L 6 Ar 477/84

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 5 Ar 166/82
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 Ar 477/84
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die Prüfung der ordnungsgemäßen Besetzung des Senats erfolgt nur durch die nicht betroffenen Richter durch Beschluß vor Eintritt in die Beratung und vor der Entscheidung zur Sache.
2. Wird gegen die zwingende Vorschrift des § 13 Abs. 1 SGG verstoßen und der ehrenamtliche Richter nicht aus einer Vorschlagsliste entnommen, sondern auf Grund eines Einzelvorschlages berufen, dann sind die Art. 92 und 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Mit einem auf diese Weise berufenen ehrenamtlichen Richter ist der Senat nicht ordnungsgemäß besetzt.
3. Eine mündliche Verhandlung kann erst wieder stattfinden, wenn dem Senat ehrenamtliche Richter zugewiesen werden, die einem Berufungsverfahren entstammen, das nicht mit den festgestellten Mängeln behaftet ist.
Der 6. Senat ist mit den nach der Geschäftsverteilung zugewiesenen ehrenamtlichen Richtern nicht ordnungsgemäß besetzt. Eine mündliche Verhandlung kann zur Zeit nicht stattfinden.

Tatbestand:

I.

In dem Rechtsstreit geht es um die Weitergewährung von Arbeitslosenhilfe über den 31. März 1982 hinaus. Der Beschluss befaßt sich vorab mit der Frage der ordnungsgemäßen Besetzung des Senates durch die ehrenamtlichen Richter unter Berücksichtigung der Besonderheiten des angewandten Berufungsverfahrens.

Mit Verfügung vom 9. Juli 1985 ist Terrain zur mündlichen Verhandlung anberaumt worden auf den 24. Juli 1985. Hierzu sind dem 6. Senat zugewiesene ehrenamtliche Richter geladen worden. Alle dem 6. Senat zugewiesenen ehrenamtlichen Richter einschließlich derjenigen der Notliste wurden vom Hessischen Sozialminister vor dem 1. April 1985 durch Ernennungsurkunden in ihr Richteramt berufen.

Durch einen Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 23. April 1985 "Zweifel an der Berufung von Sozialrichtern” von Heidi Müller-Gerbes entstanden auch im erkennenden Senat Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Besetzung des Gerichtes. Dem Senat wurde ferner bekannt ein Antwortschreiben des Hessischen Ministers für Arbeit, Umwelt und Soziales vom 22. April 1985 (StS-IA6-54p-6861) auf eine Anfrage des Präsidenten des Hessischen Landessozialgerichts vom 18. April 1985. Darin führt der Minister zu dem Berufungsverfahren der ehrenamtlichen Richter folgendes aus:

"Seit dem 1.4.1985 werden alle zur Ernennung anstehenden ehrenamtlichen Richter in der hessischen Sozialgerichtsbarkeit auf der Grundlage von Vorschlagslisten der Verbände und Stellen laufend berufen, die die eineinhalbfache Zahl der insgesamt in diesem Jahr kraft Zeitablaufs bei den jeweiligen Sozialgerichten ausscheidenden ehrenamtlichen Richtern umfassen, für die der Verband bzw. die Stelle vorschlagsberechtigt ist. Dieses nunmehr geltende Verfahren geht auf unsere gemeinsame Besprechung in meinem Hause mit den vorschlagsberechtigten Verbänden am 4.12.1984 zurück. Damals erklärten sich – nach längeren Diskussionen über die dabei zu überwindenden praktischen Schwierigkeiten – die Verbände erstmals bereit, zukünftig jährlich die eineinhalbfache Zahl der ausscheidenden ehrenamtlichen Richter vorzuschlagen.

Außerdem werde ich Sie zukünftig im Hinblick auf § 13 Abs. 2 Satz 1 SGG darüber unterrichten, wann das jeweilige Amt von kraft Zeitablaufs ausscheidenen ehrenamtlichen Richtern durch Berufung von Nachfolgern enden wird. Der bisherige Nachfolgevermerk auf den beglaubigten Abschriften der Ernennungsurkunden neuberufener ehrenamtlicher Richter ist damit entbehrlich. Die Zuteilung der im Laufe eines Geschäftsjahres neuberufenen ehrenamtlichen Richter auf die einzelnen Spruchkörper ist allein Sache der Präsidien. Ich bitte Sie insoweit um unverzügliche Weitergabe meiner laufenden Mitteilungen an die betroffenen Sozialgerichte.

