitbescheide; auf seine Berufungsschrift und den Schriftsatz vom 30. April 2007 nebst Anlagen wird Bezug genommen. Er trägt ergänzend vor, die – in Kopie vorgelegten – Bewerbungsschreiben vom 22. Februar, 12. April und 16. April 2005 auf dem normalen Postweg durch Einlegen in den Briefkasten abgesandt zu haben.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 31. Mai 2006 und die Bescheide der Beklagten vom 17. August 2005 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 19. Oktober 2005 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Akten des SG Potsdam S 15 AL 647/05 ER, S 15 AL 649/05 und S 15 AL 650/05, die Leistungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers, mit der dieser sich nur noch gegen die drei Bescheide der Beklagten vom 17. August 2005 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 19. Oktober 2005 ("Sperrzeitbescheide") wendet, ist begründet. Die mit diesen Bescheiden verlautbarten Verwaltungsentscheidungen der Beklagten, nämlich der Eintritt von Sperrzeiten vom 22. Februar 2005 bis 14. März 2005, vom 12. April 2005 bis 23. Mai 2005 und vom 24. Mai 2005 bis 15. August 2005, das Ruhen des Anspruchs auf Alg für die Dauer der Sperrzeiten, die Aufhebung der Alg-Bewilligung für die Dauer der Ruhenszeiträume sowie die Erstattung von überzahltem Alg nebst Beiträgen zur KV/PV in Höhe von 2.815,92 EUR bzw. 905,54 EUR, sind rechtswidrig und waren daher aufzuheben.

Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide misst sich an § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X i.V. mit § 330 Abs. 3 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) (hier in der Fassung, die die Norm durch das Arbeitsförderungs-Reformgesetz vom 24. März 1997 – BGBl. I 594 – erhalten hat) sowie an § 50 Abs. 1 SGB X. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 4 SGB X i.V. mit § 330 Abs. 3 SGB III ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung vom Zeitpunkt einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse an aufzuheben, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist. Wesentlich ist jede tatsächliche oder rechtliche Änderung, die sich auf Grund oder Höhe der bewilligten Leistung auswirkt. Als derartige Änderung ist auch das Ruhen des Leistungsanspruchs wegen einer Sperrzeit nach § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III in der ab 01. Januar 2005 geltenden und hier anwendbaren Fassung anzusehen, die kraft Gesetzes ohne besondere verwaltungsmäßige Umsetzung eintritt (vgl. BSG, Urteil vom 01. Juni 2006 – B 7a AL 26/05 R – veröffentlicht in juris – m. w. N.).

Eine Sperrzeit von drei Wochen und damit ein Ruhen des Alg-Anspruchs (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III) tritt nach § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III grundsätzlich ein, wenn der bei der Beklagten als arbeitsuchend gemeldete Arbeitnehmer oder der Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine von der Beklagten unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Beschäftigung nicht annimmt oder nicht antritt oder die Anbahnung eines solchen Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere das Zustandekommen eines Vorstellungsgespräches, durch sein Verhalten verhindert (Sperrzeit bei Arbeitsablehnung). Die Dauer der Sperrzeit beträgt im Fall der zweiten Arbeitsablehnung sechs Wochen (§ 144 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b SGB III) und in den übrigen Fällen der Arbeitsablehnung 12 Wochen (§ 144 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 SGB III).

