L 2 B 611/08 AS-ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 31 AS 3756/08 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 B 611/08 AS-ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Das der Behörde gemäß § 22 Abs. 3 Satz 2 SGB II zustehende \"Soll-Ermessen\" bezüglich der Übernahme der Wohnungsbeschaffungskosten ist eingeschränkt. Die Zusicherung kann nur in atypischen Einzelfällen versagt werden. Ein solcher liegt vor, wenn der Einzelfall aufgrund seiner besonderen Umstände von dem Regelfall signifikant abweicht.

2.
Es kann dahinstehen, ob die Mietkautionen betreffende Norm des § 551 BGB auf zu übernehmenden Genossenschaftsanteile und das aufzubringende Eintrittsgeld einer Wohngenossenschaft Anwendung findet. Dagegen spricht, dass die Genossenschaftsanteile nicht lediglich die Funktion der Mietkaution – Ausgleich zwischen Sicherungsbedürfnis des Vermieters und Schutzbedürfnis des Mieters haben. Vielmehr sind Genossenschaftsanteile Grundlage der Begründung eines Mitgliedschaftsverhältnisses zur Genossenschaft, aus dem über die Rechte, die einem Mieter einer nicht einer Genossenschaft gehörenden Wohnung zustehen, hinaus vielfältige Mitbestimmungsrechte hinsichtlich der Gestaltung der Genossenschaft resultieren.

Sollte § 551 BGB auf Genossenschaftsanteile von Wohnungsgenossenschaften keine Anwendung finden, läge kein atypischer Fall i.S.d. § 22 Abs. 3 SGB II zu. Die Behörde wäre verpflichtet, die Zusicherung zur Übernahme der Wohnbeschaffungskosten zu erteilen und die genannten Kosten zu übernehmen.

Sollte § 551 BGB Anwendung finden (dafür: AG Saarbrücken, Beschluss vom 24.07.2007 – 37 C 132/07 –, zitiert nach Juris), rechtfertigt dies kein anderes Ergebnis. In diesem Falle wäre die Ausübung des Ermessens der Behörde dahin, die Zusicherung nicht zu erteilen, missbräuchlich. Die diesbezügliche Entscheidung der Behörde wäre aufgrund eines Ermessensfehlers aufzuheben. Ermessensfehlerhaftigkeit liegt vor, wenn die Behörde bei ihrem Handeln von unzutreffenden, in Wahrheit nicht gegebenen, unvollständigen oder falsch gedeuteten tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen ausgeht. Ermessensfehlerhaftigkeit ist ferner gegeben, wenn die Behörde zwar alle einschlägigen Tatsachen und Gesichtspunkte berücksichtigt, einzelnen davon aber kein Gewicht beimisst.

Die Behörde hat vorliegend den Aspekt, dass ihr eigenes Verhalten widersprüchlich war und sie bei Erteilung der Angemessenheitsbescheinigung gem. § 22 Abs. 2 SGB II infolge des unterlassenen Hinweises auf die zu hohen Wohnungsbeschaffungskosten ihre Beratungspflicht gem. § 14 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) verletzt hat, nicht im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung berücksichtigt. Zwar ist der Behörde darin recht zu geben, dass formell die Zusicherung gem. § 22 Abs. 2 SGB II und diejenige nach § 22 Abs. 3 SGB II zu unterscheiden sind. Die Behörde verletzt jedoch ihre Beratungspflicht, wenn sie den Leistungsempfänger im laufenden Verwaltungsverfahren im Rahmen der Erteilung einer Angemessenheitsbescheinigung nach § 22 Abs. 2 SGB II nicht darauf hinweist, dass er trotz angemessener Kosten der Unterkunft die Wohnung dennoch infolge zu hoher Wohnungsbeschaffungskosten nicht anmieten kann.