Was die Berufungspraxis vor dem 1.4.1985 anlangt, konnte der in der Sollvorschrift des § 14 Abs. 1 SGG festgelegten Richtzahl von 1,5 nur die Kassenärztliche Vereinigung entsprechen. Die übrigen vorschlagsberechtigten Verbände und Stellen waren seit dem Beginn der 60-iger Jahre nur noch zu ergänzenden Vorschlägen aufgrund des jeweiligen Bedarfs bereit. Die in der Anfangszeit des Sozialgerichtsgesetzes eingereichten Vorschlagslisten sind somit aufgrund der genannten Schwierigkeiten, jeweils ausreichende zusätzliche Vorschläge unterbreiten zu können, dann nur bei Bedarf ergänzt worden. Dies entsprach der – soweit ersichtlich auch gegenwärtig noch geübten – einhelligen Praxis der anderen Bundesländer bzw. des Bundes bei der Berufung der ehrenamtlichen Richter in der Sozialgerichtsbarkeit.

Nach meiner Rechtsauffassung ist diese Berufungspraxis nicht mit Mängeln behaftet, die zur Nichtigkeit bzw. Unbeachtlichkeit der durch Hoheitsakt ausgesprochenen Berufungen, durch die jedem betroffenen ehrenamtlichen Richter bestimmte Rechtspositionen verliehen sind, führen können.

Denn § 14 Abs. 1 SOG ist nur eine Sollvorschrift. Auch aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 1969 (BVerfGE 27, 312), die lediglich zu § 14 Abs. 3 SGG – Vorschlagslisten für die ehrenamtlichen Richter in den Kammern für Angelegenheiten des Kassenarztrechts – ergangen ist, ergibt sich m.E. nichts anderes.

In dem Beschluss wird ausgeführt, daß die zur Berufung und Ernennung der Sozialrichter zuständige Stelle die Möglichkeit der Auswahl haben soll. Diese Auswahlmöglichkeit habe ich immer in Anspruch genommen. Ich war nie an die Vorschläge der Verbände und Stellen gebunden und habe in Einzelfällen bei begründeten Zweifeln an der Qualifikation vorgeschlagener Personen diese Vorschläge mit der Folge zurückgewiesen, daß dann neue Vorschläge zu unterbreiten waren. Im übrigen bestand meine Auswahlmöglichkeit auch insoweit, als ich mir stets des Rechts bewußt war, ergänzende Vorschläge zu verlangen, sofern dazu im konkreten Fall Anlaß bestand (vgl. Ule und Rüggeberg, Anm. zum zitierten Beschluss des BVerfG, SGb, 1970, S. 211 ff).

Dies bedeutet, daß dem, der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde liegenden, verfassungsrechtlichen Kernanliegen, daß das staatliche Gerichtsbarkeit ausübende Organ im Hinblick auf Artikel 92 GG auch personell entscheidend vom Staat bestimmt sein muß, bereits früher materiell Rechnung getragen worden ist.

Würde man § 14 Abs. 1 SGG in vollem Umfang als "Muß-Vorschrift” auslegen, so wäre immer dann, wenn die vorschlagsberechtigten Verbände und Stellen die gesetzlich genannte Zahl nicht erreichen würden, eine Berufung von ehrenamtlichen Richtern unmöglich. Dies wiederum müßte dazu führen, daß die Sozialgerichtsbarkeit funktionsunfähig wäre. Der Bürger könnte gerade bei den Gerichten, denen bestimmte Streitigkeiten zugewiesen sind, an die er also vom Gesetzgeber verwiesen wird, kein Recht erhalten.

Hinzu kommt: Die Mitwirkung der Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, Kriegsopferverbände, Kassenärztlichen Vereinigungen, Zusammenschlüsse der Krankenkassen und der übrigen vorschlagsberechtigten Stellen in der Sozialgerichtsbarkeit, eine der tragenden Säulen unserer Gerichtsbarkeit, wäre damit unmittelbar in Frage gestellt.

Dies alles kann nach meiner Überzeugung nicht Sinn der in § 14 Abs. 1 SGG getroffenen Regelung sein.”

