L 28 B 1389/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 34 AS 15703/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 B 1389/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerinnen wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 27. Juli 2007 aufgehoben. Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellerinnen eine Zusicherung zu den Aufwendungen für die Wohnung in der Sstr. in B zu den Bedingungen des Wohnungsangebotes der Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte mbH vom 19. Juni 2007 zu erteilen. Der Antragsgegner hat den Antragstellerinnen die Kosten des gesamten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu erstatten.

Gründe:

Das Aktivrubrum war zu ändern. Gegenstand dieses einstweiligen Rechtsschutzverfahren sind bei sachgerechter Auslegung des geltend gemachten Begehrens die Anträge der in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Antragstellerinnen zu 1) und zu 2) auf Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - des Sozialgesetzbuches (SGB II). Die Antragstellerin zu 1) kann als Mitglied dieser Bedarfsgemeinschaft nicht im eigenen Namen die Ansprüche der Antragstellerin zu 2) in einem gerichtlichen Verfahren verfolgen, sondern jedes Mitglied muss seine Ansprüche im eigenen Namen geltend machen (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R, SozR 4-4200 § 22 Nr. 1und bereits Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Mai 2006 - L 10 AS 102/06 -). Die Bevollmächtigung der Antragstellerin zu 1) für das vorliegende Verfahren konnte dabei unterstellt werden (§ 73 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Die statthafte und zulässige Beschwerde (§§ 172, 173 SGG), der das Sozialgericht Berlin nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig. Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und dass die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Dabei sind der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund jeweils glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO).

Im vorliegenden Fall war der Antragsgegner auf den Antrag der Antragstellerinnen zu verpflichten, ihnen eine Zusicherung nach § 22 Abs. 2 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu den Aufwendungen der neuen, 53,85 m² großen Wohnung in der Sstr. in B, mit der voraussichtlichen Warmmiete von 444,33 EUR, zu erteilen.

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II soll der Hilfebedürftige vor Abschluss eines Vertrages über eine Unterkunft eine Zusicherung des zuständigen kommunalen Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Der kommunale Träger ist nach § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II zur Erteilung einer Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen angemessen sind.

Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand ist der Umzug der Antragstellerinnen erforderlich. Ob ein Grund vorliegt, der einen Umzug erforderlich macht, ist nach Einschätzung des Senats nach den Verhältnissen des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. Sauer in Jahn, SGB II, § 22 RdNr 41). Der erwerbsfähige Hilfebedürftige muss hinsichtlich der Aufwendungen für seine Unterkunft zwar Beschränkungen auch dann hinnehmen, wenn er einen Wechsel zwischen Wohnungen beabsichtigt, deren Kosten angemessen sind. Ihm wird auferlegt, auf Gestaltungen, die er als Verbesserung seiner Lebensumstände ansieht, zu verzichten und Wünsche zurückzustellen, auch wenn er nicht mehr anstrebt als bei einem bereits bestehenden oder aus zwingenden Gründen neu abzuschließenden Mietvertrag als Leistung nach §§ 19, 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu erbringen ist. Dies gebietet aber eine Auslegung, die nur maßvolle Beschränkungen mit sich bringt. Das folgt bereits aus dem Wortlaut, wonach nicht etwa zwingende Gründe zu verlangen sind (Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 6. Juni 2007 – L 26 B 660/07 AS PKH). § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II soll einer Kostensteigerung durch Ausschöpfen der jeweils örtlichen Angemessenheitsgrenzen entgegenwirken (Berlit, a. a. O., § 22 RdNr. 44 m. w. Nachw.).

An diesen Grundsätzen gemessen ist der Umzug der Antragstellerinnen erforderlich. Denn der Umzug erfolgt nicht, um ohne sachliche und vertretbare Gründe, unter Ausnutzung der Angemessenheitskriterien, eine Verbesserung der Wohnverhältnisse herbeizuführen. Die Antragstellerin zu 1) bewohnte bisher die 43,15 qm große 1-Zimmer Wohnung alleine. Nach der Geburt ihrer Tochter, der Antragstellerin zu 2), am 14. April 2007, ist der Unterkunftsbedarf dieser Bedarfsgemeinschaft nicht mehr hinreichend gedeckt, weil die Antragstellerin zu 1) die Möglichkeit haben muss, sich ohne Einschränkungen und notwendige Rücksichtnahmen, die die Anwesenheit eines Kleinkindes mit sich bringt, in der Wohnung aufzuhalten. Dies ist aber grundsätzlich in einer 1-Zimmer-Wohnug nicht gewährleistet. Insoweit hat auch der Antragsgegner bereits im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 22. Mai 2007 vor dem Sozialgericht Berlin eine entsprechende "abstrakte Zustimmung zum Umzug" erteilt.

Ob die Aufwendungen für die neue Wohnung angemessen sind, ist entgegen der Auffassung des Antragsgegners und des Sozialgerichts nicht in erster Linie anhand der Ausführungs-vorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II (AV-Wohnen) zu bestimmen. Die Prüfung der Angemessenheit setzt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 7. November 2006 - B 7 b AS 18/06 R -, zitiert nach juris RdNr. 19 ff.), von der abzuweichen der Senat nach erster Prüfung keinen Anlass sieht, vielmehr eine Einzelfallprüfung voraus. Dabei ist zunächst die maßgebliche Größe der Unterkunft zu bestimmen, und zwar typisierend (mit der Möglichkeit von Ausnahmen) anhand der landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen über die Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus. In Berlin ist danach für 2 Personen grundsätzlich eine 2-Zimmer-Wohnung mit einer Gesamtwohnfläche bis zu 65 m² angemessen (vgl. insoweit die zur Umsetzung von § 5 Wohnungsbindungsgesetz (WoBindG) in Verbindung mit § 27 Abs. 1 bis 5 Wohnraumförderungsgesetz (WoFG) erlassenen Arbeitshinweise der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 15. Dezember 2004 (Mitteilung Nr. 8/2004)). Nach vorläufiger Einschätzung sieht der Senat keinen Anlass dafür, diese der abstrakten Bestimmung eines angemessenen Mietpreises dienenden Werte für den Fall herabzusetzen, dass die Bedarfsgemeinschaft aus einem Erwachsenen und einem Kleinkind mit einem anzuerkennenden Raumbedarf von 2 Zimmern besteht. Ob eine andere Zimmeranzahl und damit eine geringere Wohnungsgröße für Familien mit mehreren Kleinkindern zugrunde zu legen ist, weil Kleinkindern ein eigenes Zimmer nicht zugebilligt werden muss, bleibt ausdrücklich offen.

Sodann ist der Wohnstandard festzustellen, wobei dem Hilfebedürftigen lediglich ein einfacher und im unteren Segment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung zusteht. Als Ver-gleichsmaßstab ist regelmäßig die Miete am Wohnort heranzuziehen. Letztlich kommt es darauf an, dass das Produkt aus Wohnfläche und Standard, das sich in der Wohnungsmiete niederschlägt, der Angemessenheit entspricht (so genannte Produkttheorie, vgl. BSG a. a. O.).

Zur Bestimmung des angemessenen Mietzinses stützt sich der Senat auf den örtlichen, gemäß §§ 558c und 558d BGB qualifizierten Mietspiegel des Landes Berlin vom 11. Juli 2007 (Amtsblatt 2007 S. 1797). Die Antragstellerinnen wohnen derzeit in der W. in dem Bezirk F-, einer nach dem Berliner Mietspiegel einfachen und also ihren Lebensverhältnissen angemessenen Wohnlage. Für Wohnungen mit dem Baujahr von 1919 bis 1949 sowie mit Sammelheizung, Bad und Innentoilette (mithin von sanierten Altbauten), die den Bestand der Wohnlage prägen und zu dem auch die innegehabte Wohnung gehört, ergibt sich ein Mittelwert der Nettokaltmiete in Höhe von 4,77 EUR pro Quadratmeter. Hinzu kommen die Betriebskosten, für die sich im Jahr 2005 ein durchschnittlicher Wert in Höhe von 2,26 EUR (1,63 EUR für sog. kalte Betriebskosten, 0,56 EUR für die Heizung und 0,07 EUR für sonstige Kosten; vgl. Berliner Betriebskostenübersicht 2005 der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung).Daraus ergibt sich ein Richtwert von 456,95 EUR (7,03 EUR ( 4,77 EUR + 2,26 EUR ) x 65m²). Ähnlich hoch ist der Wert, der sich ergibt, wenn man den von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gemeinsam mit der Investitionsbank Berlin im Wohnungsmarktbericht 2006 für das Jahr 2005 veröffentlichten Durchschnittswert für alle Sozialwohnungen im 1. Förderweg (die allerdings nicht nur einfache Wohnlagen erfassen) mit einem Betrag von 4,75 EUR pro m² zugrunde legt (nämlich 455,65 EUR als Produkt aus 7,01 EUR ( 4,75 EUR + 2,26 EUR ) x 65m²), wobei anzumerken ist, dass dieser Durchschnittswert für den Bezirk F mit einer Nettokaltmiete von 5,15 EUR pro m² zum Stichtag 31. Dezember 2006 deutlich darüber liegt. Legt man im weiteren – abweichend vom Berliner Mietspiegel und den AV-Wohnen - zusätzlich "warme" Betriebskosten ("kalte" Betriebskosten zuzüglich Heizkosten und Warmwasser) von mittlerweile durchschnittlich 2,74 EUR pro m² zugrunde (vgl. Betriebskostenspiegel 2006 des Deutschen Mieterbundes unter http://www.mieterbund.de/presse/2006/pm 2006 12 14-2.html), erhöht sich die Angemessenheitsgrenze gegenüber den eben dargestellten Grenzen nochmals um 0,48 EUR pro m², insgesamt also um 31,20 EUR auf eine Bruttowarmmiete von monatlich 488,15 EUR bzw. 486,85 EUR. Vor diesem Hintergrund sind die Aufwendungen für die neue Wohnung in der Sstr. in B in Höhe von monatlich 444,33 EUR nach sämtlichen der aufgezeigten Berechnungsmöglichkeiten nicht unangemessen hoch, selbst wenn sich hier – wie der Antragsgegner meint - im Ergebnis höhere als die voraus zu zahlenden Nebenkosten ergeben sollten.

Im Hinblick darauf, dass die Antragstellerin zu 1) die Wohnung in der Wstr. bereits gekündigt hat und die Aufwendungen der neuen Wohnung angemessen sind, liegt auch ein Anordnungsgrund vor. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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