L 9 B 39/08 SO

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 20 SO 195/07
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 B 39/08 SO
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Verwaltung hat einen zureichenden Grund, jedenfalls in Fällen von geringer Bedeutung einen Widerspruchsbescheid erst nach 4 1/2 Monaten zu erlassen, wenn der Kläger im Monat der Klageerhebung 17 weitere Verfahren (davon 7 Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung) vor dem Sozialgericht anhängig gemacht hat.

Die Verwaltung läuft sonst Gefahr, ihre Verwaltungstätigkeit zu Lasten der übrigen Leistungsempfänger in erster Linie nach den Leistungsempfängern auszurichten, die eine Vielzahl von Verfahren anhängig machen.

Die Erhebung einer Untätigkeitsklage zur Beschleunigung einer geltend gemachten Forderung in Höhe von 1,71 € mit Beauftragung eines Rechtsanwaltes (und dadurch einem um ein Vielfaches höheren Kostenrisiko) ist unverhältnismäßig und damit mutwillig. Sie wäre von einer verständigen nicht bedürftigen Partei auf eigenes Kostenrisiko nicht zu erwarten; diese würde vernünftigerweise in einem solchen Fall weder eine Klage erheben, noch einen Rechtsanwalt beauftragen.
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 11. Februar 2008 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

In dem Beschwerdeverfahren geht es um die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für eine Untätigkeitsklage, der eine abgelehnte Zinsmehrforderung des Klägers in Höhe von 1,71 EUR zugrunde liegt.

Ursprünglich begehrte der Kläger von der Beklagten die Berücksichtigung des Jahresbeitrages in Höhe von 42,00 EUR für den Sozialverband VdK Hessen-Thüringen als einkommensmindernde Belastung. Dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 6. Dezember 2006 ab, half dem Widerspruch des Klägers jedoch mit Widerspruchsbescheid vom 20. April 2007 ab, setzte dies mit Bescheid vom 14. Mai 2007 um und überwies den Betrag von 42,00 EUR am 15. Mai 2007 auf das Konto des Klägers.

Am 17. Mai 2007 beantragte der Kläger, die aus dem Verfahren entstandenen Kosten und Zinsen (7,7 % aus 55,00 EUR = 2,97 EUR) in Höhe von insgesamt 13,37 EUR festzusetzen. Mit Bescheid vom 20. Juni 2007 setzte der Beklagte die Zinsen (aus der Hauptforderung von 42,00 EUR für die Zeit vom 1. August 2006 bis 30. April 2007) auf 1,26 EUR fest und überwies diesen Betrag. (Die Kostenfestsetzung erfolgte in einem parallelen Bescheid vom selben Tag.)

Hiergegen hat der Kläger am 25. Juni 2007 Widerspruch eingelegt, mit dem er weitere 1,71 EUR für Zinsen aus der o. a. Hauptforderung begehrt hat.

Am 28. September 2007 hat der Kläger Untätigkeitsklage erhoben und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin S. E. OF., F., beantragt. Mit Widerspruchsbescheid vom 9. November 2007 hat der Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen.

Mit Beschluss vom 11. Februar 2008 hat das Sozialgericht Gießen den Antrag des Klägers auf Prozesskostenhilfe abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, die Untätigkeitsklage sei zunächst zulässig gewesen. Bei Prüfung der Erfolgsaussicht sei daneben aber zu prüfen, worauf die Nichteinhaltung der gesetzlichen Frist beruhe. Dies sei ohne Vorlage der Akten nicht möglich, die sich offenbar zerstreut bei zahlreichen Beschwerde- bzw. Berufungsverfahren beim Hessischen Landessozialgericht befänden. Nachdem zwischenzeitlich der Widerspruchsbescheid erlassen und hiergegen die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage rechtshängig gemacht worden sei (S 20 SO 249/07), sei damit das Rechtsschutzbedürfnis für das Verfahren nach § 88 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entfallen, die Untätigkeitsklage nunmehr unzulässig. Es fehle damit die hinreichende Erfolgsaussicht.

Hiergegen hat der Kläger am 18. Februar 2008 Beschwerde eingelegt. Der Kläger trägt u. a. vor, der Beklagte habe keine Gründe für eine Fristverlängerung dargetan und auch ihm nicht mitgeteilt. Das Begehren in der Hauptsache biete im Übrigen hinreichende Aussicht auf Erfolg und sei auch keinesfalls mutwillig. Es sei auch nicht zu tolerieren, dass das Gericht erster Instanz die Entscheidung von der Einsicht in die Verwaltungsakten abhängig mache. Die Schaffung einer Chancengleichheit von Bemittelten und Unbemittelten sei ohne die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht herzustellen.

Insbesondere auf Veranlassung des Sozialgerichts habe sich Frau Rechtsanwältin OF. bereits zu den Akten gemeldet, wodurch selbstverständlich bereits Kosten entstanden seien. Es sei deshalb absolut unmöglich, den Antrag auf Prozesskostenhilfe abzulehnen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Gießen vom 11. Februar 2008 ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin S. E. OF. zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Beklagte bezieht sich auf den angefochtenen Beschluss.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde des Klägers gegen den Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 11. Februar 2008, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Beschluss 19. Februar 2008), hat in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen nicht vor.