Mit Schreiben vom 23. Mai 1985 wurden von dem Vorsitzenden des erkennenden Senats dem Hessischen Minister für Arbeit, Umwelt und Soziales die folgenden Fragen gestellt:

" 1) Wie und wann wurden die dem 6. und 13. Senat zugewiesenen ehrenamtlichen Richter, die in der Anlage namentlich unter Hinweis auf die sie benennende Vereinigung aufgeführt sind, konkret, also in jedem Einzelfall, benannt und – später – berufen? Um Übersendung der der Berufung vorausgehenden Aufforderung zur Unterbreitung eines Vorschlags wird ebenso gebeten wie um die aufgrund dieser Aufforderung eingegangenen Vorschläge.

2) Waren Auswahlrichtlinien schriftlich oder ggf. auf welche Weise festgelegt oder angewandt worden und ggf. welche?

Wer hat die Auswahl getroffen?

Ergaben sich hierbei Besonderheiten für das Hessische Landessozialgericht? Waren sämtliche Bewerber – ggf. welche nicht – zuvor in erster Instanz als ehrenamtliche Richter tätig gewesen?

Die Angaben werden konkret jeweils zu den einzelnen – benannten – ehrenamtlichen Richtern erbeten. Für eine umgehende Antwort bin ich im Hinblick auf eine zeitnahe Aufnahme der Sitzungstätigkeit dankbar.”

Im Antwortschreiben vom 19. Juni 1985 äußerte der Minister starke rechtliche Zweifel daran, ob eine Grundlage zur Beantwortung der Fragen und demgemäß eine Verpflichtung zur Beantwortung gegeben sei. Ausführlich beschäftigte sich der Minister in seinem Schreiben sodann unter anderem mit der Frage, in welcher Besetzung der Senat die Frage der ordnungsgemäßen Besetzung zu prüfen habe, welche Aufgaben dem Präsidium bei dieser Situation zukomme und welche rechtliche Qualität der Geschäftsverteilungsplan des Gerichtes habe. Sodann wiederholte er im wesentlichen seine Ausführungen aus seinem Schreiben vom 22. April 1985 bezüglich der rechtlichen Würdigung des vor dem 1. April 1985 gehandhabten Berufungsverfahrens.

Die gestellten Fragen beantwortete er folgendermaßen:

" 1) Aufforderungen – soweit sie erfolgt sind – zur Einreichung von Vorschlägen und die Vorschläge selbst sind jeweils in Ablichtung beigefügt. Der Beginn der Amtszeit ist jeweils auf dem Vorschlag vermerkt.

2) Auswahlrichtlinien waren schriftlich nicht fixiert. Es ist für mich auch nicht ersichtlich, inwieweit Schriftform gesetzlich geboten sein sollte.

Bei der Auswahl galten die folgenden Kriterien: - Vorliegen der gesetzlichen Berufungsvoraussetzungen (§§ 13, 16 SGG)

3) kein Vorliegen von gesetzlichen Ausschließungsgründen (§ 17 SGG)

4) Unbedenklichkeit der fachlichen Qualifikation einschließlich der persönlichen Eignung.

Die Auswahl im Sinne der verbindlichen Letztentscheidung hat der Unterzeichner der Ernennungsurkunden getroffen.

Bis auf die Tatsache, daß die ehrenamtlichen Richter ein bestimmtes Mindestalter erreicht haben müssen und im Regelfall bereits in der I. Instanz tätig gewesen sein sollen, ergaben sich bei der Auswahl der ehrenamtlichen Richter für das Hessische Landessozialgericht keine Besonderheiten.

Bis auf die Herren und waren alle ehrenamtlichen Richter zuvor bereits in der I. Instanz tätig. Von der Sollvorschrift des § 35 Abs. 1 SGG wurde in diesen beiden begründeten Ausnahmefällen abgesehen.”

Es wurden verschiedene formularmäßige Aufforderungsschreiben des Hessischen Sozialministers vorgelegt, deren Standardtext wie folgt lautete:

"Die vierjährige Amtszeit des o.a. ehrenamtlichen Richters ist am beendet. Es wird um Mitteilung gebeten, ob Sie Herrn/Frau zur Wiederberufung vorschlagen, oder ob ein Nachfolger benannt wird. Für den Fall der Wiederberufung wird um Übersendung der Erklärung nach dem üblichen Muster gebeten. Sollte ein Nachfolger vorgeschlagen werden, so ist die Einreichung eines Personalfragebogens erforderlich.”

