L 5 B 284/08 AS ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 21 AS 1001/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 B 284/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Einstweiliger Rechtsschutz-Anordnungsgrund-Leistungsversorgung-Mitwirkungspflichten
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 14. Mai 2008 wird zurückgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat die außergerichtlichen Kosten der Beschwerdegegnerin für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin wendet sich gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg, in dem sie zur vorläufigen Bewilligung von Leistungen zur Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) vom 1. Mai bis längstens 31. August 2008 verpflichtet worden ist.

Die am. Februar 19 geborene Beschwerdegegnerin ist Mutter zweier am. April 19 und am. April 20 geborener Kinder und lebt seit 2006 getrennt von ihrem Ehemann. Sie hatte bis zum 31. Januar 2006 Berufsausbildungsbeihilfe gemäß §§ 59 ff. Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) von der Bundesagentur für Arbeit erhalten. Vom 20. Februar bis 31. Mai 2006 bezog die Beschwerdegegnerin Mutterschaftsgeld und bis zum 30. Januar 2007 Arbeitslosengeld von der Bundesagentur für Arbeit in Höhe von 5,43 EUR täglich. Ferner erhielt sie Erziehungsgeld vom 5. April 2006 bis zum 4. April 2008 in Höhe von 300,00 EUR/Monat. Daneben wurde ihr - unter Anrechnung des Kindergeldes für beide Kinder in Höhe von 308 EUR/Monat - ein Unterhaltsvorschuss vom Landkreis Harz, zunächst für beide Kinder und ab dem 22. April 2008 nur noch für das jüngere Kind in Höhe von 125,00 EUR/Monat geleistet. Die Beschwerdegegnerin bewohnt seit dem 1. September 2006 eine Mietwohnung mit 66,93 m² Wohnfläche und einem Mietpreis ab 1. Juli 2007 in Höhe von 447,44 EUR/Monat (Kaltmiete 300,00 EUR, Nebenkosten 56,45 EUR, Modernisierungszuschlag 10,67 EUR, Heizkostenvorauszahlung 80,32 EUR).

Die Beschwerdeführerin bewilligte der Beschwerdegegnerin ab dem 1. Februar 2006 Leistungen nach dem SGB II, zuletzt mit Bescheid vom 6. März 2008 für die Monate Januar bis März 2008 in Höhe von 709,32 EUR/Monat.

Die Beschwerdegegnerin beantragte am 3. März 2008 die Fortzahlungen der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts. Im Rahmen eines Gesprächs am 18. März 2008 erkundigte sie sich nach der Möglichkeit, für das jüngere Kind ein drittes Erziehungsjahr zu nehmen. Mündlich wurde ihr mitgeteilt, nach dem zweiten Erziehungsjahr müsse sie sich dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung stellen.

Mit Schreiben vom 19. März 2008 führte die Beschwerdeführerin aus, der Antrag auf Fortzahlung könne derzeit wegen fehlender Unterlagen/Angaben nicht bearbeitet werden. Nach dem Ablauf der Erziehungszeit am 4. April 2008 bestünde erneut ein Anspruch auf Arbeitslosengeld, weshalb sie sich unverzüglich an die Agentur für Arbeit zur Überprüfung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld wenden solle. Bis zum 2. April 2008 seien ein Bewilligungsbescheid für Arbeitslosengeld bzw. ein Vorleistungsschein der Agentur für Arbeit vorzulegen. Die Beschwerdegegnerin sei gemäß § 60 ff. Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeine Vorschriften - (SGB I) verpflichtet, bei der Feststellung des Bedarfs mitzuwirken. Anderenfalls könnten die Leistungen bis auf weiteres ganz oder teilweise versagt werden. Dies wurde der Beschwerdegegnerin telefonisch vorangekündigt. Unter dem 20. März 2008 wandte diese ein, eine Ablehnung von Leistungen aufgrund der Inanspruchnahme der Elternzeit sei ausgeschlossen.

