S 10 AS 2252/08 ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 10 AS 2252/08 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Rechtswidrige Sanktion nach § 31 Abs. 5 SGB II
Bemerkung
Die Rechtsfolgenbelehrung nach § 31 Abs. 5 SGB II muss zutreffen und
hinreichend konkret sein.
Die Leistungsbezieherin hat einen wichtigen Grund glaubhaft gemacht, an
einer Maßnahme nicht teilnehmen zu müssen, wenn sie kurz vor dem Beginn
einer Selbst
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin unter dem Az. S 10 AS 2652/08 gegen den Bescheid vom 11.04.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2008 wird angeordnet. II. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen eine Sanktion durch den Antragsgegner, durch die ihr für den Zeitraum 01.05.2008 bis 31.07.2008 sämtliche Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) entzogen werden. Die am 1987 geborene Antragstellerin beantragte erstmals am 26.01.2006 beim Antragsgegner Arbeitslosengeld II. Zuletzt bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin mit Bescheid vom 24.01.2008 monatlich 582,50 EUR. Bereits mit Bescheid vom 12.09.2007 verhängte der Antragsgegner gegen die Antragstellerin eine Sanktion in Höhe von 100 % der Regelleistung und beschränkte die Leistungen im Zeitraum Oktober bis Dezember 2007 auf Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 235,50 EUR. Dieser Bescheid ist bestandskräftig geworden. Am 19.10.2007 schlossen die Beteiligten eine bis 28.02.2008 gültige Eingliederungsvereinbarung. Mit Schreiben vom 22.02.2008 lud der Antragsgegner die Antragstellerin zu einer Informationsveranstaltung am 28.02.2008 über die Qualifizierungsmaßnahme "X. ", an der sie vom 03.03.2008 bis 31.08.2008 teilnehmen solle. Das Schreiben enthielt eine allgemeine Rechtsfolgenbelehrung. Die Antragstellerin teilte Frau G. , der Sozialpädagogin des Maßnahmeträgers, am 27.02.2008 mit, dass sie sich mit der Eröffnung einer Gaststätte selbständig machen wolle. Darauf hin bestätigte Frau G. der Antragstellerin schriftlich: "am 27.08.2008 bei mir entschuldigt da Selbständigkeit geplant!". Mit Schreiben vom 04.03.2008 lud der Antragsgegner die Antragstellerin zu einer Anhörung am 03.04.2008 über die Abmeldung von der Maßnahme ein. Ausweislich eines Vermerkes einer Mitarbeiterin des Antragsgegnerin teilte die Antragstellerin bei der Anhörung am 03.04.2008 mit, dass sie plane, als Selbständige eine Kneipe zu eröffnen. Am Montag werde die IHK die Schankgenehmigung erteilen. Das Existenzgründerseminar habe sie im September 2007 besucht. Das Konzept sei gerade in Arbeit. Die Antragstellerin stellte Fragen zur finanziellen Unterstützung durch den Antragsgegner. Der Mietvertrag für die Kneipe liege vor. Die Neueröffnung sei zum 01.05.2008 geplant. Die Gewerbegenehmigung könne erst beantragt werden, wenn die Schankgenehmigung erteilt sei. Der Antragsgegner habe sich bereit erklärt, keine Sanktion zu erlassen, wenn in der nächsten Woche der Mietvertrag für das Objekt und die Gewerbegenehmigung/Schankgenehmigung vorgelegt werde. Andernfalls trete die Sanktion ein. Mit Bescheid vom 11.04.2008 entzog der Antragsgegner der Antragstellerin für den Zeitraum 01.05.2008 bis 31.07.2008 sämtliche Leistungen und änderte den Bescheid vom 24.01.2008 entsprechend ab. Die Antragstellerin erhob am 25.04.2008 Widerspruch und wies auf Kommunikationsprobleme mit dem Fallmanager hin. Am 09.05.2008 hat die Antragstellerin einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Sie plane seit 2007, sich selbständig zu machen. Die Einladung zur Teilnahme an der Maßnahme "X. " habe sie am 27.02.2008 erreicht. Sie habe sich am gleichen Tag bei Frau G. entschuldigt. Die Anhörung vom 04.03.2008 habe sich auf die Abmeldung, nicht eine Sanktion bezogen. Sie habe am 03.04.2008 versucht zu erklären, dass sie für die Selbständigkeit ein Konzept brauche, das beim Steuerberater liege. Der Kurs über die Grundzüge der Schank- und Speisewirtschaft habe erst am 07.04.2008 stattgefunden. Es sei illusorisch gewesen, die Vorlage der Gewerbe- und Schankgenehmigung bis 11.04.2008 zu verlangen. Die Eröffnung der Gaststätte sei für Ende Juni 2008 geplant. Ein Wichtiger Grund für die Nichtteilnahme an der Maßnahme sei gegeben. Die Antragstellerin beantragt, die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 11.04.