Die vorschlagsberechtigten Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und sonstigen Stellen antworteten meist formularmäßig, teilweise meldeten sie sich ohne vorher angeschrieben worden zu sein.

Die Beteiligten erhielten unter Übersendung von Kopien der Schreiben des Hessischen Ministers für Arbeit, Umwelt und Soziales vom 22. April 1985 und vom 19. Juni 1985 sowie der Anfrage des Senats vom 23. Mai 1985 Gelegenheit zur Äußerung. Sie haben sich zum Problem der Besetzung nicht geäußert.

Entscheidungsgründe:

II.

Die ehrenamtlichen Richter des 6. Senats sind an der Mitwirkung an der anberaumten mündlichen Verhandlung am 24. Juli 1985 gehindert. Der Senat wäre bei Mitwirkung seiner ehrenamtlichen Richter nicht ordnungsgemäß besetzt.

Dabei geht der Senat davon aus, daß er in eigener Zuständigkeit die ordnungsgemäße Besetzung immer dann prüfen muß, wenn konkrete Bedenken an der Ordnungsmäßigkeit bestehen. Zur Gewährleistung des Verfassungsgebotes des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) – "niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden” – hat jeder Spruchkörper die Verpflichtung, bei bestehenden Zweifeln die ordnungsgemäße Besetzung seiner Richterbank von Amts wegen zu prüfen (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 3. Dezember 1975 – 2 BVL 7/74 – in BVerfGE 40, S. 356). Dabei können diejenigen Richter, um deren ordnungsgemäße Mitwirkung es geht, nicht mitentscheiden entsprechend dem Grundsatz, daß niemand Richter in eigener Sache sein kann. Folgerichtig hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 5. Oktober 1977 (2 BvL 10/75 – in BVerfGE 46, S. 34) entschieden, daß dann, wenn eine entscheidungserhebliche Inzidentfrage den "gesetzlichen Richter”, d.h. die richtige Besetzung des erkennenden Gerichtes betreffe, darüber beschlußmäßig vor Eintritt in die Beratung und vor der Entscheidung zur Sache zu entscheiden sei ohne Mitwirkung des Richters, dessen Berechtigung zur Mitwirkung zweifelhaft erscheine (vgl. auch Beschluss des 1. Senates des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. Mai 1985 – L-1/J-862/83 – mit insoweit überzeugenden Gründen). Da bei beiden ehrenamtlichen Richtern, die zur Mitwirkung und Entscheidung in der Sache am 24. Juli 1985 geladen wurden, erhebliche Zweifel an der ordnungsgemäßen Besetzung bestehen, kann der 6. Senat nur mit den verbleibenden zuständigen drei Berufsrichtern entscheiden. Die Beschlussfassung vor Eintritt in die Beratung außerhalb der mündlichen Verhandlung kann deshalb in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 21. April 1955 (GS 1/55 in BSGE 1, 1) auch in diesem Fall nur durch die Berufsrichter ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter erfolgen.

Soweit der Hessische Minister für Arbeit, Umwelt und Soziales anläßlich der Beantwortung der ihm vom Senat gestellten Fragen in seinem Schreiben vom 19. Juni 1985 die Auffassung vertrat, daß der Senat nur in der Besetzung mit Vorsitzendem, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern über die Ordnungsmäßigkeit seiner Besetzung entscheiden könne, da es keine wechselseitige Überprüfungsmöglichkeit der Berufsrichter und ehrenamtlichen Richter gäbe, übersieht er die oben erläuterten und den Senat überzeugenden verfassungsgerichtlichen Feststellungen.

Das vom Hessischen Sozialminister bei der Berufung der ehrenamtlichen Richter vor dem 1. April 1985 gewählte Verfahren verstößt gegen die gesetzlichen Vorschriften der §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Nach § 13 Abs. 1 SGG werden die ehrenamtlichen Richter von der Landesregierung oder der von ihr beauftragten Stelle auf Grund von Vorschlagslisten (§ 14) für vier Jahre berufen; sie sind in angemessenem Verhältnis unter billiger Berücksichtigung der Minderheiten aus den Vorschlagslisten zu entnehmen. Nach § 14 Abs. 1 SGG sollen die Vorschlagslisten die eineinhalbfache Zahl der festgesetzten Höchstzahl der ehrenamtlichen Richter enthalten.