Am 7. April 2008 hat die Beschwerdegegnerin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Magdeburg gestellt mit dem Ziel, die Beschwerdeführerin zur sofortigen Leistungsbewilligung zu verpflichten. In zwei eidesstattlichen Erklärungen vom 7. und 16. April 2008 hat die Beschwerdegegnerin angegeben, da der getrennt lebende Ehemann sich nicht um die Kinder kümmere, müsse sie die gesamte Elternzeit bis zum dritten Lebensjahr des jüngeren Kindes in Anspruch nehmen. Sie habe mehrfach beim Arbeitsamt vorgesprochen. Dort sei ihr mitgeteilt worden, sie sei wegen der Betreuungsbedürftigkeit ihres jüngeren Kindes auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht vermittelbar; eine Bescheinigung würde ihr nicht erteilt werden. Im weiteren Verlauf hat sie ausgeführt, eine Arbeitsaufnahme sei ihr gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II nicht zumutbar. Die Wartezeiten für Kindertagesstätten betrügen mehrere Monate und sie habe auch keine Mitwirkungspflichten verletzt. Das zu erwartende Arbeitslosengeld sei sehr gering.

Mittlerweile hatte die Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 15. April 2008 unter dem Vorbehalt des Widerrufs Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 1. bis 30. April 2008 in Höhe von 709,32 EUR bewilligt. Das vorrangige Einkommen gemäß § 11 SGB II habe nicht abschließend ermittelt werden können. Seit dem Auslaufen des Erziehungsgeldes bestehe dem Grunde nach ein Anspruch auf Arbeitslosengeld. Bislang seien weder ein Bewilligungsbescheid über Arbeitslosengeld noch ein Vorleistungsschein eingegangen. Bis zum 23. April 2008 sei nachzuweisen, dass die Beschwerdegegnerin einen Termin zur Antragstellung auf Arbeitslosengeld vereinbart habe. Gleichzeitig hat die Beschwerdeführerin am 15. April 2008 einen Erstattungsanspruch gemäß § 102 ff. Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) bei der Agentur für Arbeit Wernigerode gestellt und gleichzeitig von ihrem Recht der Antragstellung gemäß § 5 Abs. 3 SGB II Gebrauch gemacht, sowie um Mitteilung des Termins zur Antragsabgabe und der noch erforderlichen Unterlagen gebeten. Die Agentur für Arbeit Halberstadt hat unter dem 22. April 2008 geantwortet, der Erstattungsanspruch könne nicht berücksichtigt werden, da die Beschwerdegegnerin der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stehe.

Im Antragsverfahren hat die Beschwerdeführerin ausgeführt, sie habe die Leistungen für April 2008 auf Widerruf bewilligen und ab Mai 2008 bis zur Vorlage der geforderten Unterlagen zurückhalten dürfen. Die Beschwerdegegnerin sei zur Meldung als arbeitsuchend verpflichtet. Einen Anspruch auf ein drittes Erziehungsjahr hätten nur Arbeitnehmer; das Erziehungsgeld werde für höchstens zwei Jahre gezahlt. § 8 Abs. 1 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) regele den Nachrang der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Eine Betreuung in einer Kindertagesstätte sei jederzeit möglich, da die Beschwerdegegnerin als Alleinerziehende als Härtefall gelte.

Das Sozialgericht hat die Beschwerdeführerin mit Beschluss vom 14. Mai 2008 verpflichtet, der Beschwerdegegnerin Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II vorläufig ab dem 1. Mai bis maximal 31. August 2008 zu gewähren. Sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund lägen vor. Zwar liege Hilfebedürftigkeit gemäß § 9 Abs. 1 SGB II nur vor, wenn der Lebensunterhalt nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Tätigkeit ausreichend gesichert werden könne. Andererseits sei nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II eine Arbeit nicht zumutbar, wenn dies die Erziehung des Kindes gefährden würde. Allerdings gehe die Entscheidungsfreiheit der Eltern nach Artikel 6 Grundgesetz (GG) nicht so weit, dass diese sich ausschließlich der Kindererziehung widmen könnten. Eltern mit Kindern unter drei Jahren sei eine Arbeit zumutbar, wenn deren Betreuung gewährleistet sei. Hier sei jedenfalls gegenwärtig eine Arbeit nicht zumutbar, da das Kind das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet habe und kein Krippenplatz zur Verfügung stehe. Auf die theoretische Möglichkeit eines Krippenbetreuungsplatzes könne die Beschwerdeführerin nicht verweisen. Daher habe die Beschwerdegegnerin vorläufig Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Gleichzeitig obliege es ihr, sich um einen Kinderbetreuungsplatz zu bemühen, den sie in geeigneter Weise nachzuweisen habe.