Es verstößt nämlich gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB analog), wenn die Behörde nach Aufforderung zur Kostensenkung – trotz Vorlage von Unterlagen über die neue Wohnung, aus denen sowohl die Nutzungsgebühr der Wohnung (einschließlich Nebenkosten) als auch die zu erwerbenden Genossenschaftsanteile und das Eintrittsgeld hervorgehen – eine Angemessenheitsbescheinigung gem. § 22 Abs. 2 SGB II erteilt und damit beim Adressaten der Bescheinigung den Eindruck erweckt, er könne den Nutzungsvertrag über die Wohnung abschließen und die alte Wohnung kündigen, ohne zugleich darauf hingewiesen zu haben, dass die Kosten für die Beschaffung der Wohnung (Genossenschaftsanteile; Eintrittsgeld) wegen ihrer Höhe nicht übernommen werden.

Die Behörde versetzt den Adressaten der Angemessenheitsbescheinigung durch ein diesbezügliches Verhalten regelmäßig in eine Notlage, weil ihm infolge der im Vertrauen auf die Angemessenheitsbescheinigung erfolgten Kündigung der alten Wohnung und das Nichtbeziehenkönnen der Genossenschaftswohnung Wohnungslosigkeit droht, oder er – bei einem Weiterverbleib in der alten Wohnung – mit Schadenersatzansprüchen des Vermieters im Falle eines mit einem neuen Mieter geschlossenen Anschlussmietvertrages rechnen muss.
I. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 18. August 2008 wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin trägt auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für das Beschwerdeverfahren.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über Zusicherung zur und die darlehnsweise Übernahme von Genossenschaftsanteilen und des Eintrittsgeldes einer Wohnungsgenossenschaft als Wohnungsbeschaffungskosten.

Der 1956 geborene Antragsteller (Ast.) bezieht seit Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Er bewohnte eine Wohnung in der R ... Straße ... in D. , welche die Antragsgegnerin (Ag.) für einen Einpersonenhaushalt für unangemessen erachtete. Sie forderte den Ast. daher mit Schreiben vom 13.11.2006 auf, die Wohnkosten zu senken. Seit dem 01.07.2007 gewährt sie dem Ast. nur die Kosten einer angemessenen Wohnung. Der Ast. suchte sich daraufhin eine Wohnung bei der Wohnungsgenossenschaft " ..." D. mit einer Größe von 34,48 m2, für die eine Bruttomiete von 235,00 EUR/Monat zuzüglich Heizkosten von 35,00 EUR/Monat zu zahlen sind. Die Ag. erkannte diese Wohnung nach Vorlage von Unterlagen, aus denen sowohl die laufenden Kosten der Unterkunft als auch die Wohnbe-schaffungskosten hervorgingen, als angemessen an und erteilte dem Ast. am 23.06.2008 eine Angemessenheitsbescheinigung. Die Wohnungsbaugenossenschaft teilte dem Kläger mit Schreiben vom 03.06.2008 mit, er könne die Wohnung beziehen. Der Ast. kündigte daraufhin seine alte Wohnung. Er beantragte bei der Ag. die darlehensweise Übernahme der Genossenschaftsanteile und des Eintrittsgeldes. Dies lehnte sie ab.

Mit seinem am 24.07.2008 beim Sozialgericht Dresden (SG) eingegangenen Antrag auf einstweilige Anordnung begehrt der Ast. die darlehensweise Übernahme der Genossen-schaftsanteile und des Eintrittsgelds durch die Ag. Er sei nicht in der Lage, diese Anteile und das Eintrittsgeld selbst zu bezahlen. Er könne einen unterschriebenen Nutzungsvertrag nicht vorlegen, da die Wohnungsgenossenschaft diesen erst gegenzeichne, wenn er die Genossenschaftsanteile und das Eintrittsgeld bezahlt habe. Er sei darauf angewiesen, in die streitgegenständliche Wohnung zu ziehen, da seine alte Wohnung bereits gekündigt sei.