Vorliegend fehlt es bereits an dem Nachweis für die Erteilung einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung. Diese Rechtsfolgenbelehrung muss konkret, richtig und vollständig sein und dem Arbeitslosen in verständlicher Form zutreffend erläutern, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen sich aus der Arbeitsablehnung für ihn ergeben, wenn für diese kein wichtiger Grund vorliegt (vgl. BSG SozR 3-4100 § 119 Nr. 19 m.w.N.). Dies ergibt sich aus der Funktion der Rechtsfolgenbelehrung, den Arbeitslosen hinreichend über die gravierenden Folgen einer Sperrzeit (Ruhen des Leistungsanspruchs, ggf. Aufhebung der Leistungsbewilligung und Erstattung überzahlter Leistungen) zu informieren und ihn in allgemeiner Form vorzuwarnen (vgl. BSG SozR 3-4100 § 119 Nrn. 18, 31). Es lässt sich indes nicht feststellen, dass den Arbeitsplatzangeboten der Beklagten vom 17. Februar, 07. April und 12. April 2005 überhaupt Rechtsfolgenbelehrungen beigefügt waren. Den Verwaltungsakten der Beklagten lassen sich deren Angebots- bzw. Aufforderungsschreiben ebenso wenig entnehmen wie Art und konkreter Inhalt etwaiger insoweit erteilter Rechtsfolgenbelehrungen. Der Kläger hat bei Vorlage der in Rede stehenden Aufforderungsschreiben der Beklagten versichert, dass diesen Angebotsschreiben keine Rechtsfolgenbelehrungen beigefügt waren. Ungeachtet dessen, dass sich in den Verwaltungsakten der Beklagten (dort Bl.72) in einem BewA-Ausdruck der Hinweis "R (§ 144)" unter der Spalte "Rechtsfolge" in einem tabellarischen Zusammenhang zu den Daten und Adressaten findet, die den Arbeitsplatzangeboten der Beklagten entsprechen, steht damit mit der erforderlichen Gewissheit nicht fest, dass den in Rede stehenden Arbeitsangeboten wirksame Rechtsfolgenbelehrungen des dargelegten Inhalts beigefügt waren. Die Nichtfeststellbarkeit einer den gesetzlichen Erfordernissen entsprechenden Rechtsfolgenbelehrung bei Erlass eines "Sperrzeitbescheides" auf der Grundlage von § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III trifft aber die Beklagte, der allein es obliegt, auf die Rechtsfolgen einer Arbeitsablehnung hinzuweisen.

Selbst wenn aber von ordnungsgemäßen und vollständigen Rechtsfolgenbelehrungen der Beklagten in deren Aufforderungsschreiben auszugehen wäre, sind die darin getroffenen Verwaltungsentscheidungen rechtswidrig. Sie wären nur dann zu rechtfertigen, wenn der Kläger sich tatsächlich auf die Aufforderungen der Beklagten vom 17. Februar, 07. April und 12. April 2005 hin überhaupt nicht beworben hätte. Aufgrund der Einlassungen des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung steht jedoch zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger die – nachgereichten – Bewerbungsschreiben vom 22. Februar 2005, 12. April 2005 und 16. April 2005 durch Einwurf per einfachen Brief in den Briefkasten der P Hauptpost am 23. Februar, 13. April und 17. April 2005 aufgegeben und sich damit beworben hatte. Da der Kläger die Briefe nach seinem anschaulichen und damit glaubhaften Vorbringen zur Post gebracht hatte, kann es ihm nicht zum Nachteil gereichen, dass die Bewerbungsschreiben nicht bei den Arbeitgebern angekommen sind, weil die Texte der Bewerbungsschreiben für sich genommen nicht den Eintritt einer Sperrzeit rechtfertigen (vgl. hierzu: BSG, Urteil vom 09. Dezember 2003 – B 7 AL 106/02 R = SozR 4-4100 § 119 Nr. 3). Selbst wenn der Auffassung der Beklagten zu folgen wäre, wonach nicht feststellbar sei, dass der Kläger sich tatsächlich beworben habe, ergibt sich im Übrigen keine andere Beurteilung. Denn die Beklagte trägt die Beweislast für die Tatsachen, auf die sie ihre Sperrzeitentscheidungen stützt. Für die Anwendung der sog. Sphärentheorie besteht insoweit kein Raum. Ergibt sich nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten, dass der Sphäre des Arbeitslosen zuzuordnende Vorgänge nicht aufklärbar sind, kann sich zwar eine Ausnahme von der grundsätzlichen Beweislastverteilung ergeben. Diese knüpft jedoch daran an, dass der betreffende Arbeitslose, bspw. durch das Unterlassen zeitnaher Angaben in einem Antrag oder das Vorenthalten von Unterlagen, wesentlich zu einer Erschwerung der Sachverhaltsaufklärung beigetragen hat (vgl. BSG, Urteil vom 24. Mai 2006 - B 11a AL 7/05 R – veröffentlicht in juris – m.w.N.). Hiervon kann vorliegend keine Rede sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger seine weiteren erstinstanzlich geltend gemachten Klageansprüche im Berufungsverfahren nicht weiter verfolgt hat.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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