Die Beschwerdeführerin hat in Ausführung des angefochtenen Beschlusses mit Bescheid vom 2. Juni 2008 vorläufig Leistungen für die Monate Mai und Juni 2008 in Höhe von 877,32 EUR monatlich bewilligt und eine Frist zur Vorsprache und Antragstellung bei der Agentur für Arbeit bis 16. Juni 2008 gesetzt. Mit weiterem Bescheid vom 15. Juli 2008 hat sie vorläufig Leistungen vom 1. Juli bis 31. Dezember 2008 in Höhe von 755,28 EUR/Monat bewilligt. Dabei hat sie als Einnahmen u.a. ein fiktives Arbeitslosengeld gemäß § 11 Abs. 2 SGB II in Höhe von 162,90 EUR/Monat abzüglich der Versicherungspauschale von 30 EUR/Monat zugrunde gelegt.

Gegen den am ihr am 3. Juni 2008 zugestellten Beschluss hat - nur - die Beschwerdeführerin am 20. Juni 2008 Beschwerde eingelegt und ihre bisherige Argumentation vertieft. Im Land Sachsen-Anhalt bestehe ein Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz schon vor dem dritten Lebensjahr. Die Beschwerdegegnerin selbst könne die Bedürftigkeit beseitigen; der Bezug von Arbeitslosengeld sei ausschließlich an ihrer Weigerung, sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen, gescheitert. § 8 Abs. 1 BerzGG regele den Nachrang der Leistungen nach dem SGB II für die Dauer der Elternzeit ohne Anspruch auf Erziehungsgeld. Nachdem die Beschwerdegegnerin am 26. Juni 2008 einen Antrag auf Aufnahme des jüngeren Sohnes in eine Kindertageseinrichtung der Stadt Wernigerode gestellt habe, sei ihr unmittelbar ein Platz in einer Kindertagesstätte angeboten worden. Die Unterbringung in der 3,7 km von der Wohnung entfernten Einrichtung sei zumutbar gewesen.

Die Beschwerdeführerin beantragt,

1. den Beschluss des Sozialgerichtes aufzuheben, 2. zu entscheiden, dass die Beschwerdeführerin keine Kosten zu tragen hat.

Die Beschwerdegegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend. Ergänzend hat sie ausgeführt, ihr Antrag auf Bewilligung von Arbeitslosengeld sei von den Mitarbeitern des Arbeitsamtes nicht entgegen genommen worden. Entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin habe man ihr am 26. Juni 2008 nicht unmittelbar einen Platz in einer Kindertageseinrichtung angeboten. Vielmehr habe sie telefonisch am 8. September 2008 erfahren, dass ab Oktober 2008 ein Platz in der Kindertagesstätte frei sei. Ab Dezember 2008 stehe ein Platz in einer anderen Kindertagesstätte ihrer Wahl zur Verfügung. Sie habe ein Wahlrecht hinsichtlich der Unterbringung ihres Kindes.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten und Beiakten Bezug genommen. Die Verwaltungsakte der Beschwerdeführerin sowie die Gerichtsakten lagen vor und waren Gegenstand der Entscheidung.

II.

Die Beschwerde der Beschwerdeführerin ist form- und fristgemäß nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegt worden und auch nach § 172 SGG zulässig.

Die Beschwerde der Beschwerdeführerin ist aber unbegründet, da diese durch den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 14. Mai 2008 nicht beschwert ist. Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die Beschwerdeführerin zur vorläufigen Bewilligung von Leistungen für den Zeitraum vom 1. Mai bis 31. August 2008 verpflichtet.