Die Ag. beruft sich auf ihre Arbeitshinweise zu § 22 SGB II. Danach sei zwar das Hinterlegen von Genossenschaftsanteilen den Mietkautionen nicht gleichzusetzen. Im Einzelfall könnten jedoch Genossenschaftsanteile in Höhe einer Mietkaution, d. h. in Höhe von maximal drei Grundmieten, als Darlehen gewährt werden. Allerdings sei eine Teilzahlung von Genossenschaftsanteilen in Höhe einer möglichen Mietkaution bei Restzahlung durch den Hilfeempfänger ausgeschlossen. Dem liege die Überlegung zugrunde, dass die Genossen-schaft in Anlehnung an § 551 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ebenfalls nur maximal drei Monatsgrundmieten als Genossenschaftsanteile und Eintrittsgeld verlangen könne. Es würde dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widersprechen, wenn die Genossenschaft bei Mietverhältnissen über das Maß einer wirtschaftlich gleichwertigen Sicherungsleistung hinausgehe. Es sei gegenüber anderen Leistungsempfängern unverhältnismäßig, wenn sich ein Empfänger von Leistungen nach dem SGB II auf Wohnungen bewerbe, die ein höheres Maß an finanziellen Erstaufwendungen bedeuteten und diese dann auch übernommen bekäme.

Das SG hat die Ag. mit Beschluss vom 18.08.2008 verpflichtet, dem Ast. ein Darlehen in Höhe von 825,00 EUR für den Erwerb der Genossenschaftsanteile und des Eintrittsgelds in die Wohnungsgenossenschaft " ...". D. zu gewähren. Wohnungsbeschaffungskosten könnten gemäß § 22 Abs. 3 SGB II bei vorheriger Zusicherung durch den kommunalen Träger übernommen werden. Vorliegend sei das Ermessen der Ag. reduziert, weil der Um-zug des Ast. notwendig sei und er die Genossenschaftsanteile und das Eintrittsgeld nicht aus eigenen Mitteln erwerben könne. Grundsätzlich seien die nach § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II erforderlichen Zusicherungen vor Abschluss des Mietvertrages zu erteilen. Umzugskosten könnten jedoch auch noch nach Abschluss des Mietvertrages, aber vor Durchführung des Umzugs, übernommen werden. Vorliegend verweigere die Ag. treuwidrig die fristgerechte Übernahmeerklärung, da sie bereits die Übernahme der Unterkunftskosten gemäß § 22 Abs. 2 SGB II als angemessen anerkannt habe. Zwar bestünden zwischen Genossen-schaftsanteilen und Kautionen, die Mieter in einem gewöhnlichen Mietverhältnis zu entrichten haben, Unterschiede. Die Anteile hätten gleichwohl die Qualität einer Sicherungsleistung im Sinne einer Kaution gemäß § 551 BGB. Dies werde auch von der Ag. so gesehen. Für den Wohnungssuchenden mache es keinen Unterschied, ob die von ihm geforderte Sicherheitsleistung als Kaution oder als Genossenschaftsanteil bezeichnet werde. Nach § 551 BGB sei die Belastung des Mieters, dem Vermieter für die Erfüllung seiner Pflichten Sicherheit zu leisten, auf das Dreifache der auf einen Monat entfallenden Miete beschränkt. In der Kommentarliteratur werde die Auffassung vertreten, dass Dauernutzungsverträge mit Wohnungsgenossenschaften von den §§ 549 ff. BGB erfasst würden (vgl. Weidenkaff, in: Palandt, § 549 Rdnr. 5). Aus dieser Auffassung könne geschlossen werden, dass § 551 Abs. 1 BGB direkt anwendbar sei und demzufolge zwingend eine Begrenzung auf maximal drei Monatsmieten auch hinsichtlich des Erwerbs von Genossenschaftsanteilen gelten könne. Wenn diese Auffassung richtig sei, verstieße die Verpflichtung zur Zeichnung der Geschäftsanteile in Höhe von 775,00 EUR und die Zahlung eines Eintrittsgeld gegen § 551 BGB. Dies werde jedoch nicht einheitlich in Rechtsprechung und Literatur vertreten. Damit stelle sich die Frage, ob die Höhe der zu übernehmenden Genossenschaftsanteile dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspreche. Allerdings griffen diese Bedenken nicht durch. Die Forderung der Wohnungsgenossenschaft " ..." D. sei jedenfalls nicht offensichtlich unbegründet. Es wäre verfehlt, den Ast. auf einen Rechtsstreit gegen die Wohnungsgenossenschaft " ..." D. zu verweisen. Dies gelte insbesondere im Hinblick darauf, dass die Gesamtkosten, die als Darlehen gewährt werden sollen, 825,00 EUR beträgen. Die Ag. selbst halte Genossenschaftsanteile in Höhe von 570,00 EUR für angemessen. Der vom Ast. begehrte Betrag übersteige diese Summe also lediglich um 255,00 EUR. Trotz dieser Überschreitung halte das SG die Übernahme der Kosten für ange-messen. Nicht zulässig erscheine es dem SG, den Ast. im Hinblick auf eine ungeklärte Rechtslage die Übernahme der Geschäftsanteile zu verwehren und ihn damit praktisch aus dem Personenkreis, welcher als Arbeitslosengeld-II-Empfänger Wohnungen bei einer Wohnungsgenossenschaft anmieten könnte, auszuschließen.