Der Hessische Sozialminister hat die ehrenamtlichen Richter nicht auf Grund von Vorschlagslisten, sondern auf Grund von Einzelvorschlägen der vorschlagenden Stellen berufen. Dabei fällt auf, daß der Hessische Minister für Arbeit, Umwelt und Soziales bei einigen ehrenamtlichen Richtern kein Anforderungsschreiben vorlegen konnte, so daß hier nicht nachweisbar ist, daß die Initiative für die Wiederbenennung von dem Hessischen Sozialminister ausging. Dort, wo die vorschlagenden Stellen vom Hessischen Sozialminister zur Unterbreitung von Vorschlägen aufgefordert worden sind, wird die Übertragung der Auswahl auf diese vorschlagenden Stellen bereits aus den entsprechenden Anforderungsschreiben des Ministeriums erkennbar. Denn in diesen wird insoweit lediglich eine Erklärung darüber verlangt, ob der bisherige ehrenamtliche Richter entweder erneut zur Wiederberufung vorgeschlagen, oder aber ein "Nachfolger” benannt wird. Auf diesen – einen – Nachfolger sollte sich nach diesen Anforderungsschreiben dann auch der einzureichende Personalfragebogen beziehen. Damit konnte dann jeweils nur der aktuelle Bedarf an ehrenamtlichen Richtern gedeckt werden. Weitere Vorschläge, die eine Auswahl ermöglicht hätten, wurden vom Hessischen Sozialminister nicht erbeten. Soweit der Hessische Minister für Arbeit Umwelt und Soziales die Meinung vertritt, bei diesem Verfahren seien die Vorschlagslisten aus der Anfangszeit der Sozialgerichtsbarkeit ergänzt worden und an anderer Stelle davon spricht, daß seit Anfang der 60er Jahre die vorschlagsberechtigten Verbände und Stellen (mit Ausnahme der Kassenärztlichen Vereinigung) nur noch zu ergänzenden Vorschlägen auf Grund des jeweiligen Bedarfs bereit gewesen seien, reicht dies nicht aus, das Vorliegen von Vorschlagslisten für den aktuellen Fall der Berufung im Jahre 1984 anzunehmen. Begegnet es schon erheblichen Bedenken, eine Vorschlagsliste, die für eine Wahlperiode oder ein Jahr (nach dem seit dem 1. April 1985 angewandten Verfahren) oder für einen anderen überschaubaren Zeitraum erstellt wird, für den nachfolgenden Zeitraum einfach weiter zu verwenden, so ist es ausgeschlossen, nach über zwanzig Jahren – also nach mehr als fünf vollen Amtsperioden – den Fortbestand von Vorschlagslisten zu fingieren, wenn auf der anderen Seite nur Einzelvorschläge entsprechend dem jeweiligen Bedarf gemacht worden sind. Im Lichte der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Artikel 92 GG können Einzelvorschläge auch nicht als Vorschlagsliste im Sinne der §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 SGG angesehen werden. So führt das Bundesverfassungsgericht in der auch vom Hessischen Minister für Arbeit, Umwelt und Soziales zitierten Entscheidung vom 17. Dezember 1969 (2 BvR 271, 342/68 – in BVerfGE 27, 312) aus, daß zur Ausübung der rechtsprechenden Gewalt durch staatliche Gerichte im Sinne des Art. 92 GG gehöre, daß die Bindung des Gerichts an den Staat auch in personeller Hinsicht hinreichend gewährleistet sei. Staatliche Gerichtsbarkeit müsse nicht nur auf staatlichem Gesetz beruhen und der Erfüllung staatlicher Aufgaben dienen, das Organ, das sie ausübe, müsse auch personell vom Staat entscheidend bestimmt sein. In § 14 Abs. 1 SGG komme hinreichend klar zum Ausdruck, daß die zur Berufung und Ernennung der Sozialrichter zuständige Stelle die Möglichkeit der Auswahl haben solle. Damit verbietet es sich nach Ansicht des erkennenden Senates, Einzelvorschläge etwa als auf einen Vorschlag geschrumpfte Vorschlagsliste zu betrachten oder eine Vorschlagsliste etwa als Summe der jeweiligen Einzelvorschläge zu definieren.