Der Senat hatte nicht darüber zu befinden, ob die Höhe der der Beschwerdegegnerin mit Bescheid vom 15. Juli 2008 ab dem 1. Juli 2008 bewilligten vorläufigen Leistung unter Anrechnung eines fiktiven Anspruchs auf Arbeitslosengeld rechtmäßig ist. Die Höhe des Anspruchs ist nicht Gegenstand des angefochtenen Beschlusses gewesen. Gleichfalls offen bleiben muss, ob die Beschränkung der vorläufigen Leistungsbewilligung im angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts bis 31. August 2008 rechtmäßig war. Die Beschwerdegegnerin selbst hat keine Beschwerde eingelegt.

Die Voraussetzungen für den Erlass der am 7. April 2008 beantragten einstweiligen Anordnung lagen vor. Das Gericht kann nach § 86b Abs. 2 SGG eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers erschwert oder wesentlich vereitelt wird. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist gemäß § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) stets die Glaubhaftmachung des Vorliegens sowohl eines Anordnungsgrunds (also die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile), als auch eines Anordnungsanspruchs (die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweg genommen werden.

Der Beweismaßstab im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfordert im Gegensatz zu einem Hauptsacheverfahren für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen nicht die volle richterliche Überzeugung. Dies erklärt sich mit dem Wesen dieses Verfahrens, das wegen der Dringlichkeit der Entscheidung regelmäßig keine eingehenden, unter Umständen langwierigen Ermittlungen zulässt. Ein Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. § 86b Rn. 16b). Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist die sozialgerichtliche Entscheidung nicht zu beanstanden.

1. Ein Anordnungsgrund im Sinne einer Eilbedürftigkeit der Regelung hat bei Antragstellung am 7. April 2008 vorgelegen und er ist auch bis zum Beschluss des Sozialgerichts vom 14. Mai 2008 nicht entfallen. Das Rechtsmittel des einstweiligen Rechtsschutzes hat vor dem Hintergrund des Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) die Aufgabe, in den Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung in dem grundsätzlich vorrangigen Verfahren der Hauptsache zu schweren und unzumutbaren, nicht anders abwendbaren Nachteilen führen würde, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002, 1 BvR 1586/02, NJW 2003 S. 1236 und vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05, Breithaupt 2005, S. 803). Dies bedeutet aber gleichzeitig, dass ein Anordnungsgrund fehlt, wenn die vermutliche Zeitdauer des Haupt-sacheverfahrens keine Gefährdung für die Rechtsverwirklichung und -durchsetzung bietet, wenn also dem Antragsteller auch mit einer späteren Realisierung seines Rechts geholfen ist. Zwar sollen grundsätzlich Leistungen nach dem SGB II das Existenzminimum der Antragsteller sichern. Wird durch die seitens des Leistungsträgers erbrachte Leistung der Bedarf nicht gedeckt, ist die Existenz des Hilfebedürftigen zeitweise nicht sichergestellt. Allerdings führt nicht jede Unterdeckung des Bedarfs grundsätzlich zu einer Existenzbedrohung und damit zum Vorliegen eines Anordnungsgrundes. Erforderlich ist eine existentielle Notlage.

Eine solche hat hier zum Zeitpunkt der Antragstellung am 7. April 2008 vorgelegen. Die alleinerziehende Beschwerdegegnerin lebt mit zwei minderjährigen Kindern in einer Bedarfsgemeinschaft und ist hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II. Dies ergibt sich schon aus der bis zum 31. März 2008 bewilligten Leistung in Höhe von 709,32 EUR/Monat. Ihr Weiterzahlungsantrag vom 3. März 2008 war bis zum 7. April 2008 nicht beschieden worden.