Gegen den der Ag. am 19.08.2008 zugestellten Beschluss hat sie am 29.08.2008 Be-schwerde beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegt. Das SG befinde sich in einem Rechtsirrtum, wenn es davon ausgehe, die Ag. verweigere treuwidrig die fristgerechte Übernahmeerklärung, da sie bereits die Übernahme der Unterkunftskosten gemäß § 22 Abs. 2 SGB II als angemessen anerkannt habe. Es handle sich nämlich um zwei voneinander zu trennende Zusicherungen. Die Zusicherung nach § 22 Abs. 2 SGB II ersetze die Zusicherung nach § 22 Abs. 3 SGB II nicht. Die Angemessenheit der Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 2 SGB II bedeute nicht gleichzeitig die Angemessenheit der Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 3 SGB II. Auch insoweit müsse dem Leistungsträger eine vorherige Einschätzung des angemessenen Bedarfs ermöglicht bleiben. Die Ag. habe die Übernahme der Kosten in rechtmäßiger Weise abgelehnt. Zudem handle es sich bei einer Mietkaution und der Übernahme von Genossenschaftsanteilen nicht um inhaltsgleiche Leistungen. § 22 Abs. 3 SGB II biete keinerlei Rechtsgrundlage für die Übernahme der Kosten für Genossenschaftsanteile, die die Grenzen der Vergleichbarkeit mit einer Mietkaution überschritten.

Der Einzelrichterin des Senats liegen die Verfahrensakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte der Beklagten vor. Sie waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

Das Gericht konnte durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin gemäß § 155 Abs. 4 i. V. m. Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG - entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.

Die zulässige Beschwerde der Ag. ist unbegründet. Zu Recht hat das SG die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 18.08.2008 verpflichtet, dem Ast. ein Darlehn i.H.v. 825,00 Euro für den Erwerb der Genossenschaftsanteile und des Eintrittsgelds der Wohnungsgenossen-schaft " ". D. zu gewähren.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG können die Gerichte auf Antrag, der gemäß § 86 b Abs. 3 SGG bereits vor Klageerhebung zulässig ist, zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu ist gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anord-nungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung ergehen und dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache gesichert werden soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen. Gem. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG ist § 929 ZPO entsprechend anzuwenden.

1. Die Entscheidung des SG ist nicht deswegen aufzuheben, weil die Vollziehung des Beschlusses des SG unstatthaft wäre. Nach § 929 Abs. 2 ZPO ist die Vollziehung eines Arrestbefehls unstatthaft, wenn seit dem Tage, an dem der Befehl verkündet oder der Partei, auf deren Gesuch er erging, zugestellt ist, ein Monat verstrichen ist.