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2008. Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen. Die Antragstellerin habe bis 11.04.2008 die Möglichkeit gehabt, ihre Gründe für die Weigerung der Teilnahme vorzutragen. Derzeit sei offenbar weder die Finanzierung noch das Konzept gesichert. Es bestehe keine Eilbedüftigkeit. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.05.2008 hat der Antragsgegner den Widerspruch zurückgewiesen. Ein vom Gericht anberaumter Erörterungstermin am 26.05.2008 hat zu keiner gütlichen Einigung geführt. Die Antragstellerin hat ein Konzept zur Existenzgründung, eine Stellungnahme einer fachkundigen Stelle zur Tragfähigkeit der Existenzgründung vom 05.05.2008, eine Rentabilitätsvorschau 2008 bis 2010, einen nur vom Vermieter unterschriebenen Mietvertrag sowie verschiedene noch nicht ausgefüllte Anträge vorgelegt. Am 29.05.2008 hat die Antragstellerin Klage erhoben, die unter dem Aktenzeichen S 10 AS 2652/08 geführt wird und über die noch nicht entschieden ist. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Antragsgegner vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist begründet. Nach § 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung entfällt nach § 86 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen. Ein solcher Fall liegt hier vor, da nach § 39 Nr. 1 SGB II Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende entscheidet keine aufschiebende Wirkung haben. Es handelt sich bei dem angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides um einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende in diesem Sinne entscheidet. Absenkung und Wegfall treten nach § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB II mit Wirkung des Kalendermonats ein, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsakts, der die Absenkung oder den Wegfall der Leistung feststellt, folgt. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll somit die Rechtsfolge "auf dem Fuße" folgen. Auf Antrag kann das Gericht die aufschiebende Wirkung in Fällen des § 86 a Abs. 2 SGG anordnen (§ 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG). Dabei hat das Gericht bei seiner Entscheidung dieselben Grundsätze zugrunde zu legen, wie die Behörde bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung (nach § 86 a Abs. 3 Satz 2 SGG). Das Gericht entscheidet dabei nach eigenem Ermessen losgelöst von der Verwaltungsentscheidung und überprüft nicht nur deren Rechtmäßigkeit. Die aufschiebende Wirkung ist auch dann anzuordnen, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt Belasteten gegenüber dem Interesse der Verwaltung am Sofortvollzug feststellbar ist. Der Sanktionsbescheid vom 11.04.2008 erweist sich bei der hier gebotenen summarischen Prüfung als rechtswidrig. Nach § 31 Abs. 5 Satz 1 und 2 SGB II in Verbindung mit § 31 Abs. 4 Nr. 3 Buchstabe b SGB II und § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) wird das Arbeitslosengeld II um 100 % gemindert, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige unter 25 Jahre alt ist und sich ohne wichtigen Grund trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, an einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme teilzunehmen. Der angefochtene Bescheid ist schon deshalb rechtswidrig, weil der Antragsgegner der Einladung vom 22.02.2008 keine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung beigefügt hat. Die Rechtsfolgenbelehrung ist in erster Linie deshalb fehlerhaft, weil sie sich ausschließlich auf die Verstöße gegen § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB II bezieht, nicht aber auf den Verstoß gegen § 31 Abs. 4 Nr. 3 Buchstabe b SGB II in Verbindung mit § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB III, auf den die Sanktion gestützt ist. Damit hat der Antragsgegner eine Rechtsfolgenbelehrung beigefügt, die auf den Fall der Antragstellerin überhaupt nicht passt. Im Übrigen darf aber die Rechtsfolgenbelehrung sich nicht in einer bloßen Formalie oder der formelhaften Wiederholung des Gesetzestextes erschöpfen. Sie hat dem Hilfebedürftigen