L 29 B 2228/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 59 AS 19509/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 29 B 2228/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 17. Oktober 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg wird abgelehnt.

Gründe:

I. Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) über den 23. Juli 2007 hinaus.

Der Antragsteller hat keinen festen Wohnsitz und hält sich nach eigenen Angaben mit einem Wohnwagen an ständig wechselnden Stellen in Berlin-Pankow auf. Er bezog vom 13. März 2007 bis zum 11. März 2008 Arbeitslosengeld in Höhe von 4,81 EUR täglich (Bewilligungsbescheid der Agentur für Arbeit Pankow vom 30. April 2007).

Am 7. Juni 2007 beantragte der Antragsteller bei dem Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Nachdem, ausweislich eines in den Verwaltungsakten des Antragsgegners enthaltenen Vermerks vom 24. Juli 2007, die Mitarbeiterin J anlässlich einer Außenprüfung festgestellt hatte, dass die Wagenburg "F" in P vollständig geräumt worden war, bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller mit Bescheid vom 1. August 2008 Leistungen nur für die Zeit vom 7. Juni 2007 bis zum 23. Juli 2007.

Ausweislich eines weiteren in den Verwaltungsakten des Antragsgegners enthaltenen Vermerks vom 2. August 2007 wurde der Antragsteller aufgefordert, einen Nachweis über den derzeitigen tatsächlichen Aufenthalt zu erbringen. Ein entsprechender Nachweis wurde nicht erbracht.

Am 22. August 2007 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, mit der er über den 23. Juli 2007 hinaus laufende Regelleistungen in Höhe von 347 EUR (hilfsweise 80 % der Regelleistung) begehrt hat; dieses Verfahren ist dort unter dem Aktenzeichen S 59 AS 19509/07 ER registriert worden.

Das Sozialgericht Berlin hat durch Beschluss vom 17. Oktober 2007 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Das Gericht sei aufgrund der fehlenden Angaben des Antragstellers zum tatsächlichen Aufenthalt nicht in der Lage, seine Zuständigkeit zu prüfen. Eine Glaubhaftmachung über einen Aufenthalt in B sei nicht erfolgt.

Gegen den am 06. November 2007 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 08. November 2007 Beschwerde eingelegt. Das Sozialgericht Berlin hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Mit seiner Beschwerde führt der Antragsteller aus, er habe keinen festen Wohnsitz, sondern lebe seit mehreren Monaten in einem gemieteten Wohnwagen, für welchen er keinen festen Stellplatz habe, sich jedoch seit dem 14. Juli 2007 auf ständig wechselnden Parkplätzen in B-P aufhalte. Der Antragsgegner könne sich nicht darauf berufen, dass er sich irgendwann einmal in B-L aufgehalten habe. In der S habe sein Bruder gewohnt, die Wohnung habe wegen Haftaufenthalts aufgegeben werden müssen. Der Anspruch auf die Regelleistung sei immer gegeben, auch wenn unklar sei, wo der Hilfebedürftige sich aufhalte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Gerichtsakten des Landesozialgerichts Berlin-Brandenburg (L 19 B 1700/07 AS ER) und der beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Ein Anordnungsanspruch - die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist - sowie der Anordnungsgrund - die Eilbedürftigkeit der begehrten sofortigen Regelung - sind glaubhaft zu machen, § 86 b Abs. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung –ZPO-).

In Bezug auf Leistungen zum Lebensunterhalt für die Zeit bis zur Entscheidung des erkennenden Senats steht dem Antragsteller kein Anordnungsgrund zur Seite. Derartige Ansprüche für die Vergangenheit können regelmäßig nicht im Wege eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens anerkannt werden, sondern sind in einem Hauptsacheverfahren geltend zu machen, denn Aufgabe des einstweiligen Rechtsschutzes ist es, eine akute Notlage zu beseitigen (vgl. auch LSG Hessen, Beschluss vom 26.Oktober 2005 - L 7 AS 65/05 ER -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Februar 2006 - L 10 B 1354/05 AS ER -, jeweils zitiert nach Juris). Etwas anderes kann nur dann in Betracht kommen, wenn die sofortige Verfügbarkeit von für zurückliegende Zeiträume zu zahlenden Hilfen zur Abwendung eines gegenwärtig drohenden Nachteils erforderlich ist. Diesbezüglich ist von dem Antragsteller nichts vorgetragen worden, insbesondere reicht der mit Schriftsatz vom 19. März 2008 gegebene Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Mai 2005 hierfür nicht aus.

Soweit der Antragsteller die Verpflichtung des Antraggegners begehrt, im Wege der einstweiligen Anordnung Leistungen für die Zeit ab der Entscheidung des Senats zu erhalten, ist zumindest ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der seit dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung erhalten Leistungen nach diesem Gesetz Personen, die

1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II (bei dem geborenen Antragsteller das 67. Lebensjahr) noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfsbedürftige).