Die Bedeutung der Vollziehungsfrist wird allgemein darin gesehen, dass der Gläubiger mit ihr seine unmissverständliche Bereitschaft bekundet, gegen den Schuldner vorzugehen (Geiger, info also 2007, S. 243). Die Frist soll verhindern, dass der Arrest bzw. die einstweilige Verfügung unter wesentlich veränderten Umständen vollzogen wird, als unter de-nen, die seiner Anordnung zugrunde gelegen haben, und umgekehrt sicherstellen, dass der Arrest-(Verfügungs-)Grund im Zeitpunkt der Vollziehung noch fortwirkt, der Vollstre-ckungsschuldner also nicht "überrumpelt" wird (vgl. BGHZ 112, 361 ff.; OLG Frankfurt, OLGZ 87, 480; Geiger, a.a.O.).

a) § 929 ZPO ist eine Norm, die nach ihrer ursprünglichen gesetzgeberischen, der ZPO zugrunde liegenden Konzeption regelmäßig zwischen zwei privaten Parteien anzuwenden war. Anders ist die Situation im sozialgerichtlichen Verfahren. Hier kann sich der Bürger grundsätzlich darauf verlassen, dass eine juristische Person des öffentlichen Rechts, sich wegen der in Artikel 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) verankerten Bindung an Gesetz und Recht auch ohne Vollstreckungsdruck gesetzestreu verhält. Dieser Erwartung hat die Ag. nicht entsprochen. Sie leistete der einstweiligen Anordnung des SG entgegen § 199 Abs. 1 Nr. 2 SGG nicht Folge. Nach der genannten Norm war die ergangene einstweilige Anord-nung sofort vollstreckbar. Die vom Ag. fristgerecht eingelegte Beschwerde hatte gemäß § 175 SGG keine aufschiebende Wirkung. Erst recht entfaltete die bloße Möglichkeit, innerhalb der Monatsfrist des § 173 SGG Beschwerde gegen den Beschluss des SG einlegen zu können, keine aufschiebende Wirkung. Auch der gestellte Antrag gem. § 199 Abs. 2 SGG ändert hieran nichts. Die Ag. kam damit ihrer Pflicht, die Leistungsverpflichtung aus der einstweiligen Anordnung des SG zu erfüllen, entgegen ihrer gesetzlichen Verpflichtung nicht nach (ebenso: Sächsisches LSG, Beschluss vom 24.01.2008 – L 3 B 610/07 AS-ER –).

b) Zudem dienen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens. Ein derartiges Leben zu gewährleisten, ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, die aus dem Gebot des Schutzes der Menschenwürde gemäß Artikel 1 Abs. 1, 3 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip nach Artikel 20 Abs. 1, 3 GG folgt (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – BvR 569/05 -, zitiert nach Juris, Rn. 28 m.w.N.). Ziel der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes betriebenen Streitigkeiten um Leistungen nach dem SGB II ist regelmäßig – wie vorliegend – die Verhinderung der Verletzung des grundgesetzlich gewährleisteten Existenzminimums und damit die Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 19; Geiger, a.a.O. S. 243; Krodel, NZS 2006, S. 637 ff.).

Eine uneingeschränkte Anwendung von § 929 Abs. 2 ZPO auch in derartigen Verfahren hätte zur Folge, dass ein Anspruchsteller nach Erlangung einer sein Begehren stützenden einstweiligen Anordnung durch das erstinstanzliche Gericht, der auf die Bindung der öffentlichen Verwaltung an Recht und Gesetz (vgl. unter a)) vertraut und daher Maßnahmen nach § 929 Abs. 2 ZPO unterlässt, darauf verwiesen würde, zur Durchsetzung seiner Rechte eine neue einstweilige Anordnung beim erstinstanzlichen Gericht zu erwirken (so Säch-sisches LSG, Beschluss vom 24.01.2008 – L 3 B 610/07 AS-ER –; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 04.01.2007 – L 11 B 509/06 AS-ER –, zitiert nach Juris, Rdnrn. 2, 3; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.11.2007 – L 7 AY 5173/07 ER-B –). Bis zu dieser erneuten einstweiligen Anordnung des erstinstanzlichen Gerichts vergingen wiederum regelmäßig Wochen, in denen das Existenzminimum nicht gesichert wäre. Die damit verbundene erhebliche Beeinträchtigung der genannten Grundrechte könnte nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei derartiger Verfahrensweise nachträglich nicht mehr (adäquat) ausgeglichen werden, weil der "elementare Lebensbedarf eines Menschen grundsätzlich nur in dem Augenblick befriedigt werden (kann), in dem er ent-steht". Dieses "Gegenwärtigkeitsprinzip" ist Teil des Bedarfsdeckungsgrundsatzes für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (BVerfG, a.a.O., Rn. 19 m.w.N.; Krodel, a.a.O.; vgl. auch Spelbrink, Sozialrecht aktuell 2007, S. 1, 2 ff.). Damit wäre bei einer uneingeschränkten Anwendung des § 929 Abs. 2 ZPO ein effektiver Rechtsschutz im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes unter Berücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze nicht gewährleistet, weil der Ast. sein Begehren nicht ohne Verletzung seiner Grundrechte wirkungsvoll durchsetzen könnte (BVerfG, a.a.O., Rn. 23).

Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes muss gemäß Artikel 19 Abs. 4 GG vielmehr so ausgestaltet sein, dass schwere und unzumutbare Beeinträchtigungen – auch vorübergehender Art – nicht eintreten (BVerfG, a.a.O., Rn. 24). Die Gerichte sind daher verpflichtet, sich unter Beachtung dessen schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen zu stellen (BVerfG, a.a.O., Rn. 26 m.w.N.). Das gilt ganz besonders, wenn es – wie hier – um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Es besteht daher die Verpflichtung der Gerichte, eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur zeitweilig andauert, zu verhindern (BVerfG, a.a.O., Rn. 26).

c) Ferner haben die Zivil- und Arbeitsgerichte ausgehend vom oben genannten Schutzzweck des § 929 Abs. 2 ZPO Fallkonstellationen entwickelt, in denen an der Ernsthaftigkeit des Anliegens des Eilantragstellers keine Zweifel bestehen und daher das Verlangen zusätzlicher Aktivitäten zur Bekundung der Bereitschaft, gegen den Schuldner vorzugehen, bloße überflüssige Förmelei wäre (u.a. LAG Nürnberg, Urteil vom 05.09.2006 – 6 SA 458/06 -; Geiger, a.a.O., S. 243).

d) In Anbetracht dieser Grundsätze und der in § 86 Abs. 2 Satz 4 SGG angeordneten "entsprechenden" Anwendung des § 929 Abs. 2 ZPO unter Berücksichtigung der Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes sind die genannten Normen verfassungskonform im Falle von das Existenzminimum sichernden Leistungen dahin auszulegen, dass die Bereitschaft des Anspruchstellers, gegen die leistungsgewährende Behörde vorzugehen, sich entweder durch Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen oder durch unmissverständliches Festhalten an seiner Position im von der Behörde eingeleiteten Beschwerdeverfahren ergeben muss (Sächsisches LSG, Beschluss vom 22.04.2008 – L 2 B 111/08 AS-ER -).

Das war vorliegend der Fall. Der Ast. hat mit Schriftsatz vom 16.09.2008 unmissverständlich erklärt, er hält an seinem Begehren fest. Zudem hat er der Ag. mit Schreiben vom selben Tage eine Frist zu Überweisung des Darlehns bis 17.09.2008 gesetzt, und – für den Fall des fruchtlosen Verstreichens – Vollstreckungsmaßnahmen angekündigt. In Anbet-racht dessen ist der Beschluss des SG nicht deshalb aufzuheben, weil die Vollziehung unstatthaft wäre (ebenso: Geiger, a.a.O.; a.A. Sächsisches LSG, Beschluss vom 24.01.2008 – L 3 B 610/07 AS-ER –; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.01.2006 – L 7 SO 4891/05 ER-B – und Beschluss vom 20.11.2007 – L 7 AY 5173/07 ER-B –; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 04.01.2007 – L 11 B 509/06 AS-ER –, zitiert nach Juris, Rdnr. 2 ff.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.06.2007 – L 14 B 633/07 AS-ER –, zitiert nach Juris, Rdnr. 1; Adolf, in: Hennig, SGG, Stand 8/2007, § 86b Rdnr. 103; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 86b Rdnr. 46; Groth, NJW 2007, S. 2294, 2297).