Indem der Hessische Sozialminister die Berufung der ehrenamtlichen Richter auf Grund von Einzelvorschlägen vornahm, verstieß er gegen zwingendes Recht, das – wie oben gezeigt – die Auswahl aus Vorschlagslisten gebietet. Daran ändert sich nichts dadurch, daß es sich bei § 14 Abs. 1 SGG um eine Sollvorschrift handelt, wonach die Vorschlagslisten die eineinhalbfache Zahl der festgesetzten Höchstzahl der ehrenamtlichen Richter enthalten sollen. Mangels Verwendung von Vorschlagslisten überhaupt verbleibt kein Raum zur Prüfung, ob der Hessische Sozialminister nur gegen die Sollvorschrift des § 14 Abs. 1 SGG verstoßen hat und ob dieser Verstoß zu tolerieren ist. Aus diesem Grund vermochte insoweit der Beschluss des Ersten Senats des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. Mai 1985 (s.o.) nicht zu überzeugen, da dort ausführlich im Rahmen des § 14 Abs. 1 SGG diskutiert wird, welche Auswirkung die Verletzung dieser Sollvorschrift hat und ob das vom Hessischen Sozialminister angewandte Verfahren trotzdem in Übereinstimmung mit Art. 92, 101 Abs. 1 Satz 2 GG steht. Entscheidend ist jedoch darauf abzustellen, daß der Hessische Sozialminister das in § 13 Abs. 1 SGG zwingend vorgeschriebene Verfahren der Auswahl aus Vorschlagslisten nicht angewandt hat, so daß er nicht nur eine Sollvorschrift, sondern zwingendes Recht verletzt hat. Es handelt sich nicht nur um einen Fehler oder Irrtum innerhalb des vorgeschriebenen Verfahrens, der Hessische Sozialminister verwandte vielmehr ein im Gesetz nicht vorgesehenes Verfahren der Einholung von Einzelvorschlägen mit der Möglichkeit der Zurückweisung.

Nach der Auskunft des Hessischen Ministers für Arbeit, Umwelt und Soziales vom 18. April 1985 wird ein den §§ 13, 14 SGG entsprechendes Verfahren seit dem 1. April 1985 angewandt. Zwingende Gründe, weshalb nicht bereits vor diesem Zeltpunkt dieses Verfahren zur Anwendung hätte kommen können, sind für den Senat nicht erkennbar geworden. Soweit der 1. Senat des Hessischen LSG in seinem Beschluss vom 14. Mai 1985 (s.o.) und ihm folgend der 10. Senat des Hessischen LSG im Beschluss vom 20. Juni 1985 (L-10/Ar-119/85 (A)) darauf abstellen, daß es unter Berücksichtigung der erforderlichen Qualifikationen realistisch sei, daß die Verbände und Stellen zu weitergehenden Vorschlägen nicht in der Lage gewesen seien und dies vom Minister im Regelfall nicht zu beeinflussen sei, wird dies durch den tatsächlichen Verlauf widerlegt. Nach einem Gemeinschaftsgespräch im Ministerium im Dezember 1984 waren die vorschlagenden Stellen zur Einreichung von Vorschlagslisten bereit und auch in der Lage. Es bedurfte daher nicht der Prüfung, ob bei objektiver Unmöglichkeit der Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrens das dann notgedrungen angewandte gesetzeswidrige Verfahren ausnahmsweise zu tolerieren wäre etwa entsprechend dem Rechtsgedanken des übergesetzlichen Notstandes.

Der Senat brauchte sich ferner nicht mit der Frage zu befassen, ob das seit dem 1. April 1985 vom Hessischen Minister für Arbeit, Umwelt und Soziales angewandte Berufungsverfahren evtl. auch mit Mängeln behaftet ist oder ob die Besetzung des Senates mit ehrenamtlichen Richtern, die nach dem 1. April 1985 berufen worden sind, auch dann ordnungsgemäß ist, wenn insgesamt nur zwei nach dem 1. April 1985 berufene ehrenamtliche Richter dem Senat zur Verfügung stehen. Alle dem 6. Senat durch die Geschäftsverteilung zugewiesenen ehrenamtlichen Richter einschließlich derjenigen der Notliste wurden vor dem 1. April 1985 in ihr Amt berufen.

