L 25 B 2369/08 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
25
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 157 AS 33250/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 25 B 2369/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. Dezember 2008 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, bei der Berliner Gaswerke AG (GASAG) bestehende Schulden des Antragstellers in Höhe von 896,59 EUR vorläufig als Darlehen zu übernehmen und diesen Betrag unter Angabe der Vertragskontonummer direkt an die GASAG auf das bei der B Bank geführte Konto, Bankleitzahl , Kontonummer , zu zahlen, sobald der Antragsteller nachweist, dass er einen Betrag in Höhe von 360,26 EUR auf das vorgenannte Konto gezahlt hat. Die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners wird mit der vorläufigen Verpflichtung des Antragstellers verbunden, das ihm gewährte Darlehen in monatlichen Raten von 50,00 EUR, beginnend mit dem Monat, der auf die Zahlung des Antragsgegners folgt, zu tilgen. Im Übrigen wird der Antrag des Antragstellers abgelehnt und die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller dessen außergerichtliche Kosten des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens für beide Instanzen zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragsgegners ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig und in dem Umfang begründet, wie er sich aus dem Tenor ergibt.

Trotz der Änderung des ursprünglichen Verpflichtungsausspruchs, folgt der Senat mit seinem Tenor der Entscheidung des Sozialgerichts, was die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme der bei der GASAG bestehenden Schulden des Antragstellers in Höhe von 896,59 EUR im Darlehenswege sowie die direkte Zahlung an die GASAG angeht. Denn ebenso wie das Sozialgericht sieht auch der Senat die Sache gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG als eilbedürftig an, weil die Heizung des Antragstellers mit Gas betrieben wird und die Gaslieferung nach wie vor unterbrochen ist. Des Weiteren hält der Senat auch einen Anordnungsanspruch im Sinne der vorgenannten Vorschrift für gegeben, stützt diesen Anspruch jedoch nicht auf § 22 Abs. 5 Satz 2 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches und eine Reduzierung des dort geregelten Ermessens auf Null zugunsten der für den Antragsteller getroffenen Entscheidung, sondern auf eine Folgenabwägung, bei der in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 32 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes die Erwägung, wie die Entscheidung in der Hauptsache ausfallen wird, regelmäßig außer Betracht zu bleiben hat und stattdessen die Folgen abzuwägen sind, die eintreten würden, wenn die begehrte Anordnung nicht erginge, der Rechtsschutzsuchende im Hauptsacheverfahren aber obsiegen würde, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die Anordnung erlassen würde, der Rechtsschutzsu-chende im Hauptsacheverfahren indes keinen Erfolg hätte.

Eine solche Folgenabwägung erscheint im Lichte von Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) im vorliegenden Fall zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes erforderlich, weil der Antragsteller hier Leistungen begehrt, die dazu dienen, ihm ein menschenwürdiges Leben frei von Gefahren für Leib und Leben zu ermöglichen, das sicherzustellen der Staat verfassungsrechtlich verpflichtet ist. Da das vorläufige Rechtsschutzverfahren für dieses Begehren die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens vollständig übernimmt und dem Antragsteller bei einer Versa-gung des vorläufigen Rechtsschutzes eine endgültige Grundrechtsverletzung droht, dürfen nach Art. 19 Abs. 4 GG die Anforderungen an die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht überspannt werden. Um dem Gebot effektiven Rechtsschutzes zu genügen, darf sich das zur Entscheidung berufene Gericht nicht auf eine nur summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache beschränken, sondern muss die Sach- und Rechtslage abschließend prüfen. Ist ihm dies im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht möglich, so ist eine Folgenabwägung vorzunehmen (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 –, zitiert nach juris). Letzteres ist hier der Fall. Denn die Entscheidung, ob dem Antragsteller die mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrte Leistung tatsächlich zusteht, hängt nicht zuletzt von der genauen Klärung seiner finanziellen Situation in den letzten ein bis zwei Jahren ab. Diese Klärung muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, weil sie den Charakter des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens sprengen würde.