2. Zu Recht hat das SG das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs auf die begehrte einstweilige Anordnung bejaht. Dem Ast. steht nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorzunehmenden summarischen Prüfung ein Anspruch auf Zusicherung und darlehensweise Übernahme der Genossenschaftsanteile und des Eintrittsgeldes in die Wohnungsgenossenschaft " " D ... zu. Gemäß § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II kön-nen Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger übernommen werden. Eine Mietkaution kann bei vorheriger Zusicherung übernommen werden. Nach § 22 Abs. 3 Satz 2 SGB II soll die Zusicherung erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist, und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Nach § 22 Abs. 3 Satz 4 SGB II soll die Mietkaution als Darlehen erbracht werden.

a) Der Umzug wurde vorliegend – wie vom SG zutreffend ausgeführt – durch die Ag. veranlasst.

b) Der Ast. kann nach summarischer Prüfung ohne die Zusicherung eine den Kriterien des § 22 Abs. 2 SGB II entsprechende Unterkunft in angemessenem Zeitraum nicht finden. Seine bisherige Unterkunft hat er auf Veranlassung der Ag. gekündigt. Zudem ist sie nicht angemessen. Daher liegen die Tatbestandsvoraussetzungen vor, unter denen eine Zusicherung zum Umzug erteilt werden soll.

c) Der Ast. hat die Zusicherung vor Abschluss des Nutzungsvertrages und vor dem Umzug in die Wohnung der Wohnungsgenossenschaft bei der Ag. beantragt.

d) Bei den Genossenschaftsanteilen und dem Eintrittsgeld handelt es sich um Wohnbeschaffungskosten i.S.d. § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II (Lang/Link, a.a.O.; Berlit, a.a.O., Rn. 101; OVG Niedersachsen-Bremen, Entscheidung vom 25.07.2002 – 4 LA 145/02 -). Der Beg-riff Wohnungsbeschaffungskosten ist weit auszulegen (Lang/Link, a.a.O., § 22 Rn. 83; Berlit, in: Münder, SGB II, 2. Auflage, § 22 Rn. 100).

e) Die Ag. ist nicht zur Verweigerung der Zusicherung gem. § 22 Abs. 3 SGB II berechtigt. Das der Ag. nach der genannten Norm zustehende Soll-Ermessen bezüglich der Erteilung der Zusicherung ist eingeschränkt (Berlit, a.a.O., Rn. 96; SG Frankfurt, Beschluss vom 17.01.2006 – S 48 AS 19/06 ER -). Die Zusicherung kann nur in atypischen Einzelfällen versagt werden (Berlit, a.a.O.; SG Dresden, Beschluss vom 01.03.2006 – S 23 AR 122/05 AS-PKH; Lang/Link, a.a.O., Rn. 87). Ein solcher liegt vor, wenn der Einzelfall aufgrund seiner besonderen Umstände von dem Regelfall signifikant abweicht.

Es kann dahinstehen, ob die Mietkautionen betreffende Norm des § 551 BGB auf zu über-nehmenden Genossenschaftsanteile und das aufzubringende Eintrittsgeld einer Wohngenossenschaft Anwendung findet. Dagegen spricht, dass die Genossenschaftsanteile nicht lediglich die Funktion der Mietkaution – Ausgleich zwischen Sicherungsbedürfnis des Vermieters und Schutzbedürfnis des Mieters (Weidenkaff, a.a.O., § 551 Rdnr. 2) – haben. Vielmehr sind Genossenschaftsanteile Grundlage der Begründung eines Mitgliedschaftsverhältnisses zur Genossenschaft, aus dem über die Rechte, die einem Mieter einer nicht einer Genossenschaft gehörenden Wohnung zustehen, hinaus vielfältige Mitbestimmungsrechte hinsichtlich der Gestaltung der Genossenschaft resultieren (vgl. §§ 31 bis 37 der Satzung der Wohnungsgenossenschaft " " D. ).