Das vom Hessischen Sozialminister angewandte Verfahren bei der Berufung der ehrenamtlichen Richter führt dazu, daß beide ehrenamtliche Richter, die zur Sitzung am 24. Juli geladen worden sind, an der Teilnahme als gesetzliche Richter gehindert sind. Andere ehrenamtliche Richter, die seit dem 1. April 1985 berufen wurden, stehen dem erkennenden Senat nach dem Geschäftsverteilungsplan nicht zur Verfügung. Eine ordnungsgemäße Besetzung des 6. Senats mit ehrenamtlichen Richtern ist damit zur Zelt nicht möglich. Eine mündliche Verhandlung sowie eine Entscheidung des Rechtsstreites nach §§ 153 Abs. 1, 124, 33 SGG können deshalb so lange nicht stattfinden, bis dem 6. Senat ehrenamtliche Richter zur Verfügung stehen, die einem Berufungsverfahren entstammen, das nicht mit den festgestellten Mängeln behaftet ist.

In diesem Zusammenhang sind die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 30. April 1968 (1 StR 87/68 in NJW 1968, S. 1436), vom 14. Oktober 1975 (1 StR 108/75 in NJW 1976, S. 432) und vom 3. November 1981 (5 StR 566/81 in NJW 1982, S. 293) einzuordnen. Im ersten Fall war gerügt worden, daß auf den Vorschlagslisten nicht die der Einwohnerzahl entsprechend vorgeschriebene Zahl von Personen enthalten gewesen seien, teils zu wenig, teils zu viel. Im zweiten Fall nahm an den Sitzungen des Schöffenwahlausschusses lediglich jeweils eine weitere, im Gesetz nicht vorgesehene Person teil, die zudem, da die Beschlüsse jeweils einstimmig ergingen, auf das Wahlergebnis keinen Einfluß gewonnen hat. Im dritten Fall wurden in die Schöffen-Vorschlagslisten nur Personen aufgenommen, deren Familienname mit dem Buchstaben L bis R begann. In allen drei Fällen wurde dem Grunde nach das richtige gesetzlich vorgeschriebene Verfahren angewandt, jedoch innerhalb des Verfahrens ein Fehler begangen. Zu Recht hat der BGH in diesen Fällen die Fehler als nicht so gravierend angesehen, daß sie zu einer Ungültigkeit der Schöffenwahl führen könnten. Dabei hat der BGH im Urteil vom 30. April 1968 (s.o.) allerdings die Auffassung vertreten, daß der behauptete Fehler des Auswahlverfahrens außerhalb des Bereichs liege, auf den die Gerichte unmittelbar einwirken könnten und ein solcher Mangel deshalb die vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts nicht in Frage stelle. Entscheidend für diese Feststellung war indes, daß nach der ausdrücklichen Bestimmung des § 39 Satz 2 GVG dem Amtsgericht bei dem Verfahren auf Auswahl der Schöffen nur die Prüfung oblag, ob der Bestimmung des § 36 Abs. 2 GVG (Auflegung der Vorschlagslisten) Genüge getan worden ist. Im vorliegenden Fall gibt es jedoch eine solche – Bestimmung nicht. Auch wiegt der dortige Fehler wesentlich geringer verglichen mit dem vorliegenden. Die Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Anzahl wäre nur dann mit dem vorliegenden Fall vergleichbar, wenn hier tatsächlich Vorschlagslisten eingereicht worden wären, diese aber mal mehr und mal weniger als das Eineinhalbfache enthalten hätten. Ferner hat der BGH im Urteil vom 14. Oktober 1975 (s.o.) ausdrücklich festgestellt, daß jedenfalls dann, wenn der Fehler nicht so schwerwiegend sei, daß von einer Wahl im Rechtssinne überhaupt nicht mehr gesprochen werden könne, die Besetzung der Spruchkörper nicht als vorschriftswidrig angesehen werden könne. Folgerichtig hat der BGH in seinem Urteil vom 21. September 1981 (2 StR 327/84 in NJW 1984, S. 2839) festgestellt, daß bei der in Frankfurt am Main vorgenommenen Auslosung der Schöffen keine Wahl im Rechtssinne stattgefunden habe und damit diese Schöffen das Amt des Schöffen nicht erlangt hätten. Durch die Auslosung werde der Legitimationszusammenhang der Auslese durch Wahlen und damit aus der Staatsgewalt des Volkes unterbrochen. Daß jemand, der nicht Richter sei (z.B. ein ungültig gewählter Schöffe) auch nicht der gesetzliche Richter sein könne, verstehe sich von selbst. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 9. Juni 1971 (2 BvR 114, 127/71 – BVerfGE 31, S. 181) festgestellt, daß nur der Schöffe, der auf rechtswirksame Weise gewählt worden sei, gesetzlicher Richter sei. Die dortige Wahl habe nicht den zwingenden gesetzlichen Vorschriften entsprochen und sei daher ungültig gewesen. Nachdem die Stadtverordnetenversammlung nicht in der Lage gewesen sei, die vier von ihr zu entsendenden Vertrauenspersonen zu bestimmen, sei ein Schöffenwahlausschuß im Sinne des § 40 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) nicht vorhanden gewesen.