Die zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes gebotene Folgenabwägung fällt im vorliegenden Fall zugunsten des Antragstellers aus, weil ihm im Hinblick darauf, dass er seine Wohnung mit Gas beheizt und die Gaslieferung nach wie vor unterbrochen ist, bei einer Ablehnung seines Antrags gesundheitliche Gefahren drohen, die er nach seinen insbesondere im Erörterungstermin des Sozialgerichts am 3. Dezember 2008 gemachten Angaben aus eigener Kraft nicht imstande ist, von sich abzuwenden. Diesen Nachteilen stehen auf der Seite der Antragsgegnerin lediglich finanzielle Interessen gegenüber, die sich im Hinblick auf den in Rede stehenden – noch dazu nur als Darlehen begehrten – Betrag in Höhe von 896,59 EUR in einem für den Antragsgegner überschaubaren Rahmen halten und dementsprechend hinter den dem Antragsteller drohenden Nachteilen zurückzutreten haben.

Letzteres hat zur Folge, dass die Entscheidung des Sozialgerichts im Grundsatz zu bestätigen war. Sie bedurfte allerdings insoweit der Korrektur, als das Sozialgericht dem Antragsteller mit seiner Entscheidung mehr zugesprochen hat, als von ihm beantragt worden ist. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts hat der Antragsteller hier nämlich seinen auf die darlehensweise Übernahme von Schulden in Höhe von 896,59 EUR gerichteten vorläufigen Rechtsschutzantrag dadurch beschränkt, dass er sich – vorläufig – bereit erklärt hat, das Darlehen in monatlichen Raten von 50,00 EUR zu tilgen. Diese Beschränkung ist gemäß § 123 SGG bei der gerichtlichen Entscheidung zu beachten. Nicht zu beachten ist in diesem Zusammenhang jedoch die vom Antragsteller überdies erklärte Bereitschaft, die Tilgung bereits mit dem 1. November 2008 beginnen zu lassen. Denn dieser Beginnzeitpunkt hätte nur dann Sinn gemacht, wenn der
Antragsteller mit seinem im Oktober 2008 gestellten vorläufigen Rechtsschutzantrag auch noch in diesem Monat durchgedrungen wäre und der Antragsgegner sich dieser Entscheidung ebenfalls noch in diesem Monat gebeugt hätte. Der Senat legt den Antrag des Antragstellers vor diesem Hintergrund sachgerecht dahingehend aus, dass die von ihm angebotene Ratenzahlung mit dem Monat beginnen soll, der auf die Zahlung des Antragsgegners folgt, und hat seinen Tenor entsprechend gefasst. Durch diese Tenorierung ist der Antragsgegner allerdings nicht gehindert, den Antragsteller mit höheren Raten in Anspruch zu nehmen, weil die Beschränkung nicht zugunsten, sondern zu Lasten des Antragstellers wirkt.

Darüber hinaus war die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zur Darlehensgewährung nach § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 938 Abs. 1 der Zivilprozessordnung zu seinen Gunsten mit der Anordnung zu verbinden, dass die Darlehensgewährung erst dann zu erfolgen hat, wenn der Antragsteller nachweist, dass er die über den Darlehensbetrag in Höhe von 896,59 EUR hinaus bestehenden Schulden bei der GASAG einschließlich der Kosten für die Gaszählereröffnung in Höhe von 360,26 EUR an den Gaslieferer gezahlt hat. Denn ohne die Zahlung dieses Differenzbetrages, für den der Antragsteller bereits bei Antragstellung gemeint hat, im Wesentlichen selbst aufkommen zu können, ist eine Wiederaufnahme der Gaslieferung nach Lage der Akten nicht zu erreichen. Um diese Wiederaufnahme sicherzustellen und den Antragsgegner davor zu bewahren, dass die ihm abverlangten Mittel nicht zur Abwendung der hier bestehenden Gefahrenlage, sondern zur bloßen Übernahme von Schulden eingesetzt werden, für die in aller Regel der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht in Betracht kommt, musste der Antragsteller hier zur Vorleistung verpflichtet werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Antragsteller mit seinem Begehren im Wesentlichen durchgedrungen ist.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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