konkret, eindeutig, verständlich, verbindlich und rechtlich zutreffend die unmittelbaren und konkreten Auswirkungen eines bestimmten Handelns vor Augen zu führen (vgl. Münder, SGB II, 2. Auflage 2007, § 31 Rn. 64 m.w.N.). Daher war der Antragsgegner gehalten, der Antragstellerin nicht ein Sammelsurium verschiedener Verfehlungen und der verschiedenen Sanktionen je nach dem, ob bereits zuvor eine Sanktionierung erfolgte, aufzuzählen, sondern die konkrete Verfehlung der konkret im Fall der Antragstellerin drohenden Sanktion gegenüberzustellen und den Verweis auf weitere Verfehlungen, die die Antragstellerin zu begehen überhaupt nicht in der Lage war, zur Vermeidung von Verwirrungen zu unterlassen. Selbst wenn der Antragsgegner die Nichtteilnahme an der angeordneten Maßnahme als weiteres Beispiel in den Katalog der Rechtsfolgenbelehrung aufgenommen hätte wäre die Rechtsfolgenbelehrung in dieser Form daher rechtswidrig gewesen. Der angefochtene Bescheid ist ferner rechtswidrig, da eine ordnungsgemäße Anhörung nicht stattgefunden hat. Der Antragsgegner war gemäß § 24 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) verpflichtet, die Antragstellerin vor Erlass des Sanktionsbescheides anzuhören. Aus dem Anschreiben vom 04.03.2008 ergibt sich bereits nicht, dass die Anhörung am 03.04.2008 zu einer beabsichtigten Sanktion erfolgen sollte. Aus der Niederschrift zu dem Gespräch am 03.04.2008 ergibt sich ausschließlich, dass die Antragstellerin aufgefordert wurde, innerhalb einer Woche Unterlagen vorzulegen, andernfalls trete eine Sanktion ein. Diese Frist erscheint in Anbetracht der Tatsache, dass die Erteilung der Gewerbegenehmigung von der Vorlage der Schankgenehmigung abhängig ist, diese jedoch erst nach Besuch der Veranstaltung am 07.04.2008 überhaupt erteilt werden sollte, als unangemessen kurz. Denn es ist nicht ersichtlich, dass es im Einflussbereich der Antragstellerin gelegen hätte, innerhalb dieser kurzen Frist die geforderten Unterlagen vorzulegen. Vielmehr hängt die Erteilung einer behördlichen Genehmigung maßgeblich von der Bearbeitungsdauer innerhalb der Behörde ab, auf die die Antragstellerin kaum Einfluss nehmen kann. Schließlich lag ein wichtiger Grund dafür vor, dass die Antragstellerin an der Maßnahme nicht teilgenommen hat. Denn sie plante ernsthaft die Beendigung ihrer Arbeitslosigkeit durch die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit. Hierfür war die vom Antragsgegner angebotene Maßnahme von keinerlei Nutzen. Dies hat der Antragsgegner offensichtlich von Anfang an verkannt und damit gegen die in § 1 SGB II festgehaltenen Grundsätze verstoßen. Wenn der Antragsgegner Bedenken an der Tragfähigkeit des Vorhabens der Antragstellerin haben sollte, so war und ist es ihm unbenommen, diese fachkundig prüfen zu lassen und die Antragstellerin ggf. damit zu konfrontieren, dass er ihr Vorhaben für undurchführbar hält. Dies hat der Antragsgegner jedoch während des gesamten Verwaltungsverfahrens unterlassen. Daher muss zunächst mit der fachkundigen Stellungnahme vom 05.05.2008 davon ausgegangen werden, dass die beabsichtigte Selbständigkeit der Antragstellerin eine Möglichkeit bietet, in absehbarer Zeit aus der Arbeitslosigkeit und dem Leistungsbezug zu kommen. In dieser Situation war der Antragsgegner verpflichtet, seine Bemühungen darauf zu konzentrieren, die Antragstellerin bei ihrem Vorhaben in jeder Hinsicht zu unterstützen. Dies ist in § 1 Abs. 1 Satz 1 und 2, Satz 4 Nr. 1 SGB II ausdrücklich festgehalten. Gegen diese Grundprinzipien hat der Antragsgegner in eklatanter Weise verstoßen, indem er zunächst versucht hat, die Antragstellerin in eine Maßnahme zu zwingen, die ihr in der derzeitigen Lebenssituation der Vorbereitung einer unmittelbar bevorstehenden Selbständigkeit von keinerlei Nutzen ist und sie sodann mit einer rechtswidrigen Sanktion belegt hat, die es ihr erheblich erschwert, ihr Vorhaben voranzubringen, da ihr sämtliche Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts versagt werden. Unter diesen Umständen kann ein wichtiger Grund dafür, sich von der Maßnahme zu entschuldigen, ohne Weiteres angenommen werden. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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