Die Beschwerdegegnerin hatte auch keine Möglichkeit, die ab dem 1. April 2008 entstandene Unterdeckung in zumutbarer Weise durch ihr zur Verfügung stehendes Einkommen oder Vermögen zu decken. Es kann offen bleiben, ob das Erziehungsgeld, das nach § 8 BErzGG als Einkommen bei Sozialleistungen unberücksichtigt zu bleiben hat, zumindest zeitweise zumutbar einzusetzen war, denn der Anspruch auf Erziehungsgeld endete am 4. April 2008 und damit vor der Antragstellung beim Sozialgericht. Der den beiden Kindern bis zum 22. April 2008 und dem jüngeren Kind darüber hinaus bewilligte Unterhaltsvorschuss ist als Einkommen bereits angerechnet worden.

Auch nach Erteilung des Bescheides vom 15. April 2008 hat weiterhin ein Anordnungsgrund vorgelegen. Denn die Beschwerdeführerin hat lediglich für den Monat April 2008 vorläufig Leistungen bewilligt, sodass eine existentielle Notlage ab dem 1. Mai 2008 wieder absehbar gewesen ist.

2. Der Beschwerdegegnerin stand auch ein Anordnungsanspruch für die Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes zur Seite.

Die Beschwerdeführerin hat die Weiterbewilligung der Leistungen nach dem SGB II ab dem 1. April 2008 zu Unrecht davon abhängig gemacht, dass die Beschwerdegegnerin sich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend meldet. Insoweit konnte sie sich nicht auf eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für eine Leistungsversagung stützen.

a. Die Androhung und faktische Durchsetzung einer vollständigen Leistungsversagung bis zum Erlass des Vorbehaltsbescheides vom 15. April 2008 (für den Monat April 2008) bzw. bis zum angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts vom 14. Mai 2008 für die Zeit ab Mai 2008 ist schon deshalb rechtsfehlerhaft gewesen, weil - selbst bei unterstellter möglicher und zumutbarer Meldung als arbeitsuchend und Bezug von Arbeitslosengeld - der Hilfebedarf allenfalls teilweise weggefallen wäre.

Dies ergibt sich schon aus dem Ausführungsbescheid vom 15. Juli 2008. Bei der dortigen fiktiven Anrechnung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld hat die Beschwerdeführerin lediglich einen um 162,90 EUR abzüglich 30,00 EUR Versicherungspauschale reduzierten Bedarf ermittelt. Diese Berechnung wäre ihr aber schon im Rahmen des Weiterzahlungsantrags vom 3. März 2008 möglich gewesen, da die Beschwerdegegnerin in ihren früheren Anträgen entsprechende Angaben über die Leistungshöhe des früheren Arbeitslosengeldes gemacht hatte.

b. Die Beschwerdeführerin hat auch die weitere Leistungsbewilligung zu Unrecht von der Erfüllung von Mitwirkungspflichten in Form einer Antragstellung bei der Agentur für Arbeit und Vorlage eines Bewilligungsbescheides bzw. Vorleistungsscheins abhängig gemacht.

Eine entsprechende Mitwirkungspflicht ergibt sich schon nicht aus den Vorschriften des SGB II. Die in § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II normierte Obliegenheit des Hilfebedürftigen ist nur insoweit sanktionsbewehrt, als bei einer Weigerung der Leistungsträger nach dem SGB II den Antrag selbst stellen und Rechtsbehelfe sowie Rechtsmittel einlegen kann. Dies hat die Beschwerdeführerin auch unter dem 15. April 2008 bei der Agentur für Arbeit getan. Sie hatte jedoch keine Möglichkeit, die von ihr unterstellte verweigerte Meldung als arbeitsuchend mit einer Leistungsentziehung zu sanktionieren (Eicher/Spellbrink, SGB II Grundsicherung für Arbeitsuchende, 2. Auflage, § 5, Rn. 39). Der Senat kann hier offen lassen, ob die Aufforderung zur Antragstellung gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II als Verwaltungsakt oder als rein vorbereitendes Verwaltungshandeln zu qualifizieren ist (Eicher/Spellbrink, a.a.O., § 5 Rn. 33f.). Denn im vorliegenden Verfahren hatte die Beschwerdegegnerin sich nach ihren glaubhaften Angaben nicht geweigert, einen Antrag auf Bewilligung von Arbeitslosengeld zu stellen. Vielmehr ist sie diesem Ansinnen der Beschwerdeführerin nachgekommen; ein Anspruch ist jedoch zumindest mündlich abgelehnt worden.

Die Beschwerdegegnerin hatte auch keine gesetzliche Mitwirkungspflicht im Sinne einer Meldung als arbeitsuchend gemäß den §§ 56 ff. SGB II. Dort sind als Obliegenheiten der Hilfebedürftigen lediglich geregelt die Anzeige- und Bescheinigungspflicht bei Arbeitsunfähigkeit (§ 56 SGB II) sowie die Einhaltung der Meldepflicht (§ 59 SGB II). Die übrigen dort geregelten Mitwirkungspflichten betreffen Dritte.

Die Beschwerdeführerin hat auch zu Unrecht in ihrem Schreiben vom 19. März 2008 auf Mitwirkungspflichten gemäß §§ 60 ff. SGB I abgestellt. Zutreffend ist zunächst, dass gemäß § 37 Satz 1 SGB I die allgemeinen Mitwirkungsvorschriften des SGB I Anwendung finden. Danach gelten die Vorschriften dieses Gesetzbuchs ergänzend, soweit sich aus den übrigen Büchern nichts Abweichendes ergibt. Da in den §§ 56 SGB II keine spezialgesetzliche Regelung für die verlangte Meldeaufforderung existiert, finden die gemeinsamen Vorschriften für alle Sozialleistungsbereiche des SGB I (Dritter Abschnitt) hier grundsätzlich Anwendung.

Nach § 66 Abs. 1 S. 1 SGB I kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen. Dies verlangt, dass die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind, ferner, dass derjenige, der eine Sozialleistung erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird. Die Mitwirkungspflichten nach § 60 Abs. 1 S. 1 Ziff. 1 und 3 SGB I beinhalten, dass derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben hat, die für die Leistung erheblich sind, ferner Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen hat. Diese Mitwirkungspflichten werden gemäß § 65 Abs. 1, Abs. 3 SGB I begrenzt.

§ 60 Abs. 1 gibt den Leistungsberechtigten lediglich Mitteilungspflichten für alle für die Leistung erheblichen Tatsachen bzw. die Zustimmung zur Einholung von erforderlichen Auskünften auf. § 61 SGB I regelt das persönliche Erscheinen bei dem zuständigen Leistungsträger zur Erörterung des Antrags oder zur Vornahme von für die Entscheidung über die Leistung notwendigen Maßnahmen. § 62 SGB I regelt die Pflicht zur Unterziehung ärztlicher und psychologischer Untersuchungsmaßnahmen. Eine Regelung über die Vornahme von Mitwirkungspflichten wie die hier von der Beschwerdeführerin geforderte Meldung als arbeitsuchend enthält das SGB I hingegen nicht.

Da die Beschwerdeführerin die Leistungsversagung demnach nicht an die Meldung als arbeitsuchend knüpfen durfte, war die Leistungsverweigerung ab dem 1. April 2008 rechtswidrig und auch ein Anordnungsanspruch lag vor.

Der Senat konnte daher offen lassen, ob die Auffassung der Beschwerdeführerin zutrifft, der Beschwerdegegnerin sei die Meldung als arbeitsuchend zumutbar gewesen, oder ob insoweit im Lichte des Artikel 6 Abs. 2 GG die elterliche Einschätzung hinsichtlich der Gefährdung der Kindeserziehung maßgeblich ist (vgl. Eicher/Spellbrink, a.a.O., § 10 Rdnr. 60 ff.). Desgleichen kann dahinstehen, ob eine entsprechende Anwendung von § 10 Abs. 1 Ziffer 3 SGB II an das konkrete Vorhandensein einer Unterbringungsmöglichkeit ("sichergestellt") geknüpft ist. Für diesen Fall hätte es der Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 3 Zweiter Halbsatz SGB II oblegen, darauf hinzuwirken, dass der Beschwerdegegnerin ein Platz zur Tagesbetreuung des jüngeren Kindes angeboten wird.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG. Die Beschwerde ist nicht zulässig (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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