Sollte § 551 BGB auf Genossenschaftsanteile von Wohnungsgenossenschaften keine Anwendung finden, läge kein atypischer Fall i.S.d. § 22 Abs. 3 SGB II zu. Die Ag. wäre verpflichtet, die Zusicherung zur Übernahme der Wohnbeschaffungskosten zu erteilen und die genannten Kosten zu übernehmen.

Sollte § 551 BGB Anwendung finden (dafür: AG Saarbrücken, Beschluss vom 24.07.2007 – 37 C 132/07 –, zitiert nach Juris), rechtfertigt dies kein anderes Ergebnis. In diesem Falle wäre die Ausübung des Ermessens der Ag. dahin, die Zusicherung nicht zu erteilen, missbräuchlich. Die diesbezügliche Entscheidung der Ag. wäre aufgrund eines Ermessensfehlers aufzuheben. Ermessensfehlerhaftigkeit liegt vor, wenn die Behörde bei ihrem Handeln von unzutreffenden, in Wahrheit nicht gegebenen, unvollständigen oder falsch gedeuteten tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen ausgeht. Ermessensfehlerhaftigkeit ist ferner gegeben, wenn die Behörde zwar alle einschlägigen Tatsachen und Gesichtspunkte berücksichtigt, einzelnen davon aber kein Gewicht beimisst.

Die Ag. hat vorliegend den Aspekt, dass ihr eigenes Verhalten widersprüchlich war und sie bei Erteilung der Angemessenheitsbescheinigung gem. § 22 Abs. 2 SGB II infolge des unterlassenen Hinweises auf die zu hohen Wohnungsbeschaffungskoten ihre Beratungspflicht gem. § 14 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) verletzt hat, nicht im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung berücksichtigt. Zwar ist der Ag. darin recht zu geben, dass formell die Zusicherung gem. § 22 Abs. 2 SGB II und diejenige nach § 22 Abs. 3 SGB II zu unterscheiden sind. Die Ag. verletzt jedoch ihre Beratungspflicht, wenn sie den Leistungsempfänger im laufenden Verwaltungsverfahren im Rahmen der Erteilung einer An-gemessenheitsbescheinigung nach § 22 Abs. 2 SGB II nicht darauf hinweist, dass er trotz angemessener Kosten der Unterkunft die Wohnung dennoch infolge zu hoher Wohnungsbeschaffungskosten nicht anmieten kann.

Es verstößt nämlich gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB analog), wenn die Ag. nach Aufforderung zur Kostensenkung – trotz Vorlage von Unterlagen über die neue Wohnung, aus denen sowohl die Nutzungsgebühr der Wohnung (einschließlich Nebenkosten) als auch die zu erwerbenden Genossenschaftsanteile und das Eintrittsgeld hervorgehen – eine Angemessenheitsbescheinigung gem. § 22 Abs. 2 SGB II erteilt und damit beim Adressaten der Bescheinigung den Eindruck erweckt, er könne den Nutzungsvertrag über die Woh-nung abschließen und die alte Wohnung kündigen, ohne zugleich darauf hingewiesen zu haben, dass die Kosten für die Beschaffung der Wohnung (Genossenschaftsanteile; Eintrittsgeld) wegen ihrer Höhe nicht übernommen werden.

Die Ag. versetzt den Adressaten der Angemessenheitsbescheinigung durch ein diesbezügliches Verhalten regelmäßig in eine Notlage, weil ihm infolge der im Vertrauen auf die Angemessenheitsbescheinigung erfolgten Kündigung der alten Wohnung und das Nichtbeziehenkönnen der Genossenschaftswohnung Wohnungslosigkeit droht, oder er – bei einem Weiterverbleib in der alten Wohnung – mit Schadenersatzansprüchen des Vermieters im Falle eines mit einem neuen Mieter geschlossenen Anschlussmietvertrages rechnen muss.

3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.

Eine Entscheidung über den seitens der Ag. gestellten Antrag gem. § 199 Abs. 2 SGG ist angesichts der Entscheidung im Beschwerdeverfahren obsolet geworden.

Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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