Will man den hier zu entscheidenden Verstoß des Hessischen Sozialministers unter Beachtung der zitierten Entscheidungen einordnen, drängt sich ein Vergleich mit der zweiten Gruppe auf, bei der die Nichtigkeit der Schöffenwahl festgestellt wurde.

Besonderes Gewicht erhält diese Feststellung dadurch, daß das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem Beschluss vom 17. Dezember 1969 (s.o.) ausgeführt hat, daß der Spielraum staatlicher Mitwirkung bei der Ernennung der kassenärztlichen Sozialrichter zu gering und ein ausreichender staatlicher Einfluß bei der Berufung der Richter dann nicht mehr gewährleistet wäre, wenn für die Auswahl die einmal vorgelegte Vorschlagsliste endgültig und unabänderlich maßgebend sei. § 14 Abs. 1 SGG lege lediglich die Richtzahl für die Vorschläge fest, er schließe nicht aus, daß die Liste ggf. erweitert werden müsse. Die zur Berufung und Ernennung der Sozialrichter zuständige Stelle habe also das Recht und die Pflicht, falls die ursprüngliche Liste nicht genügend geeignete Richter enthalte, eine geeignete Ergänzung zu verlangen. § 13 Abs. 1 i.V. § 14 Abs. 1 SGG sicherten mithin einen ausreichenden Einfluß des Staates auf die Besetzung der Kammern und Senate für Angelegenheiten der Kassenärzte. Bereits mit Beschluss vom 11. Juni 1969 (2 BvR 518/66 in BVerfGE 26, 186 (196)) hat das Bundesverfassungsgericht entsprechend für die Ehrengerichtshöfe für Rechtsanwälte entschieden, wobei dort die Vorschlagslisten mindestens das eineinhalbfache der erforderlichen Stellen enthalten mußten.

Unter Berücksichtigung des oben gewonnenen Ergebnisses, daß der Hessische Sozialminister nicht einmal das zwingend vorgeschriebene gesetzliche Verfahren eingehalten hat, indem er die ehrenamtlichen Richter ohne Vorschlagslisten auf Grund von Einzelvorschlägen ernannte, muß darin ein schwerer und auch offensichtlicher Fehler des Verfahrens gesehen werden (vgl. Rohwer-Kahlmann, Kommentar zum SGG, Loseblattausgabe, 4. Auflage, 26. Lieferung Oktober 1984, Bd. 1, § 13 Rndr. 3 und Lattreuter, Der Sozialrichter 1970, S. 50).

Dabei kommt der Behauptung des Hessischen Ministers für Arbeit, Umwelt und Soziales, daß er jederzeit die Auswahlmöglichkeit in Anspruch genommen habe und nie an die Vorschläge der Verbände und Stellen gebunden gewesen sei und er in Einzelfällen bei begründeten Zweifeln an der Qualifikation diese Personen zurückgewiesen habe und sich stets des Rechtes bewußt gewesen sei, ergänzende Vorschläge zu verlangen, keine ausschlaggebende Bedeutung zu, da dies allenfalls nur dann zu einer verfassungsgemäßen Berufung der ehrenamtlichen Richter hätte führen können, wenn sich das Verfahren im übrigen im Rahmen der §§ 13, 14 SGG gehalten hätte. Es war deshalb auch nicht näher zu prüfen, in welcher Weise sich das behauptete Bewußtsein des Ministers geäußert und wann es sich tatsächlich derart manifestiert hat, daß ein zusätzlicher Einzelvorschlag verlangt wurde.
Rechtskraft
Aus
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