Gemäß § 114 S. 1 ZPO, der über die Verweisungsnorm des § 73a Abs. 1 S. 1 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren gilt, ist einem Beteiligten auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Der Maßstab für die dabei geforderten Erfolgsaussichten ist im Lichte der grundrechtlich garantierten Rechtsschutzgleichheit zu bestimmen. Sie folgt aus dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsgrundsatz aus Art. 20 Abs. 3 GG. Gefordert ist hiernach eine Angleichung der Rechtsschutzmöglichkeiten eines Unbemittelten mit denen eines Bemittelten, der seine Erfolgsaussichten unter Berücksichtigung des Kostenrisikos vernünftig abwägt. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist zu bejahen, wenn für den Antragsteller eine nicht fernliegende Möglichkeit besteht, sein Rechtsschutzziel durch Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes jedenfalls unter Zuhilfenahme aller verfahrensrechtlich vorgesehenen Rechtsbehelfe gegen instanzgerichtliche Entscheidungen durchzusetzen (BVerfG vom 14.6.2006 – 2 BvR 626/06 (juris); BVerfGE 81, 347 (357); stRspr). Ein höherer Wahrscheinlichkeitsgrad kann erforderlich sein, um die Prozessführung nicht mutwillig erscheinen zu lassen, wenn die Bedeutung des Rechtsschutzzieles sonst völlig außer Verhältnis zum verbleibenden Prozesskostenrisiko steht.

Eine hinreichende Aussicht auf Erfolg der vom Kläger anhängig gemachten Untätigkeitsklage ist nicht feststellbar. Zwar war die Sperrfrist bereits abgelaufen und die Untätigkeitsklage damit gemäß § 88 Abs. 1 und 2 SGG grundsätzlich zulässig, jedoch hat die Beklagte nicht ohne zureichenden Grund den Widerspruchsbescheid erst am 9. November 2007 erlassen.

Der Kläger selbst hat es nach Auffassung des erkennenden Senates zu vertreten, dass der Beklagte die Drei-Monats-Frist des § 88 Abs. 2 SGG nicht eingehalten hat, da er den Beklagten mit einer Vielzahl von Widersprüchen und Klageverfahren bis September 2007 überzogen hat. Ausweislich der gerichtlichen Verfahrens-Datei hat der Kläger allein vor dem Sozialgericht Gießen im Jahr 2007 bis zum 28. September 2007 insgesamt 33 weitere Verfahren gegen den Beklagten anhängig gemacht, davon allein 17 Verfahren im September 2007 (davon 7 Anträge auf einstweilige Anordnung). Es kommen weitere Verfahren in der zweiten Instanz und noch weitere anhängige Widerspruchsverfahren hinzu. Unter Berücksichtigung des geringen Wertes des zugrunde liegenden Verfahrens (begehrte Zinsdifferenz von 1,71 EUR) bestand für den Beklagten ein zureichender Grund, den Widerspruch erst nach ca. 4 ½ Monaten zu bescheiden. Gerade bei einem Kläger, der die Verwaltung und die Gerichte mit einer Vielzahl von Verfahren auch von ganz geringer Bedeutung überzieht, stellt es für die Verwaltung einen zureichenden Grund dar, jedenfalls in den Fällen geringer Bedeutung, die Frist des § 88 Abs. 2 SGG zu überschreiten, um nicht Gefahr zu laufen, ihre Verwaltungstätigkeit zu Lasten der übrigen Leistungsempfänger in erster Linie nach den Leistungsempfängern auszurichten, die eine Vielzahl von Verfahren anhängig machen.

Die erhobene Untätigkeitsklage erscheint darüber hinaus auch mutwillig im Sinne des § 73a SGG in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO. Mutwillig handelt derjenige, der von dem Vorgehen abweicht, das eine verständige ausreichend bemittelte Partei in einem gleich liegenden Fall wählen würde (vgl. Hartmann in Baumbach/Lauter-bach/Albers/Hartmann ZPO, 64. Aufl. § 114, Rdnr. 107). Dabei ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten (vgl. Hartmann s. o.). In Verfahren vor den Sozialgerichten, bei denen Gerichtskosten nicht erhoben werden, ist ausschließliches Ziel des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe die Beiordnung eines Rechtsanwaltes (vgl. Keller/Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. § 73a Rdnr. 9). Die Erhebung einer Untätigkeitsklage zur Beschleunigung einer geltend gemachten Forderung in Höhe von 1,71 EUR mit Beauftragung eines Rechtsanwaltes (und dadurch einem um ein Vielfaches höheren Kostenrisiko) ist unverhältnismäßig und wäre von einer verständigen nicht bedürftigen Partei auf eigenes Kostenrisiko nicht zu erwarten; diese würde vernünftigerweise in einem solchen Fall bereits keine Klage erheben und erst recht keinen Rechtsanwalt beauftragen (vgl. Keller/Leitherer s. o. Rdnr. 9b).

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da das Bewilligungsverfahren wie das Hauptsacheverfahren kostenfrei ist (§ 183 SGG) und eine Erstattung der dem Gegner entstandenen Kosten ausgeschlossen ist (§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 118 Abs. 1 S. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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