Nach § 7 Abs. 4a SGB II erhält Leistungen nach dem SGB II nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung (EAO) vom 23. Oktober 1997 (ANBA 1997, S. 1685, ber. S. 1100), geändert durch die 1. Änderungsanordnung vom 16. November 2001 (ANBA Nr. 12 vom 28. Dezember 2001, S. 1476), definierten zeit- und ortsnahen Bereiches aufhält; die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung gelten entsprechend.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EAO kann ein Arbeitsloser Vorschlägen zur beruflichen Eingliederung zeigt - und ortsnah Folge leisten, wenn er in der Lage ist, unverzüglich

1. von Mitteilungen des Arbeitsamtes persönlich Kenntnis zu nehmen, 2. das Arbeitsamt aufzusuchen, 3. mit einem möglichen Arbeitgeber oder Träger einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme in Verbindung zu treten und bei Bedarf persönlich mit diesem zusammenzutreffen und 4. eine vorgeschlagene Arbeit anzunehmen oder an einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme teilzunehmen.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu der bei Ansprüchen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) ebenfalls geltenden EAO ist es unverzichtbar, dass sich der Arbeitslose zu irgendeiner Tageszeit nach Eingang der Briefpost in seiner Wohnung aufhält, um der Forderung des § § 1 Satz 2 EAO zu genügen. Die Anforderungen des § 1 EAO hat der Arbeitslose jedenfalls erfüllt, wenn er sich einmal werktäglich in seiner Wohnung aufhält, um die Briefpost in Empfang und zur Kenntnis zu nehmen, und dieser Zeitpunkt nach dem Eingang der Briefpost liegt (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 03. Mai 2001, Az. B. 11 AL 7 1/00 R, juris Rn. 20 = SozR 3-4300 § 119 Nr. 2).

Bei Obdachlosen, wie dem Antragsteller, können diese Anforderungen mangels Vorhandenseins einer Wohnung nicht erfüllt werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein Obdachloser keine Leistungen nach dem SGB II beziehen kann. Der Gesetzgeber hat mit der Einfügung des § 36 Satz 3 in das SGB II zum 01. August 2006 deutlich gemacht, dass auch Nichtsesshafte Arbeitslosengeld II beziehen können sollen. Die Gesetzesbegründung lautet folgendermaßen:

"Die Regelung über die örtliche Zuständigkeit stellt bisher ausschließlich auf das Vorhandensein eines gewöhnlichen Aufenthaltsortes ab. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass es Lebensumstände und dementsprechend Leistungsfälle geben kann, in denen ein gewöhnlicher Aufenthaltsort nicht feststellbar ist oder nicht vorhanden ist. Gleichwohl sollen diese Menschen die Möglichkeit haben, an einer Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu partizipieren, ihre persönliche Situation zu stabilisieren und letztlich auch wieder sesshaft zu werden. Es handelt sich insoweit also um eine Regelungslücke, die adäquat geschlossen werden muss, um dem Gesetzeszweck Rechnung zu tragen und zu vermeiden, dass Menschen allein aufgrund ihrer atypischen Lebensgewohnheiten aus dem Grundsatz des Förderns und Forderns ausgeschlossen werden. Im Zweifel muss sich die örtliche Zuständigkeit daher am tatsächlichen Aufenthaltsort orientieren".

Für Wohnungslose müssen die Anforderungen des § 1 Satz 2 EAO daher modifiziert werden. Es muss jedoch sichergestellt werden, dass der Hilfesuchende jeden Tag für den Träger der Grundsicherung erreichbar ist. Dies ist nach Auffassung des Senats möglich durch eine tägliche persönliche Meldung des Hilfesuchenden bei dem Träger der Grundsicherung. Der Senat hat jedoch auch keine Bedenken gegen die von dem Antragsgegner vorgeschlagene Verfahrensweise, nämlich dass sich der Antragsteller täglich bei einer anerkannten Beratungs- und Betreuungseinrichtung, die sich dann im jeweiligen Zuständigkeitsbereich des entsprechenden Trägers der Grundsicherung befinden müsste, meldet (so auch Brühl/Schoch in LPK-SGB II, 2. Aufl., § 7 Rn. 92) und die sich verpflichtet, dem Träger der Grundsicherung mitzuteilen, wenn sich der Hilfesuchende dort nicht mehr meldet. Damit könnte den Anforderungen der EAO nachgekommen und gleichzeitig sichergestellt werden, dass der Träger der Grundsicherung erfährt, wenn sich der Hilfesuchende nicht mehr in seinem Zuständigkeitsbereich aufhält. Der Antragsteller müsste dem Antragsgegner eine entsprechende "Erreichbarkeitsbescheinigung" vorlegen. Vordrucke hierfür sind beim Antragsgegner erhältlich. Auch müsste der Antragsgegner dem Antragsteller eine entsprechende Beratungs- und Betreuungseinrichtung benennen.

Solange der Antragsteller diesen Anforderungen nicht nachkommt, sich also nicht entweder jeden Tag persönlich bei dem Antragsgegner meldet oder eine Beratungs- und Betreuungseinrichtung angibt und sich jeden Tag bei dieser meldet, ist er nicht erreichbar und hat damit keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.

Insoweit kann offen bleiben, ob der Antragsteller seinen tatsächlichen Aufenthalt im Bezirk Pankow hat oder nicht. Selbst wenn dies in Übereinstimmung mit dem mit Wirkung vom 01. August 2006 eingefügten § 36 Satz 3 SGB II der Fall wäre, der Antragsgegner mithin als der Träger der Grundsicherung vorliegend örtlich zuständig wäre, fehlt es vorliegend - wie oben bereits ausgeführt - an einem Anordnungsanspruch, so dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen war.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war mangels Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung abzulehnen (§